Angezettelt – Antisemitismus im Kleinformat

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Das Museum für Kommunikation Frankfurt zeigt eine Ausstellung über antisemitische Aufkleber und gesellschaftlichen Widerstand…

Sie klebten fast überall: Klebemarken, Aufkleber oder „Spuckis“. Seit dem späten 19. Jahrhundert gab es die kostengünstigen Sticker und sie wurden von Beginn an gesammelt, getauscht und im öffentlichen Raum verbreitet. Als Möglichkeit der politischen Agitation erfreute sich das neue Medium bei Antisemiten bald großer Beliebtheit. Auf Briefkästen, Schaufenstern und Liebesbriefen, in Telefonzellen und  S-Bahnhöfen begegneten die Menschen den judenfeindlichen Bildern und Parolen. Doch jüdische Organisationen und Vereine wehrten sich bald gegen diese Hetze und bekämpften öffentlich die antisemitische Propaganda. „War je ein großer Geist Antisemit?“, ließ der Centralverein deutscher Staatsbürger jüdischen Glaubens auf einen Klebezettel drucken.

Das Museum für Kommunikation zeigt vom 6. Juni – 21. September 2014 in Zusammenarbeit mit dem Zentrum für Antisemitismusforschung erstmals mehrere Hundert solcher Marken aus der Sammlung Wolfgang Haney. Die Ausstellung erzählt mit bisher weitgehend unbekannten Exponaten eine Alltagsgeschichte der Judenfeindschaft und der Gegenwehr vom Ende des 19. Jahrhunderts bis heute.

Früher Antisemitismus und Gegenreaktionen

Die Zeit nach der Gründung des Deutschen Reiches 1871 war von gesellschaftlichen Veränderungen in allen Lebensbereichen gekennzeichnet. Die Weltanschauung der Antisemiten machte Juden für die sozialen Erschütterungen verantwortlich. Ziel der Bewegung war es, die im Laufe des 19. Jahrhunderts errungene Gleichberechtigung, die allen Staatsbürgern gleiche Rechte unabhängig von Religion und Herkunft versprach, rückgängig zu machen.

Gegen das Erstarken der Judenfeindschaft regte sich aber Widerstand. Der 1893 gegründete Central-Verein deutscher Staatsbürger jüdischen Glaubens verpflichtete sich, die staatsbürgerlichen Rechte zu verteidigen und Angriffe auf die gesellschaftliche Gleichberechtigung abzuwehren. Schnell wuchs die Vereinigung zur wichtigsten politischen Vertretung der deutschen Juden heran.

Siegelmarke zum Boykott jüdischer Geschäfte, vermutlich Deutsche Arbeitsfront (DAF), nach 1933 © Sammlung Wolfgang Haney
Siegelmarke zum Boykott jüdischer Geschäfte, vermutlich Deutsche Arbeitsfront (DAF), nach 1933 © Sammlung Wolfgang Haney

Klebezettel im öffentlichen Raum

Massenhaft verbreitet wurden antisemitische Parolen auf den Klebezetteln vor allem während politischer Mobilisierungsphasen, im Wahlkampf oder in Krisenzeiten wie nach dem ersten Weltkrieg: Die Judenfeindschaft bot für komplizierte Dinge einfache Erklärungen: „Unser Elend – Schuld der Juden.“ Aufkleber waren dafür ein geeignetes Mittel, denn die Zettel waren billig sowie schnell in hoher Auflage produziert und verbreitet.

Mit juristischen Mitteln, mit Artikeln, Broschüren, durch Aufklärungsveranstaltungen und schließlich auch mit Klebezetteln, trat der Centralverein der antisemitischen Agitation entgegen. Er versuchte, Täter zu überführen, er informierte die Mitglieder, er forderte dazu auf, Klebezettel in der Eisenbahn direkt dem Stationsvorsteher zu melden, er intervenierte an Schulen und bei Schulbehörden, wenn dort Aufkleber verbreitet wurden, und er wandte sich an die Reichsbank, damit Banknoten, die Aufkleber oder Aufschriften trugen, nicht länger im Zahlungsverkehr gültig waren. Außerdem druckte der Centralverein eigene Klebezettel, die er unter den Mitgliedern bewarb und verteilte.

Ironie ist eine der Waffen der Abwehrbewegung. Klebezettel, vermutlich des Centralvereins der deutschen Staatsbürger jüdischen Glaubens, 1920er Jahre © Sammlung Wolfgang Haney
Ironie ist eine der Waffen der Abwehrbewegung. Klebezettel, vermutlich des Centralvereins der deutschen Staatsbürger jüdischen Glaubens, 1920er Jahre © Sammlung Wolfgang Haney

Altes Medium – neue Feindbilder

„Schöner Leben ohne Schuldkult“ heißt es auf einem antisemitischen Aufkleber der Gegenwart. Die Leugnung des Holocaust, die Abwehr von Schuldanerkennung und Erinnerung sowie eine Täter-Opfer-Umkehr sind typische Formen des Antisemitismus nach Auschwitz.

Der Aufkleber als kleinformatiges Medium erfüllt auch in der Gegenwart wichtige Funktionen innerhalb der sozialen Kommunikation in rechtsradikalen Milieus. Heute wie damals wird die Zugehörigkeit bestimmter Gruppen zur deutschen Gesellschaft abgestritten und mit rassistischen Parolen werden Machtpositionen verteidigt. Das Spektrum der attackierten Gruppen hat sich infolge der Migrationsgeschichte nach 1945 allerdings erweitert und verlagert. Die ethnische, religiöse und kulturelle Vielfalt sowie die Vielfalt der Lebensformen in Deutschland werden infrage gestellt.

Solche Angriffe bleiben nicht unwidersprochen. In manchen Gegenden und Stadtvierteln tobt geradezu ein Zettelkrieg. Teil der Abwehrstrategie ist die unmittelbare, nicht selten auch die Dumpfheit rechtsradikaler Ideologie ironisierende Antwort. Berühmt wurde der mit „Hallo Idiot!“ überschriebene Brief eines türkischstämmigen Studenten, der ein diskriminierendes Anschreiben der NPD persifliert und inhaltlich in sein Gegenteil verkehrt.

Über die Ausstellung

Über 100 Originalobjekte wie Klebezettel, Sammelalben, Beschwerdebriefe und historische Foto bezeugen die antisemitische Propaganda und ihre Gegenwehr. Sie sind in sieben Themenräumen – von „Judenfeindliche Aufkleber“ über „Bilder und Botschaften“ bis zu „Sticker und Stigma heute“ – historisch eingerahmt und leiten den Besucher durch die Ausstellung. Kurzfilme und Bilderloops zeigen rechtsradikale Graffitis sowie Formen des modernen Widerstand und porträtieren den Sammler Wolfgang Haney.

Der Sammler

Wolfgang Haney wurde 1924 als Kind einer jüdischen Mutter in Berlin geboren. Bereits als Kind beschäftigte er sich mit Münzen und historischen Geldscheinen. Er war im Nationalsozialismus unterschiedlichen Repressalien ausgesetzt, seine Mutter überlebte in einem Versteck. Nach 1945 studierte Wolfgang Haney an der Staatsbauschule. Bis zu seiner Pensionierung 1991 arbeitete er als Tiefbauingenieur in verschiedenen leitenden Funktionen. In den 1990er Jahren wurde er auf judenfeindliche Postkarten aufmerksam und begann diverse Antisemitica zu sammeln. Wolfgang Haney verfügt über eine einzigartige Spezialsammlung geld- und zeitgeschichtlicher Materialien zum Antisemitismus sowie zu den Konzentrationslagern und Gettos der NS-Zeit.

Partner

Das Zentrum für Antisemitismusforschung der Technischen Universität Berlin betreibt interdisziplinäre Grundlagenforschung zum Antisemitismus in Vergangenheit und Gegenwart. Ziel dieser Ausstellung ist es, Forschungsergebnisse einer breiten Öffentlichkeit zu vermitteln. Das Museum für Kommunikation beschäftigt sich mit der Geschichte der Kommunikation in ihrer Bedeutung für die Gegenwart und die Zukunft. Unter dem Titel „Abgestempelt – Antisemitische Postkarten“ widmete sich das Haus bereits in einem früheren Projekt dem alltäglichen Antisemitismus. Die aktuelle Ausstellung über antisemitische Aufkleber knüpft hier an und präsentiert erstmals dieses kleinformatige Massenmedium.

Die Ausstellung wird gefördert von der Stadt Frankfurt – Dezernat für Kultur und Wissenschaft und unterstützt vom Jüdischen Museum Frankfurt. Die Gestaltung und das Kommunikationskonzept der Ausstellung wurden von der hauser lacour gmbh entwickelt.

Begleitprogramm

Zur Ausstellung gibt es begleitend Vorträge, Workshops und Führungen für Erwachsene und Schulklassen.

Angezettelt. Antisemitismus im Kleinformat
6. Juni – 21. September 2014

Eine gemeinsame Ausstellung des Museums für Kommunikation und dem Zentrum für Antisemitismusforschung.
Öffnungszeiten: Dienstag bis Freitag 9 – 18 Uhr Samstag, Sonn- und Feiertag 11 – 19 Uhr
Eintritt: 3 EUR, ermäßigt 1,50 EUR
www.mfk-frankfurt.de