Heilung für Deutschland

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Eine Konferenz in Berlin zeigt, wie »Vergangenheitsbewältigung« als Seelenmassage für die Nation betrieben werden kann…

Von Stephan Grigat
Jungle World v. 13. Februar

Spätestens als der Faschismusforscher Eberhard Jäckel im Mai 2010 bei den Jubiläumsfeierlichkeiten für jenes Holocaust-Mahnmal in Berlin, von dem Kanzler Gerhard Schröder sich allen Ernstes gewünscht hatte, es solle ein Denkmal sein, »zu dem man gerne hingeht«, verkündete: »In anderen Ländern beneiden manche die Deutschen um dieses Denkmal«, wusste man, was Vergangenheitspolitik im modernisierten Postnazismus bedeutet. Der Tagesspiegel brachte den neuen deutschen Erinnerungsstolz exemplarisch zum Ausdruck, als er sich angesichts des »Bürgerfestes am Stelenfeld«, wie das Ereignis tatsächlich betitelt war, über die »Erfolgsgeschichte Holocaust-Mahnmal« freute. Was Autoren wie Wolfgang Pohrt und Eike Geisel in den achtziger und neunziger Jahren mit einer Polemik überziehen konnten, die sich aus der Hoffnung speiste, dass das antizipierend Kritisierte sich doch nicht gesamtgesellschaftlich durchsetzen würde, prägt heute das Selbstverständnis der ganzen Nation: Das passende Motto des seinem Selbstverständnis nach wiedergutgemachten Deutschland könnte in Anlehnung an Paul Celans Gedichtzeile »Der Tod ist ein Meister aus Deutschland«, und um dem Zynismus der Sache gerecht zu werden, mittlerweile lauten: »Vergangenheitsbewältigung ist ein Meister aus Deutschland.«

Vor diesem Hintergrund muss es einen wahrlich nicht wundern, dass heutzutage eine Tagung mit dem famosen Titel »Aussöhnen mit Deutschland. Verantwortung – Heilung – Transformation« nicht von irgendwelchen abseitigen Spinnern in nationalistisch-esoterischen Hinterzimmervereinen abgehalten wird, sondern mitten in der Hauptstadt unter dem Ehrenschutz der ehemaligen sozialdemokratischen Präsidentschaftskandidatin Gesine Schwan, samt Grußwort vom Präsidenten des EU-Parlaments und SPD-Spitzenkandidaten zur Europawahl, Martin Schulz, und mit Beteiligung der SPD-Bundestagsabgeordneten Eva Högl. Eine »Konferenz im Gleichklang von Wissenschaft, Kunst und Spiritualität« soll es vom 21. bis 23. März in der GLS-Sprachschule im Berliner Stadtteil Prenzlauer Berg werden. Die Ankündigung auf der Website der Tagung lässt keinen Zweifel daran, dass jegliche Erinnerung an den Nationalsozialismus einzig und allein der Versöhnung der Deutschen mit den »Schatten« ihrer Vergangenheit dienen wird, um für die Zukunft endlich die »Selbstblockade« zu überwinden und wieder einen »lebensbejahenden Umgang mit Macht« hinzubekommen.

Die Konferenz, in deren Beirat sich neben einer »autorisierten Zen-Meisterin« mit Barbara Unmäßig auch ein Vorstandsmitglied der Heinrich-Böll-Stiftung findet, wird maßgeblich vom Berliner »Communio-Institut für Führungskunst« veranstaltet und unter anderem vom »Raum der Stille«, dem Berliner Europa-Verlag, dem »Spiritual Venture Network« und der Zeitschrift info3 – Anthroposophie im Dialog gefördert. Dem »Institut für Führungskunst« steht die emeritierte Politikwissenschaftsprofessorin Barbara von Meibom vor, deren 2013 im Europa-Verlag erschienenes, mit einem Schmetterling in Schwarz-Rot-Gold verziertes Buch »Deutschlands Chance – Mit dem Schatten versöhnen« quasi das Script zur Konferenz liefern könnte. Die Frau spürt, wie sie im Vorwort schreibt, einen »inneren Auftrag«, ihren »Beitrag zur Versöhnung von Macht und Liebe zu leisten«, die sie offenbar durch die »Herrschaft des Zinses«, der sie ein ganzes Kapitel widmet, bedroht sieht. Über den unsäglichen, gerade mit der Goldenen Kamera prämierten und auch auf der Website der Konferenz beworbenen ZDF-Dreiteiler »Unsere Mütter, unsere Väter«, von dem die Deutschen gar nicht begreifen können, warum er in Israel und den USA nicht zu begeisterten Reaktionen wie hierzulande, sondern verständlicherweise zu Entsetzen und völlig zu Recht zu vernichtenden Kritiken geführt hat, schreibt sie, Inhalt und Intention durchaus treffend zusammenfassend, er zeige »die Lebensrealität von fünf jungen Erwachsenen unter dem Nationalsozialismus, einer von ihnen jüdischer Herkunft. Jeder verstrickt sich in Schuld, wird Täter und Opfer.« Der durchschlagende Erfolg dieses infamen, den Unterschied zwischen Tätern und Opfern nivellierenden Machwerks begeistert sie: »Es bewegt sich etwas in Deutschland. Tabuisierte Schichten des Bewusstseins brechen erneut auf. Es wird geredet« – darüber, wie die Juden im Nationalsozialismus zu Tätern wurden.

Über Deutschland heißt es im Ankündigungstext der Konferenz ebenso schwammig wie salopp, aber doch auch irgendwie selbstkritisch: »Von hier kam viel Leid.« Die fleißigen Ariseure, die Denunzianten, die Wachmannschaften und die Bürokraten, die fürsorglich eifernden Frauen und die ohne Befehl gehorchenden Männer, die Einsatzgruppen und die »verbrannte Erde« der treuen Wehrmachtssoldaten, Dachau und Mauthausen, Kulmhof und Babi Jar, Auschwitz und Belzec, Majdanek und Treblinka und Sobibór – all das wird in der Leerformel von »großen geschichtlichen Verbrechen« zum Verschwinden gebracht. Und wer hat die Verbrechen begangen? »In der NS-Zeit wurden« nicht etwa von der deutschen Volksgemeinschaft, sondern »im Namen Deutschlands« Untaten begangen. Und worin bestanden die? Es sei »Mitmenschlichkeit zerstört« worden und »Rituale wurden vergiftet«. Von der vom deutschen Aufopferungskollektiv betriebenen Zerstörung halb Europas, der systematischen Ermordung von sechs Millionen Juden, dem Abschlachten von über 20 Millionen Sowjetbürgern, dem millionenfachen Mord an Roma, Slawen, Homosexuellen, Oppositionellen, Behinderten, Kriegsgefangenen darf keine Rede sein, denn dann würde womöglich selbst den Organisatoren der Veranstaltung das Anliegen der Konferenz nicht mehr ganz so leicht über die Lippen gehen: das »Aussöhnen«. Das soll auf der Tagung mittels der Stärkung von jenem Zusammenhalt befördert werden, der auch im »Dritten Reich« zentrale Bedeutung hatte: »Aussöhnen braucht Gemeinschaft«. »Gemeinschaft« sei im Nationalsozialismus nicht etwa zu sich gekommen, sondern »pervertiert« worden.

Dass im Rahmen solch eines Gruselkabinetts mit Fritz Bauer auch an jenen hessischen Staatsanwalt erinnert werden soll, der im Gegensatz zu den durch allerlei Persönlichkeitstechniken gestählten New-Age-Versöhnungspatrioten sehr genau wusste, was »Aufarbeitung der Vergangenheit« zu bedeuten hätte, sich dem klebrigen Gerede von »Aussöhnung« verweigerte und stattdessen gegen massive Widerstände der zwangsdemokratisierten Volksgemeinschaft die juristische Verfolgung der Täter vorantrieb, kann nur als Leichenfledderei durch Leute bezeichnet werden, die in der Gesellschaft der Vernichtungsgewinnler aus der Beschäftigung mit »den dunklen Zeiten Deutschlands« psychischen, politischen und moralischen Mehrwert ziehen wollen.

Die Konferenz liefert den esoterisch-patriotischen Nachhall der Reden zum neuen deutschen Selbstbewusstsein von Joachim Gauck, Ursula von der Leyen und Frank-Walter Steinmeier bei der Münchner Sicherheitskonferenz: Deutschland sei heute »in Europa und in der Welt in einer neuen Situation der Verantwortung. Es wird gebraucht«, wissen die Veranstalter. Wie ein Camembert wollen sie »an der eigenen Geschichte reifen«, auch wenn der Reifungsprozess schon großartige Fortschritte gemacht habe: »In den letzten Jahrzehnten ist in Deutschland vorbildliche Aufarbeitung geschehen.«

Das letzte Stück des Weges beim endgültigen Abschütteln der Lasten der lästigen Vergangenheit soll durch psychosoziale Ertüchtigung bewältigt werden, beispielsweise durch Workshops wie »Nur ein gebrochenes Herz ist ein ganzes Herz – Heilungsimpulse aus der spirituellen Dimension«, »Widerermächtigung zum Fühlen. Die Sprache der Seele wiederfinden« oder »Deutschlands Seele und Schatten in uns. Integration und Heilung unserer nationalen Identität«, um dann, endlich kuriert, »Versöhnung mit sich und anderen in die Welt tragen« zu können. An der Aussöhnung der Deutschen mit ihren Verbrechen soll die Welt genesen.