Kritische Bestandsaufnahme: Die Bnei Menashe

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Ins Bewusstsein einer größeren Öffentlichkeit rückten sie erst im Verlaufe der vergangenen 35 bis 40 Jahre. Bis dahin führten sie ein Dasein, von dem außer einigen christlichen Missionaren, Angehörigen der indischen Provinzregierung und Erforschern der jüdischen Diaspora wohl niemand besondere Notiz nahm. Seit Mitte der 1990er Jahre begegneten sie dem regelmäßigen Medienkonsumenten immer häufiger…

Von Robert Schlickewitz

Es wurde über ihre Herkunft geforscht, ohne dass Wissenschaftler zu einem zweifelsfreien Resultat gelangt wären. Dennoch leben viele von ihnen inzwischen, nachdem sie Aliyah machen durften, in Israel. Auch die Zurückgebliebenen möchten möglichst bald in die Heimat ihrer vermeintlichen oder wirklichen Urväter auswandern. Jedoch hat der wohl mehr mit Emotionen denn mit Weitsicht getragene Umgang mit ihnen zu Kontroversen in Israel und in Indien, ja sogar beinahe zu Verstimmung im Verhältnis zwischen diesen beiden Nationen geführt.

Die Bnei Menashe, zu Deutsch: Söhne des Menasseh, leben in den nordostindischen Grenzstaaten Manipur und Mizoram. Während noch etwa 7200 Bnei Menashe in der alten Heimat verblieben, sind gegen 2000 von ihnen bereits ganz legal israelische Staatsbürger geworden. Ihre alten Sprachen heißen Thado bzw. Mizo, die bei den jungen Einwanderern immer häufiger dem Hebräischen weichen. Ihre Religion ist die jüdische, allerdings noch nicht sehr lange.

Man nimmt an, dass die Vorfahren der Bnei Menashe aus Burma bzw. China kamen und etwa vor 4000 Jahren in Nordostindien heimisch wurden. Bis ins 19. Jahrhundert lebten sie als Angehörige der Stämme der Mizo, Kuki und Chin (sprich: Tschin); ihre Religion war der Animismus, d. h. sie glaubten an die Beseeltheit der Natur, an Geister, und – sie pflegten das Ritual der Kopfjagd.

In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts bekamen sie Besuch von christlichen Missionaren, aber, anstatt diese wie ihre Feinde zu behandeln, einschließlich Anwendung der traditionellen Rituale, fielen sie selbst den berühmt-berüchtigten Überredungskünsten der Baptisten zum Opfer, und wurden Christen.

Ganz offensichtlich ließ der Grad ihrer Christianisierung jedoch zu wünschen übrig, denn die eifrigen Missionare sahen sich im Jahre 1906 veranlasst ‚ihren‘ Eingeborenen deren traditionelle Feste und Gesänge zu verbieten. Die nach dem Ende des Ersten Weltkrieges anbrechende, moderne Zeit und mit ihr neueste Erkenntnisse im Umgang mit indigenen Völkern bewogen allerdings die Verkünder der christlichen ‚Leitkultur‘ nur wenige Jahre später die Unterdrückung der alten Traditionen wieder zu lockern. – Erste Mizo begannen damit ihr bis dahin nur mündlich überliefertes kulturelles Erbe schriftlich aufzuzeichnen.

Das Christentum der Mizo hatte damals ein Stadium erreicht, das man als eine ganz eigene Form des Christseins bezeichnen muss. Es verband die Grundelemente des Christentums mit Ritualen und Bräuchen des Animismus sowie mit Einflüssen weiterer Religionen.

Im Jahre 1951 hatte ein Stammeshäuptling namens Tschallianthanga einen Traum, in dem er sein Volk nach Israel ‚heimkehren‘ sah. Den Traum teilte er seinem Stamm mit, was dazu führte, dass sich einige seiner Leute gewisse jüdische Traditionen zueigen machten. Diese Traditionen verknüpften sie mit ihrem alten Glauben an Jesus als den Messias.

In den 1970er Jahren wurde erstmals die Bibel in die Sprache der Stämme Manipurs übersetzt und stand damit den Lesekundigen zur Verfügung. Einige Hundert Bnei Menashe stellten bald darauf Übereinstimmungen zwischen Bibeltexten und ihren indigenen Überlieferungen fest. Mehr Stammesangehörige begannen sich nun dem Judentum zuzuwenden und erlernten aus Büchern die jüdische Religion.

Ein Jahrzehnt später reisten ein Rabbiner aus Israel und andere interessierte Juden aus Europa und den Vereinigten Staaten an, um sich näher mit jenen Menschen zu befassen, die sie für die Nachfahren eines der Verlorenen Zehn Stämme halten. Sie befragten die Bnei Menashe eingehend über deren Traditionen, Lebensgewohnheiten, Gesänge, Feste, Legenden, Mythen… Tatsächlich ergaben sich Gemeinsamkeiten, Gemeinsamkeiten, die man aber auch mit anderen Religionen hätte feststellen können, jedoch keine eindeutigen oder stichhaltigen Belege.

Während der 1980er und 1990er Jahre erwiesen sich einige Leute in Israel von der Vorstellung von der Jüdischkeit der Vorfahren der Bnei Menashe als derart überzeugt, dass sie damit begannen überaus wirksam und professionell Öffentlichkeitsarbeit für ihre Idee von der Heimführung der Ururenkel der Söhne der Verlorenen zu betreiben. Dabei kamen hohe Beträge an Spendengeldern zusammen sowie signalisierten diverse jüdische Organisationen in Israel und den USA tatkräftige Unterstützung. Interessanterweise sagten auch evangelikale Christen Hilfe zu. Zugleich erhoben sich mahnende Stimmen, die die Möglichkeit andeuteten, es könne sich bei den Bnei Menashe auch um clevere Wirtschaftsflüchtlinge handeln.

Ein Streit, womöglich um die Verwendung der Spendengelder, entzweite die beiden Protagonisten der neuen ‚Bewegung‘ dauerhaft, die nun getrennt und jeder als Chef seiner eigenen Organisation, für das gleiche Ziel weiterkämpften. Weiter östlich, in der alten Heimat der Bnei Menashe, stellte sich ein ganz ähnliches Bild ein: Die gleichfalls untereinander rivalisierenden ‚jüdischen‘ Stämme der Kuki und Mizo ergriffen jede Partei für einen anderen der beiden Chefs der ‚Bewegung‘ in Israel.

Zwischen 1994 und 2003 trafen rund 800 Bnei Menashe in Israel ein, als ordnungsgemäß zum Judentum konvertierte Neubürger. Möglicherweise weil Kosten eingespart werden sollten, oder, wie andere sagen, um der Tagespolitik in den besetzten Gebieten noch mehr Nachdruck zu verleihen, wurden sie von ihren jeweiligen Organisationen in den umstrittenen Siedlergebieten Judäa, Samaria und Gaza (Gush Katif) untergebracht und erlebten dort von Anfang an hautnah den Alltag nichtprivilegierter Israelis.

Im Juni 2003 stoppte der israelische Innenminister Avraham Poraz von der inzwischen nicht mehr existierenden Partei Shinui die Immigration der Bnei Menashe, nachdem die durch sie verursachten Kontroversen in Israel zugenommen hatten. Jedoch nicht nur dort, sondern auch in Indien begann es zu gären. Die als zu hoch empfundene Zahl von Konversionen in Mizoram, einem traditionell multikulturellen Gebiet mit Tendenzen zum Separatismus wurde nicht nur von der Provinzregierung, sondern auch von der Staatsspitze des Landes mit Besorgnis um die allgemeine Stabilität  beobachtet. Denn offensichtlich beabsichtigten einige Bnei Menashe anstatt Auswanderung die Schaffung eines eigenen, unabhängigen jüdischen Staates in der Mizo-Region.

Im Jahre 2005, als der Übertritt von 218 Bnei Menashe zum Judentum vor dem Abschluss stand, intervenierte die indische Regierung bei der israelischen und stellte fest, dass das indische Gesetz derartige Massenkonversionen verbiete. Ferner wolle man religionsbedingte Konflikte in der eigenen, durch religiöse Vielfalt gekennzeichneten, Gesellschaft möglichst vermeiden. In der Tat hatten sich sowohl Hindu- als auch christliche Organisationen, zum Teil höchst erregt, mit Protesten zu Wort gemeldet. Die 218 Konvertierten durften 2006 nach Israel ausreisen und fanden in Obernazareth bzw. in der Karmelregion eine neue Heimat. 2007 waren es 230 Konvertierte aus Indien, die im Negev bzw. in Galiläa angesiedelt wurden. Ab 2007 wurden zeitweise keine Visa mehr an Bnei Menashe ausgestellt. 2009 kamen erneut über 200 Konvertierte und im darauffolgenden Jahr verkündete die israelische Regierung, dass die verbliebenen 7200 Bnei Menashe im Verlaufe einer ein- bis zweijährigen Frist ebenfalls Aliyah machen dürften, nach der üblichen Konversion, aber nun in Nepal (und nicht mehr, wie zuvor, in ihrem angestammten nordostindischen Territorium!). Ein der Diplomatie geschuldetes Zugeständnis an die indische Regierung. 2012 wurde wieder einem kleineren Kontingent die Einreise ermöglicht und Anfang 2013 begrüßte man den 2000. Bnei Menashe auf israelischem Boden.

Internet:

http://en.wikipedia.org/wiki/Bnei_Menashe

http://ru.wikipedia.org/wiki/%D0%91%D0%BD%D0%B5%D0%B9-%D0%9C%D0%B5%D0%BD%D0%B0%D1%88%D0%B5

http://tr.wikipedia.org/wiki/Bney_Mena%C5%9Fe

http://www.bneimenashe.com/

http://www.jpost.com/Jewish-World/Jewish-News/Group-of-38-Bnei-Menashe-arrives-in-Israel-336303

http://jvmi.co.uk/media/publications/articles/bnei-menashe-northeastern-india.html

http://www.jpost.com/Jewish-World/Jewish-News/Hundreds-of-Bnei-Menashe-from-India-moving-to-Israel-329093

http://www.shavei.org/category/communities/bnei_menashe/?lang=en

http://unitedwithisrael.org/israeli-chief-rabbi-welcomes-newly-arrived-bnei-menashe/

http://www.cbn.com/cbnnews/insideisrael/2014/January/Lost-Tribes-of-Israel-Indian-Families-Make-Aliya/

http://www.ibtimes.com/bnei-menashe-lost-jews-india-976830

http://www.bbc.co.uk/news/world-middle-east-20841382

http://www.timesofisrael.com/lost-indian-jews-come-to-israel-despite-doubts/

http://www.israelreturns.org/2014/01/another-40-bnei-menashe-arrive-in-israel/

https://www.facebook.com/pages/Bnei-Menashe/201302636661410

http://www.algemeiner.com/2014/01/30/christian-zionists-sponsor-latest-immigration-wave-of-india%E2%80%99s-bnei-menashe/

http://www.tabletmag.com/jewish-news-and-politics/120195/lost-indian-jews-come-home

http://www.telegraphindia.com/1131021/jsp/northeast/story_17475454.jsp#.UvftK_s3DY8

http://www.dw.de/the-quest-of-indias-lost-jewish-tribe/g-17397854

http://jstandard.com/content/item/an_indian_jewish_identity/29727

http://www.rahelsjewishindia.com/page5/page30/page30.html

http://www.amirmizroch.com/2008/11/19/so-how-many-bnei-menashe-are-there/

http://timesofindia.indiatimes.com/india/More-Mizo-Jews-to-leave-for-Israel-in-December/articleshow/26872221.cms

http://timesofindia.indiatimes.com/india/Holy-land-beckons-Mizo-Jews-240-migrate-in-two-months/articleshow/29835371.cms

http://www.kulanu.org/india/halttoconversions.php

http://www.thehindu.com/news/national/israel-allows-899-indian-jews-to-immigrate/article5255634.ece

http://www.thehindu.com/search/simple.do;jsessionid=00134E055E074141D8CC48F944DB7B58.route01

http://asianjewishlife.org/images/issues/Issue10-Sept2012/PDFs/AJL-issue10-Shabbat-Bnei-Menashe.pdf

http://history-of-bnei-menashe.blogspot.de/

http://jewjewsjewish.blogspot.de/2008/09/historic-fraud-indian-bnei-menashe.html

http://www.americanthinker.com/2013/12/israel_integrates_ethnic_groups.html

http://jewishvaluesonline.org/blog/2012/12/new-home-for-the-new-year-bnei-menashe-and-falash-mura/

https://www.jewishvirtuallibrary.org/jsource/Judaism/bneimenashe.html

https://www.jewishvirtuallibrary.org/jsource/vjw/India.html#6

http://www.menashehayom.com/aliyah-sponsor-hon-bnei-menashe-te-kimupi/

http://bneimenashe-aliyah.blogspot.de/

http://www.theyeshivaworld.com/coffeeroom/topic/bnei-menashe-video-article

http://www.worldlikud.org.il/?p=982

http://www.angelfire.com/ok5/bmc/17_08_2003/17_08_2003.html

http://www.ldsgenesisgroup.org/indianjews.html

http://www.indiapost.com/israel-allows-899-indian-jews-to-immigrate/

http://www.thejewsofindia.com/article-bnei-menashe-find-home-over-green-line/

YOUTUBE

Bnei Menashe kids recite Shema and 10 Commandments
http://www.youtube.com/watch?v=3rk0Ym-NiOw

Bnei Menashe perform „Aliyah“ in Givat Haviva, Israel
http://www.youtube.com/watch?v=6CmwUL93oMI

Bnei Menashe of India return to Zion
http://www.youtube.com/watch?v=l1EeoXYdihs

India’s Bnei Menashe – A Lost Tribe of Israel
http://www.youtube.com/watch?v=6BluwBeM3R8

Bnei Menashe arrive in Israel in 2012
http://www.youtube.com/watch?v=G_ZHXs2nwcQ

Bnei Menashe in Acre
http://www.youtube.com/watch?v=-0ap1qX_RsE

Bnei Menashe in New Delhi preparing for aliyah
http://www.youtube.com/watch?v=ubTHgSXRINc

Bnei Menashe sing Hatikva in Israel
http://www.youtube.com/watch?v=ACG_3ZsDO0Y

Migdal HaEmek Bnei Menashe Cultural Troupe Dance in Ramle
http://www.youtube.com/watch?v=BE0Q6zPMI4Q

Bnei Menashe weddings in Givat Haviva – highlights
http://www.youtube.com/watch?v=aVEgpLgU6do

Bnei Menashe Celebrating Israel Independence Day in India!
http://www.youtube.com/watch?v=0-nz1uDOaPE

Bnei Menashe at Bet Miriam
http://www.youtube.com/watch?v=FY9_yFy3bXY

Finland TV7 about Kaifeng Jews and Bnei Menashe (English)
http://www.youtube.com/watch?v=ijxSD0Lk3Tk

En Inde, une „tribu perdue“ rêve de rentrer en Israël
http://www.youtube.com/watch?v=kiPQpVvkHzg

Le retour déterminé des juifs d’Inde – Pierre Dreyfus – ancien Président du Consistoire
http://www.youtube.com/watch?v=MDbNsAs6fVk

The music of Bnei Menashe
http://www.dailymotion.com/video/xo2pwa_the-music-of-bnei-menashe_news

The First Ordained Rabbi in Israel from the Bnei Menashe from India
http://www.israelvideonetwork.com/the-first-ordained-rabbi-in-israel-from-the-bnei-menashe-from-india