Kammeroper für die „Sprachen der Minderheiten“

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Die Schriftstellerin Esther Dischereit über ihr NSU-Libretto-Projekt…

Esther DischereitUm eine der „erschütterndsten Mordserien der Bundesrepublik“ künstlerisch zu verarbeiten, verfolgt die Schriftstellerin Esther Dischereit die Sitzungen des NSU-Untersuchungsausschusses des Bundestages. Mit dem Komponisten Gabriel Iranyi arbeitet sie an einer Oper, die die Opfer und Hinterbliebenen sichtbar machen soll.

Interview: Katrin Heise, Deutschlandradio Kultur v. 19.12.2013
Das Interview zum Anhören
Foto: © Bettina Straub

Katrin Heise: Was interessiert eine Künstlerin an einem Untersuchungsausschuss des Deutschen Bundestages? Esther Dischereit ist Lyrikerin und Autorin, hat auch Hörspiele geschrieben, mehrfach mit Musikern zusammengearbeitet, und nun geht sie seit Monaten immer wieder zu den Zeugenbefragungen des NSU-Untersuchungsausschusses. Frau Dischereit, ich grüße Sie ganz herzlich, guten Tag!

Esther Dischereit: Guten Tag!

Heise: Was interessiert Sie als Künstlerin an dem Untersuchungsausschuss zu dieser NSU-Mordserie?

Dischereit: Ja, zunächst mal interessiere ich mich dafür als Bürgerin, ich denke, dass es sich hier um eine der erschütterndsten Mordserien handelt, die die Bundesrepublik seit ihrer Gründung erlebt hat. Ich registriere ein wöchentliches Interesse am „Tatort“, aber das Interesse, das diesen Realvorgängen entgegengebracht wird, scheint mir dem überhaupt nicht zu entsprechen. Und in meiner Sichtweise ist es so, dass dieser Untersuchungsausschuss in verschiedener Hinsicht herausragt aus anderen Unternehmungen dieser Art, die wir zu anderen Fragen auch schon gehabt haben.

Heise: Warum ragt er heraus? Durch die Taten oder eher durch das Vorgehen?

Dischereit: Einerseits durch die Taten – also ich kann mich nicht erinnern, dass die Verletzung einer bestimmten Gruppe der Bevölkerung und hier der Menschen mit Migrationshintergrund, insbesondere türkischer, in einem Fall auch griechischer Herkunft schon mal dermaßen ernsthaft Staatsangelegenheit gewesen wäre -, das ist das Erste, und das Zweite ist, dass dieser Untersuchungsausschuss in einer überraschenden Einmütigkeit offensichtlich von dem Gedanken getragen ist, hier Verhältnisse unerträglich zu finden, dem auf den Grund zu gehen und die Frage aufzuwerfen, was muss auch in der demokratischen Struktur geändert werden, um da Konsequenzen zu ziehen. Das ist durchaus selten, dass das nicht einfach nur als Profilierung verschiedener Parteien gegeneinander aufgefasst wird.

Heise: Und Sie sehen darin eben tatsächlich einen Aufarbeitungswunsch. Diese geschredderten Akten, von denen wir hören, Übersehen der Hinweise, sind diese Ungeheuerlichkeiten, die die Mordserie der Naziterrorzelle begleiten und dadurch auch immer weitere Morde möglich gemacht hatten, da das Trio ja nicht gefasst wurde, sind diese rekonstruierten Fakten es, die Sie als Künstlerin aufmerken lassen in so einer Verhandlung, die Ihnen Geschichten, Texte eingeben oder die entstehen lassen, oder sind es eher die Opfer?

Dischereit: Ja, das ist wirklich eine Frage, weil auf der einen Seite kann man sich leicht wirklich im Gestrüpp dieser Vorgänge verlieren, die bodenlos und ohne Ende sind, also beispielsweise auch die Sache mit der Telefonliste. Man findet also bei rechtsterroristischen Verbrechern eine Liste mit Telefonnummern ihrer Freunde und telefoniert sie nicht ab, also sucht die überhaupt nicht, ehrlich gesagt, bis vor Kurzem das Journalisten taten. Alle diese Dinge sind eigentlich völlig sprachlos machend. Aber es geht auch um einen anderen Punkt: die Sichtbarkeit derjenigen, die hier betroffen sind, der Hinterbliebenen, der Opfer, als Angehörige einer Minderheit, die auch sozial kein hohes Prestige hat. Das ist, glaube ich, ein wichtiger Punkt.

Heise: Wenn man das vorm Untersuchungsausschuss Gesagte abends in den Nachrichten hört, dann muss man ja manchmal wirklich sehr aufmerksam sein, um überhaupt zu begreifen, was da all diese Jahre vor sich gegangen ist, weil diese Behördensprache der Zeugen so abstrakt ist, eine Abstraktion so möglich macht. Wie empfinden Sie das, weil das ja auch fast schon ein künstlerisches Mittel ist?

Dischereit: Ja, also sich auf die Behördensprache einzulassen oder die Behördensprache zu decodieren, das ist tatsächlich schon mal eine Arbeit für sich. Diese Sprache vermittelt aber auch eine bestimmte Logik, und wenn man da mehrere Stunden zugehört hat, wird man sozusagen sukzessive in diese Logik eingesogen, die völlig selbstreferenziell ist. Da wird sich selber bestätigt, also sozusagen im Rahmen dessen, was da Vorgabe ist, ist ja keineswegs dauernd ungesetzlich gehandelt worden, aber es gab eben keine weiteren oder anderen Vorgaben, das hat in sich eine Logik, aus der man dann erst mal wieder austreten muss.

Heise: Wie machen Sie das?

Dischereit: Wie mache ich das, ich muss mich einfach hinterher erst mal erholen, irgendwas völlig anderes machen, und ich folge auch in der Regel nicht meinen Aufzeichnungen. Die mache ich wohl während der Angelegenheit, aber um den Vorgang wirklich zu begreifen, hat das keinen Sinn, ich bin keine Juristin. Es ist für mich auch wichtig, zu sehen, wie eine Person eigentlich da sitzt, wie sie sich bewegt, wie sie die Arme vor und zurück tut, ob sie mit dem Papier raschelt. Die meisten Leute sind sehr, sehr selbstbewusst, die vor diesen Ausschuss treten, haben fast, eigentlich fast immer alles richtig gemacht. Aber diese Konstanten, die sind sowieso erschütternd.

Heise: Die Lyrikerin und Autorin Esther Dischereit ist Zuhörerin im NSU-Untersuchungsausschuss. Frau Dischereit, Sie haben gesagt, dann müssen Sie Abstand gewinnen so ein bisschen, um dann etwas künstlerisch daraus zu machen. Wie setzen Sie all das künstlerisch eigentlich um, was soll das werden, also es ist ein Libretto, an dem Sie arbeiten für eine Oper?

Dischereit: Ja, also in Zusammenarbeit mit dem Netzwerk neue Musik Rheinsberg entsteht hier ein Libretto mit dem Komponisten Gabriel Iranyi, mit ihm habe ich schon vorher zusammengearbeitet, beispielsweise in der Komposition „Vier Dischereit-Lieder“, die gerade erschienen sind für Sopran und Klavier. Und jetzt wollen wir eben eine Kammeroper zusammen machen, und ich will unbedingt dieses Thema dort haben, ich finde, dass die Sprachen der Minderheiten, der Ausgegrenzten auf der regulären Bühne und im Kunstgeschehen Platz haben müssen. Wir haben hier nicht nur „Othello“, wir haben eben Herrn Simsek und wir haben Herrn Boulgarides, und wir haben eine Bundesrepublik im Jahr 2012, und ich selber habe mich eigentlich auch immer wieder mit Tragödien beschäftigt, mit dem Holocaust, mit der Schoah – das, was wir hier haben, ist eben auch eine Tragödie.

Heise: Bei der Darstellung, wie viel Freiheit nehmen Sie sich da? Ich nehme ja nicht an, dass es ein Nachspielen der jetzt von Ihnen erlebten Vorgänge sein wird. Wie wichtig sind Ihnen aber bewiesene Fakten?

Dischereit: Die bewiesenen Fakten sind mir einerseits wichtig, um einen Eindruck davon zu bekommen, wohin ich mich vielleicht bewege oder nicht bewege. Aber auf der anderen Seite muss ich mich eben auf die auch nicht einlassen. Ich kann ja sehr gut erkennen, dass es hier auch darum geht, dass ganze Gruppen von Eliten versuchen, sich selber zu retten gerade. Also solche Ämter wie der Verfassungsschutz muss ich jetzt nun nicht von der staatsbürgerlichen Sicht aus für angemessen reformfähig oder sonst was halten. Ich kann einfach Fragen stellen, wo war A zu welchem Zeitpunkt, und kann durchaus imaginieren, was er da gemacht hat, obwohl der hessische Ministerpräsident immer noch nicht freigegeben hat, dass die Person sprechen dürfte, und so weiter, und so fort. Also da habe ich ja eigentlich jede Freiheit – oder das Diensthandy aus dem sächsischen Innenministerium, was ist denn das für ein Handy -, ich kann damit machen, was ich will, ich brauche mich nicht dem immer nur auszusetzen, dass da die Beweiskraft noch nicht vorliegt.

Heise: Sie haben gesagt, dass einerseits der Alltagsrassismus das ist, was Sie aufbringt und was Sie auch künstlerisch spürbar machen wollen. Ich habe gelesen, und Sie haben es vorhin auch schon angedeutet, dass gerade bei diesem Ausschuss Sie empfinden, das ist fast wie so ein Kampf der Demokratie um sich selbst. Wollen Sie diesen Kampf durch Ihre Verfremdung tatsächlich erlebbar machen?

Dischereit: Das weiß ich noch nicht genau. Ich weiß einfach auch noch nicht genau, wie mir das gelingt, weil auf der einen Seite auch die Wahrnehmung des Ausschusses, so wie er sich darstellt, hat ja so eine Art Tribunal-Charakter, das ist die eine Seite. Die andere Seite ist aber, dass eben auch dort sicherlich nur die Spitze, die Spitze eines Berges verhandelt wird. Also es geht da auch nicht nur um die Frage, wie viel Rechtsterroristen sind jetzt wirklich untergetaucht und wo sind die eigentlich, und wie viel Empathie hatten die eigentlich, wo, an welchen Stätten, dass es so lange möglich war und weiterhin auch ist, dass sich welche illegal im Untergrund bewegen.

Es geht eben auch sozusagen um diesen gewöhnlichen Alltagsrassismus, den insbesondere die Hinterbliebenen ja bei den Befragungen durch die Polizisten wirklich durch die Bank weg erlebt haben, sozusagen die Täter-Opfer-Verkehrung.

Heise: Und diese, ich meine, politisch wird es diskutiert, in der Gesellschaft wird es diskutiert – wie stark erhoffen Sie sich eine künstlerische Aufarbeitung? Ich meine, Sie merken ja auch das Interesse an diesem Ausschuss. Sie sagen, von gesellschaftlicher Seite sei es eigentlich zu klein. Wie groß ist das Interesse von intellektueller, von Künstlerseite.

Dischereit: Ja, das Interesse, das bei Künstlern zu sehen ist, auf der einen Seite gab es schon die Premiere eines Theaterstücks von Deniz Utlu und seiner Kollegin, aber insgesamt ist eben das Interesse an dem Ausschuss bescheiden. Es gibt so Hoch-Tief-Wellen, aber doch keine Konstante, mit Ausnahme der Personengruppen, die auch wirklich betroffen sind, also Herr Kolat vom türkischen Bund ist immer da, auch Romani Rose von den Roma und Sinti ist da gewesen, aber an und für sich sehe ich da auch seltsam wenig künstlerisches Interesse. Ich weiß, dass die Zeichnerin und Konzeptkünstlerin Beate Maria Wörz jetzt auch da ist, und ich weiß, dass einige Wissenschaftler da sind – ich verstehe es eigentlich nicht, ich verstehe es nicht, weil es geht hier darum, ob sich die Bundesrepublik überhaupt als diverse Gemeinschaft bereit ist zu etablieren.

Heise: Das von Ihnen angesprochene Theaterstück „Fahrräder könnten eine Rolle spielen“ spielt übrigens im Ballhaus Naunynstraße in Berlin. Die Lyrikerin und Autorin Esther Dischereit verarbeitet ihre Erfahrungen und Beobachtungen aus dem NSU-Untersuchungsausschuss des Bundestages in einem Libretto zu einer Oper zusammen mit dem Komponisten Gabriel Iranyi. Danke schön, Frau Dischereit, für dieses Gespräch!

Dischereit: Bitte schön!

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