Ein Nazi als Ehrenbürger

3
71

„Ein Nazi als Ehrenbürger. Das geht gar nicht“ schrieb am 7. Februar ein Gelegenheits-Mitarbeiter der „Deggendorfer Zeitung“ (DZ), einem Kopfblatt der „Passauer Neue Presse“ (PNP). Und er echauffierte sich über den Ehrenbürger der Deggendorfer Landkreisgemeinde Hengersberg, Siegfried Leffler (1909 bis 1983). Der war ein wirklich übler Nazi gewesen, als evangelischer Pfarrer ein bekennender, in Thüringen sowohl in der Kirche, als auch im Volksbildungsministerium praktizierender  Judenfeind –  und ungeachtet dessen ab 1948 bis 1970 ungeniert wieder Pastor: Nun im Dienst der Evangelischen Landeskirche Bayern…

Von S. Michael Westerholz

Was an der aufgeregten Nachricht verwundert, ist die Tatsache, dass sie uralt, als historisches Ärgernis aber keine Einzelerscheinung ist. In der Kreisstadt Deggendorf, dem Wohnort auch des Schreibers der DZ, sind gleich vier als ehemalige Nazis oder Persönlichkeiten, die diesen den Weg zur Macht ebneten, ungeniert noch oder trotzdem Ehrenbürger: Reichspräsident Paul von Hindenburg zum Beispiel, obendrein mit einem Straßennamen in der Kreisstadt geehrt, steht in der Liste, Albert Steigenberger, Gründer und Chef der einst bekannten Hotelgesellschaft, ein übler Judengegner, Hans Freudenstein, Hauptlehrer in der einst eigenständigen Gemeinde Seebach, heute Deggendorfer Stadtteil, der erst Jahre nach dem Krieg in die Schule zurückkehren durfte. Franz Kuchler, der sich noch 1944 seiner sehr frühen Kinder- und Jugenderziehungs-Tätigkeit im Sinne der Nazis rühmte, dann aber die NSDAP-Mitgliedschaft bis zu seinem Tode bestritt.  Seine Mitschuld leugnete er auch im Entnazifizierungsverfahren bis zu deren Einstellung. Als er Ehrenbürger werden sollte, gab das Stadtarchiv Deggendorf an, Unterlagen zu Kuchler seien nicht gefunden worden.

Was der DZ-Schreiber über Siegfried Leffler ausbreitete, hatte er in der Internet-Enyzklopädie Wikipedia gefunden. Deren Verfasser hatte sich bei Ernst Klee (1942 bis 2013) bedient, aber dessen Eintrag über den wenig christlich angehauchten evangelischen Pfarrer in dem „Personenlexikon zum Dritten Reich“  von 2003 abgemildert. Der  Investigativ-Journalist und Historiker Klee nannte in dem Lexikon auch den niederbayerischen Historiker Wilhelm Grau, der Mitte der achtziger Jahre eine wichtige Rolle in der PNP spielte und sich nun als Verleger von Gedichtbüchern präsentierte. Und noch 1994/95 erlebte die Stadt Plattling im Landkreis Deggendorf, dass ein ehemaliger SS-Mann als nunmehriger ehrenamtlicher Stadtarchivar im Adressbuch Deggendorf/Plattling  „Reichskanzler und Führer Adolf Hitler“ und „Reichsführer SS Heinrich Himmler“ als Plattlinger Ehrenbürger aufführte. Dem machte dann der Stadtrat blitzschnell ein Ende: Aber einem Arzt, der in der nahen Psychiatrieanstalt Mainkofen und im Krankenhaus Plattling hunderte Frauen und Männer zwangsweise sterilisiert hatte und nach dem Krieg in der Isarstadt eine Praxis betrieb, wurde der Plattlinger Ehrenbrief nie aberkannt. Ein nach ihm benannter Weg in der Stadt wurde erst jüngst und klammheimlich umbenannt: Die Familie des Arztes hatte dies vorgeschlagen, nachdem sie über die Taten des Vaters informiert worden war.

Sie tun sich schwer mit historischen Wahrheiten und Ehrungen, die Deutschen: Bis in die jüngste Zeit hinein offenbarten Wikipedia und RegioWiki offenbar mehr unbedacht als ungeniert zweifelhafte Ehrenmänner. In der bayerischen Stadt Hof führte dies bereits 2010/11 zum Eklat: Wie auf hagalil.com am 21. Oktober 2011 berichtet, hatte der Pressesprecher Hofs von Wikipedia verlangt, die Namen solcher Personen aus der Liste „markanter Hofer Persönlichkeiten“ zu streichen, die man in der Stadt als NS-Verbrecher oder gefährliche, teils vorbestrafte Neonazi-Aktivisten  kannte: Als besonders schlimm empfanden es die Hofer Stadtväter, dass sich in der Wikipedia-Liste wild durcheinander Verbrecher- und Namen von vorbildlichen Ehrenmännern befanden, von denen einer gar in Yad Vashem als „Gerechter unter den Völkern“ geehrt wurde.

Seinerzeit erfuhr der Pressesprecher der Stadt Hof, Rainer Krauß, „dass dies ein Problem nicht allein unserer Stadt ist!“ Krauß hatte, als Wikipedia auf seine Argumente überhaupt nicht eingehen wollte, entnervt versucht, die diskreditierten Namen einfach zu löschen. Die Lexikon-Verantwortlichen stuften das als „Vandalismus“ ein und schlossen Krauß aus dem Kreis der Berechtigten für Ergänzungs- oder Berichtigungsarbeiten aus. Krauß erfuhr aber bei Tagungen des Bayerischen und Deutschen Stadtetages, dass auch in vielen anderen Kommunen mit Entsetzen die völlig wahllose Auswahl von Persönlichkeiten als Ärgernis registriert wurde: Mittlerweile scheint Wikipedia eingeknickt zu sein: Zum Beispiel jene Hofer Personen, in deren Gesellschaft Persönlichkeiten von Ehre nach dem Willen der Stadtväter nicht genannt werden sollten, sind in keiner Liste mehr zu finden.

Ob freilich in Hengersberg und in anderen Gemeinden des Landkreises Deggendorf ein Umdenken einsetzt und jene Personen aus Ehrenbürgerlisten gestrichen werden, die dort nichts zu suchen haben, ist unklar. Den Pfarrer Leffler haben ältere evangelische Mitbürger noch in Erinnerung: „Der war doch recht nett!“  Ältere DZ-Journalisten haben ihn anders erlebt. Auf eine Anfrage auf seine Vergangenheit anlässlich des 25. Jahrestages des Kriegsendes im Jahre 1970 reagierte er schroff: „Ich habe von 1945 bis 1948 im Internierungslager Ludwigsburg gebüßt und heute nichts mehr gegen Juden. Auch die in Israel kritisch betrachtete christliche Judenmission lehne ich ab. Mein Glaube an die Idee Adolf Hitlers geht niemand mehr etwas an!“

3 Kommentare

  1. Man fragt sich warum nicht auch der Wikipedia-Artikel zu Deggendorf, oder eine Extra-Webseite der Stadt Deggendorf (Hier die Seite zur Geschichte der Stadt: http://www.deggendorf.de/index.php?id=101) die Angaben vermitteln kann, die man sich zeitaufwendig erst ergoogeln muss:

    Vom Geschichtsverein Deggendorf:

    Der Beginn der nationalsozialistschen Herrschaft in Deggendorf
    …Für Deggendorf, wo auch am 5. März die NSDAP trotz enormen Stimmenzuwachses in der Minderheit geblieben war, bedeutete das 7 Sitze für die BVP, 6 für die NSDAP, 2 für die SPD. Doch bereits vor dieser Gleichschaltung ernannte der alte 1929 gewählte Stadtrat (9 Sitze BVP, 3 SPD, je 2 NSDAP und KPD und 4 Interessengruppen) am 24. März in vorauseilendem Gehorsam Hitler und Hindenburg „in Würdigung ihrer großen, unvergänglichen Verdienste um Deutschlands nationale Wiedererweckung“ zu Ehrenbürgern. Gleichzeitig wurde die Graflinger Straße in Adolf-Hitler-Straße umbenannt…

    http://www.geschichtsverein-deggendorf.de/docs/2002_PNP_47.pdf‎

    Zusätzlich sollte auch das Datum der Aberkennung und sämtliche weitere Nazis mit Deggendorfer Ehrenbürgerschaft, für jeden interessierten Bürger rasch auffindbar, angegeben werden. – Wenn das die Eggenfeldener schaffen, müsste das doch auch für Deggendorf möglich sein.

    Warum nur diese elendige Geheimniskrämerei?

    Jede kleine Putzfrau die ein Packerl Zigaretten klaut, wird unbarmherzig in einer öffentlich zugänglichen Verhandlung zu x Tagessätzen verurteilt, sie soll für ihre Tat büßen. Wenn es aber um Bayern und dessen Verbrechen bzw. dunkle Kapitel der Geschichte geht, dann erscheint es seltsamerweise stets gerechtfertigt den Mantel des Schweigens auszubreiten und die Schweinereien zu vertuschen.

    Leute, wir leben im Zeitalter des Internet, da gibt’s nix mehr zum Verschweigen. Es kommt gnadenlos Alles raus, wenn nicht in diesem Jahr, so im nächsten oder übernächsten. Es ist nicht mehr aufzuhalten. Und das ist auch gut so. Die Bürger haben ein Recht auf eine ehrliche Geschichtsschreibung und auf freien Zugang zum Wissen um die Geschichte ihrer Stadt, ganz egal ob das der CSU passt oder nicht.

  2. Auch mich interessiert wie Deutsche, vor allem wie Bayern, die ja doch die Hauptverantwortung für die Shoa tragen, mit ihrem Ehrenbürger Hitler umgehen. Deshalb möchte ich mich den Fragen von Hr./Fr. Kremhoeller anschließen.

    Die Wiki-Diskussionsseite gibt übrigens mehr her, als der erste Blick vermuten lässt. Wer auf „Versionsgeschichte“ clickt, landet bei gelöschten Beiträgen. Einer davon lautet:

    „Danke für die Informationen. Auch ich habe mich inzwischen schlau gemacht und dabei erfahren, dass die Streichung von Hitlers Ehrenbürgerschaft einen entscheidenden Haken hat: Es wurde nämlich ein sog. formaljuristischer Fehler dabei begangen mit der Folge, dass die Streichung ungültig ist. Da man aber weiteres (als schädlich angesehenes) Aufsehen vermeiden möchte, soll der Ball flach gehalten werden und davon (vorerst?) nichts an die Öffentlichkeit gelangen. Das selbe Spielchen also, das wir von der Umbenennung des Heldenhains gewohnt sind. Erst nach vollendeten Tatsachen wird der Bürger informiert, falls überhaupt. Das Schlimme mit den Deggendorfern ist ihr herdenartiges Stillhalten. Kaum einer bringt den Mut auf sich in dieser unpopulären Sache zu engagieren, z.B. so eine Sache öffentlich zu machen, eine Diskussion zu beginnen, Gleichgesinnte um sich zu scharen. Die wenigen, die sich diese Disk-Seite hier ansehen, hoffen, dass unsere Diskussion bald einschläft und dass diese Beiträge rasch archiviert werden können, damit die Stadt wieder ihre Ruhe hat. Nur nicht daran rühren – wir wollen doch weiter unseren Kopf erhoben tragen können… – so das Bravebürgermotto.–[[Benutzer:Zworo|Zworo]] ([[Benutzer Diskussion:Zworo|Diskussion]]) 16:24, 31. Dez. 2013 (CET)“
    http://de.wikipedia.org/w/index.php?title=Diskussion:Deggendorf&diff=125978489&oldid=125815140

    Und warum wurde das gelöscht? – Weil: „(Nicht sachbezogenes Geschwafel eines gesperrten Benutzers entfernt)“

    Die Wiki-Redakteure wollten also eine ihnen nicht genehme kritische Information abwürgen.

    Ich würde mich sehr freuen, wenn Herr Westerholz als unser Deggendorf-Spezialist dem Thema Ehrenbürger Hitler in Deggendorf nachginge und uns haGalil-Lesern ebenso wie seinen Mitbürgern bald belastbare Ergebnisse vorlegen könnte. Schön wäre es auch, wenn Wikipedia dazu überredet werden könnte diese Ergebnisse ohne Zensur (!) zu übernehmen. Also Herr Westerholz, wir sind schon gespannt auf Ihren nächsten Deggendorf-Artikel!
    MfG

  3. Herr Westerholz gewährte uns einen interessanten Einblick in den Umgang seiner bayerischen Landsleute mit Nazi-Ehrenbürgern. Vermisst habe ich allerdings, Informationen darüber, wie man in Deutschlands katholischster Ecke, in Niederbayern, generell mit dem Ehrenbürger Adolf Hitler verfährt. Lediglich Plattling wurde diesbezüglich kurz angesprochen, jedoch, wie hält es zum Beispiel Deggendorf mit (Ex-?) Ehrenbürger Adolf Hitler?

    Wenn ich mir den Wikieintrag zu Deggendorf ansehe, Unterpunkt 9.1, „Ehrenbürger“, so stoße ich auf eine alphabetisch geordnete Liste von Personen, in der Hitler fehlt. Klicke ich die dort angegebene Wikiwebseite „Liste der Ehrenbürger von Deggendorf“ an, finde ich eine weitere Liste vor, in der der deutsche Führer ebenfalls nicht aufgeführt ist. Zugleich stelle ich aber eine verdächtige Schneise zwischen den Einträgen Paul von Hindenburg (1933) und Wilhelm Stich (1949) fest. Ich schließe daraus messerscharf, hier wurden Namen nicht eingetragen, hier soll dem Bürger die historische Wahrheit vorenthalten werden, hier versucht jemand etwas zu vertuschen.

    Da man auf den Diskussionsseiten der Wiki-Artikel oft interessante Verbesserungsvorschläge findet, schaue ich mal auf die Deggendorf-Disk-Seite (Schriftzug, ganz oben links, blau unterlegt: „Diskussion“).
    Siehe da, und wie fündig ich dort werde (!): http://de.wikipedia.org/wiki/Diskussion:Deggendorf#War_Adolf_Hitler_je_Ehrenb.C3.BCrger_Deggendorfs.3F

    Bürger stellten kritische Fragen nach Ehrenbürger Hitler, Bürger verlangten einen ehrlichen Umgang mit der Geschichte ihrer Stadt, Bürger verhielten sich vorbildlich, indem sie aktiv wurden. Bürger recherchierten auch und fanden heraus, welche Deggendorfer Straße einst nach Hitler benannt war, Bürger stellten fest dass Hitler anscheinend in den 1960ern aus der Ehrenbürgerschaft Deggendorfs entlassen wurde. Bürger machten auch noch darauf aufmerksam, dass die ebenfalls in Niederbayern gelegene Stadt Eggenfelden, die sich erst kürzlich von ihrem Hitler verabschiedet hat, auf deren Wiki-Webseite ganz ehrlich mit den NS-Ehrenbürgern umgeht, indem sie sie benennt und sagt, von wann bis wann diese, so auch Hitler, Ehrenbürger waren.

    Was hingegen auf der Deggendorf-Disk-Seite fehlt, ist, dass ein Stadtvertreter, zum Beispiel der Archivar, der Stadtsprecher oder sonst ein offizieller Wastl Stellung bezieht und die Bürger präzise aufklärt, wie das in Deggendorf tatsächlich war, mit den NS-Ehrenbürgern. Aber dazu sind wohl die CSU-Stadthäuptlinge und ihre Satrapen zu feige. Bald sind nämlich in Bayern Kommunalwahlen, und die will die „christliche“ Partei doch um jeden Preis wieder gewinnen.

    Um so eher hätte ich mir von einem Spezialisten für Judenverfolgung und Neonazismus in Niederbayern, von dem investigativen Journalisten und vielfachen Buchautor S. Michael Westerholz, erwartet, dass der Stellung bezieht zum Ehrenbürger Hitler in Deggendorf. Aber anscheinend war dies Zuviel verlangt. Herr Westerholz hat lieber über das ferne, ganz und gar nicht-niederbayerische Hof fabuliert, als über die eigene Stadt. Warum nur? Weil er befürchten musste als „Nestbeschmutzer“ beschimpft zu werden? Oder steht er sich mit dem CSU-Bürgermeister von Deggendorf so gut, dass er dessen potentielle Wähler nicht beunruhigen wollte?
    Oder was sonst waren Ihre Beweggründe, sehr geehrter Herr Westerholz?

Kommentarfunktion ist geschlossen.