Münchener Untergrund

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Die Zahl rechtsextremer Angriffe in München hat stark zugenommen. Dass es sich um eine Serie handeln könnte, wird mittlerweile sogar von der Polizei für möglich gehalten…

Von Peter Nowak
Jungle World v. 13.06.2013

Sorgt der NSU-Prozess für Zurückhaltung bei Neonazis? Davon kann zumindest in Bayern keine Rede sein. »Die rechte Szene tritt gerade im Zusammenhang mit dem NSU-Prozess in München immer offener und dreister auf«, sagt der Geschäftsführer des Bayerischen Flüchtlingsrats, Matthias Weinzierl, der Jungle World. Das Gebäude, in dem sich die Räume des Flüchtlingsrats befinden, wurde in den vergangenen Monaten mehrmals angegriffen. Im April verschandelten Unbekannte die Schaufensterscheibe des Büros mit zahlreichen Aufklebern des neonazistischen »Freien Netzes Süd«. Im selben Monat schlug jemand die Scheibe der Geschäftsstelle genau an der Stelle ein, an der ein Plakat für eine Demons­tration anlässlich des kurz darauf beginnenden NSU-Prozesses geworben hatte. Im Mai ritzten Unbekannte in die neu eingesetzte Scheibe die Worte »Anti-Antifa« und »NS-Jetzt«.

Neben dem Bayerischen Flüchtlingsrat wurden in den vergangenen Wochen weitere Einrichtungen, die sich mit den Opfern des NSU-Terrors solidarisiert hatten, zum Ziel rechtsextremer Angriffe. So zerstörten bisher nicht ermittelte Täter Fenster des linken Münchener Wohnprojekts »Ligsalz 8«, ritzten Naziparolen in andere Fenster und bewarfen die Fassade des Gebäudes mit Farbbeuteln. Die vier Fenster des Büros des Kurt-Eisner-Vereins wurden demoliert. Am Eine-Welt-Haus wurden zweimal Vermummte vertrieben, die sich an der Fassade zu schaffen gemacht hatten. Auch die Rechtsanwältin Angelika Lex, die im NSU-Prozess die Witwe des ermordeten Theodoros Boulgarides als Nebenklägerin vertritt, wurde belästigt. Vor dem Eingang ihrer Kanzlei im zweiten Stock eines Münchener Bürohauses wurden Urin und Kot verschmiert. Zudem hat nach Aussage der Anwältin die Zahl der Drohbriefe und -Mails zugenommen, seit Lex auch in der Öffentlichkeit für eine konsequente Aufklärung des NSU-Terrors eintritt.

Die Polizei bestritt zunächst, dass es sich um eine Serie von Anschlägen handeln könnte. Mittlerweile wird gegen drei Münchener Neonazis ermittelt. Sie wurden gestellt, als sie die Parolen »Keine Macht den Kommunisten« und »Anti-Antifa« auf die Straße in unmittelbarer Nähe der Geschäftsstelle der Rosa-Luxemburg-Stiftung schmierten. Alle drei Verdächtigen sind der Poli­­zei als rechtsextrem bekannt, einer entstammt dem Umfeld des »Freien Netzes Süd« und war nach Erkenntnissen der Süddeutschen Zeitung Komplize des Neonazis Martin Wiese, der 2003 einen Sprengstoffanschlag auf das Jüdische Zentrum München verüben wollte.

Die Anwältin Lex hat die Reaktion der Polizei auf die Attacken öffentlich kritisiert. Auch Matthias Weinzierl vom Flüchtlingsrat ist unzufrieden. »Wir informierten die Polizei zum ersten Mal, nachdem unsere Scheibe eingeschlagen worden war. Es kam eine Streife vorbei, und ein Beamter meinte relativ schnell, dass kein unmittelbarer Zusammenhang zu den Naziaufklebern einige Wochen vorher ersichtlich sei. Die Anzeige wurde der Kriminalpolizei übergeben, die sich wiederum eine halbe Woche später mit uns in Verbindung gesetzt hat«, sagt er.

Mittlerweile haben sich die von den Angriffen betroffenen Organisationen mit einem Aufruf unter dem Titel »Gemeint sind wir alle« an die Öffentlichkeit gewandt. Die neonazistischen Attacken werten sie als Einschüchterungsversuche und als »Angriffe auf eine offene Gesellschaft«. In dem Aufruf wird darauf hingewiesen, dass im Schatten des NSU-Prozesses auch bundesweit die Naziangriffe weitergehen. So wurde das Gebäude der Islamischen Gemeinde in Düren kürzlich mit den Worten beschmiert: »NSU lebt weiter und ihr werdet die nächsten Opfer sein!« Weinzierl ist mit der Resonanz des Aufrufs zufrieden. Es habe sich eine eigene Kampagne entwickelt, die von zahlreichen Münchener Geschäften, Clubs, Lokalen, sozialen Einrichtungen und Einzelpersonen unterstützt werde.

8 Kommentare

  1. Bayern antisemitischer als der Osten
    Eine Studie belegt, dass es in manchen Westbundesländern ähnlich viel Ausländerfeindlichkeit gibt wie in einigen ostdeutschen Regionen.
    … So hat Bayern mit 16,6 Prozent den höchsten Anteil an Antisemiten, gefolgt von Baden-Württemberg mit 13,3 Prozent …
    … Und ausländerfeindliche Ressentiments sind in Bayern und Sachsen-Anhalt offenbar fast gleich stark verbreitet. Mit 39,1 Prozent liegt der Freistaat knapp hinter dem Ostland, 39,3 Prozent.
    http://www.taz.de/!26476/

    Antisemitismus ist in Bayern besonders hoch
    Jeder neunte Deutsche hat laut einer neuen Studie Vorurteile gegen Juden. Besonders hoch ist dabei der Anteil in Bayern.
    http://www.augsburger-allgemeine.de/bayern/Antisemitismus-ist-in-Bayern-besonders-hoch-id4617951.html

    • Danke an @sölchmeier für den ernsten und erheiternden Beitrag gleichermaßen; Ich erfinde jetzt mal den Begriff „Antibayerismus“ ohne Ressentiments. Auch im hohen Norden mit den angeblichen großen blonden Mädels und Jungs… erhielt die Goebbelsche Rassenlehre schnell Beifall.

      Zum Thema Münchener Untergrund fiel mir ein Artikel in einer großen Zeitung auf, der sich unter anderem mit der Verteidigerin Nicol Schneider befasste, die im Jahr 2000 zahlendes Mitglied bei der NPD gewesen sein soll, wie ein Nebenklägeranwalt im Prozeß als Vorwurf erhob. Gleichzeitig arbeitet die Verteidigung an der Befangenheit des Richters.

      Sollte sich der Vorwurf einer früheren NPD-Mitgliedschaft als echt herausstellen, dann, ja dann, müsste man der Anwaltskammer einen Vorwurf machen, ihre Mitglieder nicht genau zu kennen, oder nicht ausschließen zu können, solange die NPD/DVU nicht verboten ist und ich befürchte sehr, sehr, DAS wird dauern.

  2. Lion Feuchtwanger, einer der größten Schriftsteller, die Bayern hervorbrachte, veröffentlichte 1929 seinen Schlüsselroman Bayerns „Erfolg“. Darin lässt er sein Alter Ego, den fiktiven Westschweizer Literaten, Jacques Tüverlin, sinnieren:

    „Tüverlin erkennt genau den Menschen der Hochebene in allen seinen Mängeln; allein sein Herz hängt an ihm. Er liebt diesen Menschen, der nur Sinneswahrnehmungen hat, die er praktisch verwenden kann, dem es aber nicht gegeben ist, gedankliche Zusammenhänge herzustellen. Er liebt dieses Wesen, das sich, an Urteilskraft zurückgeblieben, hinter den anderen Weißhäutigen mehr tierhaft triebhafte Instinkte bewahrt hat. Jawohl, dem Schriftsteller Jacques Tüverlin gefällt dieser nur oberflächlich zivilisierte Wald- und Frühackermensch, der mit Zähnen und Klauen das Erworbene festhält, mißtrauisch, dumpf knurrend, wenn Neues an ihn heranwill. Ist er nicht großartig in seiner Ich-Beschränktheit, dieser Bewohner der bayerischen Hochebene? Wie er seine Fehler als Stammeseigentümlichkeiten glorifiziert. Mit welcher Ãœberzeugung nennt er seine atavistische Plumpheit patriarchalisch, seine Grobheit knorrig, seine dumpfe Stierwut gegen alles Neue Sinn für Tradition. Prachtvoll, wie er sich wegen seiner primitiven Rauflust, als den bayerischen Löwen feiert. Es liegt Tüverlin fern, diese Stammeseigentümlichkeiten zu verhöhnen. Im Gegenteil, er möchte am liebsten aus der bayerischen Hochebene … einen Naturschutzpark machen.“

    (Zitiert nach der Berliner Ausgabe von 1969, S. 307)

    Als Hintergrund ist anzumerken, dass Feuchtwanger wenige Jahre vor Veröffentlichung von „Erfolg“ von seinen eigenen bayerischen Landsleuten mit Steinwürfen und unter Absingen antisemitischer Hetzparolen aus seiner Heimatstadt München vertrieben worden war.
    Ferner, dass sich die in München entstandene Nazibewegung nach ihrer Festigung und nachdem der zukünftige Führer endlich allgemein verständliches Deutsch erlernt hatte, allmählich auf andere deutsche Landesteile auszubreiten begonnen hatte.

    Die politischen Verhältnisse, die Feuchtwanger vor über achtzig Jahren schilderte, jene Rahmenverhältnisse jenseits der NS-Bewegung, treffen auch heute noch zu und sind von einer erschreckenden Aktualität. Auch die Menschen in Bayern haben sich wenig verändert; bayerische Ansichten und bayerisches Dafürhalten sind im Wesentlichen die nämlichen geblieben, auch im Vergleich zu anderen Bundesländern:
    http://www.taz.de/!26476/ und http://www.augsburger-allgemeine.de/bayern/Antisemitismus-ist-in-Bayern-besonders-hoch-id4617951.html

    Was wohl Feuchtwanger, er verstarb 1958, heute über seine „Bewohner der Hochebene“ schreiben würde, wenn er wüsste, wie wenig sich die „triebhaft-tierhaften, nur oberflächlich zivilisierten Wald- und Frühackermenschen“ in der Zwischenzeit geändert haben?
    Seine Vision vom „Naturschutzpark“, indem sich bayerische Besonderheiten konservieren lassen, scheint sich jedenfalls verwirklicht zu haben.

  3. Immer wieder München als Hintergrund für Naziaktivitäten, rechtsextreme Straftaten, gefährliche Anschläge auf Leben und Gesundheit von Ausländern, Angehörigen von Minderheiten, oder als „Unliebsame“ abqualifizierte politische Gegner.

    Warum fragt niemand nach den Hintergründen?
    Warum nur schaut der Rest Deutschland zu und schweigt?
    Warum nicht die Münchner und Bayern massiv unter Druck setzen?

    Seit sechs Jahrzehnten regiert uns Bayern eine einzige Partei, eine Partei, die bisher nicht das geringste Interesse daran hatte, uns über unsere NS-Geschichte vollständig und nachhaltig zu informieren. Im Gegenteil, Ablenkung von der eigenen Geschichte war bisher die Devise der bayerischen Staatspartei.

    Millionen DM und Euro wurden in Fußball und das Image eines properen Dauererfolgslandes investiert; nirgends in Deutschland gab eine Landesregierung so viel Geld für den Erhalt von Tradition und Selbstbeweihräucherung aus wie bei uns in Bayern: Trachtenvereine, Gesangsvereine, Schützenvereine, Jägervereine, Krieger- und Veteranenvereine, Monarchisten, Traditionalisten, Burschenschaften etc. wurden und werden von der CSU gehätschelt und genährt, um eine Eigenliebe zu generieren, wie sie beispiellos ist in Deutschland und wohl auch anderswo.

    Nur, Eigenliebe, Selbstverliebtheit, Narzissmus machen unkritisch und verblöden mit der Zeit, lassen z.B. die eigene NS-Vergangenheit und -verwicklung verharmlosen, lassen abschalten, wenn in den Medien wieder von geschändeten Judenfriedhöfen die Rede ist, lassen eine ungesunde Wir-Mentalität reifen, lassen ein Klima wachsen, das man gut mit dem Spruch „Uns kann keiner“ bzw. „Uns können unsere Gegner mal…“ umschreiben kann.

    Wir Bayern lesen nun mal nicht gern Bücher, wir vertrauen auf unsere Regierung (egal ob königlich, oder demokratisch, oder Hitler-, oder föderal-bayerisch), ebenso wie wir unserer katholischen Kirche stets vertraut haben. Man wird uns schon informieren, wenn’s nötig ist – meinten wir und meinen viele von uns immer noch. Wir sind ein vertrauensseliges Volk, wir sind behäbig, wir mögen keine raschen Wechsel (auch solche im Denken nicht), wir halten zäh fest an unserm Sach‘, so waren wir allerweil, so sind wir heute und so wird’s allerweil bleibn…

    Ja wirklich, wollen wir weiterhin solche Trottel bleiben, wollen wir weiterhin, indem wir unbeteiligt zusehen, wie Rechtsextreme bei uns in München und Bayern ihr politisches Süppchen kochen und unseren Ruf als Hochburg des Nazidenkens festigen; wollen wir das wirklich auch weiterhin?

    Verehrter Rest Deutschlands und der Welt, ja auch Ihr Israelis und Juden, macht keine Geschäfte mit uns Bayern, um der Geschäfte willen! Übt lieber Druck auf uns aus! Erinnert uns zum Beispiel an unsere in Sachen Toleranz mit Minderheiten und mit Fremden ruhmarme Vorgeschichte bzw. an unsere schändliche Gegenwart, wägt dann ab, und macht erst danach Eure Geschäfte mit uns.

    Anders wird sich bei uns nichts ändern!

  4. Ergänzend zu efem kann man nur immer wieder auf die wunderbare, aufklärende, mehrfach ausgezeichnete Website Publikative – http://www.Publikative.org – verweisen, wenn es um Rechtsextremismus, verblendeten Nationalismus und Antisemitismus geht – die Ergänzung und Erweiterung für haGalil.
    Aktuell:
    http://www.publikative.org/2013/06/17/nsu-nebenklager-solidarisieren-sich-mit-lothar-konig/

    http://www.publikative.org/2013/06/16/rechtsrock-fur-wolle/

    http://www.publikative.org/2013/06/05/nsu-zeugin-erkannte-rechtsterroristen-auf-video-wieder/

  5. Hintergrund der gesteigerten Aktivitäten der rechten Szene in München ist also offensichtlich der NSU-Prozess.

    Zur Person der Angeklagten schreibt eine sich „NSU-Watch“ nennende Webseite http://www.nsu-watch.info mit Datum von gestern, 17.06.

    „Vier von den Angeklagten stammen aus Jena, einer aus Sachsen. Allen ist gemeinsam, dass sie aus einer neonazistischen Szene stammen, die sich in den neunziger Jahren in Jena und an anderen Orten radikalisierte. Die Ideologie dieser Szene war geprägt von einem gewalttätigen und mörderischen Rassismus, dem seit 1990 mehr als 150 Menschen zum Opfer fielen.“

    unter der Ãœberschrift: „Pressemitteilung zum NSU Prozess – Solidarität mit Lothar König“.

    Denn in Dresden, darauf weist die Seite hin, findet zur gleichen Zeit mit dem Verfahrn in München ein Prozess gegen diesen Lothar König, einen Jenaer Jugendpfarrer und entschiedenen Gegner jeder braunen Gesinnung statt.

    Für Näheres bitte den verlinkten Text aufrufen,

    Während in München Braune vor Gericht stehen (worauf die Szene eütend reagiert), wird in Dresden ein Mensch angeklagt, der sich genau dem Umfeld, aus dem die in München Angeklagten stammen, entgegenstellt(e).

    Daraus sind natürlich keine falschen Schlüsse zu ziehen…

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