Fast ein ganzer Blankeneser

0
32

Mit einer Straßenblockade und einem Überfall auf eine Biologin verzögerten Hamburger im Stadtteil Blankenese das Fällen von Bäumen für den Bau einer Unterkunft aus neun Pavillons in Leichtbauweise für 192 Flüchtlinge…

Von gaston kirsche

„Hier wie auch in anderen Teilen des Hamburger Speckgürtels brechen sich Wohlstandschauvinismus und Rassismus Bahn“ erklärt eine Sprecherin mit aufgeregter Stimme am 7. April durch ein Megaphon. Sie war Teilnehmerin einer als „Blankenese Chainsaw Massacre“ angekündigten Kundgebung. Mit der protestierten etwa 50 radikale Linke gegen eine Blockadeaktion von Anwohnenden zwei Tage zuvor, am 5. April. Am Rand des Hamburger Stadtteils Blankenese sollten dort im Björnsonweg, Höhe Brinkstücken auf einer ehemaligen Pferdekoppel am Waldrand, gleich neben einem elitären Golfklub, 42 Bäume gefällt werden, damit dort neun Pavillons für 192 Flüchtlinge errichtet werden können. Pro Pavillon sind vier Dreizimmerwohnungen für je sechs Menschen geplant. Mit etwa 20 Limousinen wurde die Zufahrt zur Koppel blockiert, die Lastwagen der Baumfällfirma zogen wieder ab. Bereits am Tag zuvor war eine Biologin, die bestimmen sollte, welche Bäume für die Flüchtlingsunterkunft gefällt werden sollen, angegriffen und ihrer Farbsprühdosen beraubt worden. Anwohnende besprühten mit den geraubten Farbspraydosen weitere 150 Bäume und Holzpoller wahllos mit grünen Markierungen.

Polizei griff an beiden Tagen nicht ein, aber der für Hamburger Verhältnisse ungewöhnlich rabiate Protest machte in Medien bundesweit Furore. Warum die Stadt Hamburg den Angriff auf eine ihrer Angestellten tolerierte und am nächsten Tag die Blockade der Baumfällarbeiten tolerierte, stand dabei nicht im Zentrum des medialen Interesses. Bei Bürgerprotesten gegen Flüchtlingsunterkünfte werden „rechtsfreie Räume“ geduldet, die bei linken oder gewerkschaftlichen Aktionen einen Polizeieinsatz zur Folge hätten. So blockierten etwa am 9. Juli 2015 Anwohnende eine Wiese im Jenfelder Moorpark, auf der das Rote Kreuz (DRK) 50 Zelte und sechs Sanitätscontainer als Notunterkunft für Flüchtlinge aufbauen wollte. Dabei kam es auch zu tumultartigen Szenen, Rangeleien und Handgreiflichkeiten. Anwohnende aus den angrenzenden Reihenhäusern und den Hochhäusern am Jenfelder Moorpark erklärten, dies sei ihr Park für ihre Kinder zum Spielen. Hier zeigte sich, dass Rassismus keine Outfitfrage ist und auch nicht nur in der Bourgeoisie vorkommt. Eine Anwohnerin mit Palästina-Tuch, FC-St-Pauli-Mütze und ökologischem Mehrfach-Coffee-To-Go-Becher protestiert gegen das Zeltlager in ihrem Jenfelder Kiez: „Wir wurden nicht informiert und sollten in einer Nacht-und-Nebel-Aktion überrumpelt werden“ wurde sie in der Hamburger Morgenpost vom 11. Juli 2015 zitiert. Wenn sie einen Brief vom Bezirksamt bekommen hätte, wäre alles anders. Vermutlich. Tage später erklärte diese Anwohnerin in Gesprächen, sie habe dass alles nicht so gemeint. Wie sie redeten viele aus der Nachbarschaft vom Jenfelder Moorpark. Andere, die ihre Hilfe für die Betreuung der Flüchtlinge anboten, fanden kaum Gehör.

Obwohl Polizei anrückte, brach das DRK den Aufbau im Jenfelder Moorpark am ersten Tag ab. Der stellvertretende Landesbereitschaftsleiter beim DRK, Stephan Mielke, erklärte vor Ort: „Wir wollen hier nichts erzwingen.“ Erst mit Verspätung und nach vielen Diskussionen konnte das Zeltlager Tage später errichtet werden – anders als ursprünglich geplant eingezäunt und mit von einem Wachschutz kontrolliertem Zugang. Wie dieses Beispiel zeigt, reihen sich die Attacke und die Blockade im Björnsonweg in Blankenese bei genauerer Betrachtung in eine ganze Reihe von Protesten gegen Flüchtlingsunterkünfte in Hamburg ein.

Die Polizei - im Schanzenviertel eine Woche zuvor (am 31. 3.) bei einer kleinen Straßenblockade schnell vor Ort, in Blankenese im "rechtsfreien Raum" nicht
Die Polizei – im Schanzenviertel eine Woche zuvor (am 31. 3.) bei einer kleinen Straßenblockade schnell vor Ort, in Blankenese im „rechtsfreien Raum“ nicht

Anwohnende des Björnsonwegs beauftragten auch einen Anwalt damit, juristisch gegen die Errichtung der Unterkunft für Geflüchtete vorzugehen. Rechtsanwalt Rüdiger Nebelsiek legte gegen die Baugenehmigung beim Verwaltungsgericht Widerspruch ein: Hier werde gegen europäisches Umweltrecht verstoßen. Nebelsiek saß bis 2015 im Landesvorstand der Umweltorganisation BUND und ist ein Kenner des Umweltrechtes. Die zuständige Kammer, die zuvor bereits in einigen anderen Fällen den Einsprüchen von Anwohnenden gegen geplante Flüchtlingsunterkünfte stattgegeben hatte, ordnete auch im Björnsonweg den vorerst vorläufigen Stopp für den Bau der Unterkunft an erlassen (7 E 1486/16). In Bezug auf andere Hamburger Stadtteile wurden den Einsprüchen vom Verwaltungsgericht Hamburg auch aus weiteren Gründen stattgegeben: In Harvestehude wurde der Status als „besonders geschütztes Wohngebiet“ als Begründung angeführt, in Klein Borstel die Rechtssicherheit für die Besitzenden der angrenzenden Einzelhäuser und in Ohlstedt die „familiäre Struktur“ des Stadtteils. In Niendorf sahen Anwohnende durch Pavillonhäuser für Flüchtlinge den Hochwasserschutz gefährdet, in Volksdorf wurde plötzlich eine als schützenswert deklarierte Wiese interessant. Manfred Braasch, Geschäftsführer des BUND, erklärte gegenüber Zeit online, als bekannte Umweltorganisation seien sie schon öfter von Bürgerinitiativen um Unterstützung bei der Ablehnung des Baus von Flüchtlingsunterkünften gebeten worden – und hätten dies immer abgelehnt.

So groß und alt wie die Bäume im Duvenstedter Brook im Norden Hamburgs sind die jungen Birken im Blankeneser Björnsonweg nicht
So groß und alt wie die Bäume im Duvenstedter Brook im Norden Hamburgs sind die jungen Birken im Blankeneser Björnsonweg nicht

In Blankenese war es jetzt der Schutz eines „grundsätzlich schutzwürdigen Trockenbiotops“. Dass am Björnsonweg laut Bebauungsplan genau die verhandelte Fläche für Einzelhäuser vorgesehen ist, spielte für den Einsatz der Anwohnenden für den Schutz der Natur und für das Gericht keine Rolle. Auch nicht, ob es sich nun um ein Trockenbiotop oder ein Wasserschutzgebiet handelt. In Videointerviews, welche etwa Spiegel online und der shz-Verlag im Internet eingestellt haben, kommt dagegen zur Sprache, was sich hinter dem Einsatz für die Bäume mit deutschen Wurzeln verbirgt: „ Es ist klar, dass Flüchtlinge irgendwo untergebracht werden müssen, aber doch nicht gerade im Wasserschutzgebiet“, so die Anwohnerin Renate Krenz: In anderen Flüchtlingsunterkünften sei ja auch so viel Wachpersonal, weil „da schon erheblich geklaut“ werde. Eltern hätten „Angst um ihre Töchter“. Gegenüber der Bild erklärte die mitteilungsfreudige Dame: „Als hier früher ein Asylheim stand, war das eine große Belastung für die Anwohner, es gab Probleme mit Drogen, Gewalt und Prostitution.“ Ein anderer Anwohner in einem anderen Video erklärt, ständig hätte die Polizei kommen müssen, es sei gedealt worden. Tatsächlich stand auf der Koppel bis 2008 bereits eine Flüchtlingsunterkunft, die in einem ehemaligen Studierendenwohnheim untergebracht war. Gerade dies wird von einigen anderen aus dem Björnsonweg als Argument für die neu geplante Flüchtlingsunterkunft angeführt: Es habe seinerzeit keine Probleme gegeben sondern eine gute Nachbarschaft. In jedem Fall hätten dort bis vor acht Jahren bereits Häuser gestanden. Etwa 25 Anwohnende des Björnsonwegs fanden sich am 9. April sogar zu einem Fototermin mit einem Transparent „Refugees welcome“ zusammen und betonten, sie seien „keine herzlosen Bonzen“. Denn Blankenese ist einer der am schönsten gelegenen Stadtteile Hamburgs, auf dem Geestrücken direkt am Ufer mit Blick auf die Elbe gelegen stehen viele Villen, dort residiert das alte Geld. Und eben auch Neureiche wie in den Neubauten am Björnsonweg, denen der diskrete Charme der Bourgeoisie abgeht und die sich unhanseatisch verhalten haben: Das Gericht hätte es sowieso geregelt. Und solange es nur 192 Flüchtlinge sind – ursprünglich waren für die Unterkunft 600 Plätze vorgesehen, aber die Zahl wurde diskret runtergehandelt und die Belegung ausschließlich mit Familien aus Syrien zugesagt.

So herrscht in Blankenese einiger Unmut über das ungebührliche Verhalten der Blockierer: „Autos kreuz und quer parken! Eine Biologin angreifen! Unmöglich!“ erregte sich etwa Claus Wulf gegenüber einem Reporter der Hamburger Morgenpost, um dann aber auch gleich nachzuschieben: „Ich bin der Meinung, dass Blankenese bis zu 300 Flüchtlinge wunderbar verkraften kann.“ Ganz hanseatisch distinguiert wird auf eine Obergrenze geachtet. Denn eine Belastung seien die Flüchtlinge schon. Ähnlich argumentiert der Dachverband „Hamburg für gute Integration“, in dem sich Bürgerinitiativen aus zahlreichen Stadtteilen zusammengeschlossen haben, die gegen Flüchtlingsunterkünfte protestieren. Alles im Interesse der Geflüchteten, versteht sich: Die dürften doch nach der Erstaufnahme nicht schon wieder in große Einrichtungen verlegt werden! Da sollen sie lieber in den überbelegten Erstaufnahmelagern bleiben, ist besser für die Aufnahmebereitschaft in den Wohnquartieren. Der Dachverband hatte Anfang März in nur fünf Tagen statt der erforderlichen 10.000 Unterschriften für eine Volksinitiative gegen große Flüchtlingsunterkünfte mühelos rund 26.000 Stimmen gesammelt. In der Vorlage wird gefordert, dass höchstens 300 Flüchtlinge an einem Standort leben und zwischen den Unterkünften ein Radius von mindestens einem Kilometer liegt. Während der rotgrüne Senat versucht, der Volksinitiative durch Verhandlungen und Zugeständnisse im Einzelfall den Wind aus den Segeln zu nehmen, zeigt die oppositionelle CDU Verständnis für die Initiative. Der Protest wird für seriös erklärt. Wenn es zu rabiateren Formen der Flüchtlingsabwehr kommt wie in Blankenese wird dies herunter gespielt. Wie bereits im Juli 2015, nachdem eine Kanzlei für Anwohner vom Björnsonweg einen Protestbrief geschrieben hatte, in dem bemängelt wurde, das neben Flüchtlingen ja auch noch Obdachlose dort untergebracht werden könnten: „Das sind nicht die Anwohner, sondern höchstens ein, zwei Leute“, erklärte Andreas Grutzeck, Bezirksabgeordneter der CDU. Höchstens. Vielleicht auch nur ein halber oder ein dreiviertel Anwohner. Alles eben – halb so schlimm.

Der Dachverband „Hamburg für gute Integration“ wie auch ihr sonst omnipräsenter, ebenfalls in einem Elbvorort der reicheren Hamburger wohnende Vorsitzende Klaus Schomacker schweigen zu dem Konflikt in Blankenese, obwohl sie sich dort ja für „gute Integration“ in einer kleinen Unterkunft einsetzen könnten: Für weit weniger als die von ihnen geforderte Obergrenze von 300 Flüchtlingen. Ihr Schweigen dokumentiert, dass sie sich zwar gegen große, aber eben auch nicht für kleine Flüchtlingsunterkünfte einsetzen.

Die Initiative hierzu kam aus der Linken, mit dem Aufruf der „Interventionistischen Linken“ zum zumindest virtuell radikalen „Blankenese Chainsaw Massacre“ am 7. April. Wie einige andere hatte sich auch die Sprecherin mit einem Bauhelm, mit Sonnenbrille und einer Warnweste ausstaffiert wie eine Baumfällerin in Arbeitskleidung. Mit einer Handsäge bearbeitet sie eine kleine Birke, die direkt am Wegesrand steht. Andere kommen mit größeren Zweihandsägen dazu, ein Anfang ist gemacht. Mit Mehreren wird das Gelände symbolisch vermessen und mit Absperrband markiert. Jetzt holt ein Aktiver eine Kettensäge hervor, postiert sich neben der Birke, bestimmt 20 Kameras sind auf ihn gerichtet. Er wirft die Kettensäge an, hält sie fotogen hoch, um dann einmal kurz an der Baumrinde anzusetzen, ein kleines Stück herauszutrennen. An zwei Seilen ziehen etliche der 50 Demonstrierenden an der Birke. Aber, symbolische Aktion, die Birke wird nicht umgerissen. Beim Vorgespräch mit der mit 20 Beamten präsenten Polizei wurde wohl vereinbart, keinen Baum wirklich zu fällen. Aber die Sprecherin versprach: „Wir kommen wieder!“

Der „Runde Tisch Blankenese“,  der die ehrenamtliche Betreuung und Hilfestellung für Flüchtlinge in den Elbvororten koordiniert – und im Nachbarstadtteil seit Jahren Geflüchtete in einer Sammelunterkunft unterstützt – rief für den 14. April zu einer Demonstration im Dorfkern von Blankenese auf. Im Aufruf stand: „WIR unterstützen den Bau der Flüchtlingsunterkunft Björnsonweg. Wir möchten keine Abschottung in Blankenese. Wir heißen Flüchtlinge willkommen und werden sie begleiten. Es geht um Menschen mit leidvollen und traumatischen Erfahrungen. Es geht um Menschen wie du und ich und nicht um Zahlen. Wir möchten ein Miteinander und wünschen uns Unterstützung von allen“. Mit mehreren Hundert Teilnehmenden, auch aus den anderen Elbvororten, und Transparenten auf denen stand „Flüchtlinge waren und sind in Blankenese willkommen“ oder „Hilfe für Flüchtlinge“ eine eindrucksvolle Demonstration. „Wir wollen zeigen, dass sich der Blankeneser nicht abschotten will“, so Helga Rodenbeck, Gründungsmitglied des Rundes Tisches Blankenese, gegenüber dem Elbe Wochenblatt. Helga Rodenbeck ist beruflich als Sozialarbeiterin für Flüchtlinge routiniert und die Betreuerin des Runden Tisches. Sie drückt das Selbstbild der Blankeneser treffend aus, wenn sie das gute Miteinander Aller im Stadtteil betont. Blankenese hat etwas dörfliches, und gerade die im Kiez dominanten Bourgeois legen Wert auf ein freundliches Zusammenleben: Hier bin ich Mensch, hier kann ich es sein. Dies haben die Neureichen am Björnsonweg nicht begriffen, die bei Flüchtlingen nur Störendes Ungewohntes und Nachteile für ihre Wertanlage Immobilie sehen. Mit ihrer Blockadeaktion haben sie aus Sicht der alt eingesessenen BlankeneserInnen dem Ruf des Stadtteils geschadet. Und sich eingereiht in die sich auch in Hamburg stadtweit artikulierenden Proteste gegen Flüchtlinge.

Die Stadt Hamburg legte gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts, welches die Baumfällung und die Vorbereitung der Fläche am Björnsonweg für die neun Pavillons für Geflüchtete untersagte, Beschwerde ein. Der gab das Oberverwaltungsgericht Hamburg am 20. April statt und erklärte die Baumfällungen und die Aufnahme der Arbeiten zur Bauvorbereitung als höchste Instanz in diesem Rechtsstreit für rechtens (2 Bs 51/16). Bald könnten am Björnsonweg die Kettensägen kreischen.