Wohin mit den Koffern?

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Love hurts- ! לא לשכוח – לאהוב…

Von Ramona Ambs

„Ein jeder hat sein Köfferchen zu tragen“ heißt ein altes deutsches Sprichwort. Es besagt, dass niemand ohne seine Vergangenheit unterwegs ist. Und manchmal steht diese Vergangenheit mitten im Raum, und zwar nicht nur mit einem, sondern mit vielen Koffern. So wie bei der Premiere des Stückes „Love Hurts- לא לשכוח – לאהוב“ im Badischen Staatstheater in Karlsruhe. Da standen viele Koffer mitten auf der Bühne und jeder Koffer hält eine andere Geschichte parat. Avishai Milstein hat dieses deutsch-israelische Rechercheprojekt inszeniert und gemeinsam mit dem Teatron Beit Lessin, Tel Aviv auf die Bühne gebracht.  In insgesamt 35 Interviews mit binationalen Paaren hat er Geschichten über diese besonders spannungsreichen Beziehungen gesammelt, künstlerisch kombiniert und jeweils in einen Koffer gepackt. Die Schauspieler, drei aus Israel und drei aus Deutschland, setzen sie in drei Sprachen, 12 Sequenzen und mit viel Leidenschaft um.

Love hurts
Assaf kann nicht einsteigen (Vitali Friedland), Badisches Staatstheater Karlsruhe, Foto: Felix Grünschloß

In den Episoden, die scheinbar nur eine persönliche Liebesgeschichte erzählen, wird deutlich, dass es stets um mehr geht, als nur um die beiden Protagonisten. Es geht auch um die Koffer, die sie mit sich tragen. So beispielsweise die Liebe zwischen Alexandra und Assaf aus Haifa. Sie lernen sich in Amsterdam kennen, ziehen gemeinsam nach Tel Aviv und erwarten einen Sohn. Und mit diesem Sohn treten plötzlich alle Konflikte zutage, die man bis dahin ausklammern konnte: Wird der Sohn beschnitten? Geht er später zum Militär? Kurz:Wird er als Jude und Israeli aufwachsen oder doch lieber als Deutscher? Alexandra will ihren Sohn alles selbst entscheiden lassen und geht mit ihm zurück nach Hamburg. Assaf will nachkommen, doch am Flughafen bemerkt er, dass er nicht in einen deutschen Zug einsteigen kann, ja, dass er überhaupt nicht hier sein kann. So. Auf diese Weise…

Wie Alexandra und Assaf stoßen auch die anderen Paare immer wieder auf Probleme, die die Vergangenheit ihnen in den Weg stellt: Frank und Liat,  Ilana und Ronald, Uri und Stefanie. Aber auch die Einzelfiguren, die ohne ihren Partner von sich erzählen, berichten von Konflikten, die ihre Herkunft und die Geschichte oder die aktuelle Politik mit sich bringt…

Letztlich dreht es sich dabei stets um die Frage: Wohin stecken wir die Shoa, wenn wir ineinander stecken? Wie können wir miteinander schlafen, wo doch eigentlich der Holocaust zwischen uns steht. Für einen „One-Night-Stand“ kann Sivan das schon mal vergessen, sagt sie, als sie mit dem deutschen Peter in Tibet eine Liebesnacht verbringt, aber mit ihm leben? Es ausklammern für immer?

Was nach einem schweren Stück klingt, wird in der Umsetzung fast heiter-beschwingt. Denn nichts wird hier ohne Humor erzählt. Das Lachen bleibt als trauriger Kitt, wenn sonst nichts mehr hilft. Und dem gemischten Ensemble gelingt es spielerisch leicht den Titel des Stücks zu vermitteln: Love hurts- Liebe tut weh, aber לא לשכוח – לאהוב: Nicht vergessen!- Lieben!

Hadas Kalderon, Florentine Krafft, Rafi Tavor, Veronika Bachfischer, Sebastian Reiß, Vitali Friedland, Badisches Staatstheater Karlsruhe, Foto: Felix Grünschloß
Hadas Kalderon, Florentine Krafft, Rafi Tavor, Veronika Bachfischer, Sebastian Reiß, Vitali Friedland, Badisches Staatstheater Karlsruhe, Foto: Felix Grünschloß

LOVE HURTS / !לא לשכוח – לאהוב
Deutsch-Israelisches Rechercheprojekt von Avishai Milstein. URAUFFÜHRUNG
Koproduktion mit dem Teatron Beit Lessin
23. EUROPÄISCHE KULTURTAGE KARLSRUHE
Dauer: 1h 15
mit Übertiteln in iwrith und deutsch
REGIE Avishai Milstein, AUSSTATTUNG Adam Keller, LICHT Keren Granek, MUSIK Divano Swing, Jerusalem, DRAMATURGIE Jens Peters, Jan Linders
Mit Veronika Bachfischer, Hadas Kalderon, Florentine Krafft – Vitali Friedland, Sebastian Reiß, Rafi Tavor
Weitere Aufführungen in Karlsruhe am 2. 10., 15 & 16.11. & ab Dezember
Außerdem weiter Vorstellungen in Tel Aviv, Jerusalem, Ulm und weiteren Gastspielorten