Genfer Appeasement

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Das fatale Atomabkommen mit dem iranischen Regime weckt die Hoffnungen des deutschen und österreichischen Kapitals…

Von Stephan Grigat
(In redaktioneller Bearbeitung erschienen in Konkret, 1/2014)

Die Eckpunkte des Deals, den die UN-Vetomächte und Deutschland Ende November mit dem iranischen Regime in Genf ausgehandelt haben, sind schnell zusammengefasst: Erstmals wird die iranische Urananreicherung und der Schwerwasserreaktor in Arak in Verletzung von Resolutionen des UN-Sicherheitsrates anerkannt. Die gesamte Infrastruktur des iranischen Atomprogramms bleibt intakt. Inspektionen werden nur in den bereits deklarierten Anlagen des Nuklearprogramms stattfinden. Vom Militärkomplex in Parchim, zu dem die IAEO erfolglos Zugang fordert, ist in dem Abkommen ebenso wenig die Rede wie vom ballistischen Raketenprogramm des Iran, das im Rahmen konventioneller Aufrüstung überhaupt keinen Sinn ergibt.

Ali Akbar Salehi, der unter Hassan Rohani auf seinen Posten als Chef der Iranischen Atomenergieorganisation zurückgekehrt ist, den er bereits von 2009 bis 2011 bekleidet hat, proklamiert völlig zu Recht, das Abkommen von Genf beinträchtige „Struktur und System des iranischen Atomprogramms nicht“. Vielmehr würden „die Strukturen der westlichen Sanktionen aufgebrochen“. Rohani selbst stellte klar, die Zusage, dass es keine neuen Sanktionen geben wird, sei der „wichtigste Fakt“ des Übereinkommens. Das Sanktionsregime sei dadurch bereits gebrochen. Salehi, der in der zweiten Amtszeit Mahmoud Ahmadinejads auch als Außenminister agierte und als solcher seine Europa-Visiten dazu nutzte, Gegnern des Regimes auszurichten, sie sollten „vorsichtiger sein“, da sie ansonsten in „Problemsituationen“ geraten könnten, erklärte weiter: „Es ist wie ein Wasserhahn, den wir abdrehen. Wenn sie [die UN-Vetomächte und Deutschland] die Vereinbarungen nicht erfüllen, drehen wir wieder auf“. Nach Aussagen Salehis wird der Iran seine Forschung auf „verschiedenen Gebieten“ der Atomtechnologie unvermindert fortsetzen. Genau das wird ihm durch das Abkommen von Genf, an dessen Zustandekommen Helga Schmidt, die ehemalige Büroleiterin von Joschka Fischer und heutige rechte Hand der EU-Außenbeauftragten Catherine Ashton maßgeblich beteiligt war, auch zugestanden.

Unmittelbar nach Abschluss der Vereinbarung waren Barak Obamas Diplomaten noch redlich bemüht zu versichern, in dem Übergangsabkommen sei dem Iran kein Recht auf Urananreicherung eingeräumt worden, und das solle auch in einem endgültigen Abkommen nicht geschehen. Nur wenige Wochen später verkündete der US-Präsident jedoch, man solle sich darauf einstellen, dass das iranische Regime auch nach einem finalen Deal über Kapazitäten zur Anreicherung verfügen werde. Eine vollständige Einstellung der Urananreicherung, wie sie in den UN-Sicherheitsratsresolutionen und also auch von den USA seit 2006 gefordert wurde, sei völlig „unrealistisch“.

Je mehr Zeit seit dem Abkommen von Genf vergeht, umso deutlicher wird, dass die Kritiker des Abkommens Recht behalten mit ihrer Einschätzung, dass diese Vereinbarung keine Überwindung der iranischen nuklearen Bedrohung bedeutet, sondern ihre Institutionalisierung. Nach dem fatalen Deal steht zu befürchten, dass sich maßgebliche Akteure im Westen schon mit dem iranischen Nuklearwaffenprogramm abgefunden haben und nur noch das Ziel verfolgen, Israel von eigenständigem Handeln gegen die existenzielle Bedrohung, welche die nukleare Option der Ajatollahs und Pasdaran für den jüdischen Staat bedeutet, abzuhalten.

Die minimalen Zugeständnisse, die Außenminister Mohammad Zarif in Genf machen musste, sind ausnahmslos innerhalb weniger Wochen revidierbar. Nichtsdestotrotz wird das iranische Regime dafür fürstlich belohnt werden. Vor dem Abkommen von Genf sprach die US-Administration davon, das iranische Regime werde lediglich drei bis vier Milliarden US-Dollar als Anerkennung für gewisse Zugeständnisse erhalten. Nach dem Abkommen sprach das Weiße Haus von sieben bis acht Milliarden. Mitte Dezember berichtete die linksliberale israelische Tageszeitung Haaretz, die US-Verhandler hätten in Gesprächen mit israelischen Offiziellen zugegeben, die Wirkung der geplanten Teilaufhebung der Sanktionen vollkommen unterschätzt zu haben. Nun war bereits von 20 bis 25 Milliarden Dollar die Rede, mit denen die iranischen Machthaber für ihre jahrelange Taktik des Täuschen, Zeitschindens und Lügens belohnt werden sollen.

Teile dieser Gelder könnten direkt in das Atomprogramm und an die Revolutionswächter fließen. Eine wichtige Rolle spielt dabei der Nationale Entwicklungsfond im Iran, der bei einer Freigabe eingefrorener Auslandskonten mit einer deutlichen Erhöhung seines Budgets rechnen könnte. Aus dem wurden in der Vergangenheit über Energy Novin, einer Tochterfirma der Iranischen Atomenergieorganisation, wichtige Elemente des Nuklearprogramms finanziert. Auch an die Quds-Brigaden, jene Eliteeinheit der Pasdaran, die für den Terror des Regimes außerhalb des Iran verantwortlich ist, sollen Gelder vom nicht mit Sanktionen belegten Entwicklungsfond geflossen sein.

Mit dem Abkommen von Genf wurde das iranische Regime wieder zu einem vertrags- und bündnisfähigen Partner in der internationalen Politik aufgewertet, der weder auf Grund seines Terrors gegen die iranische und syrische Bevölkerung noch wegen seiner permanenten Hetze gegen den jüdischen Staat irgendetwas zu befürchten hat. Noch während in Genf verhandelt wurde hatte der Oberste Geistliche Führer Ali Khamenei Israel als „illegitimes Bastard-Regime“ attackiert. Nur einen Tag nach dem Abkommen wetterte Rohani bei einem Treffen mit dem libanesischen Parlamentspräsidenten Nabih Berri gegen das „künstliche Regime von Israel“, dessen Gründung durch die Kolonialmächte erfolgt sei und zu einer „Verdoppelung der Probleme“ im Nahen Osten geführt habe. „Über die vergangenen 65 Jahre“ könne „der Fußabdruck der Zionisten in jeder Plage und jedem Problem der Region aufgespürt werden.“  Kommandanten der Basij-Milizen riefen nach dem Abkommen in einer gemeinsamen Erklärung abermals zur „Zerstörung des zionistischen Regimes“ auf und Hossein Shariatmadari, Chefredakteur der einflussreichen Zeitschrift Keyhan und langjähriger Vertrauter von Khamenei, prophezeite in einer Ansprache vor Studenten Anfang Dezember, die Hisbollah werde Israel „bald zerstören“. Der Präsident des iranischen Pseudoparlaments, Ali Laridschani, erklärte Israel zur selben Zeit zum „modernen Gesicht des faschistischen Rassismus“. Wenige Tage später wollten ihm EU-Parlamentarier eine Visite abstatten, darunter die finnische Grüne Tarja Cronberg, langjährige Vorsitzende der EU-Parlamentsdelegation für Beziehungen zum Iran und Mitglied im Ausschuss für auswärtige Angelegenheiten, die sofort nach der Bekanntgabe des Abkommens von Genf gefordert hatte, nun endlich „Irans Isolation zu beenden“. Ebenfalls mit von der Partie sollte Cornelia Ernst von der Linken sein, die sich seit Jahren als Gegnerin jeglicher Sanktionen gegen das Holocaustleugnerregime profiliert hat. Bei Redaktionsschluss lag noch kein Programm für die Reise vor. Doch von den Planungen für die letztlich gescheiterte Reise der Iran-Delegation des EU-Parlaments 2012 weiß man, dass Cronberg und Ernst auch nicht davor zurückschrecken, sich mit Vertretern des iranischen Regimes zu treffen, die auf den EU-Sanktionslisten stehen.

Zurück zum business as usul

Noch bevor das Übergangsabkommen von Genf überhaupt in Kraft getreten ist, stehen westliche Firmen bereit, um mit dem iranischen Regime endlich wieder  ungestört Geschäfte in Milliardenhöhe abzuschließen. Am Rande der OPEC-Tagung in Wien empfing Anfang Dezember der iranische Ölminister Bijan Zangeneh die Vertreter von Konzernen wie Shell, ENI und der OMV. Letztere wollte schon zu Ahmadinejads Zeiten einen 22-Milliarden-Euro-Deal mit dem Iran abschließen, musste ihn auf Grund massiver Kritik aber auf Eis legen. Nun wittert das österreichische Vorzeigeunternehmen eine zweite Chance, den Mega-Deal doch noch unter Dach und Fach zu bringen.

Österreich spielt wieder einmal die Avantgarde bei der Durchbrechung der Isolation des Regimes. Anfang Dezember reiste eine Delegation der österreichischen Wirtschaftskammer in den Iran – die erste ihrer Art seit Jahren. Angeführt wurde sie vom Vizepräsidenten der WKO, Richard Schenz, der laut der iranischen Nachrichtenagentur Mehr News den potentiellen Handelspartnern erklärte, Österreich sei „schon immer“ gegen die Sanktionen gewesen. Laut der iranischen Nachrichtenagenturen IRNA und Fars News hat sich auch der österreichische Botschafter im Iran, Friedrich Stift, damit gebrüstet, dass sich sein Land stets kritisch zu den Iran-Sanktionen geäußert habe. Österreichische Unternehmen hielten sich bezüglich der Reise bedeckt, und sowohl die Wirtschaftskammer als auch das Außenministerium in Wien verweigerten jede Auskunft. Nach iranischen Angaben und nach Informationen der Tageszeitung Die Presse nahmen Firmen wie Plasser & Theurer, AVL, Doka, ILF und Doppelmayr an der Reise teil.

Insbesondere mittelständische Baufirmen und Maschinenhersteller rechnen sich gute Chancen aus, bei der Modernisierung der iranischen Industrie und Infrastruktur gut ins Geschäft zu kommen. Dazu kommen Automobilhersteller, für die das Land einen wichtigen Absatzmarkt darstellt. Die Volvo-Gruppe und Renault haben sich ebenso euphorisch über die Möglichkeiten geäußert, die durch den Deal von Genf eröffnet werden, wie das südafrikanische Mobiltelefonunternehmen MTN Group. Gerade der mittelständische Maschinenbau in Deutschland wittert Morgenluft bei neuen Geschäftsabschlüssen mit den Mullahs. Vertreter der Deutsch-iranischen Handelskammer in Hamburg, seit jeher eine der wichtigsten Lobbyorganisationen für den deutschen Iran-Handel, freuen sich darüber, dass sie sich seit der Einigung auf ein Übergangsabkommen vor Anfragen gar nicht mehr retten können. Geschäftsführer Michael Tockus konstatiert eine „regelrechte Aufbruchsstimmung“ in der deutschen Industrie und unterstreicht den guten Ruf des Rechtsnachfolgers des Dritten Reiches im Land der Ajatollahs: „Made in Germany gilt noch etwas in Teheran.“

Lobbyisten wie Tockuss wollen dafür sorgen, dass das deutsch-iranische Handelsvolumen möglichst bald wieder fünf Milliarden Euro pro Jahr erreicht. Volker Treier, der Außenwirtschaftschef des Deutschen Industrie- und Handelskammertages, hat deutlich ambitioniertere Ziele und hält eine zweistellige Milliardensumme in den nächsten Jahren für ebenso realistisch wie wünschenswert. Die deutsche Wirtschaft ist wild entschlossen, dem Regime in Teheran auch in Zukunft durch vorzügliche Handelsbeziehungen jene Mittel zu verschaffen, die es zur Fortsetzung seiner Projekte benötigt – sei es das Atom- und Raketenprogramm, sei es die brutale Repression gegen die iranische Bevölkerung.

In vielen Bereichen hat sich die Situation im Iran unter dem vermeintlichen „Hoffnungsträger“ Rohani noch verschlimmert. Seit seiner Wahl sind über 300 Menschen hingerichtet worden, seit seiner Amtseinführung mindestens 125, und das Regime ist auf dem besten Wege, die Zahl von 522 Hinrichtungen vom letzten Jahr 2013 klar zu überbieten. In Deutschland schaut man darüber gerne hinweg. Nicht nur fordern hierzulande maßgebliche Außenpolitikstrategen wie der ehemalige und der gegenwärtige Direktor der Stiftung Wissenschaft und Politik, Christoph Bertram und Volker Perthes, seit Jahren eine „strategische Partnerschaft“ mit dem iranischen Regime, sondern auch im Koalitionsvertrag von CDU und SPD heißt es hinsichtlich der antisemitischen Diktatur der Ajatollahs: „Unser Ziel ist die Rückgewinnung des Iran als vertrauensvoller Partner auf der internationalen Bühne.“ Als „vertrauensvoller Partner“ gilt ein Staat stets dann, wenn er in seinem Land Ruhe und Ordnung herstellen kann, und sei es jene Friedhofsruhe, wie sie sich im Iran seit der Niederschlagung der Freiheitsbewegung im Jahr 2009 zusehends ausgebreitet hat. Die Reintegration des iranischen Regimes in den Kreis akzeptabler Handels-, Gesprächs- und Vertragspartner, die mit dem Genfer Abkommen besiegelt wurde, bedeutet auch den endgültigen Verrat des Westens an der iranischen Freiheitsbewegung.

Israel, über dessen massive Bedenken in Genf kaltschnäuzig hinweggegangen wurde, kann zumindest noch auf den Widerstand im US-Kongress hoffen. Nicht nur einflussreiche Republikaner wie John McCain, Mark Kirk und Eric Cantor haben sich ausgesprochen kritisch über den Atomdeal geäußert, sondern auch wichtige demokratische Senatoren und Abgeordnete wie Charles Schumer, Brad Sherman, Robert Menendez und Steny Hoyer. Sie können mit breiter Zustimmung rechnen: Die Mehrheit der US-Amerikaner äußert sich ablehnend gegenüber dem Abkommen und 77 Prozent fordern eine Verschärfung statt einer Rücknahme von Sanktionen. Sollte die Obama-Administration sich aber mit ihrer Appeasement-Strategie, die von fast der gesamten EU unterstützt wird, durchsetzen, bleibt Israel gar nichts anderes übrig, als sich Gedanken über ein eigenständiges Vorgehen gegen die nukleare Bedrohung aus dem Iran zu machen.

Stephan Grigat ist Lehrbeauftragter an der Universität Wien, wissenschaftlicher Direktor der NGO STOP THE BOMB und Mitherausgeber von „Iran im Weltsystem. Bündnisse des Regimes und Perspektiven der Freiheitsbewegung.“

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