Geheimdokumente zu München

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Aus Anlass des Gedenktags der Ermordung von elf israelischen Sportlern bei den olympischen Spielen in München 1972 hat das israelische Staatsarchiv 45 bislang „streng geheime“ Protokolle und Telegramme veröffentlicht. Bei einigen Dokumenten etwa des Außenministeriums wurden Berichte des Geheimdienstes sichtbar geschwärzt, wie man bei der Faksimile-Wiedergabe der Originale deutlich sehen kann…

Von Ulrich W. Sahm, Jerusalem, 29. August 2012

Aus den Dokumenten geht die Verwirrung hervor, die auch in Israel angesichts der widersprüchlichen Nachrichten aus Deutschland herrschte, vor allem während der letzten Augenblicke des Dramas auf dem Flughafen Fürstenfeldbück bei München. Geheimdienstchef Zwi Zamir war vor Ort. Nach seiner Rückkehr beschrieb Zamir den erschütterten Ministern und Golda Meir die Abfolge der Ereignisse. Er kritisierte die Deutschen, weil sie Zamirs Vorschlag, zu intervenieren, zurückgewiesen hatten. Er beklagte das Chaos, das unprofessionelle Vorgehen der deutschen Sicherheitskräfte und ihr Desinteresse. „Sie haben nicht die geringste Anstrengung gemacht, Menschenleben zu retten. Sie haben nicht das geringste Risiko auf sich genommen, die Leute zu retten. Weder unsere noch die eigenen“, so Zamir wörtlich. Die Deutschen hätten die Angelegenheit so schnell wie möglich hinter sich bringen wollen, um die olympischen Spiele fortzusetzen.

Auf eine Frage Golda Meirs, wieso es keine Sicherheitsvorkehrungen für die israelischen Sportler gegeben habe, zitierte Zamir einen Bonner Polizisten: „Was denken Sie denn? Hier herrscht olympischer Geist und nichts wird passieren.“ Bei einem internen Gespräch am Morgen nach dem Scheitern der Geiselbefreiung wurde über die Frage beraten, ob Israel einen Abbruch der Spiele fordern sollte und ob auch israelisches Versagen untersucht werden wollte. Ebenso wurde über die Auswirkungen auf die deutsch-israelischen Beziehungen gesprochen.

Verteidigungsminister Mosche Dayan sagte, dass es „in letzter Zeit“, also kurz vor München, eine spürbare Zunahme von Terroristen mit Anschlagsplänen auf dem Weg nach Europa gegeben habe, wobei Israel sogar deren Namen und Aufenthaltsorte kannte. Gleichwohl habe Israel keinen konkreten Hinweis auf den Anschlag in München gehabt.

Angedeutete deutsche Kritik, wonach Israel letztlich Schuld an dem Debakel gewesen sei, weil es sich standhaft geweigert hatte, arabische Gefangene im Tausch für die Geiseln freizulassen, wurde von den Ministern bei dem Gespräch zurückgewiesen. Minister Israel Galili äußerte Bedenken wegen der erstmals beobachteten Bereitschaft von Terroristen, im Kampf zu sterben. (Die „Mode“ von Extremisten, nicht nur in Nahost, für ihre Ziele freiwillig in den Tod zu gehen als „Selbstmordattentäter“, begann erst richtig zehn Jahre später, 1982 in Beirut.) In einem Dokument wird erwähnt, dass Kanzler Brandt angeboten habe, persönlich am Begräbnis der elf ermordeten Sportler teilzunehmen. Golda Meir habe das auf der Stelle abgelehnt.

Außenminister Abba Eban befürchtete, dass sich israelischer Volkszorn gegen Deutschland richten könnte und nicht gegen die Araber. Um die guten Beziehungen mit Deutschland nicht zu gefährden wurden israelische Botschaften, jüdische Institutionen und jüdische Gemeinden in aller Welt aufgefordert, keine Kritik an der gescheiterten Befreiungsaktion durch die deutsche Polizei zu veröffentlichen.

Ein weiteres diskutiertes Dilemma war einerseits das Bemühen Israels, sich nicht in die „inneren Angelegenheiten“ eines anderen Landes einzumischen, andererseits aber selber aktiv zu werden, um das Leben bedrohter Israelis zu retten. Ein Minister erklärte, dass das Debakel von München ein Todesurteil für Israelis im Ausland sei. Verkehrsminister Schimon Peres wird mit dem Spruch zitiert: „Es ist lächerlich zu glauben, dass wir alle Israelis schützen könnten.“

 (C) Ulrich W. Sahm / haGalil.com

1 Kommentar

  1. Mir stellt sich mit dieser Quelle erneut die Frage,
    in wieweit deutsche Politik die Geburtsjahre des gegenwärtigen
    (falsch-)islamischen Terrorismus
    „mit durch gewunken“ hat.
    Sozusagen im übermächtigen Schatten der Nazi-Erziehung
    vieler Verantwortungsträger der siebziger Jahre…

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