Das Massaker von Avasinis

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Am 2. Mai 1945 ermordete eine fränkische SS-Einheit 51 Zivilisten in einem italienischen Bergdorf…

Von Jim G. Tobias

„Ein Soldat hat die Tür eingetreten und die Pistole auf mich gerichtet. Dann sagte er: ,Du bist ein Bandit, basta!‘ und schoss. Alles war voller Blut“, berichtet Cesarino Ventorini überraschend sachlich. Dennoch spürt man, dass die Erinnerung an den 2. Mai 1945 für den damals Zwölfjährigen immer noch sehr schmerzhaft ist. „Krieg ist Krieg“, sagt er traurig und fügt verbittert hinzu: „Aber ich kann nicht verstehen, wenn Kinder, Frauen und Alte umgebracht werden, Menschen, die kein Feind sind!“

Der Krieg in Italien war zu dieser Zeit eigentlich schon vorbei. Die deutschen Truppen hatten am 29. April 1945 kapituliert. Die arglose Bevölkerung des kleinen Bergdorfes Avasinis in der Provinz Udine wähnte sich daher in Sicherheit. „Im Nachbardorf feierten sie den Einmarsch der Alliierten. Ich hörte die Glocken zum Tag der Befreiung läuten“, bestätigt Ventorini. In Avasinis hallen jedoch Gewehrsalven und Schreie des Entsetzens durch die Straßen. Angehörige der SS-Karstwehr dringen in die Häuser ein und metzeln erbarmungslos die wehrlosen Menschen nieder.

Cesarino Ventorini zeigt seine von Kugeln durchsiebte Jacke
Der damals Zwölfjährige Cesarino Ventorini zeigt seine von Kugeln durchsiebte Jacke. Foto: jgt-archiv

Weil sie keine kampffähigen Männer finden, nehmen die Soldaten etwa 40 Frauen in Geiselhaft. „Auch bei meiner Schwägerin waren sie. Der Kommandant hat sie angeschaut und mit dem Kopf geschüttelt. Sie haben dann zwei andere Mädchen mitgenommen. Ich will nicht sagen, was man diesen jungen Frauen in der Nacht angetan hat“, erzählt die 85-jährige Domenica Stefanutti sichtlich aufgewühlt. In den Geschichtsbüchern kann man es nachlesen: Die Frauen wurden mehrfach vergewaltigt und anschließend mit Genickschuss getötet. Die Soldateska zog am 3. Mai ab und ließ 51 Tote zurück, darunter fünf Kinder im Alter von zwei bis zwölf Jahren.

Mitglieder der SS-Karstwehr marschieren
Mitglieder der SS-Karstwehr marschieren. Foto: Bundesarchiv

Über ein halbes Jahrhundert blieben die Mörder unbekannt. Erst 1997 eröffnete die Staatsanwaltschaft Würzburg ein Verfahren wegen des „Verdachts der Ermordung italienischer Zivilisten“. Bald führte die Spur ins oberfränkische Pottenstein, wo in den 1940er Jahren die SS-Karstwehr stationiert war, eine Sondereinheit, die für den „Partisanenkampf“ im ehemaligen Nordjugoslawien gedrillt wurde. Die Elitetruppe war an zahlreichen Kriegsverbrechen beteiligt. Ab September 1944 wurden die Karstjäger unter Führung des Höheren SS- und Polizeiführers Adriatisches Küstenland, Odilo Globocnik, auch nördlich der Stadt Udine eingesetzt. Sie sollten das Tagliamento-Tal für den Rückzug deutscher Truppen freihalten.

Am 1. Mai 1945 marschiert eine Kompanie der Waffen-SS das Flusstal entlang in Richtung Norden. Partisanen verwickeln die Einheit in einen Schusswechsel. Als Vergeltungsaktion greifen die Truppen das nahe gelegene Avasinis an. Am Morgen des 2. Mai stürmt Signora Rodaro zu ihren beiden Töchtern ins Zimmer und ruft: „Steht auf, wir müssen in die Berge flüchten, die Deutschen kommen!“, berichtet die damals 17-jährige Tochter Maria. „Ich hörte das Getrampel von Stiefeln, fing an zu schreien, laut zu weinen.“ Ihrer zweijährigen Schwester wird der Schädel mit einem Gewehrkolben eingeschlagen, die Mutter erschossen.

Jahrelang verliefen die Ermittlungen mehr als schleppend, bis im August 2002 bayerische Staatsanwälte zusammen mit ihren italienischen Kollegen verstärkt nach den Mördern von Avasinis fahndeten. Zwar konnten die Behörden über 130 Mitglieder der ehemaligen Karstwehr namentlich ermitteln. Einige der Veteranen räumten auch ein, bei Einsätzen in Norditalien dabei gewesen zu sein, doch hätten sie sich nicht an Verbrechen beteiligt. „Es war wenig Erinnerungswillen erkennbar“, meinte der ermittelnde Staatsanwalt, der gezielte Absprachen unter den Befragten vermutet und daher das Verfahren im Frühjahr 2007 einstellen musste.

In Avasinis glaubt schon lange niemand mehr, dass die Täter noch gefunden und bestraft werden. Und falls doch einer der Mörder überführt würde? „Was soll man mit dem alten Mann machen?“, fragt Maria Rodaro und gibt sich gleich selber die Antwort: „Wenn man alt ist, ist man sowieso gestraft. Vielleicht ist es besser zu vergeben.“

Gleichwohl wollen die Bürger von Avasinis die Erinnerung an das grausame Verbrechen wach halten. Sie versammeln sich jedes Jahr am 2. Mai und ziehen im Schweigemarsch durch das Dorf zur Gedenkstätte. Dort erinnert ein mächtiges steinernes Mahnmal mit den Fotos und Namen der Opfer stumm an das ungesühnte Massaker.

edes Jahr am 2. Mai versammeln sich die Bürger Avasinis an der Gedenkstätte
Jedes Jahr am 2. Mai versammeln sich die Bürger Avasinis an der Gedenkstätte. Maria Rodaros (l.) Mutter und Schwester wurden von den SS-Männern ermordet. Foto: jgt-archiv

Im Mai 2003 sprach der Autor mit den letzten Überlebenden des Massakers von Avasinis. Seine TV-Reportage „Tatort Avasinis“ ist seit Kurzem online abrufbar.

5 Kommentare

  1. […] Das Massaker von Avasinis „Ein Soldat hat die Tür eingetreten und die Pistole auf mich gerichtet. Dann sagte er: ,Du bist ein Bandit, basta!' und schoss. Alles war voller Blut“, berichtet Cesarino Ventorini überraschend sachlich. Dennoch spürt man, dass die Erinnerung an den 2. Read more on haGalil onLine […]

  2. Bedauerlicherweise finden die deutschen und österreichischen Kriegsverbrechen an italienischen Zivilisten und Soldaten des Ersten Weltkrieges kaum Beachtung.

    Der Zweite Weltkrieg hatte mit seinen furchtbaren Abscheulichkeiten ein bisher viel zu wenig untersuchtes Vorspiel im Ersten Weltkrieg.

    Wie lange noch müssen die italienischen Nachkommen der Ermordeten auf Aufklärung über die näheren Umstände und die Bennenung der Schuldigen warten?

    Warum wird der Focus der Erforschung deutscher Kriegsverbrechen nur derart auf den Zweiten Weltkrieg gerichtet?

    – Weil man allzu gerne die ‚gesamte‘ Schuld den sog. Nazis und nicht den Deutschen an sich zuweisen möchte?
    – Weil man den Deutschen das Nachdenken über sich ersparen möchte?
    – Weil man im (Euro-Wirtschaftsriesen) Deutschland letztendlich doch nach einem Schlussstrich lechzt?

    Wie menschenverachtend hohe deutsche Militärs im Ersten Weltkrieg bereits waren, kann man dem Kriegstagebuch des obersten bayerischen Kriegsherrn entnehmen.
    http://de.wikipedia.org/wiki/Diskussion:Rupprecht_von_Bayern#Menschenver.C3.A4chter.2C_Volksverhetzer.2C_Kriegstreiber_.E2.80.93_Der_Kronprinz_im_Spiegel_seines_.E2.80.9EKriegstagebuches.E2.80.9C

  3. To Jim G. Tobias.
    Thank you for this article. People who live in Avasinis and in nearby towns always remember your effort to let everybody know these painful episodes of our history .
    The article has also been cited by several friulian blogs :
    http://blog.libero.it/2diMaj/12070907.html
    http://www.cjalcor.blogspot.it/2013/05/avasinis-il-memoriale-sistemato.html
    http://gemonese4445.blogspot.it/2013/05/in-germania-si-discute-delle.html
    Best regards
    Pieri Stefanutti

    [Si esprime un sentito ringraziamento al regista Jim G. Tobias per aver contribuito, col video „Tatort Avasinis“ a far conoscere in Germania il doloroso episodio del paese friulano]

  4. Dass das Wiesenthal-Dokumentationszentrum die deutsche Justiz informiert hatte, ist mir bekannt – wie auch weitere Fakten zu diesem Fall. In einem ausführlichen wissenschaftlichen Artikel wäre ich auch darauf eingegangen. Der Text ist jedoch eher eine Reportage!

    Es ist richtig, dass die Kapitulation „offiziell“ am 2. Mai 1945 in Kraft trat. Gleichwohl hatte die Heeresgruppe C, deren Kommandeur zugleich der Oberbefehlshaber Südwest war, schon am 29. April in Caserta kapituliert (Quelle: Bundesarchiv).
    Die Bewohner von Avasinis gingen daher subjektiv davon aus, dass der Krieg „eigentlich“ vorbei war.

    Für den Fehler 28. April bitte ich um Nachsicht.

    Jim G. Tobias

    PS: Offensichtlich hat die Wikipedia-Gemeinde das Buch „Deutsche Kriegsverbrechen in Italien“ des renommierten Militärhistorikers Gerhard Schreiber noch nicht zur Kenntnis genommen, dort wird das Massaker jedenfalls erwähnt.

  5. Frage. Wieso bringt der Bericht nicht Folgendes:

    „Erst das Wiesenthal-Dokumentationszentrum in Wien, das weltweit NS-Verbrechen recherchiert, wies die deutsche Justiz im August 1995 schriftlich auf das Massaker hin.“ http://resistenza.de/index.php/kriegsverbrechen/avasinis/80-ss-karstwehr-ermordete-in-avasinis-51-einwohnerinnen

    Ob es Jim G. Tobias, dessen Engagement sehr hoch einzuschätzen ist, dessen Filmproduktion den Bewohnerinnen und Bewohnern von Avasinis gewiss ein wenig Trost gab und ein wichtiges Dokument bleibt schon allein wegen der Zeitzeugen, unbekannt ist?

    Auch sonst irritiert: die Wehrmacht in Italien kapitulierte nicht am 28. April. Laut Wikipedia, in dem sich übrigens in keiner Sprache, auch nicht Italienisch, ein mit ‚Avasinis‘ überschriebener Artikel findet, aber bei der Suche wenigstens im deutschsprachigen W. auf die SS-Division hingewiesen und in dem Artikel dazu dann das Massaker genannt ist: http://de.wikipedia.org/wiki/24._Waffen-Gebirgs-(Karstj%C3%A4ger-)Division_der_SS , wurde die Division zwar in Franken, in Pottenstein, aufgestellt und ausgebildet, kam aber zunächst aus Dachau, während es eher eine von Italienern (aber deutschsprachigen) dominierte Einheit war (bitte im deutschsprachigen W. nachlesen, das englische W. ist aber genauer: „Founded in 1942, the unit consisted mainly of ethnic German volunteers from Italy and also volunteers from Slovenia, Croatia, Serbia and the Ukraine.“

    Die (deutschsprachigen) Wikipedia-AutorInnen widersprechen sich in ihrem Artikel beim Datum der deutschen Kapitulation in Italien. Einmal heißt es da, sie sei „offiziell wirksam“ geworden an jenem 2. Mai, andererseits steht dort, der 2.Mai sei „drei Tage nach der deutschen Kapitulation in Italien“ gewesen, was also auf den 30. April als den Tag der Kapitulation schließen lässt.

    Das ist für die justizielle Aufarbeiting insofern wichtig, weil es ein gravierender Unterschied ist, ob das Massaker von regulären Einheiten, die Berlin unterstanden, woraus sich zumindest Schadensersatzforderungen gegen die BRD ableiten und Verurteilungen der Verbrecher ableiten lassen würden (leider aber wurden ja 2007 die Akten ergebnislos geschlossen), oder von Nichtkapitulierenden und damit ab und mit diesem Tag zu einer auf eigene Faust handelnden marodeurisierend gewordenen, bewaffneten Gruppe verübt wurde, die nicht direkt unter Kriegsrecht fällt und wobei dann Ansprüche nur an die unmittelbar Beteiligten, von denen viele sicherlich nicht mehr leben, gestellt werden könnten. In Privatklage.

    Anders: das Verbrechen war dann Mord (oder evtl. Totschlag) und u.U. 1965 verjährt (s. Wikipedia, Thema Verjährungsdebatte). Ob das einer der Gründe war, dass erst auf Drängen des Wiesenthal-Zentrums in Wien die deutsche Justiz endlich tätig wurde?

    Das deutschsprachige Wikipedia zu „Italienfeldzug“ führt allerdings (mit Beleg) dies aus: „General von Vietinghoff, der seit März die Heeresgruppe führte, unterzeichnete am 29. April die Kapitulation der deutschen Armeen in Italien, die Kampfhandlungen endeten am 2. Mai.“ Damit dürfte klar sein, dass für alle deutschen Armeeeinheiten, die SS einbezogen, in Italien die Pflicht zur Niederlegung der Waffen mit der Unterzeichnung wirksam wurde, und sie unterstanden da ab sofort nicht mehr dem Deutschen Reich, sondern den Alliierten, während die, die sich dem „letzten Befehl“ von General von Vietinghoff widersetzten, sich damit in einen Status begaben, der dem des „Werwolf“ nahekam*). In der SBZ wurden dessen Mitglieder, echt oder nur gewähnt, verhaftet und nicht zu wenige erschossen, egal, ob sie etwas unternommen hatten oder nicht.

    *) Es spielt aber sicherlich ebenso eine Rolle, dass die Reste der Division Italien verließen und damit wieder dem Deutschen Reich bzw. Himmler unterstanden. Sie ergaben sich in Kärnten den amerikanischen Streitkräften.

    Aber erst am 10. Mai, nachdem die deutsche Armee, SS wiederum mit einbezogen, am 8. Mai bedingungslos kapituliert hatte und sie also danach für die zwei Tage eigentlich erneut als Freischärler zu betrachten wären, die man, wie es früher allgemein usus war und die Deutschen es im II.Weltkrieg ungezählte Male mit echten oder einfach zu solchen erklärten, besonders Juden, machten, ohne Weiteres am nächsten Baum aufknüpfen odr anderweitig umbringen durfte, ohne deswegen viel bzw. im Falle der Deutschen und ihrer Verbündten gar keine Probleme zu bekommen. Dafür gabs dann das „Bandenkampfabzeichen“.

    Der Wikipedia-Artikel verlinkt den oben angeführten ‚resistenza.de“ – Text.

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