Nach dem Brand

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Wie lebt eine Familie damit, dass durch einen Brandanschlag von Neonazis drei ihrer Angehörigen ermordet wurden? Wie lebt der Bruder weiter, der mit sieben Jahren miterleben musste, wie seine Schwester, seine Cousine, seine Oma erstickten? Die Regisseurin Malou Berlin hat in den letzten vier Jahren die Familie Arslan begleitet…

Von Gaston Kirsche

Bis zur Nacht des 23. November 1992 lebten die Arslans in drei Wohnungen in einem alten Fachwerkhaus in der Mühlenstraße 9 in Mölln. Yeliz Arslan, 10, Ayse Yilmaz, 14, und Bahide Arslan, 51, starben, neun weitere BewohnerInnen wurden verletzt. Der damals siebenjährige Ibrahim überlebte, weil seine Oma Bahide ihn in eine Decke einwickelte und in den Kühlschrank setzte.

Der Film beginnt mit der Hochzeit des mittlerweile erwachsenen Ibrahim Arslan. Er spricht sichtlich bewegt ein paar Sätze an die Hochzeitsgäste: Die Familie Arslan wird weiterleben. In seinen Worten schwingt die Geschichte mit, die versuchte Ermordung der gesamten Familie. Ibrahim Arslan lebt mittlerweile mit Frau und Baby in Berlin: „in der Großstadt fühle ich mich sicher“.

Mölln, die idyllische Kleinstadt am See. Ibrahim wird gefilmt, wie er über die schöne Altstadt schaut: Dort war unser Haus, zeigt er. Keiner aus der Familie ist nach der Restaurierung in das Haus zurückgezogen.Seine Mutter Hava spricht im Film türkisch, ein starker Kontrast zu den Kindern und ihrem Mann. Bis zum Brand hat sie gut Deutsch gesprochen. Nachdem sie sich kopfüber aus dem dritten Stock gestürzt hat, in Todesangst vor den Flammen, war durch den Schock alles weg.

Auch der Vater, Faruk Arslan, spricht offen über sich und sein Leben nach dem Brandanschlag. Er wollte nicht aus Mölln weg, sie sind dortgeblieben. In ihrer neuen Wohnung hängt ein großes Porträtfoto der von den Neonazis getöteten Schwester Yeliz. Und über der Tür ein Foto der erstickten Oma. Als eine frühere Mitschülerin der getöteten Tochter am 23. November 2011 bei der kleinen Gedenkfeier vor dem Haus Mühlenstraße 9 eine Blume niederlegt, bricht die Mutter in Tränen aus: Unsere Tochter wäre jetzt auch schon eine junge Frau.


Faruk Arslan

Die Regisseurin Malou Berlin ist mit Kamerafrau Susanne Dzeik und Tonmann Rene Paulakot bei der Familie. Sie kommen den Arslans nicht nur mit den Aufnahmen nah. Der ganze Film nimmt voller Empathie die Perspektive der Opfer ein. Und zeigt ihr Ringen um ein gutes Leben, trotz der traumatischen Erlebnisse.

Die beiden Neonazis, die später wegen des Brandanschlags verurteilt wurden, sind längst wieder auf freiem Fuß. Faruk Arslan hat ihre Namen sehr präsent: Lars Christiansen und Michael Peters. Sie wurden erwischt, weil sie sich mit einem Anruf bei der Feuerwehr zu ihrer Tat bekannten: „In der Mühlenstraße 9 brennt es! Heil Hitler!“ Ibrahim Arslan schaut sich aus Anlass der Dreharbeiten die Zeitungsartikel und Prozessberichte von damals an. Darunter ein Foto, auf dem Michael Peters den Hitlergruß zeigt, zu ihm schaut dabei lachend seine Mutter.

Die Leerstelle des Filmes ist der Rassismus der deutschen Mehrheitsgesellschaft: er kommt nicht vor – weder der institutionelle noch der alltägliche Rassismus. So eindrücklich die in ihren Traumata gefangenen Arslans gezeigt werden, so schräg wirkt es, wenn die einzigen Deutschen im Film die sich an den Gedenkveranstaltungen beteiligenden sind. Kein Wort dazu, dass die Bild-Zeitung über Faruk Arslan titelte „Der frechste Türke“ weil er eine finanzielle Entschädigung forderte. Die mittlerweile in Hamburg lebende Familie Arslan musste sich die ihnen rechtlich zustehende Hilfe vom Sozialamt Hamburg-Mitte mühsam erstreiten.

Zuletzt wurde Anfang November in Mölln an mehr als 20 Hauswände „Nationaler Sozialismus jetzt!“ geschmiert.

Nach dem Brand, BRD 2012, R: Malou Berlin

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