Jordim: Die Absteiger

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Wer sich für die Geschichte der Kreuzfahrer interessiert, muss fragen, was brachte die Kreuzfahrer zum Untergang? Wenn man überall im Land so stolze Reste ihrer Burgen sieht, fragt man sich dies. Die traditionelle Antwort ist: der Sieg über die Kreuzfahrer in der Schlacht an den Hörnen von Hittin, Zwillingshügel in der Nähe des Sees Genezareth, 1187 durch den großen muslimischen Sultan Salah-ad-Din (Saladin)…

Doch der Kreuzfahrerstaat lebte weitere 100 Jahre in Palästina und seiner Umgebung. Der maßgeblichste Historiker, der sich mit den Kreuzfahrern befasst hat, ist der verstorbene Steven Runciman . Er gab eine völlig andere Antwort: Das Königreich der Kreuzfahrer brach zusammen, weil zu viele Kreuzfahrer in die Heimat ihrer Vorfahren zurückkehrten, während zu wenige hinzukamen. Am Ende wurden die letzten ins Meer geworfen (buchstäblich).

ES GIBT große Unterschiede zwischen dem Kreuzfahrerstaat, der in diesem Land zweihundert Jahre währte, und dem gegenwärtigen Staat Israel; aber es gibt auch einige verblüffende Ähnlichkeiten. Deshalb zieht mich ihre Geschichte immer wieder an.

In letzter Zeit wurde ich an Runcimans Schlussfolgerung erinnert, weil in unsern Medien plötzlich Interesse an dem Phänomen der Auswanderung besteht. Manche Kommentare grenzen an Hysterie.

Es gibt zwei Gründe.
Erstens: Eine Fernsehserie berichtet über israelische „Absteiger“ die ins Ausland herunter steigen.
Zweitens: der Nobelpreis für Chemie geht an zwei Ex-Israelis. Beides verursachte viel Händewringen.

„Die Herabsteigenden“ (Yordim) ist der Terminus für Auswanderer — Leute, die nach Israel kommen, um hier zu leben, nennt man „Aufsteigende“ ( Olim), das im Hebräischen ein ähnliches Wort für Pilger ist. Wahrscheinlich hat das Wort etwas mit der Tatsache zu tun, dass Jerusalem auf einem Hügel liegt, von allen Seiten von Tälern umgeben ist, also muss man hinaufgehen, um es zu erreichen. Natürlich gibt es auch eine ideologische zionistisch-wertende Verbindung zu diesem Terminus

Vor der Gründung unseres Staates und während der ersten Jahrzehnte sahen wir uns als heldenhafte Gesellschaft, die gegen große Schwierigkeiten ankämpfte, einschließlich mehrerer Kriege. Leute, die uns verließen, wurden als Deserteure angesehen, wie Soldaten, die während einer Schlacht ihre Einheit verlassen. Jitzhak Rabin nannte sie „Abfall“.

Was die Fernseh-Geschichte so erschreckend machte, war, dass sie gewöhnliche junge Israelis aus der Mittelklasse zeigte, die für immer nach Berlin, London oder New Jersey siedelten. Einige ihrer Kinder sprechen schon fremde Sprachen und geben Hebräisch auf. Schrecklich.
Bis vor kurzem wurden „Herabsteigende“ ( hebr. Yordim) mit Außenseitern der normalen Gesellschaft in Verbindung gebracht, mit Leuten der unteren Klasse und anderer, die ihren Platz nicht in der gewöhnlichen Gesellschaft finden konnten. Aber hier waren es normale, gut erzogene junge Paare, in Israel geboren, die gut Hebräisch sprechen. Ihre Hauptklage – sie klang eher wie eine Entschuldigung –war, dass sie in Israel mit ihren Finanzen nicht bis ans Monatsende kamen, dass ihr Mittelklassegehalt nicht für ein bescheidenes Leben ausreichte, weil die Gehälter zu niedrig und die Preise zu hoch seien. Sie hoben die Mieten für Wohnungen heraus. Der Preis für eine Wohnung in Tel Aviv entspricht den Gehältern von 120 Monaten. (Das ist nicht verschrieben)

Doch nüchterne Nachforschung zeigte, dass Emigration während der letzten Jahre tatsächlich zurückgegangen ist. Umfragen zeigen, dass die Mehrheit der Israelis, sogar einschließlich einer Mehrheit arabischer Bürger, mit ihrer wirtschaftlichen Situation zufrieden sind – mehr als in den meisten europäischen Ländern.

DER ZWEITE GRUND für die Hysterie war der Nobelpreis, der an zwei amerikanische Professoren der Chemie verliehen wurde, die in Israel aufgewachsen sind, einer von ihnen sogar im Kibbuz.
Israel ist unendlich stolz auf seine Nobelpreisträger. Im Verhältnis zur Größe des Landes, ist ihre Anzahl tatsächlich außerordentlich.

Viele Juden sind tief davon überzeugt, dass der jüdische Intellekt bei weitem dem anderer Völker überlegen ist. Darüber gibt es eine Menge Theorien. Eine davon betrifft mittelalterliche Zeiten. Die europäischen Intellektuellen waren damals meistens Mönche, die im Zölibat lebten und ihre Gene nicht an Nachwuchs weiter vererbten. In jüdischen Gemeinden war es genau umgekehrt: Die Reichen waren stolz, ihre Töchter mit besonders begabten Torah-Gelehrten zu verheiraten und so erlaubten, dass ihr Nachwuchs unter privilegierten Umständen lebte.
Doch hier waren diese beiden Wissenschaftler, die Israel vor Jahrzehnten verließen, um auf fremden Wiesen zu grasen, ihre Forschungen in amerikanischen Prestige-Universitäten fortführen konnten.

In früheren Jahren wären sie Verräter genannt worden. Nun verursachen sie nur eine „tiefe“ Gewissensprüfung“. Einem der beiden, der Israel verlassen hatte, war keine Dozentenstelle beim hoch geachteten Weizmann-Institut angeboten worden. Warum ließen wir ihn gehen? Und was ist mit allen anderen?

Tatsächlich ist das kein speziell israelisches Problem. Abwanderung von klugen Köpfen findet in aller Welt statt. Ein ehrgeiziger Wissenschaftler sehnt sich nach den besten Laboratorien, den besten Universitäten. Junge Geister aus aller Welt strömen nach den USA. Israelis sind da keine Ausnahme. Wir haben gute Universitäten. Drei von ihnen stehen irgendwo auf der Liste der 100 besten Universitäten der Welt. Aber wer kann der Versuchung von Harvard oder Princeton widerstehen?

DIE PLÖTZLICHE Desillusion veranlasste Israelis, die israelischen Hochschulen genauer anzusehen. Es scheint, dass unser Standard nach unten rutscht. Unsere Universitäten erhalten zu wenig finanzielle Unterstützung von der Regierung, die Zahl der Professoren und ihre Qualität lässt nach. Abiturexamen sehen schlechter aus

Warum?

Immense Gelder werden von der Armee verschlungen, deren Forderungen von Jahr zu Jahr wachsen, obwohl sich unsere Sicherheitssituation die ganze Zeit verbessert.

Unsere ewig anhaltende Besatzung der palästinensischen Gebiete ist für unsere mageren Ressourcen wie ein Fass ohne Boden. Natürlich auch die Siedlungen. Unsere Regierung investiert in sie riesige Summen Geld. Die genaue Summe ist ein Staatsgeheimnis.
Auf die Dauer kann ein kleines Land mit begrenzten Mitteln keine große Armee unterhalten, dazu ein Besatzungsregime und Hunderte von Siedlungen, ohne alles andere zu vernachlässigen. Ein einziges Kampfflugzeug kostet mehr als eine Schule, ein Krankenhaus oder ein Laboratorium.

ABER MEINE Sorge über die Auswanderung bleibt nicht auf materielle Dinge beschränkt.

Die Leute gehen nicht nur aus materiellen Gründen. Sie denken vielleicht, dass sie emigrieren, weil das Leben in Berlin billiger sei als in Tel Aviv, dass man dort eher Wohnungen finden könne, die Gehälter höher die Preise niedriger seien. Es ist aber nicht nur die Stärke der Anziehungskraft des Auslands, das zieht – es ist auch die starke oder weniger starke Verbundenheit mit der Heimat.

In den Jahren, als die „Absteigenden“ als Müll angesehen wurden, waren wir stolz darauf, Israeli zu sein. Während der fünfziger und sechziger Jahre fühlte ich mich wohl, wenn ich meinen israelischen Pass bei einer Grenzkontrolle zeigte. Israel wurde in der ganzen Welt mit Bewunderung angesehen, nicht zum Geringsten bei unsern Feinden.

Ich glaube, dass es ein grundsätzliches Menschenrecht ist, auf seine Gesellschaft, auf sein Land stolz zu sein. Menschen gehören zu Nationen. Selbst im heutigen globalen Dorf benötigen die meisten Menschen das Gefühl, dass sie in ein bestimmtes Land und zu einem bestimmten Volk gehören. Keiner möchte sich dessen schämen.

Wenn heute ein Israeli seinen Pass zeigt, fühlt er keinen Stolz, er mag ein trotziges Gefühl empfinden („Wir gegen die ganze Welt“), aber er oder sie ist sich ihres Landes bewusst, dass es von vielen als Apartheidstaat angesehen wird und ein anderes Volk unterdrückt. Jede Person im Ausland hat zahllose Fotos schwer bewaffneter israelischer Soldaten gesehen, die Angst einflößend vor palästinensischen Frauen und Kindern stehen. Nichts, auf das man sehr stolz ist.

Dies ist kein Thema, über das jeder spricht. Aber es ist da. Und es sieht so aus, als würde es schlimmer werden.

Jüdische Israelis sind im von Israel beherrschten Land – vom Mittelmeer bis zum Jordan – schon eine Minderheit. Die Mehrheit der Untertanen, die jedes Jahr wächst, ist aller ihrer Rechte beraubt. Die Unterdrückung wird notwendigerweise wachsen. Das Bild Israels wird in aller Welt schlimmer werden. Der Stolz wird mit Israel schrumpfen.

EINE AUSWIRKUNG wird schon offensichtlich.

Eine einflussreiche kürzliche Umfrage, die unter amerikanischen Juden durchgeführt wurde, zeigt eine deutliche Abnahme der Verbindung junger Juden für Israel.

Die amerikanisch-jüdische Szene wird von älteren führenden Funktionären dominiert, die niemals von irgendjemand gewählt wurden. Sie üben eine enorme Macht über das amerikanische politische Leben aus, aber ihr Einfluss in ihrer eigenen Gemeinde lässt nach. Junge jüdische Amerikaner sind nicht mehr stolz auf Israel. Einige schämen sich sogar.

Diese jungen Juden stehen nicht auf, um zu protestieren. Sie haben Angst, Munition für Antisemiten zu liefern. Sie sind auch von Kind an so erzogen, dass wir Juden gegen die Gojim (Nichtjuden) zusammenstehen müssen; denn die wollen uns vernichten.

Anstatt ihre Stimme zu heben, halten sie den Mund, verlassen ihre Gemeinden und verschwinden aus ihren Augen. Dieser Prozess kann aber für Israel zutiefst verhängnisvoll werden. Unsere Politiker verlassen sich vollkommen auf ihren Einfluss auf die amerikanischen Politiker. Die eigenen Leute sind da weniger interssant. Wenn aber das amerikanische Establishment erst einmal bemerkt hat, dass die amerikanisch-jüdische Unterstützung Israels weniger wird, werden sie sich schnell vom Einfluss der entsprechenden Interessenverbände befreien.

ES GIBT noch einen anderen Aspekt der zionistischen Ideologie, die dieses Problem betrifft. Der Zionismus sollte die Juden nach Israel bringen. Darum geht es in erster Linie. Aber Zionismus kann eine Zwei-Fahrt- Straße sei.
Israel erklärt es sei der „Staat des jüdischen Volkes“ – Juden in aller Welt werden de facto als israelische Bürger angesehen. Aber wenn es keinen grundsätzlichen Unterschied zwischen einem Juden in Haifa und einem Juden in Hamburg gibt, warum soll man in Haifa bleiben, wenn das Leben in Hamburg so viel besser zu sein scheint?

Ich habe Jahrzehnte lang eine Kampagne geführt, die zionistische Ideologie durch einen einfachen israelischen Patriotismus zu ersetzten. Vielleicht kommt die Zeit noch, dies zu tun – nachdem sich Israel in ein Land verwandelt hat, auf das man wieder stolz sein kann.

übersetzt v. Ellen Rohlfs

20 Kommentare

  1. Israelbasherin Nr.1 von hagalil erklärt uns die säkularen Zionisten würden sich auf Gott berufen.
    In der Unabhängigkeitserklärung des Staates Israel befindet sich im Gegensatz zu einigen anderen Staaten nicht das Wort Gott.
    Wieder einmal beweist sie ihre abgrundtiefe Ignoranz.

  2. Eine Lüge wird nicht wahr, wenn Sie oft wiederholt.
    Israelbasherin Nr.1 von hagalil behauptet die israelische Regierung hätte teure Inserate gegen Mischehen in den USA geschaltet. Bitte den Nachweis bringen.
    Gut zu wissen, wenn diese „Dame“ hier bestätigt, die islamistischen Terroristen haben in Bombay Juden umgebracht nur weil sie Juden sind. Denn wie sie bestätigt war wenigstens ein Opfer nicht Israeli. Ja eine Frage, warum bringen diese angeblichen Antizionisten einen antizionistischen Rabbiner um?
    Ich weiß nicht ob der Sarg eines Terroropfers in eine Fahne eingewickelt war oder nicht. Aber ich notiere, der antijüdische Mord stört das vermutliche Nazimädchen nicht, sie ist aber empört, weil da angeblich eine Fahne um seinen Sarg gewickelt war und die Familie das nicht wollte. Geht es noch zynischer?

  3. „Auch nichts dazu, dass angeblich “Juden in aller Welt werden de facto als israelische Bürger angesehen”. Ist das die Haltung der israelischen Regierung?“

    Karl Pfeifer – für diese Ansicht bekommen Nicht-Juden in Antisemitismusumfragen gleich einen fettes Minus – was verdeutlicht, wie unfair solche Statistiken mitunter zusammengebastelt werden – denn ja – es ist recht deutlich, dass die israelische Regierung das so sieht. (weshalb man sich nicht beschweren darf, wenn Menschen anderer Religion und Nationalität das tatsächlich auch so wahrnehmen/aber upps – man soll so tun als ob, sonst macht man sich verdächtig)

    Warum wohl schaltete die israelische Regierung schon in den USA teure Werbespots gegen ‚Mischehen‘? (gegen die sich die amerikanischen Juden erfolgreich zur Wehr setzten)

    In der ‚Jüdischen Zeitung‘ konnte man folgendes lesen:

    „Der israelische Staat beansprucht häufig für sich, die Gesamtheit aller Juden zu repräsentieren. Er behauptet außerdem, dass Juden sich nur in Israel wirklich sicher fühlen könnten. Um diese Behauptungen zu stärken, wird auch auf den tragischen Anschlag in Bombay hingewiesen werden.

    Die jüdischen Leichname, deren Särge in israelische Flaggen eingeschlagen waren, wurden von israelischen Kriegsflugzeugen rückgeführt. Mindestens eine der hinterbliebenen Opferfamilien, die des getöteten Rabbiners Arjeh Leibusch Teitelbaum, die der anti-zionistischen Strömung der Satmarer Chassiden angehört, hatte das Angebot Israels strikt zurückgewiesen, zusammen mit den anderen Hinterbliebenen an einer offiziellen Gedenkfeier teilzunehmen. Sie untersagte es außerdem, dass der Sarg des Rabbiners in die israelische Flagge eingeschlagen würde. Aber, wie die israelische Tageszeitung «Haaretz» Anfang Dezember letzten Jahres schrieb, «all ihre Einwände fielen auf taube Ohren ». Das ist in diesem Fall besonders infam, da der Rabbiner weder die israelische Staatsbürgerschaft angenommen noch die ihm und seiner Familie zustehende finanzielle Unterstützung des Staates in Anspruch genommen hatte.

    Ein Freund des verstorbenen Rabbiners reagierte mit folgenden Worten auf die politische Vereinnahmung des Leichnams durch die israelische Amtsgewalt: «Habt ihr, die Zionisten, diesen Mann umgebracht und beerbt ihn nun auch noch? Ist es nicht schon genug, dass er ein unschuldiges Opfer eurer Auseinandersetzung mit den Palästinensern geworden ist? Müsst ihr auch noch Gewinn aus seinem Tod schlagen?» …“

    http://www.j-zeit.de/archiv/artikel.1630.html

  4. Ist hier nicht einundderselbe Grund maßgebend, nämlich Mangel an Vertrauen zu Gott?
    a) dieser Mangel treibt die Politiker an, zu sehr auf die militärische Macht zu vertrauen, statt auch auf Gott zu vertrauen.
    b) Die Jordim bewerten das Materielle zu hoch und haben zu wenig Bewußtsein entwickelt, dass Gott ihnen in Israel mehr beisteht als in anderen Nationen.

    • Hans Dieter,
      a) Millionen Juden haben auf Gott vertraut und wurden ermordet. Darunter mehr als eine Million Kinder.
      b) „Richtet nicht, auf daß ihr nicht gerichtet werdet.“ Matthäus 7:1

      • Ja, Karl, aber die „Zeiten der Nationen“, in denen das möglich war, sind seit Mai 1948 zu ende, und wir danken Gott dafür und hoffen auf die Auferstehung der Toten.
        Es liegt mir fern, jemanden zu richten, aber es ist doch die Wahrheit, menst Du nicht auch?

      • „Millionen Juden haben auf Gott vertraut und wurden ermordet“

        Das ist der Widerspruch des säkularen Zionismus – Gott gibt’s nicht – aber er hat uns das Land versprochen.

      • Hallo Herr Pfeifer,

        herzlichen Dank für Ihren Beitrag.
        In der Tat: eine Theologie ohne Eingedenken des Shoa ist heute nicht viel Wert. Leider scheint das in den christlichen Kirchen nicht angekommen zu sein – wegen ihrer historischen Belastung zum Judentum auch nicht verwunderlich 🙁

        Gruß Kyniker

  5. “ …Immense Gelder werden von der Armee verschlungen, deren Forderungen von Jahr zu Jahr wachsen … Auf die Dauer kann ein kleines Land mit begrenzten Mitteln keine große Armee unterhalten …“

    …KEINE weiteren EXPERIMENTE starten

    …sich gar

    neu hinzukommende arabische ‘RaketenAbschussrampen‘ in:
    ‘sich selbst‘, Abu Mazens Anarchie und Tyrannay überlassene, UNkontrollierte, destablished territories

    leisten!

  6. Avnery: „Ich habe Jahrzehnte lang eine Kampagne geführt, die zionistische Ideologie durch einen einfachen israelischen Patriotismus zu ersetzten.“

    Bei solchen Äußerungen kommt mir das kalte Grauen hoch, denn wer die zionistische Ideologie bekämpft, muß als Konsequenz gegen Patriotismus (aka Nationalismus in Friedenszeiten) sein. Welchen Patriotismuns Begriff hat Avnery denn hier?

    „Ich glaube, dass es ein grundsätzliches Menschenrecht ist, auf seine Gesellschaft, auf sein Land stolz zu sein.“

    Nun ja, das erklärt (leider) einiges, denn Stolz kann man nur auf seine eigenen Leistungen sein. Im welchen Land ich geboren werde, ist Zufall bzw. von mir nicht bestimmt.

    Gruß Kyniker

    • Wenn Avenery proklamiert, „ein grundsätzliches Menschenrecht ist, auf seine Gesellschaft, auf sein Land stolz zu sein“ hat er die Ergeinisse im ehemalgen Jugoslawien verschlafen, denn sie zeigen die Konsequenz seiner Vorderung.

      Schade, aber Avenery kann ich als politische Person deswegen nicht mehr respektieren – als Mensch aber natürchlich schon.

      Kyniker

    • „Nun ja, das erklärt (leider) einiges, denn Stolz kann man nur auf seine eigenen Leistungen sein. Im welchen Land ich geboren werde, ist Zufall bzw. von mir nicht bestimmt.“

      Dann sollte Sie noch viel größeres Grausen in Anbetracht des extrem chauvnistischen ‚Absteiger- und Aufsteiger‘ Terminus packen.

      Sie haben offensichtlich nicht begriffen Kyniker, dass Avnery hofft, dass die Israelis ihren übersteigerten Chauvnismus mäßigen, hin zu der Art von Patriotismus, der umgänglichen Art, wie ihn die Franzosen oder Italiener pflegen.

      • Hallo Jane,
        „Sie haben offensichtlich nicht begriffen Kyniker, dass Avnery hofft, dass die Israelis ihren übersteigerten Chauvnismus mäßigen, hin zu der Art von Patriotismus, der umgänglichen Art, wie ihn die Franzosen oder Italiener pflegen.“

        Diese habe ich schon begriffen. Wie ein kluger Deutsche schon schrieb: Patriotismus ist Nationalmismus in Friedenszeiten.

        Im dem Sinne verurteile ich jeglichen Patriotismus, auch den Französischen, Italschiten usw.

        Kyniker

      • Sorry für meine Rechtschreibfehler: habe leider starke Trigeminus-Schmerzen und die Schmerzmittel tuen ihr übriges.

        „Im dem Sinne verurteile ich jeglichen Patriotismus, auch den Französischen, Italschiten usw.“ Meine zum Schluß italienischen Patriotimus.

        Avnery scheint der Teufel durch einen anderen Dämon ersetzen zu wollen …?

        Kyniker

      • Nein – er will ihm nur die Zähne ziehen.

        So lange sich Patriotismus darin äußert, dass man mit Freuden anteil nimmt, nicht ohne einen gewissen, aber unaufgeblasenen Stolz, auf positive kulturelle Eigenheiten der eigenen Heimatregion, ohne dies mit erhobenem oder gar abfälligen Gestus anderen Gegenüber zu praktizieren, aus reiner Freude am guten Essen, an der Musik etc. – hat das nichts dämonisches.

        Nur ein übersteigerter Nationalismus ist gefährlich; in Deutschland hatten wir das vor 70 Jahren.

        Und genau den bedauert Avnery in Israel hier in diesem Text. Er will den Israelis nur nicht jeglichen Stolz auf ihr Land ausreden. Das ist weder dämonisch noch sonst was – sondern offenbart nur einen Wunsch, dass sich die Israelis etwas mäßigen sollten – die Freude an ihrem Land will er ihnen nicht nehmen.

      • Hallo Jane.
        „So lange sich Patriotismus darin äußert, dass man mit Freuden anteil nimmt, nicht ohne einen gewissen, aber unaufgeblasenen Stolz, auf positive kulturelle Eigenheiten der eigenen Heimatregion,…“

        Besten Dank für die Erläuterung.

        Der Begriff „Patriotismus“, wie er geschichtlich und politisch besetzt ist, passt leider nicht zu Avnery’s Absicht. „Patriotismus ist Nationalismus in Friedenszeiten.“ kommt ja nicht von ungefähr.

        Ich würde an Avnery’s Stelle hier den Bergiff Patriotimus nicht gebrauchen oder deutlich erläutern, was er damit meint.

        Ich erfreue mich übrigens an kulturelle Eigenheiten einiger verschiedener Regionen, obwohl ich nicht einmal den Pass des Landes besitze – dafür braucht es kein Patriotismus 🙂

        Und Heimatregion: Heimat ist, wo eich beerdigt werden werde.

        Kyniker

  7. Lieber Karl, auch hier haben wir beide beim Lesen ein und desselben Artikels ganz unterschiedliches herausgehört.

    Ich finde nicht, dass so ein Israelhasser, als der Avnery offensichtlich dargestellt werden soll, argumentieren würde.

    „Doch nüchterne Nachforschung zeigte, dass Emigration während der letzten Jahre tatsächlich zurückgegangen ist. Umfragen zeigen, dass die Mehrheit der Israelis, sogar einschließlich einer Mehrheit arabischer Bürger, mit ihrer wirtschaftlichen Situation zufrieden sind – mehr als in den meisten europäischen Ländern.“

    „Tatsächlich ist das kein speziell israelisches Problem. Abwanderung von klugen Köpfen findet in aller Welt statt. Ein ehrgeiziger Wissenschaftler sehnt sich nach den besten Laboratorien, den besten Universitäten. Junge Geister aus aller Welt strömen nach den USA. Israelis sind da keine Ausnahme. Wir haben gute Universitäten. Drei von ihnen stehen irgendwo auf der Liste der 100 besten Universitäten der Welt. Aber wer kann der Versuchung von Harvard oder Princeton widerstehen?“

    Warum bestehst du auf absolute Einseitigkeit. Meinst Du damit könne man irgendwen überzeugen?

    Und aus der Aussage:
    „Anstatt ihre Stimme zu heben, halten sie den Mund, verlassen ihre Gemeinden und verschwinden aus ihren Augen. Dieser Prozess kann aber für Israel zutiefst verhängnisvoll werden. Unsere Politiker verlassen sich vollkommen auf ihren Einfluss auf die amerikanischen Politiker. Die eigenen Leute sind da weniger interssant. Wenn aber das amerikanische Establishment erst einmal bemerkt hat, dass die amerikanisch-jüdische Unterstützung Israels weniger wird, werden sie sich schnell vom Einfluss der entsprechenden Interessenverbände befreien.“
    spricht die Sorge eines israelischen Patrioten und er hat Recht, sich Sorgen zu machen, auch wenn er es nicht mit soviel Pathos tut, wie viele die im Ausland sitzen und aus ihrem Gelsenkirchener Wohnzimmer meinen mit Durchhalteparolen und Fahnenschwingen und der Dämonisierung jedes Nichtjublers sei es schon getan.

    • Kein Wort dazu, dass Avnery die böse Behauptung aufstellt, die Juden (Zionisten)würden den amerikanischen Politikern was aufzwingen. Auch nichts dazu, dass angeblich „Juden in aller Welt werden de facto als israelische Bürger angesehen“. Ist das die Haltung der israelischen Regierung?
      Warum wohl hat Avnery jeden politischen Einfluß in Israel verloren? Kann es sein, dass die meisten Israelis ihn nicht als guten Patrioten wahrnehmen, sondern als ehemaligen Stichwortgeben von Arafat und als einen der in Europa den Antisemiten Argumente liefert?

    • Avnery ist ein gutgläubger Phantast – aber nicht generell ein Isrsaelhasser. Ausser, es betrifft die heutige Israelpolitik.

      “Ich glaube, dass es ein grundsätzliches Menschenrecht ist, auf seine Gesellschaft, auf sein Land stolz zu sein.” Ich wiederhole mich, aber hier kann er die Konsquenz im ehelamligen Jugolslawien ablesen.

      Kyiker

  8. Wieder einmal wärmt Avnery alle alten Stereotypen auf, von den bösen Zionisten, die angeblich die amerikanischen Politiker vergewaltigen bis zum Unsinn, dass „Juden in aller Welt werden de facto als israelische Bürger angesehen“.
    Israel ist eine Demokratie und daher kann jeder Israeli das Land ohne Schwierigkeiten verlassen. Das ist keine Schwäche, sondern eine Stärke des jüdischen Staats.
    Einmal fragte man Bundespräsident Heinemann ob er Deutschland liebe, er antwortete, dass er seine Frau liebe.
    Uri Avnery ist nicht stolz auf Israel. Das ist sein gutes Recht. Tatsächlich gibt es einiges in allen demokratischen Ländern der Welt, auf das man nicht stolz sein kann. Und leider ist Israel auch kein Paradies und nicht alle Israelis sind Engel.
    Ich weiß nicht wie viele weltoffene Deutsche oder Österreicher unbekümmert sagen würden „Ich bin stolz auf mein Land“. Wesentlich ist die Frage, ob das Leben in einem Land lebenswert ist.
    Diesbezüglich glaube ich mehr dem UNDP Bericht 2013 als Avnery. Hoffentlich wird er die UNO nicht beschuldigen, sie wäre zugunsten Israels voreingenommen.
    In diesem Report (siehe Seite 176) findet man Israel auf der 16 Stelle, was für ein kleines Land, das fast keine Bodenschätze hat und einen hohen Anteil seines GDP für Sicherheit ausgeben muss kein schlechtes Resultat ist.
    Schauen wir doch welche Staaten hinter Israel rangieren
    17. Belgien
    18. Österreich
    19. Singapur
    20. Frankreich
    21. Finnland
    22. Slowenien
    23. Spanien
    24. Liechtenstein
    25. Italien
    26. Luxemburg
    27. Vereinigtes Königreich
    28. Tschechische Republik
    29. Griechenland
    30. Brunei Darussalam

    Die Lebenserwartung bei Geburt 2012 war in Israel 81.9 Jahre während es im erdölreichen Saudi-Arabien 74,1 Jahre waren.
    Ich denke, die Israelis hätten genausoviel Recht auf ihr Land stolz zu sein, wie die Franzosen oder Engländer. Zum Glück hat man in demokratischen Ländern die Möglichkeit nicht stolz zu sein auf sein Land.

    Und jetzt ein wenig Eigenwerbung: in meinem neuen Buch beschreibe ich wie eine Geburtstagsgratulation meines Bruders, der mir schrieb „sei immer stolz ein Jude zu sein“ mein Leben gerettet hat.
    Heute weiß ich, dass man nur stolz sein kann auf seine eigene Leistung.

    Ein kluger Deutscher schrieb:
    »Die wohlfeilste Art des Stolzes ist der
    Nationalstolz . . . Der Rang, so wichtig er in den
    Augen des großen Haufens und der Philister und so
    groß sein Nutzen im Getriebe der Staatsmaschine sein
    mag, läßt sich, für unsern Zweck, mit wenigen Wor-
    ten abfertigen. Es ist ein konventioneller, das heißt:
    eigentlich ein simulierter Wert: seine Wirkung ist eine
    simulierte Hochachtung, und das Ganze eine Komö-
    die für den großen Haufen . . . Dieser Wahn bietet
    allerdings dem, der die Menschen zu beherrschen oder
    sonst zu lenken hat, eine bequeme Handhabe dar:
    weshalb in jeder Art von Menschendressierungskunst
    die Weisung, das Ehrgefühl rege zu erhalten und zu
    schärfen, eine Hauptstelle einnimmt.«

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