Jonathan Pollard ist kein Held Israels

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Jonathan Pollard, der nach 30 Jahren Gefängnis freigelassen werden soll, ist kein Gefangener Zions und schon gar kein nationaler Held. Ich werde sicher nicht weinen, weil er eine solch lange Gefängnisstrafe erhalten hat. Wenn es Grund gibt zu weinen, dann sind es die Dummheit und Verantwortungslosigkeit der Leute, die jemanden wie Pollard in Israels gefeierten Geheimdienst einberufen haben…

Kommentar von Yoel Marcus, Haaretz, 31.07.2015
Übersetzung von Daniela Marcus

Israel mag seinen Namen von Jonathan in Yonatan geändert und ihm einen israelischen Personalausweis gegeben haben während er noch im Gefängnis saß, doch das macht ihn nicht zu einem selbstlosen israelischen Patrioten. Er war ein kleiner Spion, der vom Mossad zunächst abgelehnt worden war und der bereit war, nicht nur für Israel zu arbeiten. Nach seinem ersten Treffen mit dem israelischen Vertreter erzählte er seiner damaligen Frau Anne von der finanziellen Vereinbarung. Sie sagte, es sei nicht genug und er könne mehr aushandeln. Sie wusste, wovon sie sprach. Bei einem ihrer ersten Treffen mit einem hochrangigen israelischen Offizier, der damals in Washington war, erhielt sie einen teuren Pelzmantel als Geschenk.

Rafi Eitan (auch „Rafi der Stinker“ genannt), der Jonathan Pollard damals für eine Position rekrutierte, die als Leiter des israelischen Geheimdienstes Lakam nicht in seinen Zuständigkeitsbereich fiel, behauptete später, Pollard habe Israel mit erstaunlichem Material beliefert. Übrigens hinterfragte niemand in den Korridoren der Macht die Herkunft dieses Materials. Nicht ohne Grund erklärte Joseph diGenova −der Staatsanwalt in Pollards Fall− nach Verlassen des Gerichtssaals, in dem Pollard gerade zu 30 Jahren Gefängnis verurteilt worden war, dass dieser bis zu seinem Lebensende kein Tageslicht mehr sehen werde. Die Regierung war wütend, nicht nur über Israels Frechheit, sondern auch über ihr eigenes Versagen im Bereich der Sicherheit.

Pollard hatte ein ausgezeichnetes Gedächtnis und sein Zugang zu einer Bibliothek mit streng geheimen Dokumenten machte ihn in den Augen amerikanischer Sicherheitsbeamter zu einer „wandelnden Bibliothek“. Er musste die Bibliothek nicht mit Aktenkoffern voller Dokumente verlassen. Sein Gedächtnis reichte aus. Wenn sie gekonnt hätten, hätten die Amerikaner ihn bis zu seinem Todestag im Gefängnis gelassen. Infolge von Pollards Aktionen mussten für die Schadensbegrenzung die gesamten Geheimdienstoperationen der amerikanischen Marine geändert werden. Es kostete ein Vermögen, den Schaden zu beheben. Dies ist auch der Grund dafür, warum Pollard nach 30 Jahren Gefängnis die USA weitere fünf Jahre nicht verlassen darf. Man möchte weiterhin ein Auge auf ihn haben.

David Ben Gurion stellte die eiserne Regel auf, wonach ein Jude nicht in seiner eigenen Gemeinschaft als Spion arbeiten sollte. Er wollte damit die Ausbreitung des Antisemitismus verhindern. Hätte man diese Regel befolgt, wäre die Pollard-Affäre nie passiert. Zwei Stellvertreter des amerikanischen Justizministers Ed Meese, die direkt mit dem Fall Pollard zu tun hatten, waren Juden. Einer von ihnen, der damals die Bar Mitzwa seines Enkelsohns feierte, teilte israelischen Vertretern mit, wenn Israel der Auferlegung einer angemessenen Strafe für Pollard widerspräche, würde eine Wolke des Antisemitismus über Amerika schweben.

Israel irrte, als es argumentierte, Pollard habe nur aus Sorge um Israels Sicherheit gehandelt und nur Dokumente, die für Israels Sicherheit relevant waren, gestohlen. Es irrte, als es eine Kampagne gegen das amerikanische Justizsystem startete und als es behauptete, Pollard sei sechsmal länger als jeder andere Spion inhaftiert worden. Eitan irrte, als er dem Versuch nachgab, Pollard zu beschäftigen ohne dabei den Schaden für amerikanische Juden zu bedenken, falls Pollard geschnappt werden sollte.

Offenbar erkannte Eitan die Schwere seines Fehlers als Pollard in der israelischen Botschaft in Washington vor dem FBI Zuflucht suchte. Denn Eitan benutzte das rote Telefon, um die Botschaft anzuweisen, Pollard nicht einzulassen. Eitan drückte niemals sein Bedauern über diese schwierige Entscheidung aus. Denn das ist das Schicksal des Spions: Wenn er erwischt wird, wird er fallen gelassen.

Rafi Eitan hat sich seitdem gut eingerichtet, sich von der Spionage ab- und Geschäften in Kuba zugewandt, von wo er feine Zigarren für seine Freunde mitbringt. Er hatte sogar einen Sitz in der Knesset als Vertreter der Rentnerpartei. Pollard mag vielleicht etwas weniger Spaß gehabt haben, aber er ist kein Gefangener Zions, kein israelischer Held und kein Dreyfus. Lasst ihn in Amerika bleiben und lasst uns die feierlichen Empfänge und die strahlenden Ehrungen für unsere wahren Helden aufbewahren.