Von rosa Kaninchen

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Eine autobiografische Erzählung…

Von Ramona Ambs

Ramona Ambs, in Heidelberg lebende jüdische Schriftstellerin, erinnert sich in ihrer autobiographischen Erzählung „Von rosa Kaninchen“ daran, wie die Erfahrungen des Holocaust auch Generationen später noch präsent sind und den Alltag der Nachgeborenen prägen:

„Als Hitler das rosa Kaninchen stahl, gab es mich noch nicht. Dennoch fühle ich mich um ein rosa Kaninchen bestohlen. Und nicht nur um ein rosa Kaninchen. Sondern um ein ganzes großes Zimmer voller Spielsachen. (…) Es wäre ein Zimmer gewesen, in dem viel gelacht worden wäre, weil man so viele Spielsachen gehabt hätte und weil es so einfach gewesen wäre, sich lieb zu haben in so einem Zimmer. Ich fühle mich bestohlen um eine glückliche Kindheit, die ich nicht hatte, weil diejenigen, die mir diese Kindheit hätten glücklich machen sollen, so unglücklich waren … unglücklich und krank vor Sehnsucht nach einem rosa Kaninchen. (…) Ich beginne ganz bewusst mit Hitler. Ich hätte auch mit Israel beginnen können. Hitler und Israel – das sind die beiden Begriffe, die hier spontan assoziiert werden, wenn man als „jüdisch“ identifiziert wird. Ich beginne aber mit Hitler. Das scheint mir dringend geboten in einer Zeit, in der alle davon reden, dass endlich Schluss sein soll mit der Besinnung auf die Vergangenheit, dass endlich „Normalität“ zwischen Deutschen und Juden herrschen solle. Naja.“

Von einer „Normalität der Beziehungen“ könne bis heute nicht die Rede sein, so Ambs, die Vergangenheit stehe dazwischen, und nicht nur die: “Dummerweise sieht es dann aber so aus: die Deutschen wollen nicht mehr an die Vergangenheit erinnert werden, sie jubeln, wenn im Zentralrat „endlich kein Überlebender“ mehr sitzt, sie reden lieber von der Zukunft mit „unseren jüdischen Mitbürgern“ und denken, Israel kritisieren sei eine mutige Tat – und wir Juden? Wir besuchen in der Zeit unsere Synagogen, die einem Hochsicherheitstrakt ähneln, halten unsere Veranstaltungen unter Polizeischutz ab und gewöhnen uns daran, dass „Jude“ mittlerweile wieder ein Schimpfwort ist. Schöne Normalität. „Lassen Sie uns Deutschen endlich Raum zum atmen“, hieß ein Leserkommentar nach der Wahl von Graumann zum Zentralratspräsident, – als seien wir Luftvergifter, als habe die bloße Existenz einer Überlebenden wie Charlotte Knobloch kollektive Asthmaanfälle im deutschen Volk ausgelöst.“

Früher dachte die Schriftstellerin Ramona Ambs, dass es besser werden würde, wenn man sich wechselseitig seine Geschichten erzähle. Das scheint nicht geklappt zu haben. Sie erinnert sich:

„Ich beschloss damals mich mehr aus der deutschen Gesellschaft zurückzuziehen. Ich dachte mir, ich sollte mich einfach mehr und intensiver in die jüdische Gemeinde einbringen. Dort sind „meine Leute“, dort kann mir sowas nicht passieren. Dort bin ich geschützt. Und dann geh ich in die Synagoge. Alles Russen, außer Gott. Und plötzlich bin ich doppelt fremd. Als Jüdin in der deutschen Gesellschaft – und in der Kehile plötzlich als „Deutsche“ unter Russen. Ich kann kein russisch, also spreche ich mit Gott. Aber der versteht nur hebräisch und das spreche ich nur stolpernd. Deshalb packe ich meine Gedanken und Buchstaben wieder ein und gehe nachhause. Manchmal ist man eben nirgends zuhause. Oder überall nur ein bisschen.“

Ramona Ambs (2012): Von rosa Kaninchen, in: Psychoanalyse – Texte zur Sozialforschung. Nr. 1/2012, Schwerpunktthema: Jüdische Identitäten in Deutschland nach dem Holocaust, Gast-Herausgeber: Roland Kaufhold, Bernd Nitzschke, Euro 12,00, Weitere Informationen und Bestellung

3 Kommentare

  1. Die vernünftigste und sanfteste Wortmeldung, die unbeabsichtigt nicht wenigen der vielen Jüdischen Identitäten in Deutschland nach dem Holocaust und nach der russischen Blitz-Besetzung eine Stimme verleiht, die von Flüchen gereinigt ist 🙂
    „Ich beschloss damals mich mehr aus der deutschen Gesellschaft zurückzuziehen. Ich dachte mir, ich sollte mich einfach mehr und intensiver in die jüdische Gemeinde einbringen. Dort sind „meine Leute“, dort kann mir sowas nicht passieren. Dort bin ich geschützt. Und dann geh ich in die Synagoge. Alles Russen, außer Gott. Und plötzlich bin ich doppelt fremd. Als Jüdin in der deutschen Gesellschaft – und in der Kehile plötzlich als „Deutsche“ unter Russen. Ich kann kein russisch, also spreche ich mit Gott. Aber der versteht nur hebräisch und das spreche ich nur stolpernd. Deshalb packe ich meine Gedanken und Buchstaben wieder ein und gehe nachhause. Manchmal ist man eben nirgends zuhause. Oder überall nur ein bisschen.“
    Sehr geehrte Ramona, ich will in keiner Weise andeuten,dass Sie meine Meinung teilen. Aber mir reicht es schon, dass ich Ihre Empfindung teile, wie wortwörtlich im vorigen Paragraph gezeichent.

  2. „Deshalb packe ich meine Gedanken und Buchstaben wieder ein und gehe nachhause. Manchmal ist man eben nirgends zuhause. Oder überall nur ein bisschen.“

    Manchmal wünschte ich, mehr Mut zu haben, herschreiben zu können, wie es ist, wenn einem, man möchte doch weiterlesen, unbedingt, plötzlich die Buchstaben vor den Augen verschwimmen, …

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