Neuer Wiener Oberrabbiner

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Die Israelitische Kultusgemeinde (IKG) Wien hat einen neuen Oberrabbiner: Arie Folger (42) wurde am Montagabend vom Kultusvorstand mehrheitlich für diese Funktion gewählt, nachdem sich die Rabbinerfindungskommission zuvor bereits einstimmig für ihn ausgesprochen hatte…

Von Alexia Weiss,
erschienen in: Wiener Zeitung v. 23.12.2015

Der gebürtige Belgier hat bereits einige deutschsprachige jüdische Gemeinden betreut. Von 2003 bis 2008 war er etwa Gemeinderabbiner in Basel, von 2011 bis 2013 in München. IKG-Präsident Oskar Deutsch betonte am Dienstag: „Ich bin stolz, dass der ganze Prozess, einen Rabbiner zu finden, jetzt so professionell und positiv abgeschlossen wurde. In all den Gesprächen, die wir mit Arie Folger geführt haben, haben alle den Eindruck gewonnen, dass er der richtige Mann für die geistige Leitung der Gemeinde sein wird.“

So richtig zu Gesicht bekommen wird man den neuen Oberrabbiner allerdings erst im Frühsommer 2016: Zuvor will er mithelfen, Nachfolger für die Gemeinden in Frankfurt und Karlsruhe zu finden, die er derzeit als Rabbiner betreut. Und er möchte, dass seine sechs Kinder – das jüngste derzeit zwei, das älteste 16 Jahre alt – das Schuljahr ordentlich abschließen können. Danach wird die Familie, die derzeit in Straßburg lebt, nach Wien übersiedeln.

Zunächst Arbeit als Gemeinderabbiner

Das Statut der IKG Wien sieht vor, dass ein Oberrabbiner zunächst als Gemeinderabbiner in Wien tätig gewesen sein muss. Für drei Monate wird er daher hier als solcher arbeiten, um dann mit den Hohen Feiertagen im Herbst 2016 das Amt des Oberrabbiners zu übernehmen.

Bis dahin bleibt der derzeitige Oberrabbiner Paul Chaim Eisenberg im Amt, der auch danach eine Funktion weiter behalten wird: jene des Oberrabbiners des Bundesverbandes der Israelitischen Kultusgemeinden in Österreich. Schlomo Hofmeister wird ihm dabei wie bisher als Gemeinderabbiner zur Seite stehen und er wird sich später die vielfältigen Aufgaben des Rabbinats auch mit Folger teilen.

Im Gespräch mit der „Wiener Zeitung“ überraschte Folger am Dienstag mit seinem perfekten Deutsch – aber auch der Geschichte, wie er zu diesem kam: Zum einen sei er mit Jiddisch aufgewachsen, der Sprache seines Vaters. In der Schule erlernte er Niederländisch, auch eine verwandte Sprache. Aber so richtig mit Deutsch konfrontiert war er zum ersten Mal „mit 15, 16. Ich war in einer Jeschiwe in Antwerpen, Sie müssen sich vorstellen, wir waren alles orthodoxe Jungen, alle fromm, Mädels gab es dort nicht. Wir haben hauptsächlich die heiligen Schriften des Judentums studiert, aber natürlich gab es auch Freizeit. Und was machte man da? Die einen trieben Sport. Die anderen interessierten sich für Autos. Meins waren die Autos – und da habe ich begonnen ein deutsches Motormagazin zu lesen. Das war anfangs holprig, aber es funktionierte.“

Später in den USA habe er im Rahmen seines Wirtschafts-Bachelors auch Deutsch belegt, so richtig ins Sprechen sei er dann aber in seiner Tätigkeit als Rabbiner in Basel gekommen. „Wir hatten eine Lerngruppe jeden Tag in der Früh vor dem Morgengebet und ich habe dort jeden zweiten Tag einen Vortrag gehalten. Da habe ich auch sprachlich viel gelernt.“

Dass sich Folger, der in New York parallel ein Rabbinatsstudium und einen Master in Business Administration belegte, schließlich für die Rabbinerkarriere entschied, war Zufall. Den Wendepunkt sieht er heute in einem Kurs zum Thema Informationstechnologie, den er im Alter von etwa Mitte 20 belegte – er war damals schon verheiratet, und das Paar ging davon aus, dass er eines Tages Geschäftsmann sein werde. In einer Teamarbeit ging es darum, für eine Firma ein Wirtschaftsproblem zu analysieren. Man vereinbarte, die bereits vorhandene Fallstudie zu lesen und der Gruppe jeweils die individuellen Gedanken dazu per Mail zukommen zu lassen. Nach einer Woche hatte nur Folger diese Arbeit auf sich genommen. Die anderen hatten die Unterlagen nicht einmal gelesen, sodass die Teamleiterin schließlich meinte: Man definiere als neues Ziel, sich einmal die Fallstudie zu Gemüte zu führen. Und sie hielt fest, man sei zu einem „significant achievement“ – also zu einem Durchbruch gekommen. „Und da habe ich verstanden, dass sich diese Frau in einer Konstellation befindet, in der sie sich dauernd verkaufen muss, auch wenn sie nichts macht.“

Nun begann Folger zu zweifeln, überlegte, ob er nicht doch Rabbiner werden sollte. In einem Praktikum im Rahmen der Rabbinerausbildung hatte er hier schon Erfahrung gesammelt. Bestärkt worden sei er zudem von einem seiner Lehrer an der Wirtschaftsuni, einem gläubigen Hindu, der ihm vermittelt hatte: Er werde seine ganz persönliche Schnittstelle finden. So entschied er sich für die Rabbinerlaufbahn – und wurde bald darauf Gemeinderabbiner in Basel.

Ziel, dass alle jüdischen Kinder jüdische Schulen besuchen

Was seine Zukunft in Wien anbelangt, hat Folger schon viele Ideen im Kopf, „die allerdings erst reifen müssen“. Seinen Schwerpunkt sieht er aber im Bereich Erziehung, wie er betont. In Wien würden zwar schon viele jüdische Kinder eine jüdische Schule besuchen (etwa drei Viertel), aber eben noch nicht alle. Er möchte sich ansehen, wie eingebunden jüdische Studierende in der Gemeinde sind. Und auch die Erwachsenenbildung liege ihm am Herzen.