Demo für alle

0
90

Am 11. Oktober 2015 fand in Stuttgart die sechste homophobe „Demo für alle“ statt, an der sich über 5.000 Personen beteiligten. Sie demonstrierten gegen die Homo-Ehe, die „Gender Ideologie“ und einen Bildungsplan, der auch nicht-heterosexuelle Identitäten erwähnen könnte. Es war die insgesamt achte Demonstration dieser Art in der baden-württembergischen Landeshauptstadt. Den Anfang hatten zwei „Besorgte Eltern“-Demonstrationen im Februar und März 2014 gemacht…

Lucius Teidelbaum

Am Anfang versuchte die Hiphop-Crew von „fil_da_elephant“ mit Live-Musik für Stimmung zu sorgen. Diese Form der Musik war für den Großteil der mehrheitlich christlichen konservativen bis fundamentalistischen Anwesenden sicherlich eher ungewohnt. So nahmen sich die Aufforderungen der Band die Hände im Takt zu bewegen in Teilen des Publikums reichlich seltsam aus.
Danach leitete die Moderatorin Hedwig von Beverfoerde die Rede-Beiträge ein. Sie wandte sich gegen eine „Umdefinition der Ehe“ und distanzierte sich von „extremistischen Gruppen“. Sie bedankte sich dafür, dass die Demonstration „sehr, sehr gut“ von der Polizei geschützt würde. Weiterhin war sie der „Stadt Stuttgart“ sehr dankbar für ihre Kooperation.

Demo für alle, 11.10.2015

Christoph Scharnweber von der CDU Heilbronn verlas eine Grußbotschaft des Vereins „Zukunft-Verantwortung-Lernen e.V.“ (Z-V-L e.V.). Dieser ist aus der Petitions-Initiative hervorgegangen, deren gesammelten fast 200.000 Unterschriften gegen den damaligen Bildungsplan-Entwurf, der auch eine Verankerung der Akzeptanz sexueller Vielfalt vorsah, für die ersten Demonstrationen in Stuttgart gesorgt hatte. Schon längst geht es aber nicht mehr allein um den Bildungsplan. Die „Demo für alle“ richtet sich ebenso gegen die Öffnung der Ehe für gleichgeschlechtliche Paare wie gegen den „Gender-Irrsinn“, dahinter steht die Annahme einer umfassenden Verschwörung zur Auflösung der ’natürlichen‘ Geschlechter.

Als erstes sprach Amedeo Rossetti de Scander aus Italien „von der dortigen Anti-Gender-Bewegung“, wie von Beverfoerde ankündigte. Nach dem Italiener sprach „unsere große Vordenkerin“ Gabriele Kuby. Die ältere Dame in moosgrünem Wams darf tatsächlich als Vordenkerin einer ‚Gender-Weltverschwörungstheorie‘ gelten. In zahlreichen Artikeln agitiert die katholische Antifeministin gegen „Gender“ bzw. was sie darunter versteht. Kuby warnte in Stuttgart davor, dass die mehrheitlich muslimischen Flüchtlinge sicher gegen den Bildungsplan aufbegehren würden, wenn ihre Kinder mit diesem in der Schule konfrontiert würden. Die muslimischen Männer würden in Europa auf eine „entchristlichte, demoralisierte Kultur“ stoßen, die sie verachten würden. Sie behauptete weiter: „Es ist die christlich geprägte Kultur, in der es Frauen am besten geht.“ Aber diese werde „durch den Wahn des Gender zersetzt“.

Als nächster sprach „Marcel“, der als „homosexuell empfindender Mensch“ und Christ vorgestellt wurde. Er gehört zu einer kleinen Gruppe namens „Bruderschaft des Weges“, deren Mitglieder aus religiöser Motivation versuchen ihre eigene Homosexualität zu unterdrücken. Diese Versuche werden im englischsprachigen Raum als „Ex-Gay“ bezeichnet und haben nachweisbar zu viel Leid geführt. Versuche, sich zu „heilen“ scheiterten und führten manchmal sogar zu Suiziden.

Dann sprach Leni Kesselstatt, Mitgründerin der „Familienallianz“ in Österreich. Sie berichtete empört von „Werbeplakate für homosexuelle Lebensweise“ in Wien an den Schulen. In Anschluss an sie sprach David Bendels, der Sprecher vom „Konservativen Aufbruch“ der CSU. Der Politikwissenschaftler Bendels war bis 2014 für die CSU-Europaabgeordnete Monika Hohlmeier tätig. Er berichtete, dass zehn Busse aus Bayern zu der „Demo für alle“ gefahren seien. Dann zog er gegen die Gegendemonstration, diese „linken Feinde von Freiheit und Demokratie“, vom Leder. Er lasse sich seine Meinung „von diesen grünlinken Spinnern nicht austreiben“.

Dann kam erneut eine musikalische Einlage von „fil_da_elephant“. Einer der drei christlichen Rapper forderte im Kontrast zu den Rednern und Rednerinnen vor ihm zu Respekt und Liebe auf.

Danach sprach Anette Schultner aus Hameln, die Bundessprecherin der neu gegründeten Gruppe „Christen in der AfD“. Sie ist auch Beisitzerin im Landesvorstand der AfD Niedersachsen und soll Mitglied der ultrarechten „Patriotischen Plattform“ sein. Am 22. November 2014 sprach sie bereits auf der einzigen „Demo für alle“ in Hannover. In Stuttgart lobte sie die „Demo für alle“ als „Epizentrum gegen die Gender-Ideologie“. Diese sei ein „neomarxistisches Gesellschaftsexperiment“, vor der es „Gott, Familie und Vaterland“ zu schützen gelte.

Nach ihr sprach ein weiterer Vertreter der AfD, nämlich der Student Andreas Schumacher aus Freiburg, ein Mitglied im Bundesvorstand „Junge Alternative“, der Jugendorganisation der AfD. Er schoss sich besonders auf die „Gender Studies“ ein, ein Studiengang zur Erforschung der Geschlechterrollenbilder. Diese seien „grotesk“ und eine „Schande für dieses Land“. Er forderte „Wissenschaft statt Ideologie“ und „Keinen Cent mehr für diesen Genderwahn“. Statt Ehe für alle und Zuwanderung bräuchte dieses Land „junge, gesunde und aufrechte Menschen“.

Danach sprach Guillaume Got aus Frankreich, der Sprecher des Bündnisses „La Manif Pour Tous“, dessen Massen-Demonstrationen gegen die Homo-Ehe für die deutsche „Demo für alle“ Vorbildcharakter haben. Auch Got wetterte gegen die „Genderideologie“, gegen diese gelte es einen „gemeinsamen Kampf auf europäischer Ebene“ zu organisieren.

Christian Steck, Vorsitzender Junge Union Rems-Murr, betonte er „habe nichts gegen Homosexuelle“, stelle sich aber gegen eine „Indoktrination“ an den Schulen. Zuletzt sprach Magda Czarnik aus Polen vom Bündnis „Stoppt Sexualisierung unserer Kinder!“. In Polen habe man zwar eine „Schlacht gewonnen, aber der globale Krieg“ gehe weiter. Alle hier seien „im Widerstand gegen den neuen Totalitarismus verbunden“.

Die Moderatorin Hedwig von Beverfoerde forderte auf, weiter Unterschriften gegen die Öffnung der Ehe für gleichgeschlechtliche Paare zu sammeln, 60.000 seien es bereits. Weiter kündigte sie an, ihr Amt als Sprecherin der „Initiative Familienschutz“ aufgegeben zu haben, um sich persönlich der „Demo für alle“ zu widmen. Ohnehin habe sie die letzten Demonstrationen privat organisiert.

Nach der erschöpfenden Fülle von Redebeiträgen setzte sich der Demonstrationszug in Bewegung und zog zum Staatstheater. Der Gegenprotest war diesmal stärker als die letzten Male. Während die Polizei von nur 500 Personen auf der Gegen-Demonstration ausging, wurde die Zahl von Anderen auf das Dreifache geschätzt. Organisiert wurde das Ganze von dem breit aufgestellten Bündnis „Ein (r)echtes Problem“.

Vor der Staatsoper erwartete die „Demo für alle“ eine unangenehme Überraschung. Die Beschäftigten der Oper entrollten ein riesiges Transparent in Regenbogenfarben auf dem das Wort VIELFALT stand.

Demo für alle, 11.10.2015

In dem Zug der „Demo für alle“ waren dieses Mal etwa 150 eindeutige extreme Rechte dabei. Neben Einzelpersonen aus der Neonazi-Szene bildeten sich zwei Blocks. In einem sammelten sich 20-30 AnhängerInnen der antimuslimischen „Identitären Bewegung“ und in einem weiteren 60-80 Neonazis, davon viele aus der Hooligan-Szene. Ein Kenner identifizierte darunter Mitglieder der Althool-Truppe „Neckar Fils“. Das belegen auch Bilder auf dem linken Internetportal „Indymedia linksunten“.

Diese waren offenkundig auf Auseinandersetzungen mit den Gegendemonstrierenden aus. Als sich die „Demo für alle“ auflöste gingen die rechten Hools auf Gegendemonstrant*innen los. Die Polizei ging aber nur die Gegendemonstrierenden an und ritt sie mit Pferden nieder oder setzte den Schlagstock ein.

Mit diesen rechten Übergriffen rückte die Stuttgarter „Demo für alle“ tatsächlich auch näher an ihr großes französisches Vorbild „Manif pour tout“ heran. Bei den Massen-Demonstrationen in Paris kam es ebenfalls immer wieder zu rechten Angriffen von gewalttätigen Neonazis auf den Gegenprotest.