Multiple Jewries?

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International Conference: New Perspectives on the History of Jews in the Habsburg Empire from the 18th Century to 1918…

Mit Salo W. Baron (1895 -1989) zählt die Universität Wien einen der bedeutendsten Historiker der jüdischen Geschichte des 20. Jahrhunderts zu ihren Absolventen. Baron stammte aus einer wohlhabenden galizischen Familie, studierte in Wien und wurde 1917 mit einer Arbeit über „Die Judenfrage auf dem Wiener Kongress“ promoviert. Die glanzvolle Karriere gelang ihm erst zehn Jahre später in den USA. Seine „jüdisch-österreichisch-globale“ Biographie spiegelt damit die kaum zu überbietende Komplexität der Geschichte der Juden in Österreich eindrücklich wider. Der schwammige Ausdruck „österreichische Juden“ umfasst nicht nur die mehrheitlich akkulturierten Juden Wiens, Böhmens, Mährens und Ungarns, sondern auch Teile der kosmopolitischen jüdischen Gemeinden Italiens, die Juden des armen und ländlich geprägten Galiziens und der Bukowina und seit dem Ende des 19. Jahrhunderts die sephardischen Juden in Bosnien-Herzegowina.

Diese hier nur kurz angerissenen Komplexität mag einer der Gründe gewesen sein, warum Marsha Rozenblits kluges Urteil über die „dreigeteilte Identität“ der Juden des Fin-de-siècles bisher der einzige Versuch geblieben ist, ein umfassendes Konzept für die Geschichte der Juden im Habsburgerreich zu formulieren. Als eine Konsequenz dieses Mangels an einem gemeinsamen Nenner wird diese Geschichte oft unreflektiert in die Kategorie des „deutschsprachigen Judentums“ eingeordnet. Derart überschattet vom sehr gut erforschten deutschen Judentum wird der Einfluss der Juden des Habsburgerreiches auf wichtige europäische Entwicklungen wie z.B. die jüdische Aufklärung, die Geschichte des Habsburgerreiches und nicht zuletzt auf die Europäische Geschichte insgesamt weit unterschätzt.

Gerade in den letzten Jahren ist eine Reihe spannender und innovativer Arbeiten zum österreichischen Judentum am Entstehen, die den Facettenreichtum der österreichisch-jüdischen Geschichte und deren kaum zu unterschätzende Relevanz für die europäische Geschichte eindrucksvoll unterstreichen. Während in Österreich empirische Forschungen zum Judentum in den sogenannten „Erblanden“ bzw. zum posthabsburgischen Österreich dominieren, liegt der Fokus der internationalen Forschung auf der Geschichte der Juden in den ehemaligen östlichen Kronländern, in Böhmen, Mähren, Ungarn, Galizien und der Bukowina. Als Folge hat sich der Fokus der Forschung insgesamt vom Zentrum in Richtung Peripherien verschoben. Als thematische Schwerpunkte haben sich Fragestellungen u.a. zur Rolle der Juden als Mittler der Modernisierung, zur jüdischen Politik in den Nationalitätendebatten und zu Juden als Objekte eines österreichischen Kollektivgedächtnisses herauskristallisiert.

Die Konferenz möchte deshalb die neueste Forschung zur österreichisch-jüdischen Geschichte in einem gemeinsamen Forum zusammenbringen, um unterschiedliche Ansätze zu diskutieren. Während sich das erste Panel der jüdischen Identitätspolitik und ihre Auswirkungen auf jüdische Identitäten innerhalb des Habsburgerreiches widmet, nähert sich das zweite Panel dem Thema Politik von zwei Seiten: Einerseits werden Handlungsstrategien jüdischer Akteure innerhalb der Politik des Habsburgerreiches untersucht, anderseits der politische Umgang mit dieser Minderheit. Eng damit verknüpft sind die Normen und ihre Ausnahmen in kultureller, rechtlicher und sozialer Hinsicht, die das dritte Panel ausloten wird. Das vierte Panel greift die visuelle Selbstwahrnehmung und -darstellung der Juden auf. Gab es so etwas wie eine „jüdische“ Mode in Galizien? Welche multiplen Identitäten verbergen sich in jüdischen Grabsteinen? Welche Funktion hatte die Architektur der Budapester Synagoge jenseits ästhetischer Überlegungen? Mit der Vorstellung, dass die jüdischen Gemeinden des Habsburgerreiches überwiegend urban geprägt waren, räumt das fünfte Panel auf, indem es die ländlichen Gemeinden in den Mittelpunkt jüdischer Existenz stellt. Die urbanen jüdischen Gemeinschaften Triests, Budapests und Belgrads  und ihre Strategien mit der Moderne Schritt zu halten, sind das Thema des sechsten Panels. Mit Juden als Vermittler  – zwischen Juden und Nichtjuden, zwischen zionistischem Zentrum und Peripherie und in einem transimperialen Kontext – schließt das siebte Panel die Konferenz ab.

Aus diesen verschiedenen Ansätzen heraus sollen weiterführende Perspektiven für die Geschichte der Juden im Habsburgerreich entwickelt werden. Es sollen die (Un-) Möglichkeiten eines umfassenden master narratives ausgelotet werden, das mehr ist als die bloße Summe unterschiedlicher Partikulargeschichten jüdischer Gemeinschaften im Habsburgerreich.

Nicht zuletzt im Hinblick auf die Erinnerung an die jüdische Geschichte Österreichs nach dem Holocaust ist diese Konferenz – es handelt sich um die erste derart umfassende Tagung über die Geschichte der Juden im Habsburgerreich – von großer Bedeutung.

http://multiple-jewries.univie.ac.at/

Synagoge von Klein-Schüttüber in Böhmen, Courtesy of the Leo Baeck Institute, New York
Synagoge von Klein-Schüttüber in Böhmen, Courtesy of the Leo Baeck Institute, New York

 5.-6.11.2014, Department of History, Institute for Austrian Historical Research, Vienna

5.11.2014

9:00     Welcome, Opening Remarks (Claudia Theune-Vogt, University of Vienna; Raimund Fastenbauer, Jewish Community of Vienna; Thomas Winkelbauer, Institute for Austrian Historical Research, University of Vienna; Martina Steer, University of Vienna)   

9:30     Identity – Politics – Reality (Mitchell Ash, University of Vienna)

Nino Gude (University of Vienna): Assimilation or Segregation: The Galician Jews and Ukrainians in Contact

Michael L. Miller (Central European University, Budapest): Don’t Turn the Khazar Question into a Jewish Question

Marsha Rozenblit (University of Maryland): Was There a Habsburg Jewry?

Coffee Break

11:45   Jews as Mediators of Entanglements (Olaf Terpitz, University of Vienna)

Joshua Teplitsky (Stony Brook University, New York): David Oppenheim: Prague Rabbi, Imperial Jew

Branko Ostajmer (Croatian Institute for History, Zagreb): Theodor Herzl and Hugo Spitzer: Comparative Biographies

Mitchell Ash (University of Vienna): Jewish Professors at the University of Vienna since 1848: A Preliminary Survey with Case Studies of Scientific and Cultural „Verflechtungen“

Lunch

15:15   Jews and Habsburg Politics (Martha Keil, Institute for Jewish History in Austria, St. Pölten)

Joshua Shanes (College of Charleston): “Galicia in Vienna”: The Activities of Galicia’s Zionist Reichsratsabgeordnete in the 1907-11 Parliament

Wolfgang Gasser (Institute for Jewish History in Austria, St. Pölten): The 1848 Vienna Revolution in Four Jewish Diaries

Ofer Dynes (Harvard University): From Paperwork to Prose. Jewish Literature, a Habsburg Imperial Projekt (1814-1830)

Coffee Break

17:30   Roundtable (chaired by Martina Steer)

Mitchell Ash, Gary Cohen (University of Minnesota), David Rechter, Marsha Rozenblit,

19:30   Keynote Speech

Pieter Judson (European University Institute, Florence): Languages of Engagement, Practices of Belonging: Jews as Austrians in the Habsburg Monarchy

6.11.2014

09:00   Habsburg Norms and Jewish Exceptionalism (Stephan Wendehorst, Justus Liebig University, Giessen/University of Vienna)

Martin Stechauner (Hebrew University): How Austrian were the Sephardic Jews of Vienna? Reflecting on the Foundation of the “Sepharad of the Danube”

Rachel Manekin (University of Maryland): Divorce Laws after the Josephinian Ehepatent Habsburg Jews and the Question of Gleichförmigkeit of the Law

David Rechter (University of Oxford): East of Eden: Bukovina Exceptionalism and Habsburg Norms

Coffee Break

11:15   Visual (Self-)Representation of Jewish Identities (Éva Kovács, Vienna Wiesenthal Institute)

Anna Novikov (German Historical Institute, Warsaw): Dynamics of the Visual Perception of the Jews of Lemberg (1848-1918)

Tim Corbett (Lancaster University): The Encoding of Multiple Jewish Identities in the Epigraphy of Jewish Gravestones in Vienna

Carsten L. Wilke (Central European University, Budapest): The Oriental Question and its Urban Answers: Building the Great Synagogue of Pest (1854-1859)

Lunch

15:15   Jewish Communities as Cultural Spaces (Peter Becker, University of Vienna)

Tullia Catalan (University of Trieste): The Jews of Trieste between Habsburg Empire and Italy (1848-1918): a social and national perspective

Jasmina Huber (Heinrich Heine University, Düsseldorf): Europeanization of the Liturgical Music in Belgrade Sephardic Community

Sara Olga Yanovsky (Hebrew University, Jerusalem): Living Together – studying apart? Communal dilemmas and debates around the establishments of Jewish Schools in Vienna and Budapest, from Joseph II until World War I

Coffee Break

17:30   Central Peripheries: Challenges of Rural and Small Town Jewries (Gerhard Langer, University of Vienna)

Ursula Mindler (Andrássy University, Budapest): Ambivalence of Jewish Belonging in Rural Areas of Western Hungary/Eastern Austria. The Case Study of Oberwart/Felsöör

Ines Koeltzsch (Masaryk Institute, Prague): Mobility and Temporary Sedentariness. Rural and Small-Town Jews in the Bohemian Lands and their (Trans-) Regional Migration to the Cities in the Central European Context (1848-1918)

Gerald Lamprecht (University of Graz): Migration and Formation of Jewish Communities in Austrian Province in the 19th Century

19.30   Closing Remarks