Marine Le Pen und Marion Marechal-Le Pen – die beiden Rivalinnen der französischen Nationalisten

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Im ersten Durchgang der Regionalwahlen übersprangen Marine Le Pen und ihre Nichte Marion Marechal-Le Pen in Nord- und Südost-Frankreich jeweils die 40 Prozent-Marke. Die beiden FN-Politikerinnen setzen unterschiedliche Akzente und sind Rivalinnen…

Von Danny Leder, Paris

Ich hatte zweimal Gelegenheit ein Interview mit Marine Le Pen für die österreichische Tageszeitung „Kurier“ zu führen. Ein erstes Mal im Juni 2012, und damals lautete ihre Kernaussage: „Ich wünsche den Zusammenbruch der EU“. Beim zweiten Mal, im Mai 2014, schwärmte sie für Wladimir Putin: der russische Staatschef würde „die Werte der europäischen Zivilisation verteidigen“. Als ich um Präzisierung bat, verwies sie auf „die Werte unseres christlichen Erbes“ – und verfiel unvermittelt in Gelächter.

Ich hatte nicht die nötige Geistesgegenwart, um die Vorsitzende des „Front National“ (FN) zu fragen, warum sie ihre eigene Äußerung zum Lachen brachte. Dachte sie an ihren persönlich eher lockeren Umgang mit dem, was man gemeinhin unter christlicher Sittenregel versteht? Wurde ihr plötzlich bewusst, wie absurd es wirkt, ausgerechnet Putin zum Parade-Europäer zu stilisieren?

Es mag sein, dass in einem Land wie Frankreich, wo beißender Humor selten weit weg ist, auch eine nationalistische Politikerin sporadisch zu einem Anflug von Selbstironie fähig sein muss. Und es gehört wohl zu den Verführungskünsten der 47 Jährigen, dass sie das Selbstbild einer lässigen Zeitgenossin durchschimmern lässt. So weiß man, dass die studierte Rechtsanwältin als „Fetarde“ (Party-Löwin) gilt. Dass sie auch schon mal Polizisten unflätig beschimpft hatte, die von ihren lärmgeplagten Nachbarn Nachts herbeigerufen worden waren. Dass sie nach zwei geschiedenen Ehen in freier Partnerschaft mit einem FN-Politiker lebt. Dass sie den Demos gegen die Homo-Ehe fernblieb.

„Nicht-europäische Krankheiten“

Das ist die eine Seite. Die andere Seite ist freilich, dass Marine Le Pen ihren aufgeputschten Anhängern zuruft: „Den Migranten Arbeit geben, bedeutet einem französischen Arbeitslosen ins Gesicht spucken. Die Flüchtlinge kommen zu uns, um Sozialstützen und Wohnungen zu bekommen, um die ihr vergebens ansucht.“ Und: „Ich werde die bakterielle Immigration entwurzeln. Die Spitäler müssen mit ansteckenden nicht-europäischen Krankheiten der Migranten kämpfen“.

Gegen solche Hetze hat ihre Nichte, Marion Marechal-Le Pen, zwar nichts einzuwenden. Trotzdem ist die 26 jährige und damit jüngste Abgeordnete Frankreichs etwas anders gepolt. Die Absolventin einer besonders strengen katholischen Privatschule stand bei allen Aktionen gegen die Homo-Ehe in der ersten Reihe. Sie sucht auch demonstrativ die Nähe ultrakonservativer katholischer Kreise. So kündigte Marion Marechal-Le Pen an, sie wolle der „Familienplanung“, eine Institution, die Frauen bei Empfängnis-Verhütung und Schwangerschafts-Unterbrechung berät, alle Subventionen streichen.

Marine Le Pen reagierte auf diesen Vorstoß ihrer Nichte umgehend: „Das steht nicht in unserem Programm.“ Freilich hatte auch Marine Le Pen, trotz aller Coolness, noch vor kurzem gefordert, Abtreibungen dürften nicht länger von der Krankenkasse vergütet werden (was in Frankreich Gesetz ist.)

Entsorgung von Jean-Marie Le Pen

Auch bei der politischen Entsorgung des lästig gewordenen Parteigründers, Jean-Marie Le Pen, der gelegentlich antisemitisch blinkte, zeigten sich Differenzen. Marine Le Pen warf vor dem Sommer ihren Vater aus der Partei. Der FN-Patriarch hatte wieder einmal auf seiner verharmlosenden Darstellung der Nazi-Besatzung Frankreichs und des Holocausts in einem Interview mit einer rechtsradikalen Postille beharrt. Marion Marechal-Le Pen, Enkelin des Parteigründers, befürwortete zwar, dass man Jean-Marie Le Pen die FN-„Ehrenpräsidentschaft“ abspreche, nicht aber seine Partei-Mitgliedschaft.

Im ersten Durchgang der landesweiten französischen Regionalwahlen, am vergangenen Sonntag, erzielten die beiden FN-Politikerinnen in der jeweiligen Region, in der sie als Spitzenkandidatinnen antraten, jeweils das gleiche Rekord-Ergebnis: sowohl Marine Le Pen in der Großregion Norden als auch Marion Marechal-Le Pen in der Großregion Südosten kamen auf knapp über 40 Prozent der Stimmen.

Die beiden Regionen weisen allerdings polit-historische Unterschiede auf, die sich auch in der jeweilig unterschiedlich gelagerten Taktik der beiden Nationalistinnen wiederspiegeln.

Die Großregion Norden  ist eine historische Bastion der linken Arbeiterbewegung, die stellenweise zu einem Industriefriedhof abgesackt ist. Dort agitiert Marine Le Pen mit einem staats-lastigen Sozial-Programm, das sich punktuell mit Forderungen der anti-kapitalistischen Linken deckt: Verstaatlichung von Banken und Energiewirtschaft, allgemeine Lohnerhöhungen, Beibehalt des bisherigen Renten-Antrittsalters bei gleichzeitigen Steuersenkungen. Diese sozialen Wohltaten und möglichst auch alle Jobs sollen aber (und da liegt der entscheidende Unterschied zur Linken) den Franzosen vorbehalten blieben, also den nicht-eingebürgerten Migranten vorenthalten werden. Dazu kommen Zollschranken für Importe und Euro-Austritt. Der Vorsitzende des französischen Unternehmerverbands, Pierre Gattaz, sieht darin „ein unverantwortliches Programm, das Frankreichs Wirtschaft um Jahrzehnte zurückwirft“.

Demgegenüber hält sich Marion Marechal-Le Pen in Sachen Euro bedeckt und gilt als Gegnerin sozialstaatlicher Einflussnahme. In der  Region, in der sie antritt, der Cote d’Azur und ihrem Hinterland, im Südosten Frankreichs, gibt es einen bedeutenden, traditionell rechtsnationalen Wähler-Kern. Dieser stützt sich auf einen Teil der, in dieser Region stark vertretenen Familien der Algerien-Franzosen (die nach der Unabhängigkeit Algeriens 1962 nach Frankreich flüchten mussten).

Die Gegend wird aber inzwischen auch stellenweise von besonders auffälligen Islamisten-Gruppen mit dschihadistischen Ausläufern heimgesucht. Da stößt Marion Marechal-Le Pen auf beträchtliche Zustimmung, wenn sie sagt: „Bei uns trägt man keine Dschellaba“ (lang wallendes Traditionsgewand aus Nordafrika) und: „Die Muslime können in Frankreich nicht genau den selben Rang wie die Christen einnehmen“. Während der Umkreis von Marine Le Pen in Nordfrankreich muslimischen Gemeinden, wenn auch eher diskret, Wohlwollen signalisiert und mit einer speziellen Kampagne um die Stimmen der „Franzosen muslimischer Konfession“ wirbt.

Neues Vorbild De Gaulle

Marine Le Pen hat aber auch in der Ahnenreihe ihres Nationalismus umgesattelt. Ihr neuer und eher junger Beraterkreis beruft sich auf General Charles De Gaulle, den Exil-Führer des Widerstands gegen Hitler-Deutschland und späteren Staatschef, der den Rückzug Frankreichs aus Algerien gewährleistete. Genau deswegen war De Gaulle noch für Jean-Marie Le Pen stets der „Landesverräter“ und Erzfeind gewesen.

Als ich vor 30 Jahren FN-Versammlungen beiwohnte, gab es Schweigeminuten für Jean Bastien-Thiry, einem rechtsradikalen Luftwaffen-Offizier und Organisator eines – misslungenen – Anschlags gegen De Gaulle. Bastien-Thiry wurde deswegen 1963 hingerichtet. Nunmehr pilgert Marine Le Pen alljährlich mit einer FN-Abordnung zum Grab von Charles De Gaulle.

Wie die meisten Populisten in Westeuropa pflegt der FN die Nostalgie der erfolgreichen Aufbauperiode, die in Frankreich ab den 1960er Jahren mit De Gaulle verbunden ist. Dabei verkörperte De Gaulle aber einen tendenziell autoritären Stil in der Tradition des französischen Bonapartismus. Er schneiderte sich ein Präsidenten-Regime zurecht, das vom damaligen Führer der Linken, Francois Mitterrand, so lange er in der Opposition war,  als „permanenter Staatsstreich“ bekämpft wurde. Und das Mitterrand prompt übernahm, kaum kam er selber ans Ruder.

Was würde Marine Le Pen mit so einem Regime anfangen, das ein Übermaß an Macht in den Händen des Präsidenten konzentriert – eine „republikanischen Monarchie“, wie Politologen oft formulieren? Vielleicht kann man das aus ihrer Putin-Verehrung herauslesen.

Erstveröffentlichung in der österreichischen Tageszeitung „Kurier“