Ausstellung von Micha Ullman in Berlin

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Vom 2. Juni bis 15. Juli 2012 zeigt ALEXANDER OCHS GALLERIES BERLIN | BEIJING die Ausstellung „Gläser“ von Micha Ullman…

Es geht um Geschichte, die nicht nur das Vergangene meint sondern auch die Gegenwart, und die gleichermaßen in die Zukunft weist: das Werk des israelischen Künstlers Micha Ullman kreist um das Thema einer gemeinschaftlichen Erinnerung. Die Mehrdeutigkeiten, die seine Werke implizieren, legen Denkprozesse offen, die auf sehr komplexe Weise lokale, politische, aber auch soziale Fragen aufgreifen oder neu stellen.

Ausgehend von Malerei und Zeichnung hat sich Ullman in seinen frühen Werken der 1970er Jahre mit verschiedenen Aktionen und Skulpturen der Land Art angenähert. Seine Motivation war es jedoch nicht, einer musealen Ausstellungskultur entgegenzutreten, auch romantisierende Bezüge spielten keine tragende Rolle. Mit dem Ausheben von Gruben und dem Versatz des Aushubs bediente er sich der Erde als Material, das an Schöpfungsmythen anknüpft und ihren „heimatlichen“ Symbolgehalt nutzt. Doch auch die Leere, die der Aushub hinterlässt, ist in vielen der Werke Ullmans als Material im erweiterten Sinne zu verstehen, als Raum, den es mit Immateriellem zu füllen gilt. Neben Erde kommt in späteren Werken Sand (meist roter Sand aus Israel) hinzu, wie beispielsweise in der Skulptur Glas-Tisch (2012), die in dieser Ausstellung zu sehen ist und von dem ein früheres Werkexemplar heute Teil der Sammlung der Tate Modern in London ist.

Der Salzabbau der Kali-Bergwerke im thüringischen Dorndorf, aus dem seine Eltern einst emigrieren mussten, ist für den Künstler aus erinnerten Erzählungen zu einem Familienmythos geworden. Eine Ausstellung im benachbarten Lindenau-Museum aus Anlass der Verlei¬hung des Gerhard-Altenbourg-Preises 2010 war für Ullman der Beweggrund, Salz und den ebenfalls dort geförderten Basalt für die Installation Bergwerk (2010/2012) zu verwenden, die in dieser Ausstellung gezeigt wird. Das helle Salz und der dunkle Basalt, unvermischt und in kreisrunden Schüttungen auf dem Boden arrangiert, treten in einen Dialog der Gegensätze von Tag und Nacht, von Himmel und Erde. Integriert in diese Installation, wie auch in die Skulptur Gläser (2012), sind Trinkgläser, – für Ullman ebenso wie Gruben – Container, die, gerade wenn es zwei oder mehr sind, als Zeichen energetisch aufgeladener menschlicher Gemeinschaft dienen. Glas als Material, das unter anderem aus Sand und Feuer hergestellt wird, stiftet in seiner Zerbrechlichkeit und Flüchtigkeit jene Bezüge zur Vergänglichkeit, die in der Natur der Erinnerung liegen und die für Ullmans Werk grundlegend sind.


Foto: Bergwerk – Installationsansicht Lindenau-Museum Altenburg, 2010
Foto © Jürgen M. Pietsch, Spröda, Courtesy ALEXANDER OCHS GALLERIES BERLIN | BEIJING

Ein weiteres Werk in dieser Ausstellung, das Video Place von 1975, zeigt den Künstler bei einer Aktion, in der er sieben Haufen Sand nacheinander mithilfe einer Schaufel aufnimmt, gegen eine Wand wirft und auf diese Weise umschichtet. Diese Aktion, bei der neben der Bewegung auch der Klang gleichermaßen bedeutsam ist, ist das Dokument einer frühen Sta¬tion auf der Suche nach einem künstlerischen Ausdruck, den er bis heute und maßgeblich durch eine intuitive Herangehensweise gefunden hat.

Von Spuren des Vergangenen, Spuren einstigen menschlichen Beisammenseins zeugen in eindrucksvoller Weise Ullmans Aquarellzeichnungen auf Papier. Abdrücke von Trinkgläsern und anderem Essgeschirr zeichnen sich jeweils als blasse Fehlstellen auf dem Papier ab, das mehr als die Oberfläche eines Tisches nachbildet. Es wird erzählt von einer vielleicht plötzlich, fluchtartig aufgelösten Gemeinschaft, von dem, was fehlt, und von dem, was bleibt. In einem monatelangen Verfahren, vom Künstler nur zum Teil steuerbar, hat er hier neben dem Wasser auch das Element der Luft und Verdunstung genutzt. Das Elementare in seiner Kunst bezieht sich, so zeigt sich, sowohl auf geologische und physikalische Phänomene, als auch auf das Zeichenhafte von Gegenständen gemeinschaftlichen Zusammenlebens: Gläser, Tische, häufig auch Stühle sind kulturübergreifend als solche Zeichen lesbar.

Im öffentlichen Bewusstsein ist Micha Ullman bislang vielleicht in erster Linie durch seine Bildwerke im Berliner Stadtraum. Unzugänglich, jedoch ganz wesentlich auf Einsehbarkeit hin konzipiert ist etwa das Denkmal Bibliothek (1995), das an die Bücherverbrennung durch die Nationalsozialisten auf dem Bebelplatz erinnert, und seine Kraft nicht zuletzt aus seiner Zurückhaltung zieht. Durch eine Glasplatte im Boden ist ein weißer, leerer Raum mit leeren Bücherregalen zu sehen, tagsüber fast unscheinbar, sendet das Werk gerade auch bei nächtlicher Beleuchtung abermals die Leere als mahnendes Zeichen. Die Funktion der Glasplatte ist hier ambivalent, dient sie doch zugleich als Versiegelung und als Öffnung.

Ein anderer „Raum“ ist unzugänglich und überdies uneinsehbar: Die Skulptur Niemand (1990), schräg gegenüber des Jüdischen Museums, ursprünglich jedoch für das Niemands-land nahe der Berliner Mauer geschaffen, ist ein Block aus rostigem Corten-Stahl in den architektonische Elemente und Einrichtungsgegenstände im Negativ als Nischen eingelassen und teilweise in der horizontalen Achse verdreht sind.

Die Leere, die Abwesenheit von Menschen, ist in Micha Ullmans (gemeinsam mit Zvi Hecker und Eyal Weizman entwickelten) Installation Blatt (1997) präsent: die Anordnung von Sitzbänken aus Beton in einem Hinterhof der Kreuzberger Lindenstraße, orientiert sich an der Bestuhlung der Synagoge, die einst an dieser Stelle stand.

Die Installation Unten, 2009 für die gleichnamige Ausstellung der Galerie entstanden, wurde seither im Jüdischen Museum Berlin und im Israel Museum, der israelischen Nationalgalerie in Jerusalem, gezeigt. Fragmente von Tischen, Stühlen und Trinkbechern, aus Corten-Stahl und mit rotem Sand bedeckt, erscheinen wie im Boden versunken und lassen denken an das Verschwinden von Individuen und der dramatischen Auflösung einer Gemeinschaft.

Für die Berliner St.-Matthäus-Kirche am Kulturforum realisiert Ullman in diesem Jahr die Skulptur Stufen, sieben Stufen, die hinab führen oder aber hinauf, mit rotem Sand bedeckt und wieder mit einer Glasplatte verschlossen, – eine Metapher für einen Ort zwischen Oben und Unten, zwischen Himmel und Erde. Mit diesem Treppenmotiv greift Ullman auf ein früheres Land-Art-Projekt von 1975 zurück, das fotografisch dokumentiert und überdies in Skizzen erhalten ist.

Bei allem Facettenreichtum seiner Werke verwendet Micha Ullman ein Formen- und Materialvokabular, das einfach bleibt, aber gerade in seinen symbolhaften Bezügen auch auf Immaterielles und Irrationales verweist. Sein Spiel mit Aushub und Schüttung, mit Leere und Volumen, mit Präsenz und Absenz, mit Positiv und Negativ, nimmt dabei stets den Menschen als Maßstab, im eigentlichen und im übertragenen Sinne. Das Zukunftsweisende seines Werkes gründet sich wohl gerade aus dem universellen Anspruch des Künstlers, den er kraftvoll aber unprätentiös umzusetzen versteht.

Micha Ullman, der zweimalige documenta-Teilnehmer (1987 und 1992), ist in diesem Jahr mit frühen Werken in der Ausstellung Ends of the Earth. Land Art to 1974 im Museum of Contemporary Art in Los Angeles vertreten, die im Herbst auch im Haus der Kunst in München gezeigt wird. Ullman wurde unter anderem 1995 mit dem Käthe-Kollwitz-Preis der Akademie der Künste Berlin sowie 2010 mit dem Moses-Mendelssohn-Preis geehrt, und er ist der diesjährige Träger des Max-Herrmann-Preises der Freunde der Staatsbibliothek zu Berlin.

Ausstellung vom 2. Juni bis 15. Juli 2012
Eröffnung am Freitag, 1. Juni 2012, 19.00 Uhr (Micha Ullman ist anwesend)

Öffnungszeiten:
Di. bis Sa., 11.00 – 18.00 Uhr

ALEXANDER OCHS GALLERIES BERLIN | BEIJING
Besselstraße 14
10969 Berlin
Tel.: 030 / 240 086 680
www.alexanderochs-galleries.com