Minderheit bedroht Mehrheit?

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Am 1. März 2014 demonstrierten in Stuttgart auf dem Schlossplatz erneut etwa 800 Personen unter dem Motto „Gegen die Indoktrination unserer Kinder – stoppt den Bildungsplan!“. Die Ausrichter sprachen in ihrer Pressemitteilung sogar von 1.800 Teilnehmern ihrer Demo. ((Pressemitteilung der Initiative “Schützt unsere Kinder”, http://zukunft-familie.org/pressemitteilung-zur-demo-am-01-maerz/)) Jedenfalls waren es mehr als beim letzten Mal am 1. Februar. Diesmal hatten die Gegner einer geplanten Verankerung der „Akzeptanz sexueller Vielfalt“ im zukünftigen Bildungsplan von Baden-Württemberg aber auch einen längeren Vorlauf gehabt und bundesweit mobilisiert…

Lucius Teidelbaum

Die Demonstrierenden sahen sich als die Vertreter einer bedrohten Mehrheit. Bereits in einem Aufruf zu Demonstration am 1. März hieß es: „Es geht am 1. März auch darum, die Position und das Lebensmodel der Mehrheit gegen eine Willkür der Minderheit zu verteidigen.“

Vor dem Start des Demonstrations-Zugs wurden noch zwei Grußworte verlesen und mehrere Reden gehalten. Das erste Grußwort war kurz und kam von Christa Meves aus Uelzen, die bei den kommenden Europawahl für die christlich-fundamentalistische AUF-Partei auf Platz Nr. 1 kandidiert. Darin warnte sie: „Lasst es nicht zu, dass Eure Kinder in der Schule mit Halbwahrheiten fächerübergreifend zu Unnatürlichem manipuliert werden!“

Das Grußwort der ultra-traditionalistischen Katholikin Gabriele Kuby war dagegen länger. Kuby schreibt u.a. immer wieder in der rechten Wochenzeitung „Junge Freiheit“. In ihrem Grußwort appellierte sie, dass nichts wichtiger sei Kinder vor „der Umerziehung durch Sexideologen“ zu retten. Diese würde durch die „Machteliten der Politik und Hochfinanz“ durchgesetzt, hieß es bei Kuby verschwörerisch weiter. „Radikale Minderheiten“ würden ihre Interessen gegen die Mehrheit durchsetzen, womit die Grundlage der Familie zerstört würde. Deswegen forderte sie:

„Wir sagen Nein zur Zwangssexualisierung und Umerziehung der Kinder.“

Mathias von Gersdorfff aus Bonn hatte bereits auf der Demonstration am 1. Februar gesprochen. Auch diesmal ergriff der Leiter der „Deutschen Vereinigung für eine christliche Kultur“ das Mikrofon. Er sah in der Demonstration ein „Signal von Stuttgart nach ganz Deutschland“. Man befände sich in „ganz klarer Konfrontation mit der grün-roten Landesregierung von Baden-Württemberg“.

Im Anschluss an von Gersdorff sprach die Katholikin Inge Thürkauf, die der Priesterbruderschaft Pius X. nahe steht. Sie warnte vor einer „Diktatur des Regenbogens“ und einem ominösen „Genderismus“, der die Familien zerstören würde. Es gäbe einen „strategischen Plan zur Unwandlung der Gesellschaft“. Ziel sei die „Destruktion der Familie“. Diese „Neue Weltordnung“ würde massiv von der UN vorangetrieben. Dagegen müsse man sich wehren. Es gelte die „neue Weltordnung der Sexualität“ zu verhindern.

Inge Thürkauf spricht auf der homophoben Demo
Inge Thürkauf während ihres Redebeitrags

Danach sprach Karl-Christian Hausmann, der stellvertretende Kreisvorsitzende der CDU Stuttgart, der zuerst einen Gruß vom CDU-Landtagsfraktions-Vorsitzenden Peter Hauk, den er vertrat, an die Versammelten ausrichtete. Als Vertreter der CDU forderte Hausmann eine Änderung des Bildungsplan-Papiers.

Im Anschluss an den Christdemokraten sprach ein Professor Micha Bloching als Vertreter der marktradikalen „Partei der Vernunft“. Ganz im Sinne des Publikums forderte er: „Herr Kretschmann lassen sie die Finger von unseren Kindern!“

Später sollen noch Alexej Tuchscherer von der „Aussiedler und Migranten Partei Deutschland – EINHEIT“ und  Alexander Beresowski, Europakandidat der „Alternative für Deutschland“ (AfD) gesprochen haben.

Nach dieser Reihe von Redebeiträgen setzten sich die etwa 800 Personen in Bewegung Richtung Oper. Ihnen stellten sich über 100 Menschen entgegen. Es waren vor allem jüngere Menschen, die versuchten die homophobe Demonstration zu blockieren. Immer wieder musste die Polizei, die an diesem Tag mit 400 Beamten im Einsatz war, den Weg mit Gewalt frei räumen. Zwar konnten diese Blockadeversuche den Aufmarsch nicht stoppen, sorgten aber für zeitliche Verzögerungen. Gegen 16.15 Uhr war der Aufzug vor der Oper schließlich beendet.

Applaus und Zuspruch von der extremen Rechten

Zwar stellten offenkundig christlich-konservativ motivierte Menschen, darunter auch viele Russisch-Orthodoxe, die Mehrheit der Teilnehmer, aber szenekundige Beobachter machten unter den Demonstrations-Teilnehmern mehrere Neonazis aus.

Das verwundert kaum, da extreme Rechte durch die Online-Petition (LINK) und die erste Demonstration um das Mobilisierungs-Potenzial des Themas wissen und ihre inhaltliche Übereinstimmung mit rechtskonservativen Kreisen an diesem Punkt als Chance verstehen.

So ’schmückt‘ beispielsweise die Facebook-Präsenz des Landesverbands Baden-Württemberg der extrem rechten Partei „Die Rechte“ seit einigen Tagen die Botschaft „Ja! zur echten Familie – kein Homo-Unterricht an Schulen“.

Doch gilt dieser inhaltliche Schulterschluss nicht nur online, sondern auch offline. Bereits auf einer ähnlichen Demonstration in Köln am 18. Januar 2014 „gegen Sexualkunde-Zwang an Grundschulen“ war ein Transparent der antisemitischen „Europäischen Aktion“ zu sehen, worauf ein Blogbericht hinweist. ((http://eisberg.blogsport.de/2014/02/25/holocaustleugnerinnen-gruppe-nahm-an-homophober-demo-in-koeln-teil/))

In Stuttgart waren neben einigen Neonazis auch Vertreter anderer extrem rechter Strömungen vor Ort vertreten. Zum Beispiel Karl-Michael Merkle aus Heilbronn, der unter dem Pseudonym „Michael Mannheimer“ vor allem gegen Muslime hetzt. Bei diversen rechten Gruppen trat Merkle in Vergangenheit mit seinem Vortrag zum Thema „Eurabia – Die Kapitulation Europas vor dem Islam“ auf. Thesen in der Art von Merkle vertritt auch der rassistische Blog „PI-News“, dessen lokale Ortsgruppe „PI-Stuttgart“ mit einem eigenen Transparent erschienen war.

Erneut war ebenfalls Rodolfo Panetta von der Republikaner-Partei angereist. In der neuesten Ausgabe des Partei-Blattes „Neue Republik“ vom März 2014 heißt es hoffnungsvoll: „Und in Baden-Württemberg hat sich der Protest Hunderttausender gegen den grünroten „Bildungsplan“ inzwischen aus dem Internet auf die Straße verlagert. Mitmachen ist Bürgerpflicht!“

Auf ihrer Homepage beziehen sich die Demo-Veranstalter auf die großen Demonstrationen in Frankreich gegen die Homo-Ehe: „Die „Demo für alle“ ist eine Idee aus Frankreich.“ ((Vgl.: http://zukunft-familie.org/demo-fuer-alle/))

Dass sich dabei auch Neonazis angesprochen fühlen verwundert kaum, wird doch von den Ausrichtern selbst offen die Einheitsfront propagiert: „Alle normalen Familien, alle Befürworter der Selbstverständlichkeit der traditionellen Familie, wie sie seit tausenden von Jahren selbst in den verschiedensten Kulturen gelebt wird, müssen sich hierfür zusammenschließen. Religiöse, konfessionelle und nationale Konflikte müssen hintanstehen. Deshalb sind alle willkommen, die sich den verhängnisvollen Entwicklungen der letzten Jahre entgegenstellen wollen: Anhänger aller Religionen, Konfessionen, politischen Einstellungen und Wertesysteme, soweit sie die Gender-Mainstreaming-Ideologie ablehnen und die Zerstörung der Familie aufhalten.“ ((Vgl.: http://zukunft-familie.org/demo-fuer-alle/))

Für die Zukunft haben die Demo-Ausrichter ähnliche Veranstaltungen nahe Köln, erneut in Stuttgart und in Bayern geplant.

Sticker im Umfeld der homophoben Demonstration in Stuttgart am 01.03.
Sticker aus dem Umfeld der Demo

10 Kommentare

  1. Die Kommentare hier zum Thema sind wirklich interessant …

    1) efem: Jepp!

    2) Udowasauchimmer: „Hochmut kommt vorm dem Fall und Antifaschistisches Aktions-Bündnis? Größenwahnsinnig!“ .. freut sich offensichtlich über den homophoben Schlagstockeinsatz.

    3) Hans Dieter: wie immer pseudosemitisch deutsch-national reaktionär-zurückgeblieben.

    • Thxs.

      Aber, oller Spötter, lass man den Udo. Der, schon ewig hier, ist hunderprozentig O.K., „tanzt auf vielen Hochzeiten“ – google ihn mal: zum Beispiel hat er sich, sehr sympathisch, in PI hochgradig unbeliebt gemacht, und würde, ganz ohne Ansehens der Person, auch dich vor wilden Anschuldigungen in Schutz zu nehmen versuchen, nicht wahr, Udo?

      Was er jetzt gemeint hat, erschließt sich mir allerdings auch nicht. Kryptisch. Sowas liebt er :-), will halt zum Nachdenken anregen.

      • „…O.K., “tanzt auf vielen Hochzeiten” – google ihn mal: zum Beispiel hat er sich, sehr sympathisch, in PI hochgradig unbeliebt gemacht“
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        Mein Schicksal, ich mache mich meist unbeliebt, schön aber, das
        dies auch mal bemerkt wird. Ich behalte egal wo auch immer meinen
        Nick, denn zu seinen Standpunkten sollte man auch stehen.

    • 2) Udowasauchimmer: “Hochmut kommt vorm dem Fall und Antifaschistisches Aktions-Bündnis? Größenwahnsinnig!” .. freut sich offensichtlich über den homophoben Schlagstockeinsatz.
      ______________________________________________________________

      U D O S E F I R O T H
      _____________________

      Was in aller Welt hat eine Online Petition und eine Demo
      gegen einen Bildungsplan mit Faschismus zu tun? Hier bei
      einer Gegendemo von ANTIFASCHISTISCHEN AKTIONS BÃœNDNIS zu
      reden, das ist Schwachsinn! Da hätte man lieber gegen
      Nord Korea demonstrieren sollen, da lebt er, der linke
      Faschismus.

      • Erst mal einen schönen Purim. Die Schilderung des Geschehen damals könnte als Symbol für den Sieg der Vernunft genommen werden.

        Zu Stuttgart: das antifaschistische Bündnis (abgekürzt AABS)in Stuttgart ist eines der vielen ähnlichen im Lande. Es wurde nicht wegen des Aufmarches der Ultrakonservativen zusammen mit eindeutig Rechten gegründet, sondern ist überhaupt lobenswert aktiv: http://aabs.tk/

        Für den 23.03.14 ist das nächste Spektakel der Widersacher des Bildungsplans angekündigt. Sicherlich wieder mit Auftreten der illustren Gestalten, die im Artikel genannt sind. Eine feine Gesellschaft.

  2. Es wird gesagt, dass „schwul“ ein Schimpfwort in der Schule ist. Um dies anzugehen, müssen die Schüler die freie Präferenz der sexuellen Ausrichtung lernen.
    Nun wissen wir, dass „Jude“ ein sehr viel schlimmeres Schimpfwort in der Schule ist. Um dies anzugehen, könnte man die Schüler beschneiden.
    Beides ist wirkungslos! „Schwul“ ist auch ein Schimpfwort unter Homosexuellen und die Schimpfworte, die Juden sich gegenseitig am Kopf werfen, gehören nicht einmal auf dieser Seite. Unabhängig davon, dass viele beschnittene Schüler und Erwachsene in Deutschland keine Juden sind, für die „Jude“ ein Synonym für „Affe“ und „Schwein“ ist.

  3. Ich erwarte von gläubigen Juden, dass sie ihre Meinung nach der Thora ausrichten, die Homosexualität verurteilt und ebenso keiner Verharmlosung oder Akzeptanz dieser sexuellen Verirrung zustimmen

    • Interessant.. Ich erwarte von allen Menschen, dass Sie niemandem vorschreiben, was sie zu denken und wie sie zu handeln haben. Und von Ihnen im Besonderen erwarte ich, dass Sie uns nicht vorschreiben, wie wir unserer Religion zu leben haben.
      Verbreiten Sie Ihren reaktionären Senf bitte in Zukunft woanders.

  4. Wie beim ersten Mal

    https://linksunten.indymedia.org/de/node/105147

    angekündigt, war das Antifaschistische Aktionsbündnis Stuttgart & Region wieder vor Ort:

    https://linksunten.indymedia.org/de/node/107291

    Zitat:

    „Nur durch massive Schlagstockeinsätze der Polizei konnte die Demo ihre geplante Route bis zum Staatstheater gehen.“

    Wie geht nochmal der Spruch dazu? „Deutsche Polizisten schützeb die Faschisten“, nee, sorry, muss heißen „schützen die Versammlungsfreiheit“. Allerdings nicht so sehr die von
    GegendemonstrantInnen, obwohl beim letzten Mal schon eingeschritten wurde: „Es kam zu einer kurzen handfesten Auseinandersetzung mit den wenigen Jugendlichen der rechten Demo, die mit der Festnahme eines Rechten endete.“

    Aber dies scheint nicht wahrgenommen worden zu sein (war die Staatsmacht da vielleicht gerade anderswo ´mit Schlagstockeinsatz beschäftigt?):

    „Eine eigene Sicherheitsstruktur“ (der DemoveranstalterInnen)
    „trug ihr übriges dazu bei, indem sie auf GegendemonstrantInnen einschlugen und Nazis in Schutz nahmen anstatt sie von der Demo zu verweisen. Es stellt sich offen die Frage, ob und wie weit die Vernetzung zwischen Pius Brüdern, orthodoxen Christen und Nazis besteht.“

    • „“Eine eigene Sicherheitsstruktur” (der DemoveranstalterInnen)
      “trug ihr übriges dazu bei, indem sie auf GegendemonstrantInnen einschlugen und Nazis in Schutz nahmen anstatt sie von der Demo zu verweisen. Es stellt sich offen die Frage, ob und wie weit die Vernetzung zwischen Pius Brüdern, orthodoxen Christen und Nazis besteht.”
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      Hochmut kommt vorm dem Fall und Antifaschistisches Aktions-
      Bündnis? Größenwahnsinnig!

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