Stolpern im Internet

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Am 19. Juni wurde die virtuelle Kampagne „Stolpersteine online“ beim „wichtigsten Werbefestival der Welt“  in Cannes mit einem der begehrten „Goldenen Löwen“ ausgezeichnet ((http://www.wuv.de/w_v_research/specials/cannes_2012/cannes_2012_zweimal_media_gold_fuer_deutsche_agenturen))…

Von Moritz Herbst

Seit 1995 verlegt Gunter Demnig in der realen Welt Stolpersteine. Die sind ein bedeutender Ansatz, um den Opfern des Nationalsozialismus auf den Gehwegen vor ihren letzten Wohnungen einen Namen zu geben, sie im Alltag zu verorten. ((http://www.stolpersteine.com/)) Anfang April ging  ein dpa-Text durch zahlreiche deutsche Zeitungen: „Mit Online-Stolpersteinen gegen das Vergessen“. ((http://www.fr-online.de/panorama/mit-online-stolpersteinen-gegen-das-vergessen,1472782,14689128.html)) Der Titel geht zurück auf die PR-Agentur Dederichs Reinecke & Partner: Die „leistet PR-Unterstützung für das größte Online-Mahnmal für die Opfer des Nazi-Regimes“, so die Eigendarstellung. ((http://www.dr-p.de/de/news/dederichs-reinecke-partner-leistet-pr-unterstuetzung-fuer-das-groesste-online-mahnmal-fuer-die-opfer-des-nazi-regimes.html)) Was für eine Initiative verbirgt sich hinter der unangemessen großsprecherischen Ankündigung?

Auf der Internetseite www.stolpersteine-online.com soll eine digitale Karte entstehen, auf der europaweit alle 32.000 Stolpersteine erfasst werden sollen,  welche der Kölner Künstler Gunter Demnig bisher verlegt hat zum Gedenken an Opfer des Nationalsozialismus: „Unter www.stolpersteine-online.com finden sich alle bisher verlegten 4.075 Hamburger Stolpersteine, sukzessive folgen weitere deutsche Städte. Auf Websites stolpert man virtuell über Steine als Banner.“ Die Initiative legt nicht nur in ihrer PR-Arbeit Wert auf Professionalität – hinter ihr steht mit Jung von Matt eine der umsatzstärksten Werbeagenturen Deutschlands ((http://www.jvm.com)), die ihr Knowhow einbringt: „Auch Offline wird die Kampagne unterstützt. An signifikanten Stellen stehen Citylight-Poster mit Stadtplanmotiv, wo man die Steine der direkten Umgebung finden kann.“ Im Mai stand etwa auf dem Hamburger S-Bahnhof Sternschanze ein entsprechendes beleuchtetes Citylight-Poster, auf dem auf einer STraßenkarte dicht an dicht die Stolpersteine zu sehen waren. Das Poster zeigte die westliche Innenstadt Hamburgs und quoll nahezu über vor Stolpersteinen. Die Menge war beeindruckend. Weiterführende Informationen gab es keine.

Genauso wie auf der Internetseite. Auch hier werden wie auf den realen, kleinen Stolpersteinen aus Messing, die in die Gehwege eingelassen sind, die knappen, eingestanzten Daten wiedergegeben. Geburt, Name, Verhaftung/Deportation, Angaben zum Schicksal. Wo die Steine dort vor den Häusern an die Opfer der Nazis erinnern, wo sie einst wohnten, stolpert über diese Gedenksteine, wer wach durchs Leben geht. Auf der Straße passt auch die Form des kleinen Steines mit den knappen Eckdaten.

Die PR-Agentur Dederichs Reinecke & Partner schreibt: „50% aller Deutschen unter 25 wissen nicht, was der Holocaust war. Um das zu ändern erfasst Jung von Matt auf Grundlage von Google-Maps und Google StreetView alle 32.000 Stolpersteine in einer digitalen Karte. So ’stolpern‘ Jugendliche und junge Erwachsene dort, wo sie einen Großteil ihres Alltags verbringen – online.“

Online stolpern und gedenken? „Das Ziel der Kampagne ist es, möglichst viele Menschen zum Mitmachen und zum Erinnern zu bewegen“, erklärt Dörte Spengler-Ahrens von Jung von Matt. ((http://www.fr-online.de/panorama/mit-online-stolpersteinen-gegen-das-vergessen,1472782,14689128.html)) Sie ist in der Agentur als Executive Creative Director tätig. Und wurde bis Juni auch im Impressum von Stolpersteine online als eine von drei verantwortlichen und vertretungsberechtigten Geschäftsführern der Jung von Matt/Fleet GmbH genannt. Stolpersteine online – ein Projekt der Agentur Jung von Matt.

David Wegener, ebenfalls Mitarbeiter bei Jung von Matt, erklärte im Mai gegenüber dem Autor: „Neben den rein kommerziellen Kampagnen setzt Jung von Matt immer wieder soziale Ideen um, siehe www.saveaswwf.com. Die Stolpersteine sind uns ins Auge gesprungen, weil wir sie für ein geniales Kunstwerk und Mahnmal halten und zugleich bemerkt haben, dass es keine Karte gibt, auf der wirklich alle Steine verzeichnet sind.“

Wegener betont, Stolpersteine online sei mit Gunter Demnig abgesprochen: „Wir haben ihm die Website vorgestellt und seine Zustimmung bekommen.“ Die Resonanz auf die Internetseite sei „sehr gut“, so Wegener: „Wir können zwar noch nicht hunderttausende Klicks vorweisen, aber immerhin Bannerplatz im Wert von 40.000 Euro, der von Betreibern kostenlos zur Verfügung gestellt wurde. Viele User kommen auch über die Banner auf der Seite an, wie die knapp 450 Shares auf der Website zeigen.“

Der Banner-Slogan „Sie stolpern gerade über das größte Mahnmal für die Opfer des III. Reiches“  spricht UserInnen an, so Wegener: „Ja. Hier haben wir allerdings noch keine konkreten Zahlen.“

Der Slogan erinnert mit seinem Superlativ an kommerzielle Werbung. Die Agentur Jung von Matt kreiert sonst Werbung für zahlreiche bekannte Marken, etwa die Deutsche Post, Sixt oder die Bild-Zeitung. Auf dem Banner von Jung von Matt steht auch:  „Besuchen Sie die Stolpersteine im Netz unter stolpersteine-online.com“. Und kommt so daher, als ob es bisher keine Websites zu den Stolpersteinen gibt. Ein fataler, falscher Eindruck. So gibt es für die Hamburger Stolpersteine eine vollständige Website der Landeszentrale für politische Bildung, wo zu einigen Opfern auch mehr Informationen verlinkt sind. ((http://www.stolpersteine-hamburg.de/)) Zusätzlich gibt es seit 2008 eine Smartphone-Applikation für die Hamburger Stolpersteine, die mit ausführlicheren Informationen  im Internet verknüpft ist. ((http://dpaq.de/CLW8U))

Und viele weitere Websites.

Auf der Seite von Jung von Matt gibt es keine Hintergrundinformationen, nichts, was über die Eckdaten der realen Stolpersteine hinausgeht. Die Möglichkeiten des Internets werden so nicht genutzt. Jung von Matt, die auf ihrer offiziellen Website erklären, es gäbe „keine erfolgreichere Agenturgruppe im deutschsprachigen Raum“, tritt so auf, als sei es einmalig, dass die Stolpersteine durch sie im Internet eingestellt werden: „stolpersteine online bringt dieses Mahnmal in die digitale Welt“, so die Projektdarstellung auf der gleichnamigen Site. Weiter heißt es dort: „ Denn das Wichtigste im Kampf gegen den Faschismus ist es, die Erinnerung an das Unaussprechliche wach zu halten. Ein Zufall, dass hier die Rede von Faschismus ist, wo es doch konkret um die Opfer des deutschen Nationalsozialismus geht, um die Shoah – welche in Deutschland geplant und durchgeführt wurde, nicht von Italien. Das ganze Projekt „stolpersteine-online.com“ ist von einer solchen Oberflächlichkeit durchzogen, die umso auffälliger ist, weil das Projekt das Alleinstellungsmerkmal „größtes Online-Mahnmal für die Opfer des Nazi-Regimes“ für sich beansprucht.

Die Agenturgruppe Jung von Matt hat bereits 2005 ein groß angelegtes Social-Media-Engagement unentgeltlich mitgetragen: Für die Kampagne „Du bist Deutschland“ war Jung von Matt die  Kreativagentur. ((Oliver Voss, Erfinder des Satzes „Du bist Deutschland“ im Interview gegenüber der FAZ (21. 11. 2005): „Hier ging es um Deutschland. Da muß man sich einer anderen Sprache bedienen, als wenn man etwas verkauft. Und wenn ich an die positiven Reaktionen etwa von Angela Merkel und Gerhard Schröder auf die Kampagne denke, ist uns das auch gelungen.“)) Die Kampagne im Vorfeld der Fußball-WM 2006 kam mit einem Manifest und einer Werbevolumen daher, dass einmalig war: Nahezu alle TV-Sender strahlten am 26. September 2005 den zweiminütigen Spot aus, Anzeigen gab es all überall in den großen Titeln, die sich alle unentgeltlich beteiligten. Die Reichweite betrug damals unglaubliche 98 % Prozent. Jede Bundesbürgerin wurde im Durchschnitt 16-mal durch die Kampagne mit dem Piktogramm in den Nationalfarben angesprochen. Im Manifest wurde ein deutscher Volkskörper beschworen: „Doch einmal haben wir schon eine Mauer niedergerissen. Deutschland hat genug Hände, um sie einander zu reichen und anzupacken. Wir sind 82 Millionen. Machen wir uns die Hände schmutzig. Du bist die Hand. Du bist 82 Millionen. Behandle Dein Land doch einfach wie einen guten Freund. Meckere nicht über ihn […] Du bist Deutschland.“ ((http://de.wikipedia.org/wiki/Du_bist_Deutschland))

Die nationale Erweckungskampagne ((http://jungle-world.com/artikel/2005/47/16421.html))trug mit zu einer Umdeutung des Nationalsozialismus bei: Einerseits gab es im Spot durchgestrichene Hakenkreuze zu sehen und Volksmusikstar Patrick Lindner trat zwischen den Stelen des „Holocaust-Denkmals“ in Berlin zusammen mit einem zweiten Trompeter auf, den die Nazis als „lebensunwert“ in die Gaskammer geschickt hätten. Die Botschaft: Wir Deutschen sind geläutert, national und stolz, aber haben nichts mit Neonazis oder dem III. Reich zu tun. Diese Ideologieproduktion von Agenturen und Medienkonzernen traf sich mit der staatlichen Politik: Nazis sind pfui, Neonazis gehören nicht zu Deutschland – und dass ist eine klasse Nation. Die „Du bist Deutschland“- Kampagne brachte es damals fertig, Profiteure und Kollaborateure des NS-Regimes und der Shoah aus dem Zusammenhang herauszulösen und als deutsche Vorbilder darzustellen: So den Boxer Max Schmeling, den Stahlbaron August von Thyssen oder Ferdinand Porsche. Letzterer erbat sich für seine Autoproduktion bei der SS KZ-Häftlinge, die für sein Unternehmen schuften sollten. Und dies auch tun mussten.

Gegenüber Kritik von links an der Kampagne wurde durch Jung von Matt offenherzig erklärt, es sei ein purer Zufall, dass 1935 das Naziregime bei einer großen Kundgebung mit Göring und Goebbels den nahezu gleichlautenden Slogan „Denn Du bist Deutschland“ genutzt habe. ((http://www.flickr.com/photos/bembel/66349604/)) Sicher war dies keine Absicht. Aber es ist eben möglich, dass sich beim Propagieren einer deutschen Volksgemeinschaft eine Übereinstimmung mit dem seinerzeit hochmodernen Marketing der Nazis ergibt.

Zum heutigen deutschen Nationalismus gehört es, sich selbst zu Erhöhen mit der Behauptung der einmaligen Vergangenheitsbewältigung der „Hitlerzeit“ und der hieraus vermeintlich entstandenen besonderen Sensibilität eines deutschen Volkskörpers für Ungerechtigkeiten überall in der Welt. Auch ein ritualisiertes, formelles Gedenken an die Opfer des Nationalsozialismus kann dazugehören. So stolpert die deutsche Volksgemeinschaft kaum über ihre Vergangenheit.

1 Kommentar

  1. Stolpersteine sind für Opfer sinnlos. Sie beruhigen das Gewissen von Antisemiten, die sich modisch „Israelkritiker“ nennen, wozu auch die Stolpersteine-Geschäftemacher gehören.
    Stolpersteine beleidigen die Ermordeten. Sie werden getreten, bespuckt und bekotet. Es ist kein Zufall, dass diejenigen, die Stolpersteine gutheißen, den Judenstaat verdammen.
    Die Politik Israels versucht, sich von der Holocaust-Industrie zu lösen, um eine tragfähige Zukunft zu garantieren. Die meisten Deutschen und viele Juden sind dagegen. Die Gründe der deutschen Nicht-Juden sind nachvollziehbar.

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