Den Opfern einen Namen geben

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Am 8.Mai 2015 – dem 70. Jahrestag des Kriegsendes – fand in der unterfränkischen Kreisstadt Haßfurt ein denkwürdiges Ereignis statt: auf dem Sockel des Gedenksteins für die vernichtete Jüdische Gemeinde der Stadt in der Promenade in der Nähe des Bahnhofes wurden die Namen der 24 während der Naziherrschaft ermordeten jüdischen Einwohner von Haßfurt enthüllt…

Judith Bar-Or

Das Denkmal – eine Schöpfung der israelischen Künstlerin Chana Pines, die als letztes jüdisches Kind unter dem Namen Hannelore Heimann Haßfurt verlassen konnte, während ihre Eltern, Ida und Salomon Heimann, der Schoah zum Opfer fielen – war bereits im Jahre 1988 anlässlich der Wiederkehr der sog. „Kristallnacht“ der Öffentlichkeit übergeben worden. Hatte die Künstlerin damals der vernichteten Jüdischen Gemeinde ein bleibendes Denkmal geschaffen, so wurde jetzt mit der Enthüllung der Namen jedem einzelnen Opfer der Stadt ganz persönlich gedacht.

Zu Beginn der Feierstunde begrüßte Bürgermeister Günther Werner alle Anwesenden; sein ganz besonderer Willkommensgruß galt dem Ehemann der Künstlerin Kapai Pines und ihren Töchtern Ori und Niri aus Israel, die extra zu diesem Anlass nach Haßfurt angereist waren; leider konnter Chana Pines aus gesundheitlichen Gründen nicht kommen. Bürgermeister Werner stellte in seiner Ansprache fest, dass Gedenken bedeute, die Vergangenheit, auch wenn sie noch so traurig und furchtbar sei, greifbar zu machen – besonders für jene, die sie nicht selbst erlebt haben. Der Holocaust, so fuhr er fort, habe auch in Haßfurt stattgefunden, als die hiesigen Juden vom nahegelegenen Bahnhof in die Vernichtungslager abtransportiert worden waren – heute könne niemand mehr sagen, dass man von allem nichts gewusst habe. Das Denkmal – jetzt vervollkommnet durch die Namen der Opfer –diene als Information und als Mahnung.

Denkmal in HaßfurtAls nächster Redner ging Burkhard Hauck, der zusammen mit seiner Frau Ursula die Namenstafeln gestaltet hatte, auf die Entstehung und Gestaltung des neuen Bestandteils des Denkmals ein. Er erklärte, dass die Rotschicht, die sich im Laufe der Zeit auf den Tafeln bilden werde, sehr erwünscht sei: sie stehe sinnbildlich für den Verlust, den der gewaltsame Tod der auf den Tafeln festgehaltenen Opfer bedeutet habe.

Mit der Enthüllung der Namen werde – so der Vertreter der Jüdischen Glaubens-gemeinschaft Rektor i.R. Israel Schwierz – der ausgelöschten Jüdischen Gemeinde Haßfurt ein Gesicht gegeben. Gedenken sei für alle Menschen – besonders für Juden – eine Mizwah, eine heilige Pflicht. Durch das Informieren und Gedenken erwachse für jeden die Verpflichtung zu verantwortungsbewusstem Handeln. Mit deutlichen Worten sprach er sich dagegen aus, Vorwürfe oder Schuldzuweisungen zu erheben, besonders den nachgeborenen Generationen gegenüber:“ Schuldig sind diejenigen, die in der Zeit der NS-Herrschaft Schuld auf sich geladen haben“. Allerdings habe jeder – egal aus welcher Generation –„Die Pflicht, dafür zu sorgen, dass sich so etwas wie damals nie wieder ereignen kann, egal gegen Menschen welcher Religion, Rasse oder Nationalität“. Dass dieser Apell nicht aus der Luft gegriffen sei zeigte er gleich durch mehrere aktuelle Beispiele an.

Nach Schwierz richtete Ori Alon – die Tochter von Chana Pines – bewegende Worte – von Israel Schwierz ins Deutsche übersetzt – an die Festversammlung. Sie betonte, dass sie heute gerne mit ihren Lieben hier sei, stolz darauf, Juden und Israelis zu sein – stolz auf ihre Nation, die sich selber aufgebaut habe, um den Überlebenden der Schoah ein sicheres Zuhause zu gewähren und auch, um in Zukunft eine Schoah unmöglich zu machen. Sie betonte, dass Israel ganz besonders ein jüdischer Staat sei – gerade deshalb sei er für Juden in der ganzen Welt so besonders wichtig, weil sie immer wüssten, dass sie stets in Israel eine Heimat hätten. Sie dankte sehr herzlich für die hervorragende Organisation der Feier der Enthüllung der Namen auf dem Denkmal und sprach den ehrlichen Wunsch aus, dass „Friede und Liebe aller Menschen untereinander – ganz gleich welcher Nation, Religion oder Rasse – über Hass und Krieg siegen mögen“.

Als nächste ergriff Cordula Kappner, die Hauptinitiatorin des Projekts und auch der Feier, das Wort. Sie berichtete sehr bewegend, wie schlimm der normale Alltag für die Juden in der NS-Zeit gewesen ist. Sie erinnerte daran, dass vom ganz nahe gelegenen Bahnhof jüdische Menschen aller Altersgruppen in den Tod geschickt wurden – die jüngeren in die Vernichtungslager bei Lublin, die älteren nach Theresienstadt. Sie gab zu bedenken, dass auch nichtjüdische Menschen, die als Kinder den Terror gegen die jüdische Minderheit und den Abtransport der Nachbarn ganz bewusst miterlebt hatten, durch dieses schlimme Geschehen für ihr ganzes Leben beeinflusst worden sind – sie gab sogar der Hoffnung Ausdruck, dass die in der Pogromnacht 1938 aus einem jüdischen Haus in Haßfurt gestohlenen Silberbecher eines Tage doch noch den Weg zu den Nachkommen der einstigen Besitzer finden mögen.

Für die Toten der Jüdischen Gemeinde Haßfurt sprach Israel Schwierz, Lay Leader der jüdischen Gemeinde der US-Streitkräfte in Franken i.R. anschließen in Hebräisch und Deutsch das „El male rachamim“.

Nach dem Abspielen von „Jeruschalaim schel zahav“ (= Jerusalem aus Gold) wurde von Kapai Pines, Cordula Kappner, Bürgermeister Günther Werner und dem Ehepaar Hauck das nun um die Namen der Opfer der Schoah erweiterte Denkmal feierlich enthüllt. Danach begaben sich die Teilnehmer der Festveranstaltung noch zu einem Imbiss im „Altstadthotel“.

Allen die dazu beigetragen haben, dass die Opfer des NS-Terrors in Haßfurt jetzt auf dem Sockel des Denkmals einen Namen haben – ganz besonders Bürgermeister Günther Werner und dem Stadtrat, dem Ehepaar Burkard und Ursula Hauck und ganz besonders Cordula Kappner, die seit Jahrzehnten nicht müde wird, an die jüdische Geschichte ihrer Wahlheimat zu erinnern – gebühren größter Dank und tiefste Hochachtung all jener, denen der ehrliche Umgang mit der Geschichte ihrer Heimat ein Herzensanliegen ist.