Neue Provokation von Jean-Marie Le Pen

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Mit einer neuen antijüdischen Drohgebärde versucht der Gründer des französischen „Front national“ die Normalisierungsstrategie seiner Tochter und jetzigen Parteichefin, Marine Le Pen, zu torpedieren. Die Tochter verspricht den Juden Schutz vor Dschihadisten, der Vater paktiert mit dem antisemitischen Hetzerkreis um den Pseudo-Komiker Dieudonné, der bei einem Teil der muslimischen Jugendlichen punktet…

Aus Paris Danny Leder

Es ist eine in Frankreich schon wohl bekannte Tradition: jedes Mal wenn Marine Le Pen einen Erfolg verbucht und den Eindruck zu erwecken versucht, sie habe ihren „Front National“ (FN) aus dem rechtsrechten Schmuddel-Eck geführt, funkt ihr Vater, der Parteigründer, Jean-Marie Le Pen, mit einem buchstäblich mörderischen Wortspiel dazwischen. Der jüngste Ausfall des 85 jährigen „Ehrenpräsidenten“ des FN dürfte allerdings direkte Auswirkungen auf die künftige Fraktionsbildung im EU-Parlament haben: Marine Le Pen ist gerade verzweifelt bemüht, die von ihr geführte Allianz auf Anti-EU-Parteien in Nordeuropa auszudehnen, denen der FN bisher zu weit rechts und namentlich antijüdisch erschien.

In einem Video-Interview, das auf dem FN-Webportal einen Tag lang sichtbar war, hatte Le Pen Vater gegen Promis gewettert, die es gewagt hatten, sich seiner Bewegung öffentlich zu widersetzen, darunter Madonna und der französische Tennischampion Yannick Noah. Als er auf den Schlagerstar Patrick Bruel, der aus einer jüdischen Familie stammt, zu sprechen kam, lachte Jean-Marie Le Pen höhnisch und sagte: „Das nächste Mal machen wir (aus ihm) eine Ofenladung“. Dabei benützte Le Pen das französischen Wort „Fournée“, das auch „Ladung“ (ohne Ofen) oder „Schub“ bedeuten kann. Deswegen, so Le Pen nachträglich, wäre „jeder Zusammenhang mit dem zweiten Weltkrieg eine verrückte Interpretation von Schwachköpfen.“

Die Bezeichnung „Schwachkopf“ zielte auf den FN-Vizepräsidenten Louis Alliot. Der Lebensgefährte von Marine Le Pen hatte so wie mehrere andere FN-Politiker gleich nach Erscheinen des Interviews erstmals Le Pen-Vater öffentlich desavouiert. Der Streifen wurde auch aus dem Partei-Portal entfernt. Marine Le Pen rang sich allerdings erst zwei Tage später zu einer – spitzfindigen – Stellungnahme durch: darin übernahm sie die Rechtfertigung ihres Vaters, indem sie von einer „böswilligen Interpretation“ seiner Äußerung sprach. Fügte aber hinzu, dass Jean-Marie Le Pen durch eine derartig interpretierbare Formulierung einen „politischen Fehler“ begangen habe. Auch nehme sie diese „Polemik“ zum Anlass, um „daran zu erinnern, dass der Front National jede Form von Antisemitismus verurteilt“.

Im Mai hatte sie eine Provokation ihres Vaters kommentarlos durchgehen lassen. Damals hatte er erklärt: „Seine Durchlaucht Ebola“ (ein Viruserkrankung die tödliche Blutungen auslöst) könne die Migration aus Afrika „innerhalb von drei Monaten regeln“.

Marine Le Pen kann und will sich nicht von ihrem Vater trennen. Sie hat zwar bezüglich des Holocausts dem Anstand genüge getan (Sie bezeichnete den millionenfachen Mord an den Juden als „Gipfel der Barbarei“) und lehnt wohl auch deswegen eine Fraktionsbildung in der EU mit Parteien wie der ungarischen „Jobbik“ oder der griechischen „Morgenröte“ ab – im Gegensatz zu ihrem Vater. Dieser verkörpert aber das ideologische Urgestein der FN, das die Tochter bloß in Zaum halten aber nicht verurteilen möchte.

Juden und FN

Die Zähmung der rechtsrechten, antijüdischen Parteikader rund um ihren Vater ist für sie umso wichtiger, als sie sich in Frankreich in den allerletzten Jahren als Verteidigerin der säkularen Republik gegen islamische Fundamentalisten zu positionieren versucht hat. Dabei sprach sie immer wieder von der Bedrohung, denen Juden, Frauen und Homosexuelle in Vierteln ausgesetzt sind, wo radikale muslimische Migranten Einfluss ausüben. Zuletzt lieferte der Anschlag eines französischen Dschihadisten auf das jüdische Museum in Brüssel, bei dem vier Personen erschossen wurden, Anlass für diese Argumentation.

Alltagsmobbing, Drohungen und Gewaltakte gegen Juden durch Jugendliche aus muslimischen Familien haben tatsächlich einen Nährboden dafür geschaffen, dass jüdische Wähler für den „Front National“ stimmten. Außerdem ist Judenfeindschaft bei den öffentlichen Kampagnen der französischen Nationalpopulisten kein Thema, ihre Agitation richtet sich fast ausschließlich gegen die jüngsten Einwanderergruppen wie Muslime aus Nord- und Schwarzafrika oder Roma aus Osteuropa.

Beim historischen Gründerkern der FN rund um Jean-Marie Le Pen spielt Judenhass zweifellos eine Rolle. Als Le Pen aber in den 1980er Jahren mit ersten Wahlerfolgen aus seiner politischen Randexistenz hervortauchte, versuchte er mehrfach an jüdischen Gemeinden anzudocken und mit pro-israelischen Stellungnahmen zu punkten. Er blitzte aber dabei jedes Mal ab. Bis heute haben sich die repräsentativen jüdischen Gemeindevertreter den Vereinnahmungsversuchen auch von Marine Le Pen widersetzt.

Muslime und FN

So wie es eine Minderheit jüdischer Wähler der FN gibt, existiert auch eine Minderheit muslimischer Wähler, die für Marine Le Pen stimmen. Frankreich beherbergt die zahlenmäßig bedeutendste jüdische Bevölkerung Europas (rund eine halbe Million Personen) und auch die meisten Muslime (rund 5 Millionen Personen). In beiden Fällen liegen wegen der französischen Gesetzgebung, die eine Einwohnererhebung nach religiösen Kriterien verbietet, nur Schätzungen vor. Aber die Zahl der Muslime wächst, während die der Juden abnimmt.

Wenn Juden und Muslime für die FN stimmen, sind vielfach die selben Gründe wie für die restliche Bevölkerung ausschlaggebend, also etwa die aktuelle Jobkrise oder die Angst vor Kriminalität. Aber ein Teil der jüdischen Wähler sehen in der FN auch eine Antwort auf die oben beschriebene Bedrohung durch radikalisierte junge Muslime. Während auf Seiten der muslimischen Wähler ein Teil, nicht zuletzt aus Aversion gegen Israel, die Judenfeindschaft von Jean-Marie Le Pen attraktiv finden.

Le Pen-Vater unterhält auch Beziehungen zu einem, außerhalb seiner Partei stehenden Kreis von Holocaust-Leugnern und NS-Apologeten, die ihrerseits gezielt unter Jugendlichen aus muslimischen Migrantenfamilien werben. Zu diesem Kreis gehört auch Dieudonné Mbala Mbala, ein prominenter Komiker, Sohn einer Bretonin und eines Kameruner, der ursprünglich mit witzigen, antirassistischen One-Man-Shows reüssierte, sich aber anschließend anti-jüdischer Hetze verschrieb. Dieudonné Mbala Mbala, der bei seinen Auftritten mit tausenden zahlenden Zuschauern rechnen kann, steht Jean-Marie Le Pen, trotz dessen Ausfällen gegen Afrikaner, erklärtermaßen nahe. Der FN-Gründer war auch mehrfach bei den Premieren der Darbietungen des Pseudokomikers Ehrengast. Für den FN ist dieses Milieu ein zusätzliches Wählerpotential.