Presseschau: Gemischtes aus Europa

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Kroatische Verfassungsklage gegen den Sexualkunde-Unterricht… Italien will mittellos in Hamburg gestrandete afrikanische Flüchtlinge wieder aufzunehmen… Deutscher Film zeigt polnische Befreiungsarmee als Antisemiten…

Contributors.ro – Rumänien
Unregierbares Europa ist alternativlos

EU-Energiekommissar Günther Oettinger hat vorigen Mittwoch mit der Äußerung Aufsehen erregt, dass die EU ein „Sanierungsfall“ sei und er die Mitgliedstaaten Rumänien, Bulgarien und Italien für „kaum regierbar“ halte. Damit muss sich Deutschland abfinden, meint der Politikwissenschaftler Valentin Naumescu im Blogportal Contributors:

„Deutschland hat zweimal im vorigen Jahrhundert versucht, Europa mit Waffen zu regieren, und scheiterte. Die Ironie des europäischen Schicksals ist, dass wir uns nun alle wünschen, dass der deutsche Wirtschaftsmotor auf Hochtouren läuft und den immer schwerer werdenden Karren aus dem Dreck zieht. … Uns indes rüttelt ab und an ein kalter Schauer wach – aus unserem schlaffen, mittelmäßigen Wohlstand. Da wird uns gesagt, wir seien unregierbar, nicht in der Lage, unser Land effizient zu verwalten. … Doch alles bleibt beim Alten, denn die Deutschen haben keine anderen Europäer zur Hand und müssen mit den ‚Unregierbaren‘ zusammenarbeiten und ihnen beibringen, wie man pünktlich zur Arbeit kommt, nicht stiehlt, die Regeln achtet und Autobahnen baut.“ (05.06.2013)
rumänisch

Die Zeit – Deutschland
Deutsche sind verwirrt über neue Beliebtheit

Deutschland ist laut einer Umfrage des britischen Radiosenders BBC das beliebteste Land der Welt. Das verwirrt die Deutschen selbst am meisten, meint die Wochenzeitung Die Zeit:

„Bisher war es doch so: Wir Deutschen hatten uns damit abgefunden, Außenhandelsüberschüsse zu erwirtschaften, dafür aber ungeliebt in der Ecke herumzustehen. … Wir waren eine Streber-Nation, geachtet und gefürchtet von den anderen, aber auch belächelt, als würden wir uns mit unserem Arbeitsfleiß um den Sinn des Lebens betrügen, ohne es zu merken. … Wir Deutschen hatten auch immer eine große Begabung zur Sehnsucht. Wir träumten davon, wie es wäre, ein wenig lateinischer zu sein: ein Leben auf der Piazza, die Lebendigkeit des öffentlichen Raums, der leichtfüßige Small Talk, die Freude am Schönen. … Jetzt wissen wir gar nicht so richtig, ob wir uns über die BBC-Umfrage freuen sollen. Kann es in unserem Interesse sein, wenn die schwäbische Hausfrau zum Universal-Ideal wird? Wo bleiben dann die Sehnsuchtsorte?“ (30.05.2013)
Die Zeit

Die Zeit – Deutschland
Deutsche Flüchtlingspolitik ist eine Schande

Italien hat angekündigt, die mittellos in Hamburg gestrandeten afrikanischen Flüchtlinge wieder aufzunehmen, die es zuvor mit Papieren ausgestattet hatte und ausreisen ließ. Das erklärte am Donnerstag das Bundesinnenministerium. Die liberale Wochenzeitung Die Zeit wirft nicht Italien, sondern Deutschland Versagen in der Flüchtlingspolitik vor:

„Wir sollten den bösen Italienern und den armen Libyern dankbar sein für ihren Einzug in Hamburg. Es ist ein Realitätsschock, den wir verdient haben. Denn die deutsche Flüchtlingspolitik, oder besser gesagt die fast völlige Abwesenheit einer echten Flüchtlingspolitik, ist eine Schande. … Seit Jahrzehnten schon verschanzt sich Deutschland, verschanzen sich die Länder in der geographischen Mitte Europas, hinter der sogenannten Drittstaaten-Regelung. … Dabei landen die Libyer und all die anderen doch nicht in Italien, weil sie es dort so besonders toll finden. Sie landen dort, weil es ganz einfach das am leichtesten zu erreichende europäische Land ist. Europa ist ihr Ziel. Deshalb muss sich auch ganz Europa gemeinsam um sie kümmern.“ (31.05.2013)
deutsch

Gazeta Wyborcza – Polen
Polen braucht deutsche TV-Kriegsschnulze nicht

Polens öffentlich-rechtlicher Fernsehsender TVP1 zeigt noch im Juni den deutschen Dreiteiler Unsere Mütter, unsere Väter über den Zweiten Weltkrieg. Der Film ist in Polen umstritten, weil er Angehörige der polnischen Befreiungsarmee als Antisemiten darstellt. Die polnische Öffentlichkeit sollte sich ein eigenes Urteil bilden, begründete der Sender die Ausstrahlung. Der Deutschland-Experte der liberalen Gazeta Wyborcza, Bartosz T. Wieliński, hat dafür kein Verständnis:

„Der Film ist einfach schwach. Seine Macher haben ihn zwar als Epochenwerk angekündigt, doch ist er nicht einmal eine Art Familienkino, wie es der Großteil der deutschen Historienreihen ist. Der Plot der Serie ist banal, die Charaktere sind flach, und die tragische Handlung ist nur die Kulisse für einzelne Liebes- und Familiengeschichten. Ich habe diesen Dreiteiler gesehen und mich gefragt, warum das deutsche Fernsehen schon seit Jahren solch ein Nullachtfünfzehn-Zeug zeigt, obwohl es doch weltweit wahre Meisterwerke über den Zweiten Weltkrieg gibt.“ (04.06.2013)
polnisch

Przegląd – Polen
Piotr Żuk über die Progressivität der Polen im Alltag

Konservative Parteien dominieren in Polen die Politik, doch im Alltag sind die Bürger viel progressiver, als es zunächst scheinen mag, glaubt der Soziologe Piotr Żuk in der linken Wochenzeitung Przegląd:

„Diese These lässt sich am Umgang der Polen mit der Kirche sehr gut veranschaulichen. Die religiösen und weltanschaulichen Rituale (zum Beispiel die Heirat) sind zwar immer noch wichtig. Doch folgen sie den ideologischen und politischen Vorgaben der Kirche in der Praxis nicht mehr so häufig. Und dabei geht es nicht nur um anonyme Aussagen der Polen in Umfragen über Verhütungsmittel, künstliche Befruchtung oder die Einmischung der Kirche in die Politik, sondern vor allem um die tägliche Praxis, die nicht zu den kirchlichen Lehren passt. Dazu gehört die steigende Zahl von Scheidungen. Es gibt immer mehr Kinder, die aus unehelichen Beziehungen stammen. Und die Akzeptanz für sexuelle Minderheiten steigt zwar nur langsam, aber stetig. Besonders wichtig ist, dass die Gesellschaft schon Anfang der 1990er Jahre begonnen hat, das sacrum vom profanum zu unterscheiden – anders als die politischen Eliten, die nach wie vor an die Allmacht der Bischöfe glaubten.“ (30.05.2013)
Przegląd

Novosti – Kroatien
Marinko Čulić über die Konterrevolution der Kirche in Kroatien

Seit Monaten stellen sich konservative, christliche Gruppen in Kroatien gegen die Politik der linksliberalen Regierung. Hinter der erfolgreichen Verfassungsklage gegen den Sexualkunde-Unterricht an Schulen und dem anstehenden Volksentscheid gegen die Homo-Ehe steht die katholische Kirche. Der Kolumnist Marinko Čulić erläutert im linken Wochenmagazin der serbischen Minderheit, Novosti, die aggressive Rolle der Kirche im Land:

„In Kroatien stand der katholische Klerus in Opposition zum Kommunismus. Daraus hat er ein Denkmal übernatürlicher Größe errichtet, um seine überlegene politische Macht zu demonstrieren. Dessen sind wir nun Zeuge. … Hier geht es um Revolution und Konterrevolution, und das in dem klar definierten Sinn, dass die Regierung das Erbe der bürgerlichen französischen Revolution verteidigt. Es geht um die Trennung von Staat und Kirche, das Primat des Staates gegenüber der Familie im Bildungssystem und die Autonomie des Gerichtswesens. Alle, die sich dem widersetzen – in diesem Fall die Kirche – haben sich auf die Seite der Konterrevolution geschlagen. Milanovićs Regierung hat alles Recht der Welt, die erreichten Zivilisationsstandards vor der Kirche zu schützen.“ (03.06.2013)
kroatisch

Novi List – Kroatien
Kriegsverbrecher-Urteil betrifft auch Kroatien

Das UN-Tribunal für Kriegsverbrechen in Den Haag hat am Mittwoch sechs bosnische Kroaten zu insgesamt 111 Jahren Haft verurteilt. Ihnen wurden Folter und Vertreibung von Muslimen im Bosnien-Krieg 1991 bis 1994 vorgeworfen. Dieses Urteil sollte auch Kroatien zum Anlass nehmen, endlich über seine Schuld nachzudenken, fordert die linksliberale Tageszeitung Novi List:

„Die letzten 20 Jahre wurden in der Öffentlichkeit die Verbrechen und die Rolle Kroatiens in Bosnien verschwiegen. Man hat sie akzeptiert, anstatt sie zu verurteilen. Doch ein Umdenken wird es nicht geben, solange wir uns selbst nicht eingestehen, dass etwas geschehen ist, was nicht geschehen durfte, und dass die kroatische Staatsführung daran mitgewirkt hat. Wie wir uns jetzt moralisch verhalten, entscheidet darüber, ob Kroatien – einen Monat vor dem EU-Beitritt – eine reifere Gesellschaft und ein grundlegend anderer Staat ist, als 1993. Damals hat Kroatien definitiv seine Opferrolle verloren und wurde zum Aggressor gegenüber seinem Nachbarn [Bosnien-Herzegowina].“ (30.05.2013)
Novi List

Corriere della Sera – Italien
Manning-Prozess wird zum Kampf um Pressefreiheit

Der Prozess gegen den Obergefreiten Bradley Manning hat am Montag vor einem US-Militärgericht begonnen. Manning wird vorgeworfen, der Internetplattform Wikileaks mit Geheimmaterial über den Irakkrieg zugespielt zu haben. Der neu entflammte Streit um die Pressefreiheit könnte dem Angeklagten helfen, analysiert die liberal-konservative Tageszeitung Corriere della Sera: „Die Anklage sieht in der Veröffentlichung geheimer Information im Internet eine Unterstützung des Feindes. Doch für die Presse hat dieses Thema einen neuen, alarmierenden Beigeschmack bekommen, seit die Details der von Justizminister Eric Holder beorderten Lauschangriffe auf einige bedeutende US-amerikanische Presseorgane bekannt wurden. … Die Presse wirft der Regierung Obama vor, über die Strenge geschlagen und den Freiraum der Medien beeinträchtigt zu haben, was langfristig zur Einschränkung der Pressefreiheit führen könnte. Somit wird der Manning-Prozess unerwartet zum Schauplatz des neuen und überraschenden Kampfes um die Pressefreiheit.“ (04.06.2013)
Corriere della Sera

El Periódico de Catalunya – Spanien
Rechte verlieren Kampf gegen Homo-Ehe

Zwei Männer haben als erstes gleichgeschlechtliches Paar in Frankreich am Mittwoch in Montpellier geheiratet. Im erbitterten Widerstand der französischen Gesellschaft gegen die Homo-Ehe sieht die linksliberale Tageszeitung El Periódico de Catalunya auch eine Mobilisierung gegen Frankreichs Präsidenten François Hollande:

„Fast acht Jahre nachdem in Spanien die erste Homo-Hochzeit gefeiert wurde, wurde Frankreich gestern zum 14. Land der Welt, in dem gleichgeschlechtliche Paare heiraten können. … Auf der Straße gab es unnachgiebigen Widerstand gegen das Gesetz, sogar heftiger als in Spanien. Aus mehreren Gründen: Ein großer Teil der französischen Gesellschaft ist zutiefst konservativ. Die Kirche hat, auch wenn sie weniger einflussreich ist als in Spanien, massiven Widerstand geleistet. Und schließlich ist es den Rechten und Rechtsextremen gelungen, die öffentliche Debatte gegen Hollande zu kanalisieren. Auch wenn der Präsident darunter litt, sind seine Gegner letztlich gescheitert.“ (30.05.2013)
El Periódico de Catalunya

Les Dernières Nouvelles d’Alsace – Frankreich
Keinen Hype um Gewalttaten von Einzelgängern

Die französische Polizei hat am Mittwoch einen 22-jährigen mutmaßlichen Islamisten festgenommen, der verdächtigt wird, am Samstag in Paris einen Soldaten angegriffen und verletzt zu haben. Der Medien-Hype um solche Vorfälle ist kontraproduktiv, warnt die Regionalzeitung Les Dernières Nouvelles d’Alsace:

„Mit ihren verrückten Taten versuchen sie das mediale System des Informationsflusses, in dem der Emotionsgehalt von Nachrichten wichtiger ist als ihr eigentliches Gewicht, in die Falle zu locken. … Wer insbesondere durch unnütze politische Polemiken die These bestätigt, der zufolge die Täter für Unsicherheit und Destabilisierung der Gesellschaft sorgen, spielt ihnen in die Hände. … Deshalb muss die schnelle Verhaftung des bewaffneten Manns in Paris in doppelter Hinsicht als gute Nachricht gewertet werden: Sie setzt einen Übeltäter außer Gefecht. Und sie beweist, dass moderne Fahndungsmethoden ein Netz bilden, dessen Maschen sogar einen sehr ‚einsamen Wolf‘ [Einzeltäter] erfassen können.“ (30.05.2013)
französisch

Politiken – Dänemark
Kassiererinnen dürfen wieder Kopftuch tragen

Der dänische Einzelhandelskonzern Dansk Supermarked hat in der vergangenen Woche in den Filialen seiner Ketten Føtex, Netto und Bilka das langjährige Kopftuch-Verbot für Kassiererinnen aufgehoben. Die linksliberale Tageszeitung Politiken begrüßt den Beschluss als Stärkung persönlicher Freiheit:

„Pia Kjærsgaard [von der rechtspopulistischen Dänischen Volkspartei] nennt den Beschluss eine ‚Kapitulation‘, aber in Wirklichkeit ist er ein Sieg für Freiwilligkeit und Integration: Die muslimischen Frauen, die kein Kopftuch tragen möchten, sollen mit dieser Entscheidung bestärkt werden – und zwar nicht mit Verboten, sondern in dem Bewusstsein, dass Dänemark ein Land ist, in dem jeder die Freiheit hat, selbst zu wählen, ob man das Kopftuch trägt oder nicht.“ (02.06.2013)
dänisch