Spätes Gedenken

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Die Stadt Gemünden am Main gedenkt ihres jüdischen Gefallenen…

Von Israel Schwierz

Als ich Mitte der neunziger Jahre bei den Recherchen für meine Dokumentation „Für das Vaterland starben – Denkmale und Gedenktafeln bayerisch-jüdischer Soldaten“ die Kapelle des Ehrenfriedhofes am Einmalberg oberhalb des heutigen Verkehrskreisels am Zollberg in Gemünden am Main aufsuchte war ich sehr enttäuscht, dort die Namen der 5 jüdischen Gefallenen des Ersten Weltkrieges nicht finden zu können, die laut „Die jüdischen Soldaten des  deutschen Heeres, der deutschen Marine und der deutschen Schutztruppen 1914-1918. Ein Gedenkbuch“, herausgegeben vom Reichsbund jüdischer Frontsoldaten 1933 in Berlin, aus Gemünden stammten.  Ich wandte mich deshalb an meinen damaligen Schulleiterkollegen, Rektor Bruno Schneider, der auch Kreisheimatpfleger ist und berichtete ihm von meiner negativen Erkenntnis. Auch er konnte sich  nicht erklären, warum die Namen der Gefallenen fehlten, versprach aber, sich der Angelegenheit anzunehmen. Er hat Wort gehalten!

Zusammen mit dem historischen Verein Gemünden unternahm er 1999 einen Vorstoß beim Bezirksvorstand des Volksbundes Deutscher Kriegsgräberfürsorge, die den Ehrenfriedhof mit Kapelle betreut. Er schlug vor, die große Gedenktafel für die Kriegsopfer der Stadt in der Kapelle um die Namen der gefallenen jüdischen Soldaten zu ergänzen. Er gab zu bedenken, dass die Namen auf der heutigen Gedenktafel höchstwahrscheinlich von der ehemaligen, in der NS-Zeit errichteten  Gedenkstätte in der Stadt übernommen worden seien, und  da habe man die Juden ja wohl absichtlich weggelassen.

Seinen Bemühungen war jedoch kein Erfolg beschieden. Der Volksbund erklärte, dass für zusätzliche Namen kein Platz vorhanden sei.  Die Situation änderte sich erst 2013 mit der Wahl des Gemündener Stadtrates Bernd Rützel (SPD) zum Mitglied des Bundestages.  Als ihn Bruno Schneider auf das Problem aufmerksam machte, wandte sich der Bundestagsabgeordnete direkt an die Landesleitung des Volksbundes in München und erhielt von dort das Einverständnis zur Anbringung einer zusätzlichen Gedenktafel.

Mittlerweile hatte Rektor Schneider zusammen mit dem heimatgeschichtlich engagierten Ulf Fischer weitere Recherchen angestellt und dabei herausgefunden, dass die Angaben im Gedenkbuch des Reichbundes jüdischer Frontsoldaten nicht korrekt waren: alle fünf Gefallenen stammten zwar aus Gemünden, jedoch nur einer aus Gemünden am Main: der Gefreite Sigmund Sichl (zwei der Gefallenen stammten aus Gemünden bei Simmern im Hundsrück, zwei weitere aus Gemünden Westerburg im Westerwald – beides Orte mit einer jüdischen Gemeinde) – der Reichsbund hatte also keinen  Unterschied zwischen den verschiedenen Gemünden in Deutschland gemacht.

Nun ging alles sehr schnell. Die Gemündener Firma Ziegler Industrieelektronik stiftete dankenswerterweise eine kleine Zusatztafel, auf der neben dem siebenarmigen Leuchter (Menora) die folgende Inschrift zu lesen ist:

„DIE STADT GEMÜNDEN GEDENKT IHRES IM ERSTEN WELTKRIEG GEFALLENEN JÜDISCHEN MITBÜRGERS,
DES SOLDATEN SIGMUND SICHL;
GEBOREN AM 9. MÄRZ 1881, GEFALLEN AM 30.APRIL 1918.
November 2014“

Die Stadt Gemünden am Main gedenkt ihres jüdischen Gefallenen

 

Nach einer Ortsbesichtigung im August 2014 durch die SPD wurde – rechtzeitig zum Volkstrauertag  2014 – die Gedenktafel in der Kapelle angebracht. Bei deren Präsentation hatte MdB und Stadtrat Bernd Rützel der Firma Ziegler für ihre spontane Bereitschaft, zu Tafel zu fertigen und zu stiften, seinen Dank ausgesprochen.  Er erklärte, dass es für die Gesellschaft und für eine Kommune wichtig sei, lückenlos und ohne Vorbehalte gute Erinnerungskultur zu pflegen – eine Tatsache, die auch heute keineswegs überall selbstverständlich sei. Auch der Bürgermeister von Gemünden, Jürgen Lippert, lobte das Engagement aller Beteiligten und bedankte sich bei allen dafür, dass sie als Bürger dafür gesorgt haben, „das Gedenken an alle Gefallenen der Stadt würdevoll und in angemessener Form zu gewährleisten“.

Die Stadt Gemünden am Main gedenkt ihres jüdischen Gefallenen

100 Jahre nach Ausbruch des Ersten Weltkrieges hat nun auch der jüdische Gefallene Sigmund Sichl aus Gemünden eine Gedenktafel erhalten, die daran erinnert, dass er als Jude für sein Deutsches Vaterland sein Leben gelassen hat. Dafür gebührt allen, die dazu beigetragen haben, dass dies erfolgen konnte – Rektor und Kreisheimatpfleger Bruno Schneider,  Ulf Fischer, der Firma Ziegler, MdB Bernd Rützel und dem Historischen Verein Dank und Anerkennung aller, denen der ehrliche Umgang mit der Geschichte unserer Heimat ein Herzensanliegen ist.