Die Rechte im EU-Parlament formiert sich

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Mit dem Ausspielen der nationalen Karte haben bei den EU-Wahlen im Mai 2014 verschiedene rechte bis extrem rechte Parteien für sich punkten können. Je nach Zählung und Definition besetzen nationalistische und extrem rechte Parteien bis zu über hundert der 751Sitze im neuen EU-Parlament…

Lucius Teidelbaum

Am Abend des 25. Mai 2014 bestätigten sich die Befürchtungen: Die Europäische Union war den Wahlergebnissen zufolge stark nach rechts gerutscht. In Dänemark, Frankreich, Großbritannien und Ungarn wurden extrem rechte und ultranationalistische Parteien sogar jeweils die stärkste Kraft.

Kurzer Überblick über die Wahlergebnisse rechter Parteien bei den Wahlen zum EU-Parlament

LAND: STIMMANTEIL IN PROZENT (ANZAHL SITZE)

Belgien

„Vlaams Belang“ (VB): 4,1 (1)

Dänemark

„Dansk Folkeparti” (DF, „Dänische Volkspartei“): 26,6 (4)

Deutschland

„Alternative für Deutschland“ (AfD): 7 (7)

„Nationaldemokratische Partei Deutschlands“ (NPD): 1 (1)

Finnland

„Perussuomalaiset“ (PS, „Die Finnen“): 12,9 (2)

Frankreich

„Front National“ (FN): 24,85 (24)

Großbritannien

„United Kingdom Independence Party” (UKIP): 28 (24)

Griechenland

„Chrysi Avgi“ (CA, „Goldene Morgenröte“): 9,4 (3)

Italien

„Lega Nord per l’indipendenza della Padania“ („Lega Nord“, „Liga Nord für die Unabhängigkeit Padaniens“): 6,2 (5)

Litauen

„Tvarka ir teisingumas“ (TT, „Ordnung und Gerechtigkeit“): 14,3 (2)

Niederlande

„Partij voor de Vrijheid“ (PVV, „Partei für die Freiheit“): 13,2 (4)

Österreich

„Freiheitliche Partei Österreichs“ (FPÖ): 20,2 (4)

Polen

„Prawo i Sprawiedliwosc“ (PiS, „Recht und Gerechtigkeit“): 32,4 (19)

„Kongres Nowej Prawicy“ (KNP, „Kongress der neuen Rechten“): 7,15 (4)

Schweden

„Sverigedemokraterna“ (SD, „Die Schwedendemokraten“): 9,8 (2)

Tschechien

„Strana svobodných občanů“ (SSO, „Partei der freien Bürger“): 5,24 (1)

Ungarn

FIDESZ-KDNP: 51,49 (12)

„Jobbik Magyarországért Mozgalom“ (Jobbik, „Bewegung für ein besseres Ungarn“): 14,68 (3)

Unterschiede und Gemeinsamkeiten

Die rechten Parteien im EU-Parlament sind zum Teil sehr unterschiedlich ausgerichtet. Das betrifft einzelne Themenbereiche, die bevorzugten Feindbilder, aber auch ihre Radikalität. So sind etwa die Unterschiede zwischen der nationalistisch-chauvinistischen „Alternative für Deutschland“ (AfD) und der neofaschistischen Jobbik-Partei in Ungarn enorm. Gemeinsam ist allerdings allen rechten Parteien im EU-Parlament, dass sie sich für den Nationalstaat stark machen und der EU kritisch bis feindlich gegenüberstehen.

Unterschiede gibt es aber beispielsweise im Bereich Wirtschaft. Einige rechte Parteien vertreten extrem wirtschaftsliberale Konzepte, andere wiederum sind eher an einem Sozialstaats-Modell orientiert. Allerdings ist dieses zumeist autoritär geprägt (u.a. durch die Forderung nach Arbeitszwang) und mit Ausschlüssen verbunden, d.h. Transferleistungen gibt es zuerst einmal nur für die ‚eigene‘ Gruppe.

Auch an anderer Stelle unterscheiden sich die Vorstellungen der rechten Parteien stark voneinander. So sind einige der rechten Parteien regionalistisch ausgerichtet und machen sich für autonomistische oder gar separatistische Konzepte stark (z.B. „Vlaams Belang“ in Belgien oder „Lega Nord“ in Italien). Andere sind stark zentralstaatlich orientiert (z.B. „Front National“ in Frankreich) und haben zum Teil irredentistische Forderungen an ihre Nachbarstaaten (z.B. die ungarischen Parteien Jobbik und FIDESZ).

Allein in der Frage der Haltung zum Konflikt in der Ukraine gibt es starke Unterschiede. Während einige Parteien mit der neuen ukrainischen Regierung (z.B. PiS) oder den ultranationalistischen und neofaschistischen Kräften wie „Swoboda“ oder „Rechter Sektor“ (z.B. Teile der NPD) sympathisieren, unterstützen andere eher Putins groß-russische Ambitionen (z.B. FPÖ, Front National, Jobbik, AfD), zumindest mit Blick auf die Annexion der Krim.

Von der inhaltlichen Ausrichtung lassen sich ganz grob vier Blöcke von rechten Parteien im neuen EU-Parlament unterscheiden. Wobei teilweise in den jeweiligen Parteien noch Minderheiten-Flügel existieren, die sich vom Partei-Mainstream unterscheiden. So gibt es beispielsweise im französischen „Front National“ einen Traditions-Flügel, der weiterhin stark antisemitisch ausgerichtet ist und sich an faschistischen Traditionen orientiert. Es dominiert derzeit aber der modernisierte, rechtspopulistische Flügel unter der Parteivorsitzenden Marine Le Pen.

Der erste Block besteht aus Parteien, die offen in einer faschistischen Tradition stehen. In diesen Parteien existiert auch ein kaum verhohlener Antisemitismus. Zu diesem neofaschistischen Block sind die Parteien NPD, „Chrysi Avgi“ und Jobbik zu zählen.

Der zweite Block besteht aus radikalen-rechtspopulistischen Parteien. Dazu sind zählen u.a. der „Front National“, die PVV, die FPÖ, „Lega Nord“ und „Vlaams Belang“.

Dieser Block besteht zum Teil aus modernisierten rechtspopulistischen Parteien, die sich aus Parteien mit einer starken faschistischen Traditionslinie entwickelt haben („Front National“, FPÖ, „Vlaams Belang“). So bezogen sich Teile des „Front National“ positiv auf die Vichy-Kollaborationsregierung und die faschistische „Action Francaise“. Auch waren die FPÖ als „Drittes Lager“ das traditionelle Sammelbecken der alten und ehemaligen Nationalsozialisten in Österreich nach 1945 und der „Vlaams Belang“ das vieler flämischer NS-Kollaborateure. Besonders in diesen Parteien existiert unter den Mitgliedern traditionsbedingt weiter ein starker Antisemitismus, der aber nicht offizieller Bestandteil der politischen Agenda ist.

Ein dritter Block besteht aus rechtspopulistischen Parteien, die sich von bestimmten Erscheinungen der radikal-rechtspopulistischen Parteien abzugrenzen versuchen. Ihnen sind Wilders Tiraden gegen Muslime oder die rassistischen Sprüche des früheren FPÖ-Europaabgeordneten Andreas Mölzer zu vulgär-rassistisch und sie haben gewisse Vorbehalte wegen anti­semitischer Tendenzen, z.B. beim „Front National“ oder der FPÖ.

Diese Block beinhaltet u.a. die Schwedendemokraten, die Partei „Die Finnen“, die britische UKIP und die „Dansk Folkeparti“ (DF). Wobei viele der Abgrenzungen eher dem Image, als tatsächlichen inhaltlichen Differenzen geschuldet sind. Die DF hat jahrelang mit antimuslimischen Rassismus Stimmen für sich eingesammelt. Plakate der Partei zeigten Riesen-Moscheen und vollverschleierte Frauen und schürten damit eine antimuslimische Angst-Paranoia. Die DF hatte in Dänemark bis 2009 die bürgerliche Minderheitsregierung für den Preis einer nachhaltigen Verschärfung des Ausländerrechts geduldet. Die 1988 gegründete Partei „Die Schwedendemokraten“ hat ihre Wurzeln in der rassistischen Bewegung „Bevara Sverige Svenskt“ („Schweden soll schwedisch bleiben“).

Die UKIP unter ihrem Vorsitzenden Nigel Farage strebt einen Austritt Großbritanniens aus der EU an und fordert eine harte Linie gegen Immigration. Eine Zeit lang hatte Farage offenbar mit dem Querfront-Aktivisten Jürgen Elsässer als Partner in Deutschland geliebäugelt. Damals gab es tatsächlich auch Parteigründungs-Pläne aus dem Umfeld Elsässers. So trat Farage auch 2010 und 2012 auf Veranstaltungen von Elsässers „Volksinitiative gegen das internationale Finanzkapital“ auf. Inzwischen wirbt Elsässers für die AfD, bei der er auch schon selber als Referent auftreten durfte. Am liebsten würde auch Farage offenbar die AfD in sein Boot holen. Dem verwehrte sich aber der AfD-Chef Bernd Lucke, obwohl sich hochrangige AfD-Landesfunktionäre zweimal mit Farage trafen und der Brite am 27. März 2014 in Köln für den Landesverband Nordrhein-Westfalen der „Jungen Alternative für Deutschland“ auftrat.

Das verbesserte Image soll offenbar auch dazu dienen sich den etablierten Konservativen als Bündnispartner schmackhaft zu machen.

Ein vierter Block wiederum besteht aus rechtskonservativen und gemäßigte Rechtspopulisten. Zu ihnen ist auch die AfD zu zählen, wenn auch Teile der Partei eher in Richtung UKIP neigen, einem Kurs, dem sich aber die Partei-Führung unter Bernd Lucke widersetzte. Weiter gehört zu diesem Block die nationalliberale „Strana svobodných občanů“ (SSO) aus Tschechien und die nationalkonservative „Prawo i Sprawiedliwosc“ (PiS) aus Polen, die Partei der Kaczynski-Zwillinge, die immer wieder durch rabiate Töne auf sich aufmerksam machten.

Rechte Fraktions-Bildungen

Interessant war, dass in vielen Artikel über den Rechtsruck in Europa die ungarische Regierungspartei FIDESZ-KDNP nicht zu den rechten Parteien gerechnet wurde, obwohl sie unzweifelhaft einer völkisch-nationalistischen Leitideologie folgt. Inzwischen scheint es hier sehr bedenkliche Gewöhnungseffekte zu geben. Viele scheinen sich an die fast schon täglichen Meldungen über antidemokratische und autokratische Maßnahmen in Ungarn gewöhnt zu haben. Doch Ungarn positioniert sich, wie Samuel Salzborn unlängst treffend auf dem Blog „Publikative“ schrieb, „antidemokratisch und nimmt Kurs auf totalitäre Kontrollmechanismen, die längst alle Formen von bürgerlicher Freiheit und demokratische Mitbestimmung erfasst haben“.

Daran kann auch die Mitgliedschaft in der Fraktion der Europäischen Konservativen, der „Europäischen Volkspartei“ (EVP), zusammen mit den Parteien CDU und CSU, nichts ändern. Die Mitgliedschaft in dieser Fraktion scheint die FIDESZ-KDNP jedoch effektiv vor Kritik zu schützen. Von ihren Bündnispartnern gibt es kaum Kritik an dem Umbau Ungarns hin zu einer Ethnokratie. So funktionieren Fraktionen im EU-Parlament offenbar auch als Kritikabwehr- und Schutz-Bündnisse. Kein Wunder, dass sich auch mehrere rechte Parteien um Bündnisse mit etablierten Konservativen bemühen. Wird dieser Anbiederungsversuch nicht angenommen, so versucht man eine eigene Fraktionen mit Gleichgesinnten zu bilden. Für die Bildung einer Fraktion im EU-Parlament sind dabei mindestens 25 Abgeordnete aus sieben EU-Ländern nötig.

Die Mitglieder des Blocks der radikal-rechtspopulistischen Parteien stellten in Vergangenheit die Fraktion der „European Alliance for Freedom“ (EAF), die sich in einer neueren Presseaussendung auch als „Bündnis der Souveränisten“ bezeichnet.

Bis vor kurzem hatten die EAF-Mitglieder zwar 38 EU-Parlamentsabgeordnete, es fehlten zur Fraktionsbildung aber noch Mandatare aus zwei Ländern. Dieses Problem scheint sich zwischenzeitlich gelöst zu haben. Die bisher fehlenden Mandate sollen laut Medien-Berichten von der litauischen „Tvarka ir teisingumas“ und dem polnischen „Kongres Nowej Prawicy“ kommen.

Laut einer Untersuchung des thinktank „Open Europe“ dürfte diese Fraktion mit ihren 43 Abgeordneten mehr als 4,5 Millionen Euro jährlich aus dem Haushalt des EU-Parlaments erhalten.

Der dritter Block aus rechtspopulistischen Parteien sammelte sich bislang in der 2009 gegründeten Fraktion „Europe of Freedom and Democracy“ (EFD) mit der britischen UKIP als dominierender Kraft. Allerdings verließen inzwischen die dänische DF und die finnische „Perussuomalaiset“ (PS) die EFD und wechselten zur Fraktion „European Conservatives and Reformists“ (ECR) unter Führung der polnischen PiS und britischen Konservativen („Tories“). Die Tories sind, auch durch den Druck des UKIP-Wahlerfolges, deutlich nach rechts gerutscht, was ihre Haltung zur EU und zur Einwanderung angeht. Auch die sieben Abgeordneten AfD werden dieser Fraktion zukünftig angehören. Sie folgen damit der vorgegebenen Linie von Partei-Chef Bernd Lucke, der sich von Anfang an für ein Zusammengehen mit den Tories aussprach. Damit würde die AfD aber neben den Tories und der PiS mit mindestens zwei klassisch rechtspopulistischen Parteien in einer Fraktion sitzen, der DF und der PS. Der ECR werden insgesamt vermutlich 63 Abgeordnete angehören und sie wird damit die drittstärkste Fraktion im EU-Parlament sein.

Der Abgang mehrerer Mitglieder gefährdet nun den Fraktionsstatus der EFD. Während die DF und die PS zu den euroskeptischen Konservativen abwanderten, verabschiedeten sich die früheren Fraktionsmitglieder „Lega Nord“ und „Tvarka ir teisingumas“ in Richtung EAF.

Bisher wurden die gelichteten Reihen der EFD durch die Abgeordneten der euroskeptischen Partei SSO aus Tschechien und der „MoVimento 5 Stelle“ (M5S, „Fünf-Sterne-Bewegung“) aus Italien, die 21,1% der Stimmen und damit 17 Sitze errang, aufgefüllt. Die SSO ist in etwa mit der AfD vergleichbar. Ob sich der heterogenen Fraktion der EFD noch weitere Parteien anschließen, damit es für einen Fraktionsstatus reichen wird, bleibt aber bisher ungewiss. Vielleicht wirken die Futtertöpfe der Macht noch auf andere ausreichend anziehend, so dass auch Unterschiede überbrückt werden können.

Übrig bleiben nach dem Motto „Mit braunen Schmuddelkindern spielt man nicht!“ die offen antisemitischen und neofaschistischen Parteien NPD, Jobbik und „Chrysi Avgi“. Denen reicht es zwar nicht zu einer Fraktion, aber sie werden sich wohl trotzdem zu einem formellen Bündnis zusammenschließen. Für symbolische Aktionen mit dem EU-Parlament als Bühne wird es auf jeden Fall reichen. So traten Jobbik-Europaabgeordnete bereits in der Uniform der eigentlich in Ungarn verboten „Ungarischen Garde“ im EU-Parlament auf. Die 2007 gegründete und 2009 offiziell verbotene „Ungarische Garde“ war eine Art paramilitärischer SA-Verschnitt mit starkem Bezug auf die „Pfeilkreuzler“, eine genuin faschistische Bewegung in Ungarn von 1945, die 1944/45 direkt für den zehntausendfachen Mord an Juden vor allem in Budapest verantwortlich war.

Wie lange sich die neue Fraktionen halten werden, bleibt ungewiss. Häufig handelt es sich eher um Zweckgemeinschaften, mit dem Ziel der Erlangung von Privilegien. Sprich: Es geht um Geld und Ämter. Auch die Feinde der EU lassen sich von dieser gerne finanzieren. Mit diesem Ziel entstehen im EU-Parlament sehr heterogene und damit auch brüchige Fraktionen. Extrem rechte Fraktionen scheiterten in Vergangenheit erfahrungsgemäß häufig an ihrer eigenen rassistischen und nationalistischen Kleingeisterei. Da ging es um beispielsweise um das Schicksal der italienischen Provinz „Bozen-Südtirol / Bolzano-Alto Aldige”, die mehrheitlich deutschsprachig ist. Der Streit über die so genannte „Südtirol-Frage“ sorgte für ein Zerwürfnis zwischen italienischen und deutschen extremen Rechten und verhinderte 1989 effektiv das Entstehen einer starken Fraktion, der sowohl die Abgeordneten der deutschen Republikanerpartei als auch der italienischen Neofaschisten angehören. Derlei Beispiele gibt es noch mehr, was illustriert, dass häufig der bornierte Nationalismus letztendlich Vorrang genießt in der extremen Rechten, trotz aller Appelle zur Rettung des „christlichen Abendlandes“ oder dergleichen.