Baklava im Kopf

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Erinnerungen an David Gall – zum ersten Jahrestag seines Todes…

Von Ramona Ambs

Ich nehme es dem Wunder noch immer übel, dass es nicht aufgetaucht ist. Wunder müssten dazu gezwungen werden, in echten Notfällen, ihre Pflicht zu erfüllen. Dafür sind Wunder doch da. Es ist absolut unverzeihlich, dass das Wunder, auf das wir so gehofft hatten, nicht gekommen ist. Ich bin seither böse mit dem Wunder. Ganz grundsätzlich.
Und auch ein Jahr danach noch.

Nach einem Jahr aber heißt es, sei der größte Schmerz vorüber. Nach einem Jahr habe man sich an den Verlust gewöhnt.
Nach einem Jahr seien die offenen Wunden verheilt.
Aber das ist alles Quatsch.
Nach einem Jahr tut es nämlich noch mehr weh, weil man dann langsam wirklich kapiert, dass David nicht mehr bei uns ist. Und weil man realisiert, dass das auch so bleibt.

Zum Glück aber hat David sehr intensiv gelebt. Viel geliebt, gelebt und gelacht. Und uns an allem teilhaben lassen…

Einmal rief er mich aus der Toilette eines ICEs an, weil ihm eine Idee so ungeheuer verrückt und wichtig erschien, dass er sie sofort mit mir besprechen wollte. Als wir dabei waren das Gespräch (nach etwa zwanzig Minuten) zu beenden, und er die Tür öffnete, befand sich eine lange Schlange vor dem Zug-WC. Aber er hat den Leuten charmant gesagt, dass bestimmte Gespräche nur auf Zug-Toiletten führbar seien… und das hat ihm offenbar niemand übel genommen.

Die Baklava, die wir bei meinen Besuchen in München im Sultan in der Goethestraße kauften, eigentlich als Wegzehrung für lange Spaziergänge, hat er immer sofort im Geschäft aufgegessen. Und zwar alle. Nichts hielt bis wenigstens einen Schritt vor den Laden. Und beim Kauen schwärmte er von den Walnüssen, Mandeln und Pistazien und überhaupt davon, wie süß das Leben sein kann.

David

Und natürlich die Arbeit an haGalil.com. Wenn ich einen Text fertigte und er im Zehnminutentakt noch Ergänzungsvorschläge präsentierte, bis ich völlig wahnsinnig wurde… und er dann in den anschließenden Telefonaten in seinem charmantem Kauderwelsch aus hebräisch, französisch und deutsch mich zu besänftigen suchte…

Und so reiht sich Erinnerung an Erinnerung. Und während ich hier schreibe, kommentiert er in meinem Kopf. „ja, das weiß ich noch/ die waren aber auch lecker! Findst` nicht? Die haben doch auch so arg nach Rosenwasser geduftet! / so schlimm war ich doch gar nicht.“

Und so spricht er in Gedanken und Träumen mit mir, kommentiert Dinge, die ganz aktuell sind, und dabei hör ich sein Lachen und seinen Spott über die Albernheiten des Lebens.
Und so ist er dann eben doch noch da.
In unseren Erinnerungen.
Und da ist er sogar bisweilen sehr lebendig.
(ja, wir streiten auch noch!)
Und wenn das alles zu verblassen droht und die Erinnerungen versuchen, sich heimlich aus dem Staub zu machen, dann hört man seine Lieblingsmusik… und hat ihn sofort wieder vor Augen. Wie er tanzte, wie er lachte und in die Hände klatschte…

1 Kommentar

  1. Liebe Romana,

    herzlichen Dank für Deinen Beitrag. Leider habe ich David nicht persönlich kennen lernen dürfen. Als ich mich über LinkedIn mit Ihm verlinken wollte, ist er gestorben.

    „Nach einem Jahr aber heißt es, sei der größte Schmerz vorüber. Nach einem Jahr habe man sich an den Verlust gewöhnt.
    Nach einem Jahr seien die offenen Wunden verheilt.
    Aber das ist alles Quatsch.“

    Ja, Du hast recht. Der Schmerz vergeht nicht wirklich, sondern man lernt mit ihm zu leben. Jedenfalls ist das meine Erfahrung.
    Denn auch wenn meine geliebten Eltern nun schon mehr als 10 Jahre gestorben sind, vergeht kein Tag, an dem ich nicht an sie denke. Das Gleich gilt für eine gute Freundin, die gut vor 7 Jahren gestorben ist.

    Man lernt mit dem Verlust zu leben: das ist wohl G’ttes Geschenk an uns, wenn es um den Tod unserer Lieben geht.

    Dir weiterhin alles Gute!
    Kyniker

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