Erste symbolträchtige Maßnahmen in rechtsextrem regierten Rathäusern

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Seit den französischen Rathauswahlen vom 23. und 30. März 2014 gibt es fünfzehn rechtsextrem regierte Städte und Gemeinden…

Von Bernard Schmid, Paris

Elf von ihnen werden nun vom Front National oder mit Unterstützung des Front National geführt: Hénin-Beaumont in Nordostfrankreich, Hayange in Lothringen, Villers-Cotterêts in der Picardie, Mantes-la-Ville (fünfzig Kilometer westlich von Paris), Béziers in Südwestfrankreich, das Bezirksrathaus im „Siebten Sektor“ von Marseille, in Le Pontet – einem Vorort von Avignon – und Beaucaire in Südfrankreich, und mehrere Städte im Südosten des Landes: Le Luc, Cogolin und Fréjus. Am stärksten besiedelt sind unter diesen Städten Béziers mit rund 71.000 und Fréjus mit gut 52.000 Einwohner/inne/n. Der „siebte Sektor“ von Marseille umfasst zwei Nordbezirke der Mittelmeerstadt mit insgesamt 150.000 Einwohner/inne/n, ein Sektorenbürgermeister hat jedoch nur relativ geringe Vollmachten.

Vier weitere regiert nun die rechtsextreme Regionalpartei Ligue du Sud (Orange mit knapp 30.000 Einwohner/inne/n, Bollène mit rund 15.000 Einw., Piolenc und Camaret-sur-Aigues mit respektive 5.000 und 4.500 Einwohner/inne/n). Daneben gibt es noch einige kleinere Kommunen, in denen formell parteilose oder –übergreifende Listen in die Rathäuser gewählt wurden, wo jedoch die extreme Rechte offenkundig einen Fuß in der Tür hat; in Besmont (in der Nähe von Hirson), im Osten der Picardie, etwa regiert der vordergründig „parteilose“ Bürgermeister Pierre-Marie Verdier. Der Rentner hat jedoch ein Parteibuch des ,Parti de la France‘ (PdF) von Carl Lang in der Tasche, einer Anfang 2009 entstandenen Abspaltung vom Front National, dessen Gründern ihre frühere Partei nicht mehr extrem genug war. Gut, es mag sein: Bermont hat nur 155 Einwohner/innen. Nicht in allen Fällen solcher kleinen und sehr kleinen Kommunen ist die extreme Ausrichtung der jeweiligen (Dorf-)Bürgermeister öffentlich bekannt.

Erste Weichenstellungen

Zu Anfang hatten die FN-geführten Kommunalregierungen versprochen, eine relativ unauffällige Amtsführung zu betreiben oder jedenfalls „ihre“ Rathäuser (nach den Worten von Parteichefin Marine Le Pen) nicht „als Laboratorium zu benutzen“, um die Wirkungen ihre Ideologie zu erproben. Anders, als dies in den ersten FN-geführten Kommunen – Orange, Marignagne und Toulon ab 1995, Vitrolles ab 1997 – erklärte Praxis war. Gleichzeitig jedoch war und ist nicht zu erwarten, dass die Rechtsextremen dort gänzlich mit ihrer Ideologie hinterm Berg halten. Denn falls sich die frisch gewählten Bürgermeister von Anfang an nur auf „pragmatische Finanzverwaltung“ verlegen sollten, drohte mindestens ein Teil der Wähler/innen enttäuscht zu sein. Ob er sich nun, wie ein Flügel der Wählerschaft des FN, dezidiert rassistische Entscheidungen erhoffte oder ab (wie ein anderer Flügel) eher „mit der Faust auf den Tisch hauen“ wollte, weil das vermeintlich einen diffusen sozialen Protest ausdrückt: In beiden Fällen droht Frustration.

Am Freitag, den 04. April 14 verkündete Marine Le Pen nun eine erste Weichenstellung mit hohem Symbolgehalt: In den Schulkantinen sollen an Tagen, an denen Schweinefleisch auf den Speisekarten steht, keine „Ersatzmahlzeiten“ (die etwa von Kindern vor allem moslemischer Eltern, aber auch jüdischer oder vegetarischer Familien in Anspruch genommen werden) mehr serviert werden. Sofern dies zum faktischen Ausschluss solcher Kinder von der Kantine führt, wäre dies mutmaßlich illegal.

Unterdessen erklärten andere Parteifunktionäre Unterschiedliches zum Thema: Partei-Vizevorsitzender Florian Philippot erklärte, es gehe nur darum, „Verbote zu verbieten“, also zum Schweinefleischessen gewillte Kinder nicht (aus Rücksicht auf religiöse Gebote Anderer) davon abzuhalten. Aber dies passiert ohnehin nicht, was auch gesetzwidrig wäre. Der neue parteilose, doch vom FN unterstützte Bürgermeister von Béziers – Robert Ménard – seinerseits erklärte ebenfalls, die Wahlfreiheit aufrecht zu erhalten. Allerdings werde er „Halal-Nahrung“ aus den Schulkantinen verbannen. „Halal“-Geboten bei Muslimen oder Kascher-Vorschriften bei Juden genügen Speisen dann, wenn ihre glaubensmäßige Zubereitung (Rinder müssen etwa ausgeblutet respektive geschächtet werden) durch einen Imam bzw. Rabbiner bestätigt worden ist. Dies wäre in Frankreich, wo Kirchen und Staat seit 1905 getrennt sind, an öffentlichen Schulen absolut illegal und findet deswegen auch nicht statt: Als „halal“ ausgewiesene Nahrung wird dort grundsätzlich nicht serviert.

Am 08. April d.J. wurde bekannt, dass die neue Kommunalregierung von Hénin-Beaumont unter Steeve Briois (FN) der Liga für Menschenrechte – LDH – ihre bislang kostenlos vom Rathaus zur Verfügung gestellten Räumlichkeiten entzogen bekommt. Die traditionsreiche Menschenrechtsvereinigung (die LDH besteht seit 1898) war bislang durch die Gemeinde in dem Raum, der 20 Quadratmeter misst; beherbergt worden. Kurz darauf beschloss die neue Rathausmehrheit mit den Stimmen des Front National, nachträglich „36.000 Euro geschuldeter Mietzahlungen“ einfordern zu wollen. Am 09. April erklärte der parteilose doch für den FN in die Nationalversammlung gewählte Abgeordnete und kamerasüchtige Anwalt Gilbert Collard, wäre er an der Stelle von Briois gewesen, hätte er „die LDH nicht hinausgeworfen“. Denn dies gebe nur „jenen Nahrung, die uns in die faschistische Ecke abdrängen wollen“. Stattdessen hätte er von der Vereinigung gefordert, „einen Mietvertrag zu unterzeichnen und (künftig) zu bezahlen“.

Mittlerweile beschwerte sich die rechtsextreme katholische Vereinigung AGRIF (Allgemeine Allianz gegen den antifranzösischen Rassismus und für die Verteidigung der Identität) unter Bernard Antony über das neue FN-geführte Bezirksrathaus im Siebten Sektor von Marseille. Seit den jüngsten Kommunalwahlen regiert dort der FN-Bürgermeister Stéphane Ravier. Dessen Beisitzerin, Evelyne Bettuzi, führte als Standesbeamtin – zum Verdruss der rechtsextremen Ultrakatholiken – einen Eheschluss zwischen zwei homosexuellen Männern durch. Aus der Sicht von Letztgenannten hätte die gesamte Rathausmannschaft „aus Gewissensgründen“ verweigern, und sich dadurch in die Illegalität stellen, müssen. Am 14. April 14 übertitelten sie eine Presseaussendung mit der Überschrift: „ Trauriges Marseille“.

In Villers-Cottêrets (rund 80 Kilometer nordöstlich von Paris, 10.000 Einwohner/inne/n) machte der dortige FN-Bürgermeister Frank Briffaut auf andere, unangenehmere Weise von sich reden. Briffaut ist ein langjähriges Parteimitglied und bereits seit 1977 beim FN aktiv, also seit Zeiten, als die Partei noch eine Splittergruppe mit zum Teil offen neonazistischen Tendenzen war. Villers-Cottêrets ist u.a. dadurch bekannt, dass dort im Jahr 1806 der General Thomas Alexandre Dumas verstarb. Der General Dumas, Vater des bekannten Schrifstellers Alexandre Dumas, war 1762 als Sklave in der damaligen französischen Besitzung Saint-Domingue – heute Haiti – geboren worden. Unter der Französischen Revolution und in den Anfangsjahren des Aufstiegs von Napoléon I. Bonaparte stieg er zum militärischen Befehlshaber auf und nahm u.a. am Ägyptenfeldzug teil, wurde jedoch im Zuge der massiven Stellenstreichungen bei der Armee Bonapartes infolge des Friedensschlusses von Amiens (1802) entlassen. Er war der erste schwarze, karibikfranzösische General in der französischen Armee.

Alljährlich wurden in Villers-Cotterêts seit 2007 Gedenkfeiern für die Abschaffung der Sklaverei am 10. Mai und am 23. Mai organisiert. Der 10.05. ist der Jahrestag der Annahme der ,Loi Taubira‘ von 2001, eines nach der damaligen Abgeordneten von Französisch-Guyana (und jetzigen Justizministerin) benannten Gesetzes, das in Frankreich erstmals die Sklaverei als „Verbrechen gegen die Menschheit“ anerkannt hat. Und am 23.05.1848 fand die zweite und definitive Abschaffung der Sklaverei in Frankreich durch Victor Schoelcher statt – nach der ersten Abschaffung durch den Revolutionären Konvent im Februar 1794, in deren Folge die legale Sklavenhaltung in der Karibik jedoch am 20. Mai 1802 unter Napoléon I. wieder eingeführt wurde. (Immerhin hatte die Revolution die Zeit gefunden, ab 1794 auf der Insel Guadeloupe die meisten Sklavenbesitzer unter die Guillotine zu legen. Allerdings nicht auch auf der Nachbarinsel La Martinique.) Seit 2006 schreibt ein Regierungsdekret vor, in der Hauptstadt Paris sowie „in allen Örtlichkeiten, mit denen ein Gedenken an die Sklaverei verbunden ist“, zumindest am 10. Mai jährlich eine Feier auszurichten.

In diesem Jahr jedoch annullierte der neue Bürgermeister vom FN die städtischen Feierlichkeiten zum Thema. Er führte dazu aus, diese verkörperten in seinen Augen „eine modische Form der“ – Anm.: nationalen – „Selbstanklage, des dauernden Weckens von Schuldgefühlen, während anderswo auf der Welt, während in Afrika die Sklaverei auch heute noch existiert.“ (Eine Anspielung vielleicht auf Mauretanien, wo tatsächlich noch sklavereiähnliche Beziehungen zwischen arabisch/berberischen Mauren und Schwarzen existieren?) Dagegen protestierten die „Vereinigung der Freunde des Generals Dumas“ und sämtliche antirassistischen Organisationen, die daran erinnerten, dass das Dekret von 2006 zudem eine obligatorische Vorschrift sei.

Ferner kündigte Bürgermeister Briffaut an, ihm zufolge „parteiischen“ Vereinigungen der Zivilgesellschaft ihre bisherigen kommunalen Subventionen, etwa in Form der Zurverfügungstellung von Räumlichkeiten, zu streichen. Zu den im Visier stehenden Verbänden zählen die CGT (der stärkste Gewerkschaftsbund in Frankreich) bzw. ihr Ortsverband sowie die FCPE, eine Elternvereinigung im öffentlichen Schulwesen.

Allgemein stellen sich die FN-geführten Rathäuser auf den Standpunkt, ihre Amtsperiode müsse durch notfalls auch harte Sparmaßnahmen (vor allem auf Kosten von Subventionen an zivilgesellschaftliche Vereine und Initiativen) einerseits, durch kommunale Steuersenkungen auf der anderen Seite geprägt werden. In Hénin-Beaumont verkündete der neue FN-Bürgermeiste Steeve Briois – er ist gleichzeitig auch Generalsekretär der Partei – eine Senkung der Wohnsteuer um 10 Prozent[i]. Gegen die Auffassung des Rechnungshofs, der davon abriet, weil die frühere Bergarbeiterstadt bereits mit über 30 Millionen Euro verschuldet ist. Briois berief sich jedoch darauf, es zähle zu den Grundsätzen der Partei, überall dort die Steuern zu senken, wo sie am Ruder sei. Gleichzeitig verkündete er, man werde „an geeigneter Stelle nach Subventionen suchen“[ii]. Örtlich sollen die Subventionen abgebaut werden, aber an anderer Stelle darf man dann die Kommune subventionieren…? Wenn er da mal nicht die Rechnung ohne die andere Wirte aufmacht?

Nicht gar so gut kommt vor diesem Hintergrund an, dass zwei frisch gewählte FN-Bürgermeister in Südostfrankreich (jene von Le Luc und Cogolin, im Hinterland der Côte d’Azur) beschlossen, ihre eigene Entlohnung je um 15 % respektive 14,72 % zu erhöhen[iii].

In Mantes-la-Ville, im erweiterten Großraum Paris, verbot der 32jährige Bürgermeister Cyril Nauth (FN) den Kommunalverordneten der Linksparteien, am 27. April – dem Nationalen Gedenktag für die Deportation, unter der Nazibesatzung in Frankreich – einen Kranz am Totendenkmal vor dem Rathaus niederzulegen. Dennoch beschlossen eine frühere sozialdemokratische Bürgermeisterin und eine frühere kommunistische Beisitzerin der Stadt, sich dem Verbot zu widersetzen. An dem selben Sonntag trugen zudem Teilnehmer/innen an der Gedenkveranstaltung demonstrativ ein rotes Dreieck an ihrer Kleidung, das Abzeichen der aus politischen Gründen Verfolgten in den NS-Konzentrationslagern. – Ferner deutet soch in Mantes-la-Ville ein Konflikt über einen muslimischen Gebetsraum an, den die alte (sozialdemokratisch geführte) Kommunalregierung im Oktober 2013 genehmigt hatte, den die neue jedoch verhindern möchte[iv].

Fortsetzung folgt garantiert…

[i]Vgl. http://www.lefigaro.fr/flash-actu/2014/04/24/97001-20140424FILWWW00333-henin-beaumont-un-vaste-plan-d-economies.php

[ii]Vgl. http://www.lefigaro.fr/politique/le-scan/decryptages/2014/04/24/25003-20140424ARTFIG00203-le-fn-baisse-la-taxe-d-habitation-a-henin-beaumont-contre-l-avis-de-la-cour-des-comptes.php

[iii]Vgl. http://www.lefigaro.fr/politique/le-scan/couacs/2014/04/24/25005-20140424ARTFIG00299-deux-maires-fn-du-var-augmentent-leurs-indemnites.php

[iv]Vgl. http://www.lemonde.fr/politique/article/2014/04/23/le-maire-fn-de-mantes-la-ville-veut-bloquer-la-construction-d-une-salle-de-priere_4405648_823448.html