Abgründe der Israelsolidarität I:  „…nicht nur verfehlt, sondern auch tendenziell rassistisch“

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Über die Pamphlete des Bündnisses gegen Israelkritik NRW…

Heute findet jede Zeitung größere Verbreitung durch [Islam]kritiker,
Also hab auch ich die Ehre und mach jetzt Karriere als [Islam]kritiker.
Ich hab keine Ahnung, was [Islam] ist, denn ich bin beruflich Pharmazeut,
Dafür weiß ich sehr gut, was Kritik ist, je böser, desto mehr freu’n sich die Leut‘!
(With apologies to Georg Kreisler)

Von Floris Biskamp

Auf dem Kongress gegen die jüngsten antisemitischen Ausbrüche in Essen habe ich über die Positionen der deutschen Islamverbände zu Nahostkonflikt und Antisemitismus referiert. Gegen Ende der anschließenden Diskussion kam ich auf das Bündnis gegen Israelkritik NRW zu sprechen und bezeichnete dessen Auftreten als „nicht nur verfehlt, sondern auch tendenziell rassistisch.“ Leider war die Zeit für die Diskussion gerade abgelaufen, so dass es zu keinem weiteren Austausch kam. Jedoch hörte ich im Nachhinein, dass meine Anmerkung für einige Irritationen gesorgt hat. Nun ist ein Rassismusvorwurf keine Lappalie, was umso mehr gilt, wenn er gegen Gruppen vorgebracht wird, die sich – aller Abschiedserklärungen zum Trotz – immer noch in linken Kontexten bewegen. Daher möchte ich meine Äußerung noch einmal ausführlicher begründen, so dass es eine Kritik und keine Diffamierung ist.

1 Drei zu enge Rassismusbegriffe – und ein zu weiter

Will man einen Rassismusvorwurf begründen, ist zunächst auszuführen, was man unter Rassismus versteht. Darüber besteht weder in der Wissenschaft noch in der Linken ein Konsens. Jedoch lassen sich verschiedene Arten der Definition unterscheiden. Ich will mein eigenes Begriffsverständnis gegen drei, die ich für zu eng, und eines, das ich für zu weit halte, abgrenzen.

Beim ersten dieser vier Rassismusbegriffe handelt es sich um ein lebendes Fossil: Er ist archaisch, aber wider Erwarten noch nicht ausgestorben. Mit ihm wird Rassismus als ‚Rassenhass‘ oder ‚übersteigertes Rassenbewusstsein‘ verstanden. Die entsprechenden Autor_innen gehen davon aus, dass es tatsächlich verschiedene Menschenrassen gibt, und sprechen von Rassismus, wenn die Angehörigen einer ‚Rasse‘ andere ‚Rassen‘ abwerten und die ihr zugerechneten Menschen diskriminieren. Derartige Thesen vertrat Christoph Türcke noch in den 1990ern, was auf einem Kongress der Zeitschrift konkret völlig zu Recht einen Eklat auslöste. Ein Verständnis von Rassismus, das die Existenz von Menschenrassen voraussetzt, kann man mit Gründen selbst als rassistisch bezeichnen.

Das wird etwa aus der Perspektive des zweiten Verständnisses von Rassismus deutlich. Diesem zufolge ist der Begriff Rassismus synonym mit den Begriffen ‚Rassendenken‘, ‚Rassentheorie‘ oder ‚Rassenideologie‘ zu verwenden. Ausgangspunkt ist dabei die heute kaum noch ernsthaft anzuzweifelnde Erkenntnis, dass es bei allen biologischen Differenzen zwischen menschlichen Individuen keine Grundlage für die Rede von unterscheidbaren Menschenrassen gibt. Rassen werden dann als Erfindung des Rassismus verstanden, so dass schon die bloße Behauptung ihrer Existenz als Teil rassistischer Ideologie kenntlich wird. Dieses zweite Verständnis von Rassismus ist anders als das erste einigermaßen begründbar. Jedoch ist es viel zu eng, um angesichts gegenwärtiger gesellschaftlicher Konstellationen überzeugen zu können. Es hat sich gezeigt, dass ideologische Formationen existieren, die dem historischen Rassismus in Ursache, Funktion und Effekt sehr ähnlich sind, sich aber gerade nicht auf die ‚Rasse‘ ihrer Objekte beziehen, sondern auf ihre ‚Kultur‘. Daher scheint es erstrebenswert, einen Begriff von Rassismus zu haben, mit dem man auch diese Formationen als rassistisch erfassen kann.

Das ermöglicht zum Beispiel der dritte, wertkritisch-materialistische Begriff von Rassismus, wie ihn insbesondere Peter Schmitt-Egner, Joachim Bruhn oder Stephan Grigat formuliert haben. Dieser Begriff ist verhältnismäßig marginal, im Kontext dieses Textes aber schon deshalb relevant, weil er gerade in den Milieus verbreitet ist, denen das Bündnis gegen Israelkritik NRW entstammt. Dabei wird Rassismus als eine bestimmte Form von Projektion bzw. falschem Bewusstseins verstanden. Die Produktionsverhältnisse, also Wertform, Kapital und Staat bringen diesen Autor_innen zufolge in den Subjekten projektive Bedürfnisse hervor, die sich in Form von Rassismus und Antisemitismus ausdrücken. Rassismus gehe darauf zurück, dass diejenigen Regungen, welche das bürgerliche Subjekt sich verbieten muss – Faulheit, Triebhaftigkeit, Asozialität etc. –, bestimmten Gruppen zugeschrieben und an diesen gestraft würden. Beim Antisemitismus dagegen werde dem Objekt der Projektion gerade ein Übermaß der Eigenschaften zugeschrieben, die das bürgerliche Subjekt mitbringen muss, um den Anforderungen moderner Gesellschaft gewachsen zu sein. Während das Subjekt selbst unter Schmerzen darum kämpfen müsse, produktiv und loyal zu sein, unterstelle es den Juden ein krankhaftes Ausmaß beider Eigenschaften. Sie könnten ohne echte Arbeit zu unermesslichem Reichtum gelangen und verfügten mit ihren Weltverschwörungen über schier grenzenlose Macht. Damit werde den Jüd_innen zugleich auch die Schuld an den Zumutungen moderner Gesellschaft gegeben: Alle anderen würden um die Früchte ihrer harten Arbeit betrogen, weil die Jüd_innen sie sich unlauter aneignen. Diese Unterscheidung von Rassismus und Antisemitismus kann nur eine analytische sein. In der Realität gehen rassistische und antisemitische Projektionen ineinander über. Auch den Jüd_innen wird mithin Triebhaftigkeit, auch den Rassifizierten werden mitunter Verschwörungen unterstellt.

Ein solches Verständnis von Rassismus hat deutliche Vorteile gegenüber den ersten beiden. Es setzt nicht bei der oberflächlichen Erscheinung, sondern bei der gesellschaftlichen Genese von Rassismus an. Daher erlaubt es auch Ausdrucksformen derselben projektiven Bedürfnisse als rassistisch zu begreifen, die sich nicht auf die vermeintliche Biologie ihrer Objekte beziehen, sondern auf deren Kultur. Wie ich im Folgenden darlege, hat das Verständnis dennoch zwei Defizite.

Diese werden vor dem Hintergrund des vierten Verständnis von Rassismus sichtbar, wie es seit einigen Jahren in der neueren deutschsprachigen Rassismusforschung und -kritik dominant ist. Hier wird Rassismus im Anschluss an Cultural Studies sowie an strukturalistische und poststrukturalistische Ansätze als ein gesellschaftliches Verhältnis verstanden. Zu den prägenden Autor_innen in Deutschland zählen Mark Terkessidis, Birgit Rommelpacher, Paul Mecheril und Wulf D. Hund. Rassismus wird hier mit verschiedenen theoretischen Sprachspielen als eine Kombination von Vorurteil, Zuschreibung, Gruppenkonstruktion, Macht und Privilegien verstanden. Dabei wird die von den Wertkritiker_innen in den Fokus gerückte Projektion allenfalls als ein bedingender Faktor für Rassismus betrachtet. Im Mittelpunkt des Interesses steht dagegen die soziale Praxis, mit der bestimmte Personen als marginalisierte Bevölkerungsgruppen produziert werden. Spezifische Formen der Zuschreibung, der Ansprache und des Sprechens-über führten dazu, dass einige Subjekte rassifiziert werden. Sie würden in einer marginalisierten Position fixiert, von der aus der Zugang zu gesellschaftlichen Privilegien erschwert ist.

Dieser vierte Begriff hat gegenüber dem dritten zwei Vorteile, die auf dessen Defizite verweisen. Zum einen werden die soziale Praxis, in der Rassismus effektiv wird, sowie die sozialen Effekte, die er zeitigt, thematisiert – hierzu haben die Wertkritiker_innen wenig zu sagen.

Zum anderen zeigt sich, dass der wertkritische Rassismusbegriff selbst eine schwer zu rechtfertigende Einengung mit sich bringt. Wenn nur die Zuschreibung von mangelnder Affektkontrolle, von Triebhaftigkeit und von mangelnder Loyalität als rassistisch gilt, werden einige Phänomene ausgeblendet, die sich mit Gründen als Rassismus bezeichnen lassen. Dies gilt insbesondere für eine Form der Zuschreibung, wie sie aktuell in weiten Kreisen der politischen Rechten verbreitet ist und sich auch durch andere politische Milieus zieht: Nämlich diejenige Zuschreibung, mit der Muslim_innen, pauschal vorgeworfen wird, sie seien patriarchal, frauenfeindlich, homophob, gewaltaffin, antisemitisch und so weiter. Diese Zuschreibungspraxis kann mit dem vierten Ansatz umstandslos als Teil eines antimuslimischen Rassismus gelten. Einer Gruppe werden sozial unerwünschte Eigenschaften zugeschrieben, was ihre Diskriminierung legitimiert. Mit dem dritten Ansatz ist dies nicht erfassbar, weil die Zuschreibungen weder im wertkritischen Begriff von Rassismus noch in dem von Antisemitismus aufgehen. So ist es auch kein Zufall, dass man in den entsprechenden politischen und theoretischen Kontexten immer wieder bestreitet, dass es so etwas wie einen antimuslimischen Rassismus gibt und in den entsprechenden Phänomenen entweder eine ‚legitime Islamkritik‘ oder aber eine überzogene bzw. von ‚Xenophoben‘ instrumentalisierte Variante derselben erblickt. Dass es sich um eine genuine Form von Rassismus handelt, ist aus dieser Perspektive kaum denkbar.

Gleichzeitig hat der vierte Begriff auch zwei deutliche Probleme. Das erste wird am gerade genannten Beispiel deutlich. Die neuere deutsche Rassismusforschung hat es bisher nicht geschafft – und hat im Grunde auch gar nicht versucht –, herauszuarbeiten, wo die Grenze zwischen einem legitimen Sprechen über patriarchalische Geschlechternormen, Antisemitismus, Homophobie usw. in islamischen Milieus auf der einen und einem antimuslimischen Rassismus auf der anderen Seite verläuft. Ohne diese Abgrenzung besteht jedoch die Gefahr, dass notwendige Kritik an Phänomenen innerhalb des Islam zu Unrecht als rassistisch diffamiert wird.

Das zweite Problem dieses vierten Begriffes besteht in der Tendenz zur völligen Entgrenzung des Rassismusbegriffs. Wenn man Rassismus einfach nur als ein gesellschaftliches Verhältnis definiert, in dem die Zuschreibung von Wesenseigenschaften an bestimmte reale oder fiktive Gruppen zu einer Marginalisierung führt, kann man beinahe alle sozialen Marginalisierungsprozesse als rassistisch bezeichnen. Hund ist in dieser Hinsicht konsequent und spricht neben Rassenrassismus und Kulturrassismus auch von Klassenrassismus, Kastenrassismus, Geschlechterrassismus und vielen anderen Rassismen. Damit geht nicht nur jegliche historische Spezifität verloren, es ergibt sich auch ein sehr begrenztes Verständnis von Gesellschaft und Herrschaft. Diese erscheinen dann nur noch als eine Ansammlung von Prozessen der Zuschreibung und Machtausübung. Dann droht Rassismuskritik tatsächlich zu dem zu werden, was Claussen von ihr behauptet, nämlich zu einer „Kümmerform von Gesellschaftskritik“ – was nicht heißen soll, dieses Urteil träfe auf die neuere deutschsprachige Rassismuskritik insgesamt zu; Rommelspacher und Terkessidis haben durchaus ein weiteres Verständnis von Gesellschaftskritik.

2 Anforderungen an den Rassismusbegriff.

Die ersten drei Begriffe haben sich somit als zu eng erwiesen, der vierte als zu weit. Daher gilt es, einen Begriff zu entwickeln, der die Stärken des dritten und des vierten vereint, ohne ihre jeweiligen Schwächen zu reproduzieren. Der Rassismusbegriff sollte die gesellschaftskritische Tiefe des dritten mit dem scharfen Blick des vierten für gesellschaftliche Marginalisierungsprozesse kombinieren, dabei historisch spezifisch bleiben und es ermöglichen, die demokratische Kritik kultureller Formationen von der Rassifizierung einer kulturellen Gruppe zu unterscheiden.

Die entsprechenden theoretischen Überlegungen können an dieser Stelle nicht im Detail expliziert werden, daher muss es ausreichen drei Komponenten zu benennen:

  1. Rassismus ist mit dem vierten Begriff als gesellschaftliches Verhältnis zu verstehen, bei dem durch Machtdynamiken und verbreitete Zuschreibungen marginalisierte Bevölkerungsgruppen produziert werden.
  2. Mit dem dritten Begriff ist darauf zu verweisen, dass zu den Ursachen projektive Bedürfnisse zählen, welche die Subjekte unter dem Druck der modernen Gesellschaft entwickeln.
  3. Um historische Spezifität zu gewährleisten, ist sinnvollerweise nur dann von Rassismus zu sprechen, wenn sich die entsprechende ideologische und gesellschaftliche Formation als Fortschreibung oder Displacement derjenigen Formation beschreiben lassen, die sich im 19. und 20. Jahrhundert als Rassismus etabliert hat.

3 Was ist rassistisch? Zwei komplementäre Argumentationsstrategien

Ein solcher Begriff von Rassismus verweist auf zwei mögliche Argumentationsstrategien, um die legitime Kritik kultureller Traditionen, Praktiken und Normen von der Rassifizierung kultureller Gruppen abzugrenzen. Zum einen kann man versuchen aufzuzeigen, dass es sich bei den entsprechenden Texten oder Äußerungen eher um (pathische) Projektionen als um in der Sache rechtfertigbare Beschreibungen kultureller Realitäten handelt. Zum anderen kann man versuchen den Nachweis zu erbringen, dass die Art, auf die über Kultur gesprochen wird, eher geeignet ist, eine Gruppe als marginalisierte Bevölkerungsgruppe zu produzieren, als dass spezifische Phänomene innerhalb der Kultur problematisiert würden. Diese beidenArgumentationsstrategien überschneiden sich, lassen sich aber nicht ineinander auflösen.

Bei keiner der beiden Strategien handelt es sich um einen Lackmustest, anhand dessen man durch einfache und klare Kriterien eindeutig feststellen könnte, ob ein Text, eine Äußerung oder ein_e Autor_in rassistisch ist. Vielmehr handelt es sich um verschiedene Arten, plausibel zu machen, dass ein Text, eine Äußerung oder ein_e Autor_in mehr oder weniger stark durch Rassismus geprägt ist bzw. zur (Re‑)Produktion von Rassismus beiträgt.

Bei der ersten Argumentationsstrategie ist der Nachweis zu erbringen, dass die entsprechenden Darstellungen die Realität systematisch verzerren, sich also weder als Ergebnis einer sachlichen Auseinandersetzung, noch als bloß akzidentielle Abweichung oder achtlose Verallgemeinerung erklären lassen. Diese systematische Verzerrung muss sich zudem in einer plausiblen Weise als Projektion interpretieren lassen, die auf Bedürfnisse zurückgeht, welche die gesellschaftlichen Verhältnisse in den Subjekten hervorbringen.

Bei der zweiten Argumentationsstrategie ist aufzuzeigen, dass in einer Weise über Kultur gesprochen wird, die eher dazu geeignet ist, eine Gruppe zu stigmatisieren, als dazu, bestimmte kulturelle Normen oder Praktiken in ihrem Traditionskontext zu problematisieren. Einzelne Merkmale sind Essenzialisierungen, mit denen einzelnen Traditionen ein Wesenskern zugeschrieben wird, Homogenisierungen, mit denen Binnendifferenzen ausgeblendet werden, Dichotomisierungen, mit denen verschiedene Traditionen als strikt voneinander getrennte Entitäten erscheinen, und Kulturalisierungen, mit denen Individuen, ihre Handlungen, gesellschaftliche Probleme, Konflikte und Entwicklungen umstandslos auf (die) Kultur (der Anderen) reduziert werden.

Beide Argumentationsstrategien sind auf einen Abgleich von Darstellung und Realität angewiesen. Wenn der Mord eines Mannes an seiner Ehefrau durch Kultur erklärt wird, kann es sich sowohl um eine angemessene kritische Darstellung einer Handlung und der ihr zugrundeliegenden kulturellen Normen als auch um eine Kulturalisierung handeln. Hier ist zum einen zu prüfen, ob das Urteil in der Sache rechtfertigbar scheint. Zum anderen ist eine Konsistenzprüfung vorzunehmen, um festzustellen, ob bei einigen Täter_innen schneller von Kultur gesprochen wird als bei anderen.

Schließlich ist nur dann sinnvoll von Rassismus zu sprechen, wenn die entsprechenden Motive eine gewisse gesellschaftliche Verbreitung haben. Wenn Einzelne Ranküne gegen eine bestimmte Kultur oder Gruppe hegen und dabei projektive Bilder produzieren, handelt es sich noch nicht automatisch um ein gesellschaftliches Verhältnis Rassismus – auch dann nicht, wenn diese Bilder essenzialisierend, homogenisierend usw. sind. Von Rassismus ist nur zu sprechen, wenn die entsprechenden Zuschreibungen einen gewissen Verbreitungsgrad haben und tatsächlich mit einer Marginalisierung ihrer Objekte einhergehen. Nur dann macht es Sinn, am einzelnen Text herauszuarbeiten, dass die entsprechenden rassistischen Motive reproduziert werden.

4 Ja, es gibt einen antimuslimischen Rassismus, wirklich

Die Existenz und weite Verbreitung eines spezifischen Feindbildes, das den Islam als Islam und Muslim_innen als Muslim_innen zum Gegenstand hat, ist mittlerweile nicht mehr seriös zu bezweifeln und muss hier nicht spezifisch nachgewiesen werden. Dass mit diesem Feindbild auch eine soziale Marginalisierung einhergeht, wird beispielsweise in einer Studie eines Forschungsteams um Albert Scherr sichtbar, der zufolge zahlreiche Arbeitgeber_innen offen angeben, keine praktizierenden Muslim_innen im Allgemeinen und keine Muslimas mit Kopftüchern im Besonderen einzustellen (12,4 Prozent bzw. 35,1 Prozent) – ohne sich davon beeindrucken zu lassen, dass eine solche Diskriminierung illegal ist.

Die besondere Schwierigkeit des antimuslimischen Rassismus besteht darin, dass die Zuschreibungen, mit denen die Diskriminierung von Islam und Muslim_innen gerechtfertigt wird, in vielen Fällen mit realen Problemen innerhalb des Islam und muslimischer Communities korrespondieren. Es gibt heute spezifisch islamische (Artikulations‑)Formen von Antisemitismus, Homophobie etc. An eben diesen Problemen dockt der antimuslimische Rassismus an und macht sie zu einem Stigma, das die Diskriminierung von Muslim_innen legitimiert.

Paradigmatisch hierfür ist die in den letzten Monaten verschiedentlich geäußerte Idee, der gegenwärtige Antisemitismus sei ein migrantisches Importprodukt, das von außen in die ansonsten geläuterte deutsche Gesellschaft hereingebrochen sei. So konnte man es bei Nicolaus Fest in der Bild am Sonntag sowie bei Jasper von Altenbockum in der FAZ lesen. Auch hier wird pathisch projiziert: Der Antisemitismus, den ‚die Deutschen‘ sich verbieten müssen, wird als ein fremdes, islamisches Phänomen gedeutet. Die Muslim_innen sind die neuen Nazis und ‚die Deutschen‘ entlastet – die Lösung des Problems sucht man dementsprechend in Abschiebung oder Einwanderungsverbot.

Will man die Frage beantworten, ob eine bestimmte Art, islamischen Antisemitismus zu thematisieren, zur Reproduktion dieses rassistischen Diskurses oder zur Kritik des realen Problems beiträgt, sind die oben genannten Argumentationsstrategien durchzuspielen: Erstens ist zu fragen, ob die Darstellungen sich als in der Sache begründetes Urteil verstehen lassen oder ob Realität in einer systematischen Weise verzerrt wird. Zweitens ist zu fragen, ob die Darstellungen essenzialisierend, homogenisierend, dichotomisierend oder kulturalisierend sind.

5 Zur Sache: eine tendenziell rassistische Kritik der Israelkritik

Eben dies gilt es nun anhand der beiden Dokumente zu diskutieren, die das Bündnis gegen Israelkritik NRW produziert hat. Dies ist erstens der Aufruf zur Demonstration am 6. September 2014 und zweitens die im Nachhinein im Internet veröffentlichte Sammlung der Redebeiträge zur selben Demonstration.

In beiden Texten gilt der islamische Antisemitismus als eine zentrale gegenwärtige Artikulationsformen von Antisemitismus. Dies ist gerade vor dem Hintergrund der Ereignisse des Sommers 2014 kaum zu bestreiten. Entscheidend ist die Art und Weise, auf die dieses Phänomen vom Bündnis gegen Israelkritik NRW thematisiert wird.

Im Demoaufruf wird der Islam in abstracto als Kern des Problems benannt: „Gäbe es keine Juden, der Islam müsste sie erfinden. Ohne diese Sündenböcke müsste er sonst an seiner eigenen Unerträglichkeit krepieren!“ Der Islam ist an sich antisemitisch, muss antisemitisch sein.

Das mindeste, was man sagen kann, ist, dass die Autor_innen sich keinerlei Mühe gegeben haben, differenzierende Formulierungen zu wählen. Liest man den Aufruf, findet man keinen Hinweis darauf, dass es innerhalb der islamischen Tradition Brüche, Spaltungen, Differenzen und Dynamiken gibt, oder gar darauf, dass individuelle Muslim_innen vielfältige Möglichkeiten haben, sich zu dieser Tradition zu positionieren. Nicht einmal den Sachverhalt, dass der islamische Antisemitismus ein modernes Phänomen ist, das in der Tradition zwar Anknüpfungspunkte findet, sie aber keineswegs einfach fortschreibt, wird erwähnt.

Aber die Autor_innen wissen noch mehr zu berichten, dass nämlich „im Namen des keineswegs dabei missdeuteten Koran entmündigt, unterdrückt, erniedrigt, geschlagen, misshandelt, gefoltert, vergewaltigt, verstümmelt, ermordet“ wird. Gut, dass wir das Bündnis gegen Israelkritik NRW haben, das uns endlich einmal darlegt, welche Deutungen des Koran korrekt sind und welche nicht – denn solche schwierigen Aufgaben kann man wohl kaum den Muslim_innen überlassen. Denen sollte man besser gar nichts überlassen:

„Die Verkünder Allahs wollen die ganze Welt in einen autoritären Kollektivismus hineinterrorisieren, die strikte islamische Trennung des ‚Reinen‘ vom ‚Unreinen‘ soll alles beherrschen und jedes bisschen Leben, jedes bisschen Freiheit in Angst und Todeskult ersticken. Die radikale Abschaffung dieses unvergleichlich amoralischen, menschenfeindlichen und despotischen Gottesbildes kristallisiert sich als die vordringlichste Aufgabe für jeden heraus, der die Idee einer Menschheit noch nicht aufgegeben hat. Der Islam ist keine schützenswerte Kultur, sondern eine furchtbare, autoritäre, gnadenlose Ideologie, die durch die Verkommenheit der westlichen Intellektuellen und Politiker, durch das Versagen und die Borniertheit der Zivilisation voranschreitet: in Gaza, Syrien, Irak, Nigeria, Somalia und zahllosen anderen Stätten islamischen Grauens. Sein terroristisches Vordringen auf den globalen Schlachtfeldern muss mit angemessenen militärischen Maßnahmen bekämpft, seiner ‚friedlichen‘ Missionstätigkeit und Propaganda im Westen mit den Mitteln des Rechtsstaats und den Waffen der Kritik das Handwerk gelegt werden.“

Zu sagen, dass der Text für eine essenzialistische, homogenisierende und kulturalisierende Lesart offen ist, wäre eine Untertreibung. Hier werden Islam und Muslim_innen zu einer Gefahr für die Menschheit stilisiert, die um jeden Preis aufgehalten werden muss.

Verschärft wird all das durch die dem Milieu der Verfasser_innen eigene entmenschlichende Sprache. Wie in anderen Texte ‚die Linken‘ und unter ihnen insbesondere ‚die Wursthaarträger_innen‘ als ‚Gesindel‘ tituliert werden, ist nun in Bezug auf die an sich antisemitischen Muslim_innen von ‚Lumpen‘, ‚Brüllern‘ und ‚Mob‘ die Rede.

Dem oben skizzierten Rassismusbegriff zufolge ist die homogenisierende und entmenschlichende Sprache mehr als ein Verstoß gegen irgendwelche politisch korrekten Tischmanieren, nämlich ein zentrales Element von Rassismus. Es mag sein, dass einige der unterlassenen Differenzierungen den Autor_innen als Selbstverständlichkeiten gelten, die keiner Erwähnung bedürfen. Womöglich ist der Text auch in einer expliziten Abgrenzung gegen als lästig empfundene korrekte Tischmanieren geschrieben. Tatsächlich war mein erster Eindruck, dass hier Verbalradikalismus um seiner selbst willen betrieben wird. Der Text liest sich, als sei er von einer Handvoll Zwanzigjähriger geschrieben worden, die seit einem Jahr die Bahamas abonniert haben und den Großen nun zeigen müssen, dass sie voll auf der harten Linie sind und die Verweichlichung des linken Mainstreams nicht mitmachen. Darauf schien mir auch die extrem ungelenke Sprache der von ihren eigenen Formulierungen merklich überforderten Autor_innen hinzudeuten. Umso überraschter war ich, als ich erfuhr, dass dieses Pamphlet von gestandenen Veteran_innen mitgetragen und womöglich auch initiiert wurde – „die Kölner Genossen“ sagte einer der Irritierten in Essen.

Jedoch ist die individuelle Motivation hinter dem Text aus rassismuskritischer Perspektive allenfalls am Rande interessant. Wichtiger ist der zu erwartende Effekt des Textes. Hier spricht alles dafür, dass diese Art über ‚die islamische Ideologie‘ zu sprechen sehr viel eher zur Stigmatisierung von Muslim_innen als Gruppe beitragen dürfte als zur Problematisierung spezifischer Phänomene im Islam. Schließlich werden kaum Spezifika angesprochen, sondern wild generalisierende Aussagen über den Islam und „die Verkünder Allahs“ getroffen. Man kann in dem Aufruf nichts über Probleme im Islam erfahren, sondern nur Hass auf den Islam als Ganzen lernen. Es wird keine Kritik geübt, sondern eine kollektive Selbstvergewisserung in Sachen Gesinnung vorgenommen. Die Muslim_innen werden hier zu einer homogenen, gefährlichen, zu bekämpfenden Masse von Ungeheuern stilisiert, der Islam zur einer radikal abzuschaffenden mörderischen Ideologie.

Der zweite hier relevante Text ist der von der Georg-Weerth-Gesellschaft Köln formulierte Redebeitrag auf der Demonstration selbst. Dabei ist zunächst der Kontext interessant. Gehalten wurde die Rede vor der von der Islamischen Gemeinschaft Millî Görüş betriebenen Barbarossa-Moschee, die das Bündnis als eine der „Stätten der umtriebigsten Plattformen der Israelkritik in NRW“ bezeichnet. Stätten der Plattformen der Kritik? Na gut.

Dadurch hat der Redebeitrag anders als Aufruf einen vermeintlich konkreten Gegenstand: Die Millî-Görüş-Bewegung im Allgemeinen und ihr deutscher Zweig, die Islamische Gemeinschaft Millî Görüş (IGMG) im Besonderen. Interessant ist wiederum die Art der Argumentation. Es ist nichts daran zu deuteln, dass die IGMG zum antisemitischen Klima beiträgt, das die Ausschreitungen des Sommers hervorgebracht hat – genau das war eine zentrale These meines eingangs erwähnten Vortrags in Essen. Entscheidend ist jedoch der Sinn, den die Georg-Weerth-Gesellschaft bzw. das Bündnis gegen Israelkritik NRW daraus gewinnt.

Zunächst wird über Millî Görüş selbst in einer Weise gesprochen, die gelinde gesagt komprimiert ist. Mehrere Ebenen werden bruchlos zusammengezogen: Äußerungen des Millî-Görüş-Gründers Necmettin Erbakans, Haltungen des in derselben Bewegung politisch sozialisierten türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan, die von der ebenfalls der Bewegung assoziierten türkischen ‚Hilfsorganisation‘ IHH durchgeführte Mavi-Marmara-Aktion sowie das durch das Bundesinnenministerium veranlasste Verbot der dem Umfeld der IGMG entstammenden deutschen IHH.

Wiederum ist keinerlei Mühe erkennbar, die Argumente kritisch abzuwägen oder die Differenzen zwischen den 1980ern und der heutigen Zeit, zwischen der Türkei und Deutschland sowie zwischen den verschiedenen Lagern innerhalb der Bewegung auch nur zu erwähnen – obwohl es in den letzten Jahren in Deutschland umfangreiche Debatten über diese Fragen gab. Ebenso wenig stellt man sich die Frage, ob das Verbotsverfahren gegen die deutsche IHH überhaupt als Beweis für den besonders antisemitischen Charakter von Millî Görüş tauglich ist. Tatsächlich sind weite Teile der ursprünglichen Begründungen vor Gericht zerfallen. Die verbleibende Verbotsgrundlage beschränkt sich darauf, dass die IHH in Gaza mit Organisationen zusammengearbeitet hat, die zur Hamas gehören. Darin kann man sicherlich Gesinnung erkennen und eine De-facto-Förderung von Terrorismus sehen. Allerdings ist auch festzuhalten, dass man mit derselben Argumentation alle ‚Hilfsorganisationen‘ und Hilfsorganisationen verbieten müsste, die in Gaza arbeiten.

All diese undifferenziert zusammengezogenen Einzelargumente reichen dann aus, um die Barbarossa-Moschee zu einer der „Stätten der umtriebigsten Plattformen der Israelkritik in NRW“ zu erklären – ohne je auch nur ansatzweise den Nachweis erbracht zu haben, dass dort in jüngerer Zeit über Israel oder Jüd_innen gesprochen worden wäre. Denn tatsächlich hat sich die IGMG, die im Zuge des Gaza-Krieges 2008/2009 noch eine Massendemonstration in Duisburg organisiert hatte, dieses Jahr vergleichsweise zurückhaltend gezeigt.

Mit solchen Details kann sich nicht aufhalten, wer eine Demonstration gegen die neuen Barbaren organisiert und dafür einen islamischen Ort braucht. Tatsächlich könnte man argumentieren, es sei verfehlt, von einem Redebeitrag auf einer Demonstration zu verlangen, eine Bewegung bzw. Organisation wie Millî Görüş differenziert darzustellen und die Argumente gegen dieselbe kritisch abzuwägen. Auch die Zusammenziehung der verschiedenen Phänomene ließe sich mitunter rechtfertigen. Schließlich ist die Millî Görüş notorisch intransparent und auf einer Demonstration braucht es Demonstratives.

Doch selbst wenn man all das zugesteht, ist kaum zu rechtfertigen, dass die verschiedenen Aktivitäten im Millî-Görüş-Umfeld wiederum paradigmatisch für den Islam stehen sollen. Mit dem zwanghaften Zwang der freien Assoziation zieht der Redebeitrag eine gerade Linie von der ältesten Moschee in Köln über den Bart eines deutschen Kaisers, Adolf Hitler und den in derartigen Texten unvermeidlichen Großmufti von Jerusalem bis hin zum Bart des Propheten. Am Ende dieser Assoziationskette ist es wieder bewiesen: Die „islamische Ideologie“ ist notorisch antisemitisch und stimmt im Kern mit der nationalsozialistischen überein.

Nun mag man einwenden, dass die Rede von der islamischen Ideologie nicht rassistisch sein kann, weil man ja auf dieselbe Art und Weise von der deutschen Ideologie spricht, ohne dass es als rassistisch gelten würde. Selbst wenn man annähme, dass der Begriff der deutschen Ideologie tatsächlich trüge und es tatsächlich eine Parallele zwischen dem Deutschen und dem Islamischen gäbe, würde das den Rassismusvorwurf nicht entkräften. Denn wenn es um Rassismus geht, ist der soziale Kontext entscheidend. Und hier ist festzuhalten, dass ein antimuslimischer Rassismus existiert, den zu reproduzieren man Gefahr läuft, wenn man von der an sich antisemitischen islamischen Ideologie spricht, während es keinen korrespondierenden antideutschen Rassismus gibt. Im Übrigen nimmt das Bündnis gegen Israelkritik gar keine Parallelisierung von islamischer und deutscher Ideologie vor. Vielmehr werden hier islamische und nationalsozialistische Ideologie gegenübergestellt.

Somit reproduziert der Redebeitrag alle Motive, die sich bereits im Demonstrationsaufruf als problematisch erwiesen haben. Wiederum wird der Islam zu einer einheitlichen und letztlich nazistischen Entität zurechtgeschrieben – einer Entität, die dank des Bindegliedes Millî Görüş auch noch einen konkreten Ort hat, an dem man sich mit dem guten Gewissen der Antisemitismuskritik zum Protest gegen den Islam versammeln kann. Denn die Nazis von heute sind die Muslim_innen.

6 Nicht die Zeit für Differenzierung?

Eine der Rechtfertigungen für die antiislamischen Pamphlete des Bündnisses gegen Israelkritik lautete, angesichts der antisemitischen Ausschreitungen des Sommers sei es nicht die Zeit für Differenzierungen. Die Frage ist jedoch: Wann ist die richtige Zeit für Differenzierungen, wenn nicht jetzt? Eines der zentralen Probleme, das sich in sozialen Medien tausendfach beobachten ließ, besteht gerade darin, dass viele Muslim_innen es als selbstverständlich erachten, dass Muslim_insein automatisch heißt, gegen Israel oder gar gegen das Judentum zu sein. Diese Identifikation und Gegenidentifikation ist zu beschreiben und zu problematisieren, ihre Ursachen innerhalb und außerhalb des islamischen Diskurses sind zu untersuchen. Kaum hilfreich dürfte es dagegen sein, den Gegensatz zwischen Islam bzw. Muslim_insein einerseits und Israel und Judentum andererseits, in essenzialistischer Sprache zu reproduzieren und das Ganze noch als Kritik zu verkaufen

Wie bizarr überspitzt Positionierung und Rhetorik des Bündnisses gegen Israelkritik sind, wird deutlich, wenn man sie mit denen des israelischen Staates und des organisierten Judentums in Deutschland vergleicht. Letztere sind mit Gründen bemüht, gerade keinen Gegensatz zwischen dem Islam und Judentum/Israel herzustellen sowie antimuslimischen Rassismus zu problematisieren.

Deutlich wird der Unterschied etwa an der Weise, auf die über die Mavi-Marmara-Affäre gesprochen wird. Das Bündnis stilisiert die Vorfälle zu einer erfolgreichen antifaschistischen Aktion. Tatsächlich wurden israelische Soldaten mit Paintball-Gewehren auf ein Schiff voller militanter Israelfeinden abgeseilt und zwischenzeitlich von einem Mob überwältigt. Durchsetzen konnten sie sich nur, indem sie neun Passagiere erschossen. Somit war die Aktion ein taktisches, strategisches und diplomatisches Fiasko mit tödlichen Folgen – und wurde in Israel auch ebenso diskutiert.

Es geht an dieser Stelle nicht darum, Israel die Schuld für den Vorfall zu geben – es gibt gute Gründe, davon auszugehen, dass die Organisator_innen der Flotte ungefähr dieses Resultat wollten und Israel ihnen in die Falle ging. Entscheidend ist hier, dass man keinesfalls davon ausgehen kann, der israelische Staat könnte dieses Resultat gewollt haben. Es spricht Bände über den Verbalradikalismus des Bündnis gegen Israelkritik, dass man dieses Desaster nun als erfolgreiche Aktion verklärt – ganz anders als die verweichlichten Kompromissler_innen der Regierung Netanjahu, die unmittelbar im Anschluss ihr Bedauern über den Verlust von Menschenleben ausdrückten.

So wundert es auch nicht, dass das Bündnis gegen Israelkritik den stellvertretenden Vorsitzenden des Zentralrats der Juden im Demo-Aufruf für seine ‚Verleugnung‘ Israels denunziert. Ironischerweise tut man dies unmittelbar, nachdem man darüber sinniert hat, dass die Deutschen den Jüd_innen Vorschriften machen, wie sie sich zu Israel zu äußern haben. Aber warum sollten die – ja gewiss nicht deutschen! – Autor_innen über solche Widersprüche nachdenken? Schließlich wissen sie genau, wo der Hammer hängt: „Wer in diesen gesamteuropäischen, antisemitischen Tagen wider besseres Wissen Abstand zu Israel hält, ist feige, ein falscher Freund, ein hohler Zahn, der zerbricht, wenn es auf ihn ankommt.“ Mit den realen, feigen, falschen, hohlen und zerbrechlichen Jüd_innen kann diese Israelsolidarität nichts anfangen.

Somit ist das Agieren des Bündnis gegen Israelkritik in der Tat als „nicht nur verfehlt, sondern auch tendenziell rassistisch“ zu bezeichnen. Seine Texte tragen essenzialisierend, homogenisierend und kulturalisierend zur Produktion einer monolithischen und an sich antisemitischen Entität Islam bei und zeichnen ein Bild von Muslim_innen als finstere Barbar_innen, die gestoppt werden müssen. Damit sind die Texte Teil der gesellschaftlichen Debatten, aufgrund derer Muslim_innen ganz unabhängig von ihren individuellen Einstellungen und Praktiken diskriminiert werden. Die Frage, ob es sich bei den Pamphleten um das Resultat von individuellen projektiven Bedürfnissen oder von Verbalradikalismus handelt, ist ebenso irrelevant wie die Frage, ob die Autor_innen eigentlich differenziertere Konzepte im Kopf haben. Ob die Autor_innen individuell Rassist_innen sind, ist hier nicht zu klären. Entscheidend ist, dass ihre Texte zur Reproduktion von Rassismus beitragen.

1 Kommentar

  1. Die konkrete Kritik an dieser sehr kleinen israelsolidarischen Gruppe ist gerechtfertigt. Man kann wirklich nicht behaupten, die Muslime tun dies oder jenes. Denn Muslime gibt es mehr als eine Milliarde. Und Pauschalurteile – unabhängig von Person und gegen wen sie gerichtet sind – abzulehnen.
    Man sollte da präzise sagen diejenigen, die in Europa kleine jüdische Kinder in Toulouse, und Juden im jüdischen Museum Brüssel gemordet haben nur weil sie Juden sind (und ich habe jetzt nur zwei Fälle genannt), waren Muslime. Das ist unbestreitbar.
    Und das muss man auch sagen dürfen, auch wenn einige muslimische Vertreter in Europa diesbezüglich die Meinungsfreiheit einschränken wollen.
    Man kann auch sagen, aus den arabischen bzw. moslemischen Staaten wird fürchterliche judenfeindliche Propaganda von Mainstream Medien ausgestrahlt. Oder der Prozentsatz an Jugendlichen mit muslimischen Einwandererhintergrund mit antijüdischen Vorurteilen ist höher als der Prozentsatz von Jugendlichen mit anderem Einwanderungshintergrund oder von Jugendlichen ohne Einwanderungshintergrund. Was vielleicht auch mit diesen Medien zu tun hat.
    So wie man das Christentum, das Judentum verspottet, genau in diesem Masse muss es auch erlaubt sein den Islam zu verspotten.
    Der diesbezüglichen Wehleidigkeit islamischer Kleriker – siehe Fall Rushdie und dänische Karikaturen – sollte nicht nachgegeben werden.
    Man wird auch darauf hinweisen dürfen, dass sich die Menschenrechtsverletzer im Nahen Osten, die Glieder und Kopf abschlagen, Sklavenhalten aufrechterhalten, den Abfall von der Religion mit dem Tod bestrafen, Homosexuelle foltern und morden, Frauen diskriminieren sich auf den Koran berufen. Das tut nicht nur IS sondern auch Saudi-Arabien und der Iran und andere. Auch das ist keine Herabwürdigung eines Glaubens, sondern Tatsachenfeststellung. Nur weil extrem Rechte dies auch behaupten, sollte man die Kritik an Menschenrechtsverletzungen, wo immer sie stattfinden, nicht unterdrücken. Was man aber nicht tun sollte, ist sich auf ein packl hauen mit Rechtsextremisten, weil die vorgeben Juden zu schützen. Allerdings muss man sich fragen, warum Juden in manchen Gegenden Europas Angst haben müssen.
    Wir sollten nicht die Relationen vergessen. Auf der anderen Seite, gibt es Solidaritätsgruppen, die oft nur vorgeben solidarisch zu sein, um umso heftiger judenfeindliche Stereotypen zu gebrauchen und Boykott gegen den jüdischen Staat zu propagieren.

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