Die Allmacht der Staatsanwaltschaft Israels

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Sechzehn Jahre lang hat die israelische Staatsanwaltschaft gegen den aus Moldawien nach Israel eingewanderten Avigdor Lieberman wegen Korruption, Geldwäsche, Betrug und Vergünstigung ermittelt…

Von Ulrich W. Sahm, Jerusalem, 14. Dezember 2012

In dieser Zeit hatte der einstige Rauswerfer aus Kneipen Karriere gemacht. Er hat sich vom politischen Berater im Amt des Premierministers zum Vorsitzenden einer „Russenpartei“ hochgearbeitet. Sie erhielt 15 von 120 Mandate in der Knesset und wurde zum wichtigsten Koalitionspartner der Regierung unter Benjamin Netanjahu. Der Neueinwanderer mit dem ausgeprägten russischen Akzent und patriotischen Ansichten wurde Außenminister und Vizepremier.

Man muss Lieberman weder persönlich noch politisch schätzen. Der Mann hat kein „Benehmen“ gemäß deutschen Kriterien, wenn er seine politischen Kontrahentinnen Zipi Livni und Scheli Jemimowitch abschätzig als „Weibers“ schimpft, nachdem Staatsanwalt Jehuda Weinstein beschlossen hat, ihn wegen „minderer Vergehen“ anzuklagen.

Mehrere brillante israelische Diplomaten haben sich wegen Liebermans autokratischen Stil im Außenministerium ins Privatleben zurückgezogen. Aber ausgerechnet der „Rassist“ Lieberman hat Äthiopier, arabische Beduinen, Drusen und Angehörige vermeintlich diskriminierter Minderheiten auf prominente Posten in den Auslandsdienst versetzt. Er hat Premierminister und Verteidigungsminister die Kontakte mit den Amerikanern überlassen, um selber die Kontakte zu Wladimir Putin und ehemaligen sowjetischen Republiken, Indien, China und anderen aufstrebenden Mächten intensiv zu pflegen. Für die zahlreichen Gespräche mit Putin benötigte Lieberman keinen Dolmetscher…

Als Chauvinist, „Araberfresser“, Rassist und „Rechtsextremist“ in Teilen der israelischen Bevölkerung wie in der Welt verachtet, dirigiert Lieberman seine Partei wie ein Diktator. Er duldet weder Kritik noch Konkurrenz oder Erfolg der Parteigenossen. Deshalb hat er Vizeaußenminister Dany Ayalon vor die Tür gesetzt und Tourismusminister Stas Mischewsnikow zum Rückzug ins Privatleben gezwungen. Beide stehen bei den bevorstehenden Wahlen am 22. Januar nicht mehr auf der Kandidatenliste der Partei „Israel-Unser Haus“.

Ungeachtet seiner politischen Ansichten, ist Lieberman ein erstaunlicher Aufsteiger in der israelischen  Gesellschaft, vergleichbar nur mit dem mythologischen Tellerwäscher in den USA. Doch genau deshalb, als Neueinwanderer, politisches Temperament mit auffälligen und nicht immer politisch-korrekten Ansichten und Vorsitzender einer großen Partei hat Lieberman viele Neider.

Das mag einer der Gründe sein, wieso die Staatsanwaltschaft ihm seit fast zwei Jahrzehnten auf den Fersen ist. Mangels Beweisen hat die Staatsanwaltschaft inzwischen die schwergewichtigsten Beschuldigungen fallen gelassen und die Akten geschlossen. Übrig geblieben ist nur noch ein Vorwurf, den Lieberman bei einer Pressekonferenz als „lächerlich“ bezeichnet hat. „Ich war mir keines Verbrechens bewusst“, erzählt der Außenminister. Botschafter Seev Ben Arieh habe ihm ein vertrauliches Papier über Ermittlungen gezeigt, worauf Lieberman ihm gesagt hätte, derartigen „verbotenen Blödsinn“ zu unterlassen. Er habe das brisante Papier zerknüllt in die Toilette geworfen und weggespült. So Liebermans Darstellung, die noch vom Gericht geprüft werden muss. Später habe er Ben Arieh  zufällig auf dem Flur im Außenministerium getroffen. „Wir suchten gerade nach einem russisch-sprechenden Diplomaten. Daraufhin habe ich den Botschafter Ben Arieh auf einen anderen Botschafterposten versetzen lassen. Das soll eine Vergünstigung sein?“

Auf Anraten seiner Anwälte habe Lieberman dennoch seinen Rücktritt angekündigt, damit seine Immunität als Abgeordneter keinen „möglichst schnellen Prozess“ verhindert, um zu den Wahlen am 22. Januar „mit sauberen Händen“ antreten zu können.

Ob Lieberman schuldig ist und wegen israelischer Gesetze jahrelang kein öffentliches Amt mehr übernehmen kann, wird das Gericht entscheiden. Die Methode, mit Rechtsmitteln Politiker aus dem Amt zu treiben, hat in der Vergangenheit fromme Politiker wie Arieh Derri, Linke wie Chaim Ramon, Staatspräsident Mosche Katzav, wegen Vergewaltigung zu einer siebenjährigen Haftstrafe verurteilt, Präsident Ezer Weizman, die Premiers Ariel Scharon, Benjamin Netanjahu und Ehud Olmert getroffen.

Mehrere Verfahren gegen Olmert wurden „mangels Beweisen“ geschlossen. In einem Fall hat er eine Bewährungsstrafe erhalten, was seinen Rücktritt vom mächtigsten Posten im Staat als gewählter Premierminister nicht gerechtfertigt hätte. Ein Urteil wegen mutmaßlicher Korruption steht noch aus. Deshalb tritt er nicht gegen Netanjahu an. Auch in Israel gilt der Grundsatz, dass ein Verdächtiger als „unschuldig“ gilt, solange er nicht rechtskräftig verurteilt worden ist. In Israel, ähnlich wie in den USA und auch in Deutschland, werden immer häufiger politische Gegner mit unbewiesenen Beschuldigungen und Verdächtigungen aus dem Amt getrieben. So wird den Medien und der Staatsanwaltschaft mehr Macht eingeräumt, als dem demokratischen Willen des Volkes.

Eine 16 Jahre lange Verschleppung von Ermittlungen gegen einen Politiker, ohne dass es zu einer Verurteilung und einem Beweis der vermeintlichen Vergehen gekommen wäre, hat nicht erst wegen Lieberman zur Forderung geführt, das System neu zu überdenken.

(C) Ulrich W. Sahm / haGalil.com

9 Kommentare

  1. Zitat Sahm:
    „Ungeachtet seiner politischen Ansichten, ist Lieberman ein erstaunlicher Aufsteiger […] genau deshalb, als Neueinwanderer, politisches Temperament mit auffälligen und nicht immer politisch-korrekten Ansichten und Vorsitzender einer großen Partei hat Lieberman viele Neider.
    Das mag einer der Gründe sein, wieso die Staatsanwaltschaft ihm seit fast zwei Jahrzehnten auf den Fersen ist.“

    Zitat Sabine Brandes, Jüdische Allgemeine, 16.12.:
    „Die Untersuchungen gegen den russischstämmigen Vorsitzenden der Partei »Unser Haus Israel« hatten 16 lange Jahre gedauert. Immer wieder war in den Medien der Vorwurf laut geworden, dass viel in diesem Fall »unter den Teppich gekehrt« werde.“

    Da stehen wohl unterschiedliche Ansichten zur Wahl.

    Zitat Sahm:
    „Ob Lieberman schuldig ist und wegen israelischer Gesetze jahrelang kein öffentliches Amt mehr übernehmen kann, wird das Gericht entscheiden.“

    Richten sich die Gesetze nach dem Gericht, oder das Gericht nach den Gesetzen?

    Zitat:
    „Die Methode, mit Rechtsmitteln Politiker aus dem Amt zu treiben, hat in der Vergangenheit … Staatspräsident Mosche Katzav, wegen Vergewaltigung zu einer siebenjährigen Haftstrafe verurteilt, … getroffen.“

    Ohne Worte.
    Bzw. Wortwahl Sahm: „Methode“, „treiben“ „getroffen“

    Täter-Opfer-Umkehr?

    Sahm hat ja auch schon beim Massaker von Uttoya darauf aufmerksam gemacht, dass die getöteten Jugendlichen Palästinenserfreunde waren.

  2. Dass Sahm alles andere als ein og. „unabhängiger“ Journalist ist, war ja nun wirklich jedem aufmerksamen Leser schon bekannt. Er ist ein glühendes Sprachrohr der rechten politischen Kreise Israels, wird Netanjahu & Co. bis zum Ende die Stange halten und stellt sich natürlich nun konsequenterweise vor Lieberman. Alles andere hätte mich gewundert. Bedauerlich ist vielmehr, dass sich ein online Magazin wie hagalil nicht zu schade ist, den Schmonzes von Sahm auch noch regelmäßig zu veröffentlichen. Was den „armen“ Herrn Lieberman angeht – da kann ich nur sagen „endlich!“. Danke an die mutige Staatsanwaltschaft, die sich diesem israelischen Berlusconi endlich mal in den Weg stellt. Er hat genug Schaden angerichte. Ich hoffe auf fröhliches Einsitzen 🙂

  3. Ich schätze Ulli Sahms Artikel normalerweise sehr, aber an dieser Stelle bin ich tatsächlich fassungslos, wie gedankenlos er spätestens hier Ursache und Wirkung verdreht, so dass am Ende ein derart bösartiger Satz herauskommt. Allerdings: Selbst wenn es nicht um Vergewaltigung, sondern „nur“ um Korruption ginge: Keine Demokratie der Welt (und hier widerspreche ich Ulli deutlich) kann sich korrupte Politiker auf Dauer leisten. Es ist nicht die Staatsanwaltschaft, sondern die Korruption, die die Demokratie untergräbt.

    Etwas anderes wäre das Abzielen auf das bewusste Streuen falscher Anschuldigungen und das Instrumentalisieren der Staatsanwaltschaft gewesen (wobei: Auch hier hätte der StA ja nicht „zu viel Macht“), aber genau darauf zielt Ulli Sahm in seinem Artikel eben nicht ab, er führt kein einziges Beispiel dafür an.

    Ein schlimmer Artikel. Oder, um es diplomatischer auszudrücken: Nicht einer seiner stärksten.

    • Oh, da fehlt das vorangestellte Zitat:

      „Die Methode, mit Rechtsmitteln Politiker aus dem Amt zu treiben, hat in der Vergangenheit […] Staatspräsident Mosche Katzav, wegen Vergewaltigung zu einer siebenjährigen Haftstrafe verurteilt, […] getroffen.“

  4. 1. Israel fehlt eine Verfassung!

    2. Die Gesetze sind ein Sammelsurium aus den verschiedensten Quellen und gehören überarbeitet; oder kann mir jemand erklären, warum sich die Richter teilweise auf Gesetze der türkischen Sultanherrschaft beziehen müssen?

  5. Wenn ich Sahm nicht schon so kennen gelernt hätte, das ich keinen seiner Artikel wirklich schätzen würde, hier -spätestens hier – wüste ich, dass er ein Vollpfosten ist.
    ..
    Ein „Mensch“, der seiner Sichtweise jede Seriosität opfert.

    • Nun; ein Schmock, der als Antwort auf einen ihn nicht genehmen Beitrag die Bezeichnung MENSCH für den Verfasser in Anführungszeichen setzt, offenbart eine noch viel unseriösere Sichtweise!
      Vom „Mensch“ zum Unmensch zum Untermensch ist es nur ein kurzer Schritt!

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