Ab nach Kassel, nein: Ab nach Cayenne

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Wegen rassistischer Sprüche wurde eine Front National-Kandidatin zu neun Monaten Haft ohne Bewährung verknackt…

Von Bernard Schmid, Paris 

Bis vor einigen Jahrzehnten hätte sie ihre Reise nach Cayenne noch mit einer Eisenkugel am Fuß angetreten. Denn der Name der Hauptstadt von Französisch-Guyana war synonym für Verbannung und Zuchthaus: Bis im Jahr 1947 war die Cayenne vorgelagerte „Teufelsinsel“ eine berüchtigte Strafanstalt. Allerdings war Rassismus in jener Zeit kaum strafbar. Einer der prominentesten Insassen des tropischen Zuchthauses war zeitweilig Alfred Dreyfus, Opfer staatlicher Rechtsbeugung.

Heute ist Rassismus in Frankreich strafbar – seit 1972 gibt es ein eigenes Gesetz dafür, 1990 und 2004 wurde es verschärft sowie um Geschichtsrevisionismus als Tatbestand erweitert. Zuchthaus steht nicht darauf, allerdings sehr wohl Geld- und in schweren Fällen auch Gefängnisstrafen. Letztere werden jedoch nur selten verhängt, in der Regel bleibt es bei Geldbußen. Eine Ausnahme gab es nun in Cayenne für die vormalige Rathauskandidatin des rechtsextremen Front National (FN) im ostfranzösischen Rethel, Anne-Sophie Leclere. Letztere war wegen incitation à la haine raciale – eine ungefähre Entsprechung zum deutschen Straftatbestand der „Volksverhetzung“ – und Beleidigung angeklagt, und erhielt dafür nun am Dienstag, den 15. Juli 14 eine Strafe von neun Monate Haft aufgebrummt. Ohne Bewährung. Ferner wurde sie zu 50.000 Euro Geldstrafe und fünfjährigem Entzug der Wählbarkeit verurteilt.

Was war passiert? Am 17. Oktober 13 hatte die Fernsehsendung Envoyé spécialgezeigt, wie Leclere auf ihrer Facebook-Seite die schwarze, aus Französisch-Guyana stammende Justizministerin Christiane Taubira mit einem Affen verglich. Vor laufenden Kameras redete die damals 33jährige Ladenbesitzerin, die die FN-Liste zur Rathauswahl in Rethel (Bezirk Ardennen) im März dieses Jahres anführen sollte, sich daraufhin um Kopf und Kragen. Nein, natürlich, Schwarze seien „keine Affen, sondern Menschen“. Aber sie habe doch auch nur sagen wollen, Taubira sei „eine Wilde“ und hänge „besser an den Zweigen, als in der Regierung zu sitzen“. Die rechtsextreme Partei schloss ihre Kandidatin daraufhin wegen drohender Imageschädigung aus. (Andere Urheber rassistischer Sprüche blieben unterdessen Mitglieder beim FN, wie der 23jährige Spitzenkandidat in Mitry-Clais in der Nähe des Pariser Flughafens Roissy. Er hatte sich ausgiebig über die jüdischen familiären Wurzeln des konservativen Spitzenpolitikers Jean-François Copé ausgelassen: „Im Haus dieser Leute isst man kein Schwein“, „Sein Opa hieß Copelevic“…)

Dafür wurde Anne-Sophie Leclere nun verknackt. Zusätzlich wurde ihre frühere Partei belangt und zu 30.000 Geldstrafe verurteilt, mit der Begründung ((Vgl. hier den vollständigen Urteilstext: http://www.youscribe.com/BookReader/IframeEmbed?productId=2477881&width=auto&height=auto&startPage=1&displayMode=scroll&documentId=2454937&fullscreen=1&token=Pnz7IEX3hLYUINbKXTNr6aAsl5QBPu4g75VRvSqMq95djoUBUlyaYD2vq%2fAGge%2b6uh%2bov763eqM5mEIZxta1gQ%3d%3d )), wäre Leclere nicht zur Spitzenkandidatin erhoben worden, hätten ihre Aussprüche auch nicht derartige öffentliche Aufmerksamkeit erzielt. FN-Vizepräsident Florian Philippot tobte deswegen, es handele sich um „wahrhafte Moskauer Prozesse“, denen seine Partei da zum Opfer falle, und versuchte die extreme Rechte einmal mehr als vom System unterdrückt darzustellen. Dies ist natürlich Quatsch. Ansonsten stimmt es, dass die Haftung der Partei – die nicht direkt für die Aussprüche ihres einzelnen Mitglieds bei Facebook verantwortlich zeichnet – auf juristisch fragwürdigen Grundlagen steht. Zumindest das Urteil gegen die Partei dürfte aller Wahrscheinlichkeit nach in der Berufungsinstanz keinen Bestand haben. Anders jenes gegen Leclere selbst, auch wenn nicht unplausibel ist, dass das Strafmaß im Laufe des Rechtsweges doch erheblich reduziert werden könnte.

In jedem Falle aber haben die Richter in Cayenne es geschafft, eine erhebliche Aufmerksamkeit in der öffentlichen Meinung zu erwecken. Sie setzten einen spektakulären Gegenpunkt gegen die jüngst sich abzeichnende Tendenz, dass in Rassismus- und „Verhetzungs“prozessen selbst Geldstrafen durch die bürgerliche Justiz immer öfter zur Bewährung ausgesetzt wurden. (Jüngstes eindrucksvolles Beispiel: Der rechtskonservative Bürgermeister des westfranzösischen Cholet hatte im Juli 2013 vor einem Lokaljournalisten einen Spruch über Sinti abgelassen, demzufolge „Hitler vielleicht nicht genug von denen getötet“ hat. Dafür erhielt er in erster Instanz am 23. Januar d.J. 3.000 Geldstrafe… auf Bewährung! Ein skandalöses Urteil, die Entscheidung des Berufungsgerichts dazu fällt nun am 12. August.)

Ferner unterstrichen die Richter in Cayenne in ihrem Urteil, besonders in einer Region wie Französisch-Guyana, die historisch stark vom Sklavenhandel und von Sklavenarbeit geprägt seien, sei eine Äußerung wie die von Leclere „besonders schmerzhaft und verletzend“ für die örtliche Bevölkerung. – Lecleres Ausspruch im öffentlich-rechtlichen Fernsehen hatte im Übrigen eine ganze Serie von Vorfällen, wenn nicht ausgelöst, dann zumindest eingeläutet. Am 25. Oktober 13, eine gute Woche später, wurden Taubira bei einem Abstecher in die westfranzösische Stadt Angers Bananen gezeigt. Am 31. Oktober 13 war in der rechtsextremen Wochenzeitung Minute in einer Karikatur zu lesen, der Vergleich Taubiras mit einem Affen sei eine Beleidigung… – für den Affen. Und am 13. November 13 machte dieselbe Zeitung mit einem Titel auf, welcher wiederum Wortspiele mit dem Namen Christiane Taubiras und den Begriffen „Affe“ sowie „Banane“ enthielt. Auch dazu sind Strafanzeigen, u.a. von Antirassismusorganisationen, anhängig.

Hintergründe

Das französische Recht sieht zwar normalerweise vor, dass jenes Gericht für eine Straftrat zuständig ist, in dessen Einzugsbereich sie begangen wurde. Aber bei Straftaten im Internet kann jedes Gericht auf französischem Territorium angerufen werden, da die Äußerung überall empfangen werden kann – wer zuerst klagt, könnte zuerst Recht bekommen. Zwar kann der oder die Beklagte verlangen, dass die Strafsache näher am eigenen Wohnort verhandelt wird. Doch dafür muss ein Antrag gestellt werden. Leclere unterließ dies sträflich, wohl, weil sie das Gericht in Cayenne missachtete. Dieses war durch eine guyanische Regionalpartei (Walwari, welche dereinst durch Christiane Taubira gegründet wurde) angerufen worden. Die Abwesenheit der Angeklagten „rächte“ sich dadurch, dass diese folgerichtig ohne Anhörung ihrer Position verurteilt wurde.

Rassistensolidarität

Die geschasste Kandidatin will nun in Berufung gehen. Wäre sie rechtlich gut beraten, dann würde sie allerdings „Opposition“ gegen das Urteil einlegen – ein Verfahren, das darauf hinausläuft, das Gericht für unzuständig zu erklären, das die Entscheidung (in Abwesenheit der Beklagten) fällte, und einen neuen Prozess im Beisein der Beklagten einzuleiten – statt in Berufung zu gehen. Denn im letzteren Falle wird vor dem räumlich zuständigen Berufungsgericht verhandelt werden. Und dieses liegt wiederum in Cayenne…

Eine aus den Reihen der faschistischen „identitären Bewegung“ lancierte Internetpetition wollte unterdessen ihrerseits Geld für die Bezahlung ihrer Strafe sammeln – dies aber ist ebenfalls vom Strafgesetz ausdrücklich verboten, das kollektive Geldsammlungen für das Begleichen einer gerichtlich verhängten Strafe untersagt, und könnte erneut bis zu 45.000 Euro kosten.

Am Donnerstag, den 17. Juli 14 wurde bekannt, dass das den „Identitären“ nahe stehende Netzwerk Entraide solidarité („Gegenseitige Hilfe und Solidarität“) eine solche Petition gegen die Verurteilung Lecleres durch eine „Bananenrepublik-Justiz“ lanciert hatte. Und entsprechend dazu aufrief, zu ihren Gunst Geld zu sammeln. Die Lokalpresse in den Ardennen, wo Leclere wohnt, unterstrich am 18. Juli den illegalen Charakter solcher Appelle.