Unterdrückte Natur und fruchtbarer Schoß

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Antisemitismus und Sexismus: Karin Stögner hat eine erhellende Studie über die Verwobenheit zweier alltäglicher Ressentiments vorgelegt…

Von Nikolai Schreiter
Erschienen in: unique, Magazin der Uni Wien, 3/16

Materialistische Kritik des Sexismus hat Seltenheitswert. Wer sich auf die Suche danach macht, was Sexismus genau meint, und vor allem danach, warum es ihn gibt, muss schnell feststellen, dass ein solcher entfalteter Begriff kaum existiert. Auch bei der Frage der Verbindung, wie der Sexismus die abstrakten Formen der falschen Gesellschaft mit der Kollektivierung in Geschlechter und ihre Rollen füllt und was er den SexistInnen bringt, wird es dünn. Anders beim Antisemitismus. Dessen Kritik ist zwar auch viel zu selten, aber sie fußt auf einer längeren Tradition, deren Grundlagen in den 1940er Jahren entstanden und die aufs Engste mit den Arbeiten von Theodor W. Adorno, Max Horkheimer, aber auch Ernst Simmel und Otto Fenichel verbunden ist. Um die Frage zu beantworten, wie es sein konnte, dass die deutschen und österreichischen Massen sich dem Projekt der Judenvernichtung verschrieben statt Revolution zu machen, entstanden die Fundamente der bis heute tragenden Kritik des modernen Antisemitismus aus einer Synthese der Kritik der politischen Ökonomie, der Kulturindustrie und der Psychoanalyse.

Vergleichbares hat es für den Sexismus nicht gegeben. „Im Zuge der Aufklärung wurde die Geschlechterbinarität nicht im gleichen Maß kritisch aufgegriffen wie die soziale Benachteiligung von Juden. Diese Leerstelle bot sodann die Möglichkeit der wirksamen Vermengung antisemitischer Diskurse mit dem Geschlechterdiskurs.“ (S. 49) Diese Vermengungen zu entschlüsseln einerseits, andererseits die Herkunft der beiden Ideologien Antisemitismus und Sexismus zu dechiffrieren, die bei ähnlicher Grundlage und Funktion in ihren Auswirkungen sich doch ums Ganze unterscheiden, tritt Karin Stögner in ihrem Buch Antisemitismus und Sexismus an. Sie arbeitet auf der Basis der Kritischen Theorie und der Psychoanalyse kultur- und ideengeschichtlich, historisch konkret und mit einer Fülle theoretischer und empirischer Quellen.

Die Natur zu beherrschen

Ausgehend von der bisherigen, immer repressiven Vergesellschaftung, der Herrschaft über die Natur, die zurückschlägt in die Herrschaft über Menschen, konstatiert Stögner, dass nicht zuletzt „mit dem Siegeszug der Naturwissenschaften im 19. Jahrhundert sowohl Frauen als auch Juden mit Natur identifiziert wurden“ (S. 283) und so wiederum mehr Objekte als Subjekte dieser Herrschaft wurden. Sie bieten Projektionsflächen, auf die jene, die „Natur krampfhaft beherrschen“ (Adorno, zit. n. S. 26), Wünsche und Ängste projizieren, die sie nicht zulassen konnten und können, um „dem identischen und zweckgerichteten männlichen Selbst zu entsprechen“ (ebd.). „Wo Natur bloß zur bearbeiteten Materie herabgedrückt wird, bedeutet mit ihr identifiziert zu werden ein Verdikt.“ (ebd.)

Stögner expliziert aus der Kritischen Theorie Aussagen zur Geschlechtlichkeit und zum Geschlechterverhältnis, die viel zu selten auf diese Weise in den Fokus gerückt werden und auch spärlicher und meist weniger explizit sind als jene zum Antisemitismus. Auf dieser Grundlage der Kritik der Einteilung von Menschen folgt sie den Bildern von Weiblichkeit und Jüdischsein über die Zeit und analysiert ihre Verstrickungen und Verschiebungen. Nie geht es bei ihr um ein vermeintliches ‚Wesen‘ der Frauen oder der Juden und Jüdinnen, immer um die Gedankenwelt der SexistInnen und AntisemitInnen und deren Fundierung in der Welt. Den Vergleich antisemitischer und sexistischer Diskriminierung zieht sie nur am Ende des Buches anhand des Erlebens konkreter Diskriminierung von sechs jüdischen Frauen in Österreich, die sie interviewt hat. Ein allgemeinerer Vergleich sexistischer und antisemitischer Verfolgung, der Diskriminierung und Ermordung von Menschen wäre, dessen ist Stögner sich stets bewusst, gerade vor dem Hintergrund der Shoah eine Verharmlosung des Vernichtungswillens im Antisemitismus.

Woher die Bilder kommen

Erwähnenswert ist, wie Karin Stögner vor diesem materialistischen Hintergrund Themen aufgreift, die ansonsten eher aus dem postmodernen Feminismus bekannt sind: Es geht bei ihr immer wieder um Fragen von Repräsentation und Alltagsbildern. Diese Bilder sind bei Stögner immer materialistisch fundiert, ihre gesellschaftlichen Funktionen werden deutlich und ihre historischen Vorläufer nachvollzogen. Mit Marx legt sie etwa dar, wie aus der Tauschgesellschaft Waren- und Geldfetisch erwachsen und wie das Geld als allgemeines Zeichen, das für die abstrakte, unverstandene Seite der Zirkulation steht, mystifiziert und mit einer Sinnlichkeit aufgeladen wird, die verboten ist. „Die dem Geld zugesprochene Sinnlichkeit kristallisiert sich im Bild des ‚Geldjuden‘ wie auch in jenem der ‚Hure‘.“ (S. 119) Im Fin de Siècle fand sowohl in den moralisierenden und projektiven Diskursen über die Prostitution wie im rassistischen Antisemitismus eine „‚Wiederbeleibung‘ der im Abstraktionsprozess desinkarnierten Zeichen“ (ebd.), des Geldes, statt. In die Prostituierte wurde und wird das unerkannte täglich Brot aller, der Verkauf der Arbeitskraft projiziert, der als Verkauf der Person missverstanden wird. So tritt die Prostituierte „als Verkäuferin und Ware zugleich in Erscheinung“ (S. 121) und verwischt dadurch die Grenzen der getrennten Geschlechtersphären, in denen Männer, zum Beispiel in ihrer Funktion als Familienvorstand, Frauen tauschen, etwa um Herrschaftsbande zu knüpfen. „Was sich nicht einordnen lässt, sich dem Identitäts- und Definitionszwang widersetzt, wirkt penetrant, ist verdächtig und birgt die Gefahr, die hart erworbenen und fest gefügten Grenzen aufzulösen.“ Deshalb ist „das Bedürfnis nach Einheit, Eindeutigkeit und Ordnung für Antisemitismus und Sexismus grundlegend“ (S. 87). Andere Bilder, die Stögner analysiert, sind die „schöne Jüdin“, die „Jewish-American Princess“ oder die Darstellung von NS-Täterinnen „nach 1945 als singuläre Monstren“ (S. 228) und deren jeweiligen Funktionen.

Offensichtliche Überraschungen

Manches Bekannte rückt Karin Stögner in ein neues Licht. Die „Feminisierung des Faschismus“ (S. 221) nach 1945 etwa, die dazu dient, sich durch die Identifikation des Faschismus mit dem untergeordneten Weiblichen selbst darüber erheben und also davon distanzieren zu können, findet sich plötzlich in einem der bekanntesten Sätze Bertolt Brechts wieder: „Der Schoß ist fruchtbar noch, aus dem das kroch.“ (S. 223) Die Stärke des Buches liegt darin, nicht nur ein wissenschaftliches Werk zu sein, sondern anknüpfend an offene Fragen und Erlebtes mit der theoretischen Fundierung Dinge aufzuklären, die bisher möglicherweise erahnt, aber nicht durchdrungen wurden. Bei Karin Stögner füllt sich die abstrakte Form sogleich historisch konkret. So entsteht sowohl ein Begriff von Sexismus wie von Antisemitismus und ein grundlegendes Verständnis der repressiven Gesellschaft und ihrer treffenden Kritik, die auch noch gut zu lesen ist. Zuzustimmen ist Stögner nicht zuletzt in der antiidentitären Übereinstimmung mit ihren Interviewpartnerinnen. Deren „abwehrende Haltung der Forderung gegenüber, sich zu einer Identität zu bekennen – die Haltung stünde, als reflektierte, allen an“ (S. 281).

Karin Stögner (2014): Antisemitismus und Sexismus. Historisch-gesellschaftliche Konstellationen. Baden-Baden: Nomos-Verlag, 330 Seiten, 49,– Euro, Bestellen?

1 Kommentar

  1. Wer nach Belegen für den Zusammenhang zwischen Sexismus und Antisemitismus sucht, wird hier auf haGalil fündig. Wohl keine andere Persönlichkeit der Zeitgeschichte als der Sohn des letzten Bayernkönigs, der Kronprinz Rupprecht von Bayern (1869-1955), hat so viele einschlägige Zeugnisse seiner menschenfeindlichen Einstellung hinterlassen.

    Hier die Belege für Frauenfeindlichkeit und Rassismus:
    http://www.hagalil.com/2012/11/rupprecht-von-bayern/
    http://www.hagalil.com/2013/10/rupprecht/

    Und hier die für Antisemitismus:
    http://www.hagalil.com/2012/02/saloniki-4/

    Selbstredend, dass die bayerischen Geschichtsbücher bis heute die Zusammenhänge und Tatsachen der oben genannten haGalil-Beiträge auch weiterhin vertuschen, dass sie klittern und verharmlosen. Es darf doch kein Wittelsbacher (bayerische Königsdynastie) zu den Bösen gehören, „unser“ Bayern muss doch „schön“ bleiben, die Lumpen und Verbrecher, das sind doch stets die anderen…

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