30 Jahre Libanonkrieg (1982)

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Es war kein „konventioneller“ Krieg zwischen zwei Staaten, sondern einer der ersten „asymmetrischen“ Kriege der modernen Zeit: Der Erste Libanonkrieg, der vor 30 Jahren im Juni 1982 begann…

Von Ulrich W. Sahm, Jerusalem, 8. Juni 2012

Ursprünglich war es nicht geplant, aber letztendlich drangen israelische Truppen bis nach Beirut, in die Hauptstadt des Libanon, vor. Damit setzte Israel dem „Fatahland“, einem jahrelangen „Privatkrieg“ der palästinensischen Milizen, und dem Raketenbeschuss von Nordisrael ein Ende.

Im „Schwarzen September“ von 1970 hatte König Hussein von Jordanien einen Putschversuch Arafats blutig vereitelt. Die Palästinensische Befreiungsorganisation PLO, damals als mächtigste Terror-Organisation der Welt bezeichnet, war in den Libanon ausgewichen und hatte im Zedernland in den folgenden Jahren einen „Staat im Staate“ aufgebaut. Sie hatte die „Schweiz des Nahen Ostens“ – als die der Libanon einmal bekannt gewesen war – von innen durch einen grausamen Bürgerkrieg zersetzt und Israel von Norden her terrorisiert.

Ein Zustand, in dem nicht Staat gegen Staat, sondern Terror-Organisation gegen Staat steht, ist ein Zustand, der vom Völkerrecht nicht vorhergesehen war und Völkerrechtlern bis heute Kopfzerbrechen bereitet. Israelische Militärschläge gegen Raketenbasen der PLO im Libanon waren eindeutig eine völkerrechtswidrige Grenzverletzung des nördlichen Nachbarlandes. Gleichzeitig zeigte die Welt „Verständnis“ für die Unfähigkeit der libanesischen Streitkräfte, militante Palästinenser in Schach halten zu können. Zur Souveränität eines Staates gehört auch, dass ein Land wie Libanon nicht irgendwelchen bewaffneten Gruppen gestatten sollte, den Nachbarn, wie in diesem Falle Israel, anzugreifen.

Schon der konkrete Auslöser des Ersten Libanonkrieges, der von Manchen auch als „Vorwand“ bezeichnet wird, war ungewöhnlich: Am 2. Juni 1982 wurde Schlomo Argov, israelischer Botschafter in London, niedergeschossen und schwer verletzt. Die extremistische palästinensische Gruppierung „Abu Nidal“ bekannte sich zu dem Verbrechen. Argov lag 21 Jahre hirntot im Koma, bis er 2003 endlich sterben durfte.

Gemäß der Wiener Konvention gelten Anschläge auf Diplomaten als offizielle Kriegserklärung. Man bedenke nur, welche Folgen das Attentat von Herschel Grynszpan auf den deutschen Diplomaten Ernst vom Rath 1938 in Paris hatte, oder was die Erstürmung der israelischen Botschaft in Kairo im vergangenen Jahr mit ihren potentiell tödlichen Folgen bedeutet haben könnte. Auch der Sturm der amerikanischen Botschaft in Teheran 1979 ist bis heute nicht überwunden.

Stillschweigende Übereinkünfte zwischen Erzfeinden

Der Erste Libanonkrieg vom Sommer 1982 hatte noch weitere Phänomene höchster Aktualität. So hatte die israelische Luftwaffe in Luftkämpfen mit den Syrern mehr als ein Drittel der syrischen Luftwaffe vom Himmel geholt. Zudem kam es zu schweren Panzerschlachten zwischen Syrern und Israelis. Peinlichst achteten beide Kontrahenten jedoch darauf, es zu keinen Zwischenfällen entlang der Entflechtungszone (vorläufige Grenze) auf den umstrittenen Golanhöhen kommen zu lassen. Ein „totaler“ Krieg zwischen beiden Ländern sollte unter allen Umständen vermieden werden. In den darauf folgenden Jahren wurden im zerrissenen Libanon teilweise unvorstellbare „rote Linien“, stillschweigende Übereinkünfte oder Spielregeln, zwischen den beiden Erzfeinden eingehalten, die partout nicht miteinander reden wollten.

In Erinnerung bleiben die Massaker in den palästinensischen Flüchtlingslagern von „Sabra und Schatilah“ im Süden der libanesischen Hauptstadt. Dort wurden zwischen 700 und 1.000 Palästinenser von den christlichen Falange-Milizen des Elie Hobeika ermordet. Die Welt schob die Verantwortung dafür reflexartig den Israelis und besonders dem damaligen israelischen Verteidigungsminister Ariel Scharon in die Schuhe. Israel war schockiert. Die Menschen gingen auf die Straße und letztendlich musste Scharon aufgrund seiner politischen „Mitverantwortung“ das Feld räumen.

Die eigentlichen Mörder und ihre Befehlshaber wurden nie bestraft. Bis in die jüngste Zeit wird dieses von Israel nicht selbst verübte Massaker als „Beweis“ für die Brutalität der Israelis propagandistisch ausgeschlachtet. Dass in den folgenden Jahren nach dem Abzug der Israelis noch weit schlimmere Massaker mit wesentlich mehr Toten verübt wurden, wirft im Rückblick ein erstes Licht auf die spätestens seit dieser Zeit zur „Political Correctness“ gehörenden Doppelmoral der Welt im Blick auf die Beurteilung des Nahostkonflikts. Hier sei an die so genannten „Lagerkriege“ in den 1980er Jahren erinnert, während denen die schiitische Amal-Miliz das Flüchtlingslager von Sabra flächenbombardierte. Oder das Vorgehen von Rifad el-Assad, dem Onkel des heutigen syrischen Präsidenten, gegen die Muslimbruderschaft, bei dem fast zeitgleich mit den „Massakern von Sabra und Schatilah“ in den syrischen Städten Homs und Hama – keine 200 Kilometer nordöstlich von Beirut – nach Assads eigenen Angaben etwa 35.000 Menschen abgeschlachtet wurden.

Scharons Gespür für künftige Entwicklungen

Abschließend sei noch eine eigentümliche und fast gar nicht beachtete Folge des Libanonkrieges hier erwähnt. Ariel Scharon bestand gegenüber den Amerikanern nicht nur auf einer Vertreibung Jasser Arafats und der politischen Spitze der PLO aus Beirut und Libanon. Wie in seinen lange vor den Osloer Verträgen verfassten und veröffentlichten Memoiren nachzulesen, forderte ausgerechnet Scharon, auch alle bewaffneten Kämpfer der PLO ins Exil nach Tunesien zu schicken. Sein Argument: Eines Tages werde Israel die PLO als Gesprächspartner benötigen, um den Konflikt Israels mit seinen palästinensischen Nachbarn lösen zu können. Scharon hatte also bereits 1982 ein politisches Gespür für künftige Entwicklungen, die freilich erst ein Jahrzehnt später unter Jitzhak Rabin zu einer gegenseitigen Anerkennung, Gesprächen zwischen Israel und der PLO und den so genannten Verträgen von Oslo führten.

(C) Ulrich W. Sahm / haGalil.com