Ehrenbürger Hitler: Dietramszell im Elend

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Eigentlich heißt ja nur die Dietramszeller barocke Wallfahrtskirche (Maria) im Elend, jedoch seit der verhängnisvollen Entscheidung des Gemeinderates des Ortes vom 10. Dezember 2013, am Status der Ehrenbürgerschaft für Adolf Hitler und Paul von Hindenburg nichts ändern zu wollen, versank, zumindest vorübergehend, ganz Dietramszell in selbstverschuldetem Elend. Ein Gesellschaftsbild aus Bayern…

Von G. Gamsbauer

Dass Adolf Hitler als die absolute Unperson der Weltgeschichte gilt, braucht unter Individuen mit gesundem Menschenverstand nicht diskutiert zu werden, aber in Bayern ‘gehen die Uhren anders‘ und so neigen eben einige Bayern immer noch dazu diese Unperson zu verharmlosen, aus welchen Gründen auch immer.

Dieser, einführende Satz sei bitte nicht als generelle Entschuldigung für das Verhalten uneinsichtiger Bayern zu interpretieren, sondern möge lediglich als Einleitung für eine Geschichte verstanden werden, die sich so nur im Bayern der Gegenwart zutragen konnte. Denn, als das Mutterland des NS weist der Freistaat Bayern eine unter allen deutschen Regionen einzigartige Geschichte auf, und, Gegenwart hat bekanntlich eine ganze Menge mit Vergangenheit zu tun.

Folgt man ehrwürdigen Legenden, so errichtete gegen Ende des 11. Jahrhunderts der Tegernseer Mönch Dietram gemeinsam mit einem Kollegen eine Kapelle und ein kleines Kloster an der Stelle im bayerischen Voralpenland, wo sich heute das 5000-Seelen-Dorf Dietramszell erhebt. Eine halbe Fahrstunde südlich der Landeshauptstadt München und nicht weit von Bad Tölz gelegen, lebte die Einwohnerschaft der Gemeinde ihr, für die ganze Region bayerisches Oberland typisches, mehrheitlich katholisch-konservatives, gutsituiertes, selbstzufrieden-unkritisches Dasein und konnte sich wohl nicht im Traume vorstellen, einmal in den Fokus überregionaler, ja, sogar transkontinentaler, Aufmerksamkeit zu geraten.

Angefangen hatte alles mit zwei, anscheinend ‚überraschenden‘, Dokumentenfunden. Der Bad Tölzer Archivar Lindmeyr stieß auf einen Zeitungsartikel von 1926 über die Verleihung der Ehrenbürgerwürde an Generalfeldmarschall Paul von Hindenburg durch die Gemeinde Dietramszell und die Dietramszeller Archivarin Agnes Wagner fand das Protokoll einer Gemeinderatssitzung ihres Ortes vom 17. März 1933, wonach Adolf Hitler einstimmig zum Ehrenbürger ernannt worden war.

Städte und Gemeinden in Bayern reden sich in Fällen wie diesem gewöhnlich auf die geltende Rechtslage heraus, weil sie sich damit weitere Mühe und ihrem Heimatort unschöne Publicity ersparen wollen. So gab erst kürzlich wieder ein Sprecher des Bayerischen Gemeindetags in der Presse bekannt, dass die Ehrenbürgerschaft mit dem Tod des Geehrten erlischt und somit eine Aberkennung rechtlich nicht mehr nötig sei. Dennoch empfiehlt der Bayerische Gemeindetag den Gemeinden sich in irgendeiner Form öffentlich von den alten Beschlüssen zu distanzieren um (nach außen hin zumindest) Einsicht oder guten Willen zu bekunden. Genau das aber ist bei zahlreichen bayerischen Gemeinden in den Köpfen und Herzen der Räte und Bürgermeister noch nicht angekommen. Sie ‚mauern‘ weiter, verhalten sich solange ‚still‘, bis Tatsachen, wie jetzt in Dietramszell die Archivfunde, sie zum Handeln zwingen. Bisweilen jedoch glauben bayerische Gemeinderäte auch dann nicht aktiv werden zu müssen.

Noch bevor es in Dietramszell zu einer Abstimmung über die Aberkennung der Ehrenbürgerwürden für Adolf Hitler und Paul von Hindenburg kam, berichteten bereits die Medien über den Fall (z.B. Merkur-online vom 15. 11. 2013); so wurde u.a. der anerkannte Autor und Dietramszeller Bürger Peter Probst zitiert, der für einen sensiblen Umgang mit der Vergangenheit warb, bzw. die Gemeinde aufrief „ein Zeichen“ zu „setzen“. Eine ganz andere Position bezog die Archivarin Wagner, die unter Verweis auf die Rechtslage keinen Handlungsbedarf erkennen wollte. Ihr erschien offensichtlich die Stadt Rosenheim als nachahmenswertes Vorbild, wo eine ähnliche Debatte möglichst rasch für beendet erklärt worden war, ohne an der Ehrenbürgerschaft für den katholischen Deutschösterreicher Hitler etwas geändert zu haben.

Schließlich kam der Tag der Abstimmung, jener 10. 12. 2013, ein Dienstag, an dem sich für die üblicherweise überaus stolzen und bisweilen grotesk eigenverliebten Dietramszeller („Mia san mia!“, „Mia san Spitze!“) eine Menge ändern sollte, auch weil manche, wenige, begannen nun über sich als Bayern nachzudenken. Auf der Tagesordnung dieser fatalen Gemeinderatssitzung war der betreffende Punkt übrigens mit „Distanzierung von Ehrenbürgerschaften an Politiker des Dritten Reiches“ betitelt und an vorletzter Stelle platziert worden.

Das Resultat der Abstimmung belegte einmal mehr, dass in Bayern noch sehr viele Menschen leben müssen, die sich noch nie für ihre eigene bayerische Identität interessiert, bzw. sich nie ernsthaft mit der eigenen bayerischen Geschichte auseinandergesetzt haben. Mit acht gegen acht Stimmen lehnte der Dietramszeller Gemeinderat ab, sich von der Ehrenbürgerwürde für Adolf Hitler und andere NS-Spitzen zu distanzieren. Noch im Vorfeld des Votums waren Äußerungen gefallen, wie „das sind doch Uraltgeschichten“, „das ist lachhaft“, „man kann die Geschichte nicht umschreiben“ bzw. „das Thema hätte man besser gar nicht auf die Tagesordnung gesetzt“. Außerdem war appelliert worden, dass man doch die „Zeitumstände“ berücksichtigen müsse und, bitteschön, eine Verurteilung der damaligen Gemeinderäte vermeiden solle.

Unerwartete moralische Unterstützung erwuchs diesen Dietramszeller ‚Behütern des Grals‘ nur wenig später auf rechten und ultrarechten Internetforen: „Die Hexenjagd geht weiter, aber offenbar nicht mehr so erfolgreich wie erhofft“ hieß es dort, oder „Warum sollten sie sich von Vorgängen distanzieren, die so vor mehr als 80 Jahren stattgefunden haben und für die damals herrschende Zeit völlig in Ordnung waren? Steht doch im Artikel – die Ehrenbürgerschaft endete lt. Bayerischer Gemeindeordnung automatisch mit dem Tod, bei Hitler also vor mehr als 68 Jahren! Insofern leuchtet mir nicht ein, warum das Thema im Gemeinderat wieder hochgeholt wurde. Wenn die Ehrenbürgerschaft mit dem Tod beendet war, kann man sie auch nicht mehr entziehen – so einfach ist das… Das aber scheint wohl in den Hirnen von einigen schuldkultgeplagten, gutmenschlichen, bayerischen Gemeinderäten nicht angekommen zu sein.“

Aber es gab auch andere Reaktionen, wie das Münchner Boulevardblatt tz berichtete: „Seither sehen sich die Räte im Dorf einem Spießrutenlauf ausgesetzt, ihre Heimat ist in Verruf geraten, ein Riss geht durchs Dorf.“ Bzw. BR-online: „Nach Ansicht der Kritiker hatte sich Dietramszell damit bis weit über die Landesgrenzen hinaus als ewig gestriges Dorf blamiert.“ Bzw. die Augsburger Allgemeine: „Das Dorf wollte seine prominenten Ehrenbürger unbedingt behalten.“ Bzw. die Süddeutsche Zeitung: „Die Räte im oberbayerischen Dietramszell haben ihre Gemeinde mit einer Entscheidung ins Zwielicht gerückt.“ Und. „Kritische Stimmen gab es ebenso wenig wie eine Diskussion, der ablehnende Beschluss wurde widerspruchslos akzeptiert. Warum das Thema überhaupt im Gemeinderat auf die Tagesordnung kam, leuchtete nicht allen ein.“

Der letzte Satz aus dem Zitat der SZ galt für die Gemeinderatsmitglieder, jedoch erfreulicherweise nicht für die Gesamtheit der Dietramszeller Bürger, denn unter denen regte sich sehr bald sehr wirkungsvoller Widerstand, u.a. in Person des bereits genannten Peter Probst bzw. in der von dessen Gattin, der bekannten Schriftstellerin und TV-Moderatorin Amelie Fried. Kurzum, es entfesselte sich das, was die SZ als eine „Protestwelle“ und die Augsburger Allgemeine als „heftige Kritik“ beschrieben. Mehrere Politiker sowie die beiden Holocaust-Überlebenden Charlotte Knobloch und Max Mannheimer bezeichneten das Abstimmverhalten der Dietramszeller als „skandalös“, „verheerend“ und „entsetzlich“.

Der SZ vom 12.12. 2013 ist zu entnehmen, dass die Dietramszeller Bürgermeisterin L. Gröbmaier sich vor der so folgenreichen Abstimmung eigentlich mit ihrem Amtskollegen aus dem nicht fernen Münsing über gemeinsames Vorgehen abgesprochen hatte. In dem Nachbarort war man in Sachen Ehrenbürger Hitler in eine ganz ähnliche Situation geraten. Nur hatte es in Münsing geklappt, hatten sich alle Gemeinderäte für die Vorlage entschieden („um ein Zeichen der Mahnung und Erinnerung“ zu setzen) und so Ungemach rechtzeitig abgewendet, während es in Dietramszell schief gegangen war. Nicht nur in Münsing, auch in Bad Tölz und in Schäftlarn wurde den Nazi-Spitzen die Ehrenwürde, anscheinend ohne größere Probleme, aberkannt. Nur eben in Dietramszell nicht.

Über das Warum machte sich Amelie Fried in der Jüdischen Allgemeinen ihre Gedanken: „Bald wurde deutlich, dass im Wesentlichen zwei Gründe zur Ablehnung geführt hatten. Einige wollten der Bürgermeisterin schaden, andere hielten sich an Formaljuristischem fest und verkannten die Bedeutung des symbolischen Aktes. Die Ehrenbürgerwürde sei mit dem Tod erloschen, hieß es, außerdem könne man frühere Entscheidungen nicht nachträglich revidieren.

Hier kommen wir der Sache näher: Die Vorgänger der jetzigen Räte waren häufig Verwandte. Die Frage stellt sich allerdings, welcher Grad an Geschichtsvergessenheit bei Inhabern eines politischen Amtes hinnehmbar ist. Abgesehen von den fragwürdigen persönlichen Motiven der acht Räte demonstriert dieser Vorgang einen Mangel an Verantwortungsbewusstsein, der mit der Pflicht eines Gemeinderates nicht vereinbar ist: Schaden von seiner Gemeinde abzuwehren.“

Bürgermeisterin Gröbmaier, die einer sog. „Bürgerliste“ angehört, bemühte sich sichtlich um Schadensbegrenzung: „Es ist der Eindruck entstanden, der uns nicht gerecht wird… Das Thema ist einfach nur unterschätzt worden, ich bin sicher, dass hier niemand braunes Gedankengut hegt.“ Die acht Gemeinderäte, die sich gegen eine Distanzierung von Hitler ausgesprochen hatten, entschuldigte Gröbmaier (gemäß Augsburger Allgemeine) damit, dass diese die „Dimension ihres Abstimmverhaltens nicht annähernd bedacht“ hätten.

Unter dem Druck der Öffentlichkeit, inzwischen hatte es auch Proteste aus dem Ausland gegeben, zu einem Einlenken veranlasst, beriefen die Dietramszeller noch für den 17. 12. 2013 eine erneute Gemeinderatssitzung mit Abstimmung ein. Zuvor war den beiden prominenten Mitbürgern Peter Probst und Amelie Fried die Gelegenheit einer Stellungnahme gewährt worden. Beide fanden Worte, die bei vernunftbegabten, ratiogesteuerten, menschlichen Wesen durchaus auf Akzeptanz und Einsicht stoßen mussten. So berichtete Frau Fried u.a. von der Ermordung mehrerer ihrer Familienmitglieder durch die Nationalsozialisten – aber auch von dem Entsetzen, das sie nach der ersten Abstimmung ergriffen habe.

Ebenfalls noch vor der zweiten Abstimmung wurde eine Erklärung der acht Gemeinderäte, die sich gegen eine Distanzierung von Hitler ausgesprochen hatten, verlesen: Sie seien der Meinung gewesen, die Ehrenbürgerwürde sei mit dem Tode Hitlers und Hindenburgs erledigt gewesen. Die Verleihung der Ehrenbürgerwürde sei für sie ein Bestandteil der Ortsgeschichte, die man nicht verdrängen dürfe. Ferner sei es nie ihre Absicht gewesen die Verbrechen Hitlers zu verharmlosen. Sie hätten auch unterschätzt, dass ihr Abstimmverhalten als Verharmlosung der NS-Untaten verstanden werden könnte. Man sei bereit die Verantwortung zu übernehmen und bedauere, dass dem Ruf Dietramszells Schaden zugefügt worden sei.

Dass diese Worte der Dietramszeller Verharmloser Hitlers tatsächlich von verspäteter Läuterung und ehrlicher Reue zeugen, darf bezweifelt werden, wie auch Frau Fried nach der zweiten Abstimmung in der Jüdischen Allgemeinen zum Ausdruck brachte: „Wir können nicht beurteilen, ob dieser (zweite) Beschluss aus strategischen Gründen, aus Opportunismus oder Einsicht erfolgt ist. Was bleibt, ist das Erschrecken darüber, dass es in unserem Heimatort Menschen gibt, die es nicht für nötig hielten, sich vom schlimmsten Massenmörder der Menschheitsgeschichte zu distanzieren. Mit dieser Erkenntnis dort weiterzuleben, ist eine Herausforderung.“

Die zweite Abstimmung war mit einem einstimmigen Ergebnis erfolgt; man distanzierte sich von Adolf Hitler und von Paul von Hindenburg und entzog beiden die Ehrenbürgerwürde. Gemäß tz-Berichterstattung applaudierte das Publikum hierauf dem Gemeinderat.

Drei Tage nach dieser Abstimmung und einige Tausend Kilometer weiter westlich, jenseits des Atlantiks, flimmerte die populäre Jay Leno Show über Millionen von US-Bildschirmen. Der Showmaster im maßgeschneiderten 3000$-Anzug und mit dem überlegenen Lächeln dessen auf den Lippen, der auf der Sonnenseite des Lebens steht, entlud galligen Spott über jenes „kleine Dorf im Süden Deutschlands“, dem er riet doch noch zu warten, bis tatsächlich sämtliche Fakten auf dem Tisch lägen – sechzig Jahre seien ja doch eine verdammt kurze Zeit…

Recht geschieht den Uneinsichtigen unter den Dietramszellern, die noch dem Gestern verhaftet sind, und die die Zeichen der modernen Zeit nicht erkennen wollen. Man kann sich nur für jedes weitere bayerische Dorf, das an seiner Hitlerehrenbürgerschaft festhalten will eine ähnlich wirksame Bestrafung wünschen…

Nachtrag:

Am 9. Januar 2014 griff die Süddeutsche das Thema Dietramszell erneut auf, diesmal im Hinblick auf die Büste des Generalfeldmarschalls von Hindenburg am Eingang des örtlichen Klosters, die sich, ganz plötzlich, zum allgemeinen Ärgernis entwickelt hat.

Während Bürgermeisterin Gröbmaier und Stadtarchivarin Wagner sich für eine zeitgemäße Infotafel unter der Skulptur aussprachen, wünscht die Klosteroberin, offensichtlich eine vernünftige Frau, die Beseitigung bzw. Entfernung der Büste des preußischen Militaristen und millionenfachen Menschenschlächters.

Ein Nachfahre der Adelsfamilie, der das Kloster einst gehörte und bei der Hindenburg alljährlich in Dietramszell seine Sommerfrische zu verbringen pflegte, Florian von Schilcher, findet es grotesk, dass die Büste abgehängt oder mit einer Infotafel versehen werden soll: „Die Art und Weise, wie man Hitler und Hindenburg über einen Kamm schert, widerspricht sämtlichen historischen Fakten.“ Auch über die Wahl-Dietramszeller Amelie Fried und Peter Probst ließ sich der blaublütige Traditionalist aus: „Es ist absurd wie zwei Leute, die nicht einmal von hier sind, die ganze Gemeinde manipulieren.“

In den Foren der Ultrarechten wäre Herr Schilcher sicher ein gern gelesener Kolumnist geworden. Da heißt es, unter der Überschrift „Dietramszell verweigert eine Distanzierung von den Nazi-Größen“, ganz in seinem Sinne: „Ja, den Hindenburg versuchen sogenannte ‚Historiker‘ immer mehr als Wegbereiter des Nationalsozialismus zu diffamieren. Irgendwann mal sieht man bestimmt in ihm den nationalsozialistischsten aller Nationalsozialisten. De facto begann dann die Zeit des Nationalsozialismus bereits 1925 mit seiner Wahl zum Reichspräsidenten – was für uns weitere 8 Jahre bedeutet, für die wir bis in alle Ewigkeit zu büßen haben.“

Wer die bayerische Geschichte kennt, weiß, dass der NS in Bayern noch wesentlich früher entstanden ist: 1918 die antisemitische Thule-Gesellschaft, 1919/1920 die DAP/NSDAP, 1921 die SA und 1925 die SS, alle jeweils in der bayerischen Landeshauptstadt München! Einheimische spielten dabei als ‚Gründerväter‘ und Pioniere der ‚Bewegung‘ eine ganz besondere Rolle: Göring, Himmler, Eckart, Amann, Röhm, Pöhner, Strasser, Streicher, Zöberlein und viele mehr …

Anmerkungen:

Der Wikipedia-Artikel zu Dietramszell verdient Lob und Anerkennung. Anders als bei den WP-Einträgen zu den meisten anderen bayerischen Städten, Dörfern und Gemeinden gibt er die Umstände für die späte Distanzierung von Hitler und Hindenburg detailliert und vor allem ehrlich wieder.

Die Diskussionseiten der Wiki-Artikel zu Amelie Fried und Dietramszell lohnen gleichfalls einen Blick. Da wird unter den Überschriften „Persönlichkeiten“, „Historische Persönlichkeiten“, „Persönlichkeiten der Gemeinde“, „Wohnort und Ratespiele“ etc. die Preisgabe des Wohnortes von Amelie Fried und Peter Probst auf primitive Weise thematisiert, ebenso, wie es in der schlechten alten Zeit, als die SA noch das Sagen hatte, Tradition war. Absicht und Hintergedanke dieses unwürdigen Treibens: Man möchte durch Preisgabe der Adresse enthemmte Aktivisten zu autonomen ‚Maßnahmen‘ gegen unerwünschte Personen verleiten.

Hindenburgstraßen gibt es bedauerlicherweise nicht nur in Bayern noch viel zu häufig (über 1 Million Resultate bei google). Eine echte Bewegung in Richtung auf Umbenennung ist noch nicht erkennbar, lediglich einige einsame, weise Einzelentscheidungen.

Die Stadt Krefeld, die nicht in Bayern liegt, machte es richtig. Das dortige Vermessungsamt hat ein dreihundertseitiges Werk zu den eigenen Straßennamen herausgebracht, in dem man ganz ohne Tabus nachlesen kann, welcher problematische (NS-konnotierte) Straßenname wann zu welchen Diskussionen oder Kontroversen geführt hat.

Quellen:

Volker Ufertinger, Hitler noch Ehrenbürger von Dietramszell, Merkur, 15. 11. 2013

http://www.merkur-online.de/lokales/wolfratshausen/dietramszell/dietramszell-sitzungsprotokoll-gestossen-hitler-noch-ehrenbuerger-dietramszell-3222463.html

Petra Schneider, Ehre den Ehrlosen, SZ, 12. 12. 2013

http://www.sueddeutsche.de/bayern/nazi-groessen-in-dietramszell-ehre-den-ehrlosen-1.1841726

Volker Ufertinger, Gemeinderat entscheidet: Hitler ist Ex-Ehrenbürger, tz, 17. 12. 2013

http://www.tz.de/bayern/germeinderat-dietramszell-entscheidet-hitler-ex-ehrenbuerger-tz-3277425.html

Dietramszell distanziert sich, BR, 18. 12. 2013

http://www.br.de/nachrichten/oberbayern/dietramszell-hitler-hindenburg-ehrenbuerger-100.html

Sven Daam, Bayerisches Dorf gibt nach: Hitler nicht mehr Ehrenbürger, AA, 18. 12. 2013

http://www.augsburger-allgemeine.de/bayern/Bayerisches-Dorf-gibt-nach-Hitler-nicht-mehr-Ehrenbuerger-id28154492.html

Petra Schneider, Im zweiten Anlauf auf Distanz zu Hitler; SZ, 18. 12. 2013

http://www.sueddeutsche.de/bayern/dietramszell-im-zweiten-anlauf-auf-distanz-zu-hitler-1.1846846

Sebastian Krause, Hitler kein Ehrenbürger – Spott aus den USA, BR, 24. 12. 2014

http://www.br.de/nachrichten/oberbayern/dietramszell-jay-leno-hitler-100.html

Amelie Fried, Hitler in der Provinz, JA, 2. 1. 2014

http://www.juedische-allgemeine.de/article/view/id/17980

Petra Schneider, „Da gehört das nicht hin“, SZ, 9. 1. 2014

http://www.sueddeutsche.de/muenchen/wolfratshausen/dietramszell-da-gehoert-das-nicht-hin-1.1859537

Forum: Dietramszell verweigert eine Distanzierung von den Nazi-Größen

http://www.politikforen.net/showthread.php?147672-Dietramszell-verweigert-eine-Distanzierung-von-den-Nazi-Gr%C3%B6%C3%9Fen

Gemeinde Dietramszell

http://www.dietramszell.de/index.php?id=313

Internet:

http://de.wikipedia.org/wiki/Bad_T%C3%B6lz

http://de.wikipedia.org/wiki/Dietramszell

http://de.wikipedia.org/wiki/Amelie_Fried

http://de.wikipedia.org/wiki/Paul_von_Hindenburg

http://de.wikipedia.org/wiki/Adolf_Hitler_als_Ehrenb%C3%BCrger

http://de.wikipedia.org/wiki/Adolf_Hitler

http://de.wikipedia.org/wiki/Charlotte_Knobloch

http://de.wikipedia.org/wiki/Jay_Leno

http://de.wikipedia.org/wiki/Max_Mannheimer

http://de.wikipedia.org/wiki/M%C3%BCnsing

http://de.wikipedia.org/wiki/Peter_Probst

http://de.wikipedia.org/wiki/Rosenheim

http://de.wikipedia.org/wiki/Sch%C3%A4ftlarn

11 Kommentare

  1. Sogar die Huffingtonpost brachte einen Beitrag über den Dietramszeller Skandal.

    Der Link, unten, enthält ein Video. Darin ist zu sehen, dass u.a. die Daily News, der BBC-World-Service und The Telegraph, dass tatsächlich weltweit über den Fall Dietramszell berichtet wurde.

    Gut so, wer heute noch an Hitler festhält, oder so tun will, als ginge ihn ‚das damals‘ nichts an, der verdient auch die Schande der ganzen Welt

    http://www.huffingtonpost.com/2013/12/18/hitler-honorary-citizenship_n_4465881.html

  2. Obwohl sie für den ganzen Schlamassel im Dorf hauptverantwortlich war, heißt die Gewinnerin der kommenden Kommunalwahlen in Dietramszell CSU!

    Man fasst es nicht, wie blöde doch Bayern sein können.

    Soeben erschien in der Stuttgarter Zeitung ein langer, lesenswerter Artikel über den Ehrenbürgerskandal von Dietramszell, in dem u.a. zu lesen ist:

    „CSU, Grüne und Freie Wähler haben sich schon vor der im März anstehenden Kommunalwahl auf einen Christsozialen geeinigt, Michael Häsch, ein Hüne, Hühnerzüchter und Bauer aus einer Familie, die immer schon in der Politik war.“ http://www.stuttgarter-zeitung.de/inhalt.gemeinde-dietramszell-und-hindenburg-ein-dorf-schiesst-sich-ins-knie-page3.0036e486-1677-4118-ad7f-e9a6a3da9986.html

    Ja, aus einer Familie, die immer schon in der Politik war, wahrscheinlich auch schon unter den Nazis.

    Bayern bleibt eben Bayern. Unbelehrbar und uneinsichtig.

    Wie schrieb einst Feuchtwanger über das Motto der Bayern: Bauen, brauen, sauen…
    (Betonung auf Letzterem!)

  3. Wie nicht anders zu erwarten war, gehören jene Dietramszeller Gemeinderäte, die Hitler als Ehrenbürger behalten wollten, der Bayern regierenden CSU an, bzw. den ebenfalls knochenkonservativen sog. Freien Wählern (FW):

    „Wir können doch nicht unsere Geschichte umschreiben“, sagte Traudi Fröstl (CSU). Man müsse die Zeitumstände berücksichtigen und dürfe die damaligen Gemeinderäte nicht verurteilen. „Ich finde das lachhaft.“Ob man sich auch von noch lebenden Politikern distanzieren könne, fragte Ingrid Grimm (FW) launig. „Da könnte man ein besseres Zeichen setzen, als bei diesen Uraltgeschichten.“

    Josef Hauser (FW) betonte, dass die Ehrenbürgerwürde ohnehin mit dem Tod einer Person erlösche. „Ich hätte das Thema nicht auf die Tagesordnung gesetzt.“ http://www.sueddeutsche.de/muenchen/wolfratshausen/umstrittene-ehrenbuerger-hitler-und-hindenburg-ohne-worte-1.1841645

    Immer wieder sind es diese konservativen Lumpen in Bayern, die glauben, alles Schlechte bewahren zu müssen.

    Im CSU-regierten niederbayerischen Deggendorf beispielsweise hat eine antifaschistische Initiative bereits vor paar Jahren die Umbenennung des nicht mehr zeitgemäßen Heldenhains der Stadt (in dem auch strammen SS’lern alljährlich mit Blasmusik, Pfarrer und Bürgermeister gedacht wurde!) angeregt und nichts tat sich. Erst als eine Internetkampagne den guten Ruf Deggendorfs bedrohte, bewegten die CSU-Nazi-Traditionalisten ihre fetten Ärsche. http://test.hagalil.com/2013/07/29/deggendorf-15/

    Einst gehörten die Einflussreichen in den bayerischen Dörfern und Kleinstädten der NSDAP an, heute gehören deren Enkel und Urenkel abermals der stärksten Partei, der CSU, an, und sie bewahren das ‚Erbe‘ ihrer Vorväter, wie man in Deggendorf und in Dietramszell sieht.

    Die CSU ist für einen demokratischen Bürger nicht wählbar, darum:

    NIEDER MIT DER CSU !

  4. Ein SZ-Kommentar von Felicitas Amler geht ungewöhnlich direkt und erfreulich offen mit dem skandalösen Verhalten der Dietramszeller Gemeinderäte, die ihre eigenen Nazivorfahren heute noch verteidigen, um:

    „12. Dezember 2013
    NS-Spuren in Dietramszell Gestank von tausend Jahren

    Die Sache ist so unfassbar, dass dem schockierten Beobachter schier die Begriffe ausgehen: Wie soll man es nennen, dass Dietramszell es abgelehnt hat, sich von der Ehrenbürgerschaft Hindenburgs und Hitlers zu distanzieren? Entsetzlich, skandalös, haarsträubend, verheerend? Alles zutreffend und doch nicht ausreichend. Der Gemeinderat hat ja nicht irgendeinen unmöglichen bürokratischen Akt zurückgewiesen. Diesen Eindruck versuchen jene zu erwecken, die völlig abstrus argumentieren, man könne eine Ehrenbürgerschaft gar nicht aufheben, wenn der Geehrte erst einmal tot sei. In Wirklichkeit hat sich die politische Repräsentanz der Gemeinde Dietramszell geweigert, die Verehrung eines der größten Verbrechers der Menschheitsgeschichte in aller Form zu revidieren. Politiker, die zu solchen Beschlüssen kommen, gehören von den Bürgern aus den Mandaten getrieben. Und eine Bürgermeisterin, die das Ganze ohnmächtig geschehen lässt, ist offenkundig fehl am Platz.

    Wie überfordert Leni Gröbmaier mit der Situation ist, zeigt ihre Erklärung zwei Tage nach dem Beschluss: Sie will abwarten, was die Gemeinderäte, mit deren Votum sie nicht gerechnet hatte – schon dies eine Bankrotterklärung sondergleichen – nun zu tun gedenken. Abwarten ist gewiss das Letzte, was hier angezeigt ist.

    Eigentlich hätte man schon ahnen können, wie unfähig die Dietramszeller Lokalpolitik ist, mit dem Erbe der Nazizeit aufzuräumen, als Gröbmaier einen Arbeitskreis zur Vorbesprechung einberufen hatte. Wozu das Herumgeeiere? Braucht die Bürgermeisterin erst eine Expertise, um zu wissen, wie Nazi-Größen und deren Wegbereiter einzuordnen sind? Schlimm genug. Aber noch schlimmer: Der eindeutige Rat des mit Rechtsextremismus und Neonazis befassten grimmepreisgekrönten Autors Peter Probst, Dietramszell müsse sich nicht nur von Hitlers Ehrenbürgerschaft, sondern auch von der Hindenburgs distanzieren, hat gar nichts gebracht. Dass auch Hindenburg, wie Probst sagte, Hunderttausende auf dem Gewissen hat – geschenkt. Dergleichen rührt den Dietramszeller Gemeinderat weniger als die Frage, ob er „die damaligen“ Gemeinderäte verurteilt. Das nämlich wurde expressis verbis abgelehnt. Im Klartext: Lokale Nazis zu verurteilen ist in Dietramszell im Jahre 2013 nicht opportun. Das darf nicht das letzte Wort gewesen sein.“

  5. Die Autorin beschwört in ihrem Einleitungssatz den „gesunden Menschenverstand“, später fallen auch noch Begriffe, wie „vernunftbegabt“ und „ratiogesteuert“, bezogen auf die Dietramszeller.

    Pardon, aber das ist einfach zuviel verlangt von großen Teilen der deutschen bzw. bayerischen Bevölkerung. Vernunft genießt da einfach zu wenig Prestige, man verlässt sich lieber auf seine Gefühle (und behält seine NS-Ehrenbürger).

    Wie schwer es manchen Leuten fällt ein gesundes Gleichgewicht zwischen Gefühl und Vernunft zu finden, zeigt dieser Film:

    Reason and Emotion: http://www.youtube.com/watch?v=FYvr28-5QKw

    Und das passiert, wenn man seinen Verstand an den Nagel hängt und sich nur noch Emotionen hingibt:

    http://www.youtube.com/watch?v=A3gfxGVo8oI
    http://www.youtube.com/watch?v=8MO7YerIiWU

    „Right into the Führer’s face“, heißt es in dem letzten Film gegen Ende zu, na, wäre das kein Aufruf, den man heute noch befolgen sollte?

    Also, Ihr Bayern, macht ein Ende mit Ehrenbürger Adolf Hitler und jagt ihn endlich zum Teufel (dahin, wo er längst hingehört)!

    Schluss mit Ehrenbürger Hitler, bayernweit, deutschlandweit!

  6. Da anzunehmen ist, dass unser ‚lieber‘ Freund Hans Dieter nicht der einzige Hindenburg-Romantiker unter den geschätzten Lesern ist, hier ein paar Fakten über das Idol von Millionen einst, und, möglicherweise, heute noch:

    „Als Chef der dritten OHL (Oberste Heeresleitung) während d. Ersten Weltkrieges bestimmte er mit General Erich Ludendorff weitgehend die deutsche Kriegspolitik. Mit den von ihm angeordneten Maßnahmen entwickelte er erste Formen einer TOTALEN KRIEGFÃœHRUNG. Nach dem Krieg verbreitete H. wider besseres Wissen die Legende von der im Felde unbesiegten Armee und trug auf diese Weise dazu bei, das Vertrauen weiter Kreise der Bevölkerung in die Republik (von Weimar) zu erschüttern.“
    Hindenburg, Paul von… In: Biographisches Lexikon zum Dritten Reich, (Hg.) Hermann Weiß, Frankfurt a. M. 2002.

    Hindenburg betrieb also eine Art von Kriegführung, die eigentlich eher mit Goebbels in Verbindung gebracht wird, und, er ebnete durch seine demokratiefeindliche Haltung den Nationalsozialisten schon früh den Weg.

    „Hindenburgprogramm, … Seine z. T. unter dem Einfluß der Großindustrie erhobenen Forderungen nach Verdoppelung der Munitionszufuhr und Verdreifachung der Geschützlieferungen bis Frühjahr 1917 … Kritik am Hindenburgprogramm äußerte neben Helfferich u.a. der preuß. Kriegsminister Wild von Hohenborn angesichts der großen Gewinne der Rüstungsbetriebe…“
    „Hindenburgprogramm“. In: Lexikon der deutschen Geschichte bis 1945, (Hg.) Gerhard Taddey, Stuttgart 1998.

    Während also die einfachen Soldaten auf den Schlachtfeldern reihenweise verbluteten, bekamen Waffenbarone und oberste Kriegführer ihre Taschen nicht zu – vor lauter Geld, Geld, Geld.



    Auch der Blick in ein DDR-Nachschlagewerk lohnt:

    „Zugleich verbreitete er (Hindenburg) die sog. Dolchstoßlegende. H. stand als Kriegsverbrecher Nr. 127 auf der französ. Auslieferungsliste…

    Hindenburg trug wesentlich zum Wiedererstarken des Imperialismus und Militarismus in Deutschland bei…

    … unterstützte moral.-polit. den Ausbau des faschist. Terrorregimes: 21. 3. 1933 Tag von Potsdam, Danktelegramm am 30. 6. 1934 an Hitler anläßl. des sog. Röhmputsches u. Würdigung Hitlers in seinem am 16. 8. 1934 veröffentlichten Testament.“
    Biographien zur Weltgeschichte – Lexikon, (Hg.) Heinz Tillmann u.a., Berlin Ost 1986.

    Die deutschen Kriegsverbrechen des Zweiten Weltkrieges sind inzwischen gut erforscht, das Gegenteil muss über entsprechende Scheußlichkeiten des ersten großen Völkerschlachtens gesagt werden. Auch Hindenburgs Rolle harrt noch der genauen Untersuchung.
    Offensichtlich doch, hatten die Franzosen gute Gründe Hindenburgs Auslieferung zu fordern!
    Hindenburgs Telegramm an Hitler bzw. sein Testament klingen doch sehr nach Anbiederung.

    Weitere Aufschlüsse zum ‚echten‘ Hindenburg sind Wikipedia zu entnehmen.

  7. Man hätte Hindenburg nicht mit Hitler in einen Topf werfen sollen, denn Hindenburg wurde durch Betrug übertölpelt; er hatte zuvor verächtlich von dem „bömischen Gefreiten“ gesprochen.
    Die Stadträte sind wahrscheinlich alte Männer, in denen das Nazitum noch nicht als Verbrechen assoziiert wird.

    • „Man hätte Hindenburg nicht mit Hitler in einen Topf werfen sollen, denn Hindenburg wurde durch Betrug übertölpelt;“

      Es ist zusätzlich so, daß die rechten, konservativen und nationalen Kreisen der Weimarer Republik dachten, gerade weil sie Hitler verachtet haben, die Nazis und Hitler kontrollieren zu können. Und wenn dann noch Hindenburg eine stattliche Summe bezahlt wird, warum Hitler nicht zum Reichskanzler ernennen. Dumm nur, daß sie sich in den Nazis und deren organisierten Struktur mit SA usw. sehr getäuscht haben.
      Tölpel paßt nur zu gut.

      Ansonsten kann ich zeitgenosse nur zustimmen.

      Kyniker

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