Darf Literatur alles?

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Französischer Literat verfasst „Loblied auf Breivik“ für den Massenmörder von Oslo und erhält direkte und indirekte Unterstützung aus der extremen Rechten…

Von Bernard Schmid, Paris

Darf Literatur alles? Auch einen Massenmörder wie Anders Behring Breivik hochleben lassen, etwa für die „formelle Perfektion seiner Tat“, und faschistische Gewalt ästhetisieren? Oder gilt es, die Freiheit des Wortes zu verteidigen, da es sich um Abstraktionen auf hohem literarischem Niveau und – vor allem – ohne unmittelbar praktische Konsequenzen handele?Ungefähr so verlief die Debatte über die Auslassungen, die der 1953 geborene Schriftsteller und Verlagslektor Richard Millet in den schmalen Raum zwischen zwei Buchdeckeln presste und Ende August dieses Jahres unter dem Titel Langue fantôme (ungefähr: Gespenstersprache) publizierte. Das kleine Bändchen von 128 Seiten enthält die beiden Texte „Essai über die Verarmung der Literatur“, gefolgt von dem nur achtzehn Seiten umfassenden Aufsatz „Literarische Eloge des Anders Behring Breivik“.Es war natürlich vor allem der letztgenannte Text mit seiner ausgesprochen provozierenden Überschrift, der bei seinem Erscheinen heftige Reaktionen auslöste. Oder auch schon davor. In Norwegen wurde die Vorbereitung eines Buches, in dem ein Kapitel diesen Titel trage, am 23. Juli 12 bekannt. Auf den Büchermarkt kam das Pamphlet Millets dann am 24. August d.J. Ob gewollt oder ungewollt, in beiden Fällen passte das Timing wie die Faust aufs Auge: Das erste Datum fiel genau einen Tag später als der erste Jahrestag der Mordtaten von Breivik, der am 22. Juli 2011 in Oslo und auf der Insel Utoya 77 Menschen tötete. Und das Erscheinungsdatum des Buches fiel just auf jenen Tag, an dem in Oslo das Urteil gegen den Massenmörder fiel. Richard Millet, der bis dahin in Norwegen nahezu gänzlich unbekannt war – keines seiner rund fünfzig Bücher, die oft keine hohen Auflagen erzielten, wurde in die Sprache des skandinavischen Landes übersetzt – hat seitdem eine eigene Wikipedia-Seite in Norwegisch.

Das bevorstehende Urteil gegen Breivik war dem Autor Richard Millet durchaus gegenwärtig, denn er geht in seiner Brandschrift explizit darauf ein. Und zwar, um zu bedauern, dass man den Todesschützen von Utoya von psychiatrischen Experten für geisteskrank und darum schuldunfähig erklären werde. Dies nehme seinen Taten die politische ebenso wie die ästhetische Dimension: „Ihn für verrückt zu erklären, ist die passende Gelegenheit, die wirklichen Debatten nicht zu öffnen, beispielsweise über die islamische Präsenz“, schreibt Millet, dem offenkundig nicht die politischen Beziehungen zu Staaten wie Saudi-Arabien, sondern die pure Anwesenheit von moslemischen Einwanderern in Europa ein Gräuel darstellen. Seine Prognose ging allerdings voll daneben: Das Gericht weigerte sich, der These mancher Gutachter zu folgen und Breivik für psychisch krank zu erklären, sondern hielt seine Schuldfähigkeit fest und verurteilte ihn – statt zur Internierung in der Psychiatrie – zu einer Haftstrafe. Anders Behring Breivik selbst war damit zufrieden und legte nicht Berufung ein.

Breivik war, schreibt Millet, „inmitten dieser Dekadenz zweifellos das, was Norwegen verdient hat und was unsere Gesellschaften erwartet, die nicht aufhören, sich zu verblenden, um sich besser zu verleugnen.“ Damit meint er ihren vorgeblichen Verlust nationaler, kultureller und ethnischer Identität. Ferner qualifiziert Richard Millet den norwegischen Massenmörder in Sätzen, die sicherlich provozierend wirken sollten, als littéraire par défaut (ungefähr: „Literat mangels anderer Möglichkeit“), und schreibt: „Seine Opfer waren nur Jungsozialisten, also zukünftige Kollaborateure des multikulturalistischen Nihilismus“. Später würde er sagen, dass Sätze wie diese und vor allem die Überschrift – das „Literarische Loblied“ auf Breivik – „ironisch“ gemeint gewesen. Ein Sarkasmus, von dem er angenommen habe, dass das Publikum ihn verstehe, wie er in einem am 19. September d.J. publizierten Interview der Frankfurter Allgemeinen Zeitung erklärte. ((Vgl. http://www.faz.net/aktuell/feuilleton/gespraech-mit-richard-millet-was-breivik-uns-sagen-wollte-11896090.html ))

Gar so ironisch gebrochen, wie er daher kommen möchte, ist Richard Millets Zugang zu den Taten Breiviks jedoch wahrlich nicht. Zwar gibt er sich Mühe, drei mal in seinem Pamphlet – und später in Interviews – zu erklären, dass er die konkreten Handlungen des Mörders von Oslo verurteile, nicht gut finde, als monströs betrachte. Darum, dass er wirklich zur Wiederholung solcher Taten auffordern würde, geht es aber auch gar nicht; jenseits der provozieren wollend Formulierung bezüglich ihrer „formalen Perfektion“. Der Sinn, der rote Faden von Millets Text besteht nicht darin, die Taten als vorbildlich hinzustellen. Sondern weitaus eher darin, sinngemäß zu sagen: So was kommt eben von so was. Also vom, aus Sicht des Autors, multikulturellen Wahnsinn in den europäischen Ländern. Letzterer habe bei sensiblen Individuen wie eben Breivik einen „kulturellen Überlebensinstinkt“ wachgerufen.

Um Millets eigenen Gedanken auf den Grund zu kommen, sollte man auch jenen Text lesen, der ihm in dem Band vorausgeht. Dort begründet der Schriftsteller nämlich, dass an der von ihm behaupteten Verflachung und zunehmenden Geistlosigkeit der Literatur die – wie ein deutscher Politiker dereinst einmal formulierte – „Durchmischung und Durchrassung“ der Gesellschaft schuld sei. Richard Millet: „Der Zusammenhang zwischen Literatur und Einwanderung mag unbegründet erscheinen; er ist in Wirklichkeit zentral und erregt einen Schwindel des Identitätsgefühls.“ Der Autor schreibt über die „Neubevölkerung Europas mit Bevölkerungen fremder Kultur“ und davon, dass die Literaten „in einer nie gekannten neokolonialen Situation“ steckten – wohlgemerkt, Europa wird seiner Auffassung nach kolonisiert. Solche Ansichten müssen nicht verwundern, denn Richard Millet war schon immer ein Grenzgänger zwischen Literatur und einer offenen Rechtfertigung rechtsextremen Aktivismus‘. Die Hintergründe dafür reichen in seine Biographie zurück: Als Diplomatensohn wuchs Millet im Libanon auf, den er als Heranwachsender verließ, woraufhin er jedoch in seiner neuen Umwelt und in seiner Schule in der Pariser Vorstadt Montreuil nie zurecht kam. ((Vgl. http://www.liberation.fr/livres/2012/09/05/richard-millet-soldat-perdu_844210 )) Später kehrte Millet in den Libanon zurück, wo ihn die klaren konfessionellen Einteilungen der Gesellschaft faszinieren – und kämpfte ab 1975 als damals 22jähriger im libanesischen Bürgerkrieg (1975-1990) in den Reihen der Falangisten, also der Milizen der christlichen Rechten mit faschistischen Wurzeln, u.a. gegen die Palästinenser. Darüber schreibt er auch in einem teilweise autobiographischen Buch, Confessions négatives (Negative Bekenntnisse) – und wenn seine eigenen Handlungen sich tatsächlich mit denen seiner Hauptfigur decken, dann war er auch für die Ermordung von Zivilisten mit verantwortlich. Heute noch hält der 59jährige Kontakte in die Region, und im Frühjahr 2012 rechtfertigte er offensiv das Regime Baschar Al-Assads in Syrien, das einen Schutz für die dortigen Christen bilde.

Die Positionen Richard Millets kamen für seinen Arbeitgeber, den Großverlag Gallimard, als solche im Grunde nicht überraschend. 2008 hatte der Verleger zwar Millets damaliges Buch Opprobre (ungefähr: Bannfluch) herauszugeben – danach aber öffentlich erklärt, den Abdruck ähnlicher Werke künftig zu verweigern, weil es rassistische Passagen über die gegenwärtige französische Gesellschaft enthielt. Auch erschien sein neuestes Buch vor diesem Hintergrund nicht bei Gallimard, sondern bei dem Kleinverleger Pierre-Guillaume de Roux. Doch bei dem Pariser Großverlag betreut Millet als Lektor prominente Autoren und Autorinnen, unter ihnen die Literaturpreisträger Jonathan Littell (Goncourt 2006) und Alexis Jenni, den Goncourt-Gewinner von 2011.

Ferner war er bis vor kurzem Mitglied des Comité de lecture, des erlauchten Gremiums, das in letzter Instanz darüber entscheidet, was publiziert wird und was nicht. Seit Ende August steigerte sich jedoch der Druck auf den Verlagsdirektor und –erben Antoin Gallimard, der damals noch im Urlaub weilte, jedoch vom Ferienort aus eine Entscheidung ankündigte. In der Pariser Abendzeitung Le Monde bezeichnete die Schriftstellerin Annie Ernaux das jüngste Werk Millets als „faschistisches Pamphlet, das die Literatur entehrt“. Ihre als Gastartikel abgedruckter Beitrag trug ferner die Unterschriften von 118 prominenten Autoren, die erklärten „Wir haben den Text von Annie Ernaux gelesen und teilen vollkommen ihre Ansicht.“ Zu den bekanntesten Unterzeichnerinnen zählen Tahar Ben Jalloun, François Bon, Boualem Sansal, Nancy Huston oder Alain Mabanckou sowie die Mitterrand-Tochter und Literatin Mazarine Pingeot. In stärker gewundenen Texten meldeten sich auch Patrick Kéchichian – das Pamphlet entehre „nicht die Literatur, sondern konkrete Menschen“ , die in ihm abgestempelt würden – und der Historiker sowie Lektorenkollege Millets, Pierre Nora. Er erklärte: „Wir sitzen in der Falle“, so lautete die Überschrift, und spielte dabei wohl vor allem auf die Mitgliedschaft Richard Millets im prestigereichen Comité de lecture an, dem Nora selbst angehört. Durch die berufliche Nähe zu ihm sähen seine Kollegen sich „gezwungen, sich öffentlich zu solidarisieren oder entsolisarisieren“. In seiner ersten Reaktion bezeichnete Antoine Gallimard selbst es als Problem, dass Millet „das Haus repräsentiert“ und dies „eine Form der Solidarität impliziert“.

Die Lösung schien also vorgezeichnet. Am 13. September 2012 erklärte Richard Millet seinen – scheinbar freiwilligen – Rücktritt aus dem Comité lecture. Ansonten wird er weiterhin für Gallimard tätig sein und dort „seine“ Autoren wie bisher betreuen. Eine öffentliche Solidarisierung kam vor allem von Robert Ménard ((vgl. http://www.robertmenard.fr/2012/08/30/en-defense-de-richard-millet/ )), dem Gründer der Vereinigung „Reporter ohne Grenzen“/RSF, der – anscheinend auch unter familiärem Einfluss – seit ein bis zwei Jahre in offen rechtsextreme Gefilde abdriftet, und bei den kommenden französischen Kommunalwahlen im März 2014 das Rathaus der Stadt Béziers erklärtermaßen (auch) mit Unterstützung des Front National erobern möchte. ((Vgl. http://www.francetvinfo.fr/pour-la-mairie-de-beziers-robert-menard-est-pret-a-s-allier-avec-le-fn_115017.html ))

Zudem erregten sich eine Reihe von Kommentatoren in den Internetforen der Zeitungen über angebliche Zensur oder einen „Sieg der inquisitorischen Linken“ ((vgl. etwa http://www.lemonde.fr/livres/article/2012/09/13/eloge-de-breivik-richard-millet-demissionne-du-comite-de-lecture-de-gallimard_1760175_3260.html)). Eine Woche nach seinem Rücktritt konnte Millet in der FAZ seine Sicht der Dinge darlegen – siehe oben -, und bestätigte im Wesentlichen, was man bislang davon wusste.

Reaktionen aus der organisierten extremen Rechten

Auf der extremen Rechten findet Richard Millet mehr oder minder ungeschminkte offene Anhänger. Bruno Gollnisch, der frühere Vizepräsident des FN, beispielsweise listet in einer E-Mail-Aussendung vom 27. September 2012 unter dem Titel „Hat der FN die Schlacht um das Vokabular gewonnen?“ u.a. eine Reihe von Intellektuellen auf, die dabei seien, „nach rechts umzukippen“. Der Text Gollnischs ist dem „ideologischen Sieg“ der extremen Rechten gewidmet, welcher sich u.a. in der Rede des konservativen Politikers Jean-François Copé über „antiweißen Rassismus“ widerspiegele. Unter den aufgeführten Intellektuellen, die dabei seien, für die (extreme) Rechte gewonnen zu werden, steht Richard Millet unter 14 zitierten Namen an erster Stelle.

Die rechtsextreme, vorgeblich religionskritische (d.h. ausschließlich „islamkritische“ respektive –hetzerische) Webseite Riposte Laïque machte sich aus der Verteidigung Richard Millets eine Spezialität. Bei ihr hieß es dabei unter anderem, wobei die Hetze in Extremform zugespitzt wird: „Gestern (Anm.: gemeint ist wohl in den Jahren 1975-1979) jagte man in Kambodscha den Kleinbürger, der der Revolution feindlich gesonnen sei. Heute verfolgt man in Frankreich den Patrioten, der dem Multikulturalismus feindlich gesonnen sei, (…) vollkommen im Geiste der Roten Khmer des Pol Pot.“ (Sic).  ((Vgl. zu den rechtsextremen Reaktionen im Internet u.a. auch http://tempsreel.nouvelobs.com/le-dossier-de-l-obs/20120921.OBS3201/internet-la-reacosphere-en-ebullition.html))

Bei dem auf politische Themen spezialisierten französischen TV-Sender Public Sénat debattierte am 13. Oktober d.J. der prominente (konservative) Fernseh- und Radiojournaliste Jean-Pierre Elkabbach mit Richard Millet. Dieser verbreitete sich dort in larmoyanter Weise über seine „soziale Existenzvernichtung“ und rechtfertigte sich ansonsten, auch wenn er – vom Diskussionspartner bedrängt – am Schluss „einen Fehler“ einräumte. Nämlich den, „nicht über die Opfer (Anm.: Breiviks) gesprochen zu haben“, was er laut der Formulierung Elkabbachs „jetzt nachhole“. ((Vgl. die Aufzeichnung des Gesprächs u.a. hier: http://www.youtube.com/watch?v=9xzZklc4Ygs)) Die Aufnahme wurde am selben Tag, am 13.10.2012, unter dem Titel Richard Millet vs Elkabbach auch auf die rassistische und faschistische Webseite F de souche (von „français de souche“, das Wort für „Abstammungsfranzose“) gestellt. Dort wird aber nicht nur die Kontroverse dokumentiert: In der Spalte direkt daneben, auf der rechten Seitenhälfte, findet sich ein Feld für die Bestellung seiner Bücher, unter dem expliziten Titel „Unterstützung für Richard Millet“. ((vgl. http://www.fdesouche.com/millet/))

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