Jüdische Bibliothek in Konstanz besteht seit 30 Jahren

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Seit dem 12. November 2012 kann die Dr.-Erich-Bloch-und-Lebenheim-Bibliothek der Israelitischen Kultusgemeinde Konstanz auf stolze 30 Jahre ihres Bestehens zurückblicken. Sie ist als öffentliche Leihbibliothek in diesen drei Jahrzehnten zu einer nicht mehr wegzudenkenden kulturellen Institution in der Universitätsstadt am Bodensee geworden und hat als Vermittlerin jüdischer Kultur ebenso für Gemeindemitglieder als auch für die nichtjüdische Bevölkerung weit über Konstanz hinaus Beachtung erlangt. In der weiteren Umgebung des südwestdeutschen und Ostschweizer Raumes ist sie die einzige öffentlich zugängliche Judaica-Bibliothek…

Als erste Judaica-Bibliothek, die nicht einer Hochschule angegliedert ist, und zugleich als erste Bibliothek einer jüdischen Gemeinde in Deutschland wurde die Bibliothek im Jahre 2001 in einen Bibliotheksverbund aufgenommen. Die Teilnahme am Südwestdeutschen Bibliotheksverbund (SWB), der vom ebenfalls ins Konstanz ansässigen Bibliotheksservice-Zentrum Baden-Württemberg (BSZ) betrieben wird, und die damit verbundene Internetpräsenz haben entschieden zu ihrem überregionalen Bekanntheitsgrad beigetragen. Das beweisen nicht nur Anfragen von weither nach seltenen Buchtiteln, die sich nur im Bestand dieser Bibliothek befinden, sondern auch vermehrt Schenkungen von Privatleuten aus der Stadt, aus der Region, aus der benachbarten Schweiz und sogar von der British Library in London. 

Vorstand der Konstanzer IKG und Bibliotheksleiter Thomas Uhrmann (Mitte)
Vorstand der Konstanzer IKG und Bibliotheksleiter Thomas Uhrmann (Mitte)

Aufgebaut hatte die Bibliothek der Konstanzer Historiker und Schriftsteller Dr. Erich Bloch, der 1967 aus dem israelischen Nahariya in seine Heimatstadt zurückgekehrt war,  mit finanziell  großzügig unterstützt durch Alfred Lebenheim, einem Mitglied der Gemeinde. Am 12. November 1982 konnte Shimon Nissenbaum, der Gründer der israelitischen Nachkriegsgemeinde in Konstanz, wie die Allgemeine Jüdische Wochenzeitung in ihrer Ausgabe vom 17. Dezember 1982 unter der Überschrift „Neues Leben blüht aus den Ruinen – Dr.-Erich-Bloch-Bibliothek der Israelitischen Gemeinde Konstanz eingeweiht“ berichtete, feierlich die Bibliothek eröffnen.

Wesentlichen Anteil am Aufbau hatte über viele Jahre Else Levi-Mühsam, eine Nichte des Schriftstellers Erich Mühsam, von 1982 bis zu ihrem Umzug nach Jerusalem im Herbst 1995 leidenschaftlich und fachkundig die Bibliothek leitete. Seither liegt die ehrenamtliche Leitung in den Händen von Thomas Uhrmann.

Else Levi-Mühsam und Dr. Erich Bloch
Else Levi-Mühsam und Dr. Erich Bloch

Neben Gemeindemitgliedern und nichtjüdischen Lesern aus Konstanz und Umgebung, vor allem auch aus der unmittelbar benachbarten Schweiz, nutzen vermehrt Schüler und Studenten die Bibliothek. Schulklassen und andere Gruppen verbinden ihren Besuch oft mit einer Führung in der kleinen, stilvoll gestalteten Synagoge im gleichen Haus und der Mikwah, um sich neben jüdischer Literatur aus erster Hand über jüdische Religion, Tradition und das Gemeindeleben vor Ort zu informieren:  genau an jenem Ort, an dem bis zu ihrer Zerstörung in der Reichspogromnacht 1938 die frühere  Synagoge stand.

Außer Büchern zur jüdischen Religion, Philosophie, Geschichte, zu jüdischem Leben in Deutschland und anderen  Ländern, zu Fragen des christlich-jüdischen Verhältnisses, zu Antisemitismus und zur Schoa sowie Bänden zu  Kunst und Wissenschaften finden sich zahlreiche Biografien jüdischer Persönlichkeiten und Zeitzeugen aus den verschiedensten Epochen in der Dr.-Erich-Bloch-und-Lebenheim-Bibliothek. Ein umfangreicher Teil ist mit unterschiedlichen  Themenkreisen dem Land Israel gewidmet. In der Abteilung Belletristik findet der Besucher Romane, Dramen und Gedichtbände jüdischer Autoren aus Amerika, Europa und Israel. Kunstbildbände, verschiedene Periodika und auch Kinder- und Jugendbücher runden das Angebot – hauptsächlich Titel in deutscher Sprache –  für die Benutzer ab. Durch eine Schenkung der British Library London  gehört auch eine Auswahl jiddischer Literatur in Originalsprache und hebräischer Schrift zum Bestand.

Die grundlegendsten Fundamente einer jüdischen Bücherei, wie der Talmud und weitere rabbinische Literatur in hebräischer bzw. aramäischer Sprache ergänzen als Handbibliothek den für die Ausleihe bestimmten Bestand, wobei Teile dieser rabbinischen Literatur ebenfalls in deutscher Sprache vorhanden sind.

Der Online-Katalog des SWB weist inzwischen knapp über 4300 Titel für die Bibliothek nach. Im Februar 2009 waren die Bibliothek der Hochschule für Jüdische Studien in Heidelberg und die Bibliothek der Israelitischen Kultusgemeinde Konstanz die ersten Bibliotheken in Deutschland, die begannen, ihren hebräischen Bestand online in der Originalschrift zu katalogisieren. Damit können die Benutzer im Online-Katalog des SWB  auch mit hebräischen Schriftzeichen nach Autor und Titel suchen.

Im Jahr 2001 war die Bibliothek an den 4. Baden-Württembergischen Bibliothekstagen beteiligt. Seit 2005 richten Gemeinde und Bibliothek in Zusammenarbeit mit der Stadt Konstanz mit verschiedenen Veranstaltungen den jährlich stattfindenden „Europäischen Tag der jüdischen Kultur“ in Konstanz aus und beteiligten sich 2007 auch am bundesweiten Wissenschaftsjahr, das in Konstanz sowie den Städten Münster und Wittenberg unter dem Motto „Freiheit der Religionen“ stand. Die Veranstaltungen zum „Europäischen Tag der jüdischen Kultur 2009“ waren in das „Jahr der Wissenschaft 2009 – grenzenlos denken“ des Amtes für Schulen, Bildung und Wissenschaft eingebunden. Unter dem Titel „Baum des Lebens und gedeckter Tisch – Torah, Talmud, Schulchan Aruch und andere Quellen des Judentums“ oder „Torah, Tauchbad, Traditionen“ finden regelmäßig Veranstaltungen für die Volkshochschule Konstanz statt.

Zu weiteren Aktivitäten gehörten auch die Beratung und Begleitung des Ausstellungs-, Publikations- und Dokumentarfilmprojekts „Jüdische Jugend heute in Deutschland“ (Schirmherr: Paul Spiegel sel.A., Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland) von Studenten des Studiengangs Kommunikationsdesign der Hochschule Konstanz (HTWG) und des Buchprojektes „Der interreligiöse Stadtführer – Wege durch Konstanz“ von Schülern des Ellenrieder-Gymnasiums Konstanz  im Rahmen des bundesweiten Schülerwettbewerbs „Europäische Identität und kultureller Pluralismus“ der Herbert-Quandt-Stiftung. Kirchengruppen, Schulklassen, Studenten des Lehrstuhls für die Geschichte der Religionen und des Religiösen in Europa sowie Bibliothekare aus dem In- und Ausland organisierten in all den Jahren immer wieder Besuche in der Konstanzer Sigismundstraße.  Mit diesen zusätzlichen Angeboten möchten die Israelitische Kultusgemeinde  und ihre Bibliothek über die Möglichkeit der Ausleihe für alle interessierten Bürger hinaus einen Beitrag zum interreligiösen und interkulturellen Dialog leisten.

Webseiten der Bibliothek: http://www.bsz-bw.de/eu/blochbib/