Politischer Mord: In Tunesien führt sowas zu Unruhen

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In Tunesien ist es nach dem Mord an dem Oppositionspolitiker Chokri Belaïd am Mittwoch zu teils gewaltsamen Protesten gegen die Regierung der islamistischen Ennahda-Partei gekommen. Kommentatoren sehen in den Unruhen eine Gefahr für die wirtschaftliche Erholung des Landes, glauben aber weiterhin an die Demokratiefähigkeit der neuen Machthaber…

El País – Spanien
Tunesien muss Demokratie retten

Der Chef der linken Opposition in Tunesien, Chokri Belaïd, ist am Mittwochmorgen beim Verlassen seiner Wohnung erschossen worden. Die islamistische Regierung muss nun die Demokratie retten, fordert die linksliberale Tageszeitung El País:

„Der Mord an Chokri Belaid – linker Politiker und Anwalt, der für seine offene Opposition gegen den radikalen Islamismus bekannt war – zeigt, dass die Situation in Tunesien einen kritischen Punkt erreicht hat. Das Land, in dem vor zwei Jahren der Arabische Frühling begann und in dem die Bürger selbst unter der Diktatur von Ben Ali gewisse Freiheiten genossen, ist jetzt von einem brutalen Rückschritt bedroht. … Die tunesische Regierung steht vor einer unausweichlichen Herausforderung: Sie muss Einsatz für eine Demokratie zeigen, die über jeder Ideologie oder Religion steht. Dieser Einsatz muss auch glaubwürdige Maßnahmen gegen gewalttätige Salafisten umfassen. Und er muss zu einer für die gesamte Gesellschaft akzeptablen Verfassung führen.“ (07.02.2013)

La République des Pyrénées – Frankreich
Tunesien ist Demokratie-Labor

Tunesien ist das Demokratie-Labor der arabischen Welt, findet die Regionalzeitung La République des Pyrénées:

„Alle Kassandras haben uns die Ankunft einer Theokratie nach dem Vorbild des Iran prophezeit. … Doch was in Tunesien passiert, straft ihre vorschnellen Vorhersagen Lügen. Denn das Land ist nicht nur die Bühne gewalttätiger Zusammenstöße, sondern zugleich und viel mehr als jeder andere arabische Nachbar, das Labor einer neuen Etappe der Arabischen Revolution. Natürlich muss man hoffen, dass das alles nicht in einem Blutbad und einem Bürgerkrieg endet, was man nie ausschließen kann! … Auf dem Spiel steht die Entwicklung einer Demokratie auf islamischem Boden sowie das Überleben einer Regierung, die schon vor dem Mord an Chokri Belaïd geschwächt war. Es war ein politischer Mord, der die Entscheidung des Premiers [die Auflösung der Regierung zu fordern] beschleunigt hat.“ (08.02.2013) französisch

La Stampa – Italien
Auch der Arabische Frühling wird Früchte tragen

Tunesiens Regierungspartei Ennahda hat den Vorstoß von Premier Hamadi Jebali zur Auflösung der Regierung und zur Bildung eines Technokratenkabinetts am Donnerstag zurückgewiesen. Die Initiative von Jelabil ist dennoch als positives Zeichen zu werten, urteilt die liberale Tageszeitung La Stampa:

„Sicher, der Arabische Frühling bringt noch nicht wirklich Blüten hervor. … Doch neben dem Vormarsch der Islamisten und dem Rückschlag, den die Demokraten erlitten haben, gibt es in den Ländern, in denen die Revolte ausgebrochen ist, auch positive Zeichen. Die Massenkundgebungen in Tunis, Sidi Bouzid und Monastir etwa, die den Premier in der Regierungskrise zum Handeln gezwungen haben. … Revolutionen brechen aus und geraten dann ins Stocken, das zeigt die Geschichte. Die Französische Revolution benötigte 82 Jahre, zwei Jahre Schreckensherrschaft der Jakobiner, zwei Staatsstreiche und eine lange Phase der Restauration, bevor sie zum Musterbeispiel für die Demokratie wurde.“ (08.02.2013) La Stampa

Süddeutsche Zeitung – Deutschland
Tunesier rufen nach einer zweiten Revolution

Die gewaltige Frustration der Bürger Tunesiens ist verständlich, macht doch das Erbe der Vergangenheit dem politischen Wandel schwer zu schaffen, analysiert die linksliberale Süddeutsche Zeitung:

„Der Grund für die Proteste gegen die neuen Herrscher bleibt, dass der politische Übergang in allen Staaten der Region länger dauern wird, als es der Wähler ertragen kann. Die Hinterlassenschaften der Diktatoren wiegen zu schwer. Die Ökonomien der Autokraten lassen sich ohne soziale Einschnitte nicht reformieren, die Korruption erfasst auch die neuen Machthaber, die Masse des Volks kann keine Abstriche mehr hinnehmen. Wenn es eine zweite Revolution gibt, dann eine Hungerrevolution. Zudem schwelt der Streit zwischen Islamisten und weltlich Gesinnten weiter. Die Bärtigen sind in den Gefängnissen der alten Regime radikal geworden. Sie haben der Folter widerstanden und wollen nun die Macht nicht teilen – obwohl das die Kernidee der Demokratie ist. Bis die Islamisten das begreifen, wird der Ruf nach der zweiten Revolution erschallen.“ (08.02.2013) Süddeutsche Zeitung

Die Presse – Österreich
Nordafrikas neue Herrscher auf dem Prüfstand

Ob die neuen Herrscher in Tunesien und Ägypten künftig für demokratische Stabilität sorgen können, hängt nach Ansicht der liberal-konservativen Tageszeitung Die Presse von ihrer Wirtschaftspolitik ab:

„Die neuen Herrscher in Tunis und Kairo wurden gewählt. Ein großer Teil der Bevölkerung steht hinter ihnen. Wie lange das so bleibt, wird auch davon abhängen, ob sie es schaffen, die Wirtschaft in Gang zu bringen und für Jobs zu sorgen. Die Straßenschlachten in Tunis und Kairo sind dabei kontraproduktiv. Gewalt und Instabilität verschrecken ausländische Investoren und Urlauber. Ein Ende des internationalen Tourismus würde einigen salafistischen Gruppen ins Konzept passen … Ennahda und die Muslimbrüder sind aber pragmatischer und tun alles, um den Tourismus nicht einbrechen zu lassen. Wie weit dieser Pragmatismus geht, zeigt sich spätestens bei den nächsten Wahlen. Dann werden die neuen Machthaber auf die Probe gestellt, denn sie müssen beweisen, dass sie bereit sind, eine faire Abstimmung zuzulassen – und gegebenenfalls eine Niederlage einzustecken.“ (08.02.2013) deutsch