Präventivschlag auf das iranische Atomprogramm?

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„Ein Präventivschlag auf das iranische Atomprogramm – sinnvoll und gerechtfertigt?“ ((Leicht gekürzter Vortrag auf der SPD-Mitgliederversammlung Berlin-Mitte, 22.5.2012.)) Nur ein Prophet könnte diese Frage seriös beantworten. Klar ist: Die Beziehungen zwischen Iran und Israel beschäftigen uns in den letzten Monaten mehr als andere internationale Konfliktkonstellationen – viele von uns sind von nervöser Anspannung befallen…

Von Martin Kloke

Wie in einem Brennglas enthält der Nahe und Mittlere Osten alle Ingredienzen, um uns emotional aufzuwühlen. Die Zutaten sind verknüpft mit Obsessionen, Projektionen und Traumata, die aus der Geschichte des 20. Jahrhunderts herrühren. Da sind auf der einen Seite die Berliner Jusos, die auf ihrer Landesdelegiertenversammlung eine israelische Militäraktion gegen das iranische Atomprogramm ins Spiel bringen, falls die jüngst verschärften Sanktionen die militärische Dimension des iranischen Nuklearprogramms nicht stoppen können. ((Vgl. die Resolution der Berliner Jusos auf ihrer Landesdelegiertenkonferenz vom 25.3.2012: „Damals wie heute: Solidarität mit Israel“ (http://jusos-cw.de/2012/03/resolution-israel/#more-642).)) Auf der Gegenseite befindet sich der Schriftsteller Günter Grass, der „mit letzter Tinte“ den Israelis unterstellt, sie seien drauf und dran, „das iranische Volk auszulöschen“. ((Vgl. Günter Grass: Was gesagt werden muss. Gedicht zum Konflikt zwischen Israel und Iran. In: Süddeutsche Zeitung (SZ), 4.4.2012 (http://www.sueddeutsche.de/kultur/gedicht-zum-konflikt-zwischen-israel-und-iran-was-gesagt-werden-muss-1.1325809).)) Grass inszeniert einen Rollentausch – ein persönliches Interesse treibt ihn an, die Juden zu Tätern eines Weltverbrechens zu stilisieren, das quantitativ die Schoah in den Schatten stellen könnte. Grass liefert ein Paradebeispiel dafür, wie der Antizionismus der vermeintlich Guten als das trojanische Pferd fungiert, das das antisemitische Ressentiment gesellschaftsfähig macht. Wer von diesem moralisch getarnten Antisemitismus nicht reden will, sollte von Israel und Iran besser schweigen.

„Der Wahnsinn, wenn er epidemisch wird, heißt Vernunft“ ((Ein Bonmot, das dem Schriftsteller, Arzt und Borderliner Oskar Panizza (1853 bis 1921) zugeschrieben wird.)), soll einst der Schriftsteller Oskar Panizza gesagt haben. Wen interessieren da noch die Fakten? Aber genau darum soll es heute Abend gehen: eine Schneise ins Dickicht der Halbwahrheiten, Verdrängungs- und Beschwichtigungspraktiken zu schlagen:

Israel aus iranischer Sicht

Seit der islamischen Revolution von 1979 hat das neue Regime jegliche Beziehungen zu Israel abgebrochen. Es hat begonnen, Frauen, aber auch religiös-kulturelle und sexuelle Minderheiten sowie politische Abweichler blutig zu unterdrücken. Nicht nur Bahais, Christen und politische Dissidenten, auch zehntausende Juden flüchteten außer Landes, vor allem nach Israel. ((Vgl. Wahied Wahdat-Hagh: Der islamistische Totalitarismus. Über Antisemitismus, Anti-Bahaiismus, Christenverfolgung und geschlechtsspezifische Apartheid in der „Islamischen Republik Iran“. Frankfurt/Main: Peter Lang Verlag: 2012.))

Seit über 2.700 Jahren leben Juden auf dem Gebiet des heutigen Iran. Es handelt sich um eine wechselhafte Beziehungsgeschichte, die trotz aller Widrigkeiten von kulturellen und wirtschaftlichen Erfolgen geprägt ist. Während die iranische Gesellschaft traditionell ein relativ gutes Verhältnis zu Juden und auch zum Staat Israel pflegt, hat das Mullah-Regime einen radikalen Paradigmenwechsel vollzogen – seit mehr als 30 Jahren fallen die herrschenden Mullahs mit kruden israelfeindlichen Äußerungen und Drohungen auf; dabei knüpfen sie regelmäßig an den Vernichtungsantisemitismus Nazideutschlands an. Präsident Ahmadinejad vertritt Positionen, die selbst NPD-Aktivisten nur in Hinterzimmern zu äußern wagen – etwa die Leugnung des Holocausts: Das Regime unterstützt weltweit direkt und indirekt Terroraktionen – vor allem gegen alles, was dem Label „Zionismus“ bzw. „zionistisches Besatzer-Regime“ zugeordnet werden kann. Ohne den Iran hätte die libanesische schiitische Hisbollah nicht den zweifelhaften „Mut“ gehabt, im Sommer 2006 Israel anzugreifen und mehr als 4000 Raketen auf den Norden des Landes abzuschießen. Auch die anhaltenden Raketenangriffe auf den Süden Israels durch die im Gazastreifen herrschende Hamas bzw. durch noch radikalere Milizen wären ohne die systematische logistische Unterstützung durch den Iran nicht möglich.

Es kann kein Zweifel bestehen, dass der Iran die Auslöschung Israels propagiert: Nicht nur der ehemalige Revolutionsführer Chomeini oder der gegenwärtige Präsident Ahmadinejad haben immer wieder zur Vernichtung Israels aufgerufen. Selbst der als „gemäßigt“ geltende Geistliche und ehemalige Staatspräsident Rafsandjani trägt Vernichtungsfantasien zur Schau. In immer neuen Anläufen propagiert Präsident Ahmadinejad seit 2005 seine Vision eines „Erlösungsantisemitismus“ (Saul Friedländer), z. B. auf der Teheraner Konferenz „Eine Welt ohne Zionismus“: „Das zionistische Regime wird wegradiert und die Menschheit befreit werden.“ Der Teheraner Staatssender IRIB übersetzt wortwörtlich: „Ahmadinejad: Israel must be wiped off the map.“ Ahmadinejad ermahnt in der gleichen Rede „seine Zuhörer, dass, wenn sie die Parole ‚Tod Israel‘ [marg bar Isrāyīl] auszurufen hätten, sie diese Parole richtig und von Herzen ausrufen sollten. […] Der Kampf gegen die Welt der Arroganz […] wird sehr bald den Schandfleck [Israel] aus dem Schoß der islamischen Welt beseitigen – und das ist machbar.“ ((Vgl. MEMRI, Inquiry and Analysis Series, Nr. 307, 15.12.2006; Rede des iranischen Präsidenten Mahmud Ahmadinedschad, 26. 10.2005 in Teheran, Iran auf der Konferenz „Eine Welt ohne Zionismus“. Dokumentiert in: http://www.bpb.de/themen/MK6BD2.html (Übersetzung: Eckart Schiewek, Sprachendienst des Deutschen Bundestages, 22.4.2008); vgl. auch den Link zum Teheraner Staatssender IRIB, 26.10.2005: Ahmadinejad: Israel must be wiped off the map (http://web.archive.org/web/20070927213903/http:/www.iribnews.ir/Full_en.asp?news_id=200247).)) Ali Chamenei, der politische und religiöse Führer Irans (Oberster Rechtsgelehrter und somit Staatsoberhaupt) bezeichnet Israel als „Krebsgeschwür“, das ausgemerzt bzw. „herausgeschnitten“ werden müsse ((Vgl. T. Avenarius: Chamenei nennt Israel „Krebsgeschwür“. In: Süddeutsche Zeitung (SZ), 20.9.2009 (http://www.sueddeutsche.de/politik/iran-chamenei-nennt-israel-krebsgeschwuer-1.45062); Wahied Wahdat-Hagh: Khamenei will „Krebsgeschwür Israel herausschneiden“. In: Die Welt, 14.6.2010 (http://www.welt.de/debatte/kolumnen/Iran-aktuell/article8038861/Khamenei-will-Krebsgeschwuer-Israel-herausschneiden.html).)) – so wird es auch von den Übersetzern der offiziellen Website von Ayatollah Chamenei auf Deutsch formuliert: „Der Imam hat offen Israel als Krebsgeschwür bezeichnet und es versteht sich von selber, dass die Behandlung eines Krebsgeschwürs in seiner Entfernung besteht.“ ((Exzerpt aus der Rede Chameneis auf der  Gedenkfeier zum 21. Jahrestag des Dahinscheidens Imam Khomeinis (r.s.), 4.6.2010 (http://www.leader.ir/langs/de/index.php?p=contentShow&id=6909).))

Vor diesem Hintergrund ist es absurd, wenn einige Publizisten die iranischen Vernichtungsdrohungen mit angeblichen Übersetzungsfehlern und Missverständnissen kleinzureden versuchen – so, als ob der Iran lediglich den Sturz der Regierung Netanjahu und den Rückzug Israels aus Ost-Jerusalem und der Westbank betreibe. Seit Jahren gibt es eine realitätsgetrübte Debatte darüber, ob Ahmadinejad „Israel von der Landkarte radieren“ oder nur „von den Seiten der Geschichte verschwinden“ sehen will. ((Vgl. Katajun Amirpur: Umstrittenes Zitat von Ahmadinedschad. Der iranische Schlüsselsatz. In: SZ, 26.3.2008 (http://www.sueddeutsche.de/kultur/umstrittenes-zitat-von-ahmadinedschad-der-iranische-schluesselsatz-1.287333).)) Wie immer man derlei Haarspaltereien bzw. Übersetzungsvarianten bewerten mag. Sie bestätigen eines: Der Iran stellt die Legitimität Israels in Frage. Bei den alljährlichen Militärparaden in Teheran sind Langstreckenraketen zu sehen mit der Aufschrift „Tel Aviv“. D. h., dem Iran geht es politisch-ideologisch nicht um einen Regimewechsel, sondern um ein Verschwinden des jüdischen Staates von der Landkarte. ((Vgl. Michael Kreutz‘ linguistisches Dossier „Ahmadinejad über Israel“, 12.9.2009. In: Transatlantic Translations. Forum für Politik, Religion, Geschichte & Kultur (http://www.transatlantic-forum.org/index.php/dossiers/ahmadinejad-israel/).))

Der Iran aus israelischer Sicht

Juden erinnern im Purimfest, dem jüdischen Karneval, alljährlich daran, dass sie im 5. vorchristlichen Jahrhundert schon einmal von Vernichtung bedroht waren – während der Herrschaft des großpersischen Königs Xerxes I. Von der Bedrohung durch Haman, dem höchsten Regierungsbeamten, und der wundersamen Errettung durch Königin Esther berichtet das biblische Buch Esther. Dennoch enthält die Jahrtausende alte Beziehungsgeschichte auch Phasen beeindruckender interkultureller und wirtschaftlicher Erfolge. Deswegen haben die Israelis grundsätzlich ein positives Verhältnis zum Iran und Respekt vor der alten iranischen Kultur allemal. Im heutigen Israel leben ca. 300.000 Juden, die iranische Wurzeln haben und auf allen Ebenen von Politik, Wirtschaft und Gesellschaft vertreten sind. Die selbstbewussten iranischen Juden sind in Israel besser integriert als die aus arabischen Ländern stammenden Juden.

Umso besorgter sind viele Israelis über die Folgen der iranischen Revolution: Sie fühlen sich existenziell bedroht – individuell und als jüdisches Kollektiv. Es gibt für Israel keinen Grund, die iranischen Drohungen nicht ernst zu nehmen – schon gar nicht, wenn man die eine oder andere jüdische Geschichtserfahrung in Erinnerung ruft. Als Nachfahren der Überlebenden eines gigantischen Völkermords können Israelis diesen Kontext auch in zweiter und dritter Generation nicht einfach ignorieren – die Schatten der Vergangenheit tauchen spätestens dann auf, wenn ihnen und ihrer nationalen Heimstätte die Vernichtung angedroht wird. Viele Israelis fühlen sich wie in einer Falle, aus der es kein Entrinnen gibt – falls die Sanktionen gegen den Iran wirkungslos verpuffen sollten: Kommen sie der tödlichen Gefahr durch einen Präventivschlag gegen die Atomanlagen zuvor, riskieren Sie eine militärische Eskalation in der Region mit unabsehbaren Folgen. Sollte Israel das Atomprogramm des Iran hinnehmen, einschließlich der längst begonnenen Urananreicherung und der Entwicklung entsprechender Trägerraketen, wird die Nuklearisierung des Nahen Ostens unaufhaltsam fortschreiten und die fragile Sicherheitsarchitektur der vergangenen 40 Jahre zunichte gemacht. Dieses Szenario gilt selbst für den Fall, dass der Iran seine nuklearen Kapazitäten „nur“ als Erpressungspotenzial einsetzen möchte.

Premier Netanjahu hat im März 2012 an Präsident Obama und die USA appelliert, sich gegenüber dem Iran nicht genauso zögerlich zu verhalten wie die US-Luftwaffe, die im 2. Weltkrieg die Bahngleise nach Auschwitz trotz jüdischer Bitten nicht bombardierte. Hinter dieser undiplomatischen Hartnäckigkeit steckt eine Entschlossenheit, die keinen Zweifel lässt: Die Welt soll wissen, dass die Juden ihr Land verteidigen werden – einen Staat, der u. a „wegen des Holocaust existiert und wegen derer, die damals zögerten.“ ((Stephan-Andreas Casdorff: Israels Warnung. Nicht noch einmal. In: Der Tagesspiegel, 9.3.2012, S. 1 (http://www.tagesspiegel.de/meinung/israels-warnung-nicht-noch-einmal/6305010.html).))

Atomwaffen im Nahen Osten – zweierlei Maßstäbe?

Auch wenn es niemand mit letzter Sicherheit beweisen kann: Wir können davon ausgehen, dass Israel über eigene nukleare Kapazitäten verfügt. Verbürgt ist, dass in der Wüste Negev das weiträumig abgeschirmte Atomforschungszentrum Dimona existiert. Das offizielle Israel schweigt; doch auch die meinungsfreudigen israelischen Medien gehen implizit davon aus, dass ihr Land über Atomwaffen verfügt. Diese sollen im Nachgang zum sog. Yom Kippur-Krieg von 1973 entwickelt worden sein, als Israel von den Armeen Ägyptens und Syriens kurzzeitig überrannt zu werden drohte. Israels Regierungen sagen immer nur das Eine: „Sollten wir Atomwaffen haben, was wir weder bestätigen noch dementieren, werden wir diese nicht als Erste einsetzen.“ Die Araber scheinen sich mit diesem Status quo abgefunden zu haben. In Kairo, Amman und Damaskus weiß man, dass Israel die Existenzberechtigung seiner Nachbarstaaten niemals in Zweifel zieht, einerlei, wie feindselig diese sich verhalten.

Interessanterweise hat es seit dem Gerücht über israelische Atomwaffen kein arabischer Staat mehr gewagt, Israel militärisch nachhaltig anzugreifen. Irak und Syrien haben 1981 und 2007 sogar die Zerstörung ihrer Nuklear-Anlagen durch israelische Luftschläge hingenommen. Iraks Präsident Saddam Hussein ließ 1991 auf den Großraum Tel Aviv lediglich konventionelle Raketen abfeuern, obwohl er zuvor Giftgas gegen kurdische Aufständische eingesetzt hatte. Die psychologische Abschreckung hat bislang funktioniert, ohne dass wir sicher wissen, ob die Israelis nur bluffen oder wirklich atomar bewaffnet sind.

Israel sieht weder in der atomaren Bewaffnung Indiens noch Pakistans eine Gefahr – aus einem einfachen Grund: Weder die (hinduistischen) Inder noch die (muslimischen) Pakistani drohen mit der Vernichtung Israels. Anders verhält es sich mit den atomaren Ambitionen des Iran: Es sind nicht kalte Krieger in Israel oder sonst wo im Westen, die dem Iran leichtfertig böse Absichten unterstellen. Der Iran selbst ist es, der jene belastbaren Indizien liefert, die einschlägige Befürchtungen nähren – in Israel, aber auch weltweit:

2001 während des Al-Quds-Tages erklärte der als „gemäßigt“ geltende Geistliche und ehemalige Staatspräsident Rafsandjani in Teheran: „Sollte eines Tages auch die islamische Welt Waffen besitzen, die Israel bereits besitzt, dann würde die Strategie der Imperialisten zum Stillstand kommen, weil eine einzige Atombombe in Israel alles zerstören würde. Jedoch würde diese (eine israelische Atombombe, MK) der islamischen Welt nur Schaden zufügen. Es ist nicht irrational, solch eine Möglichkeit in Erwägung zu ziehen.“ ((Zum Wortlaut siehe http://www.globalsecurity.org/wmd/library/news/iran/2001/011214-text.html und http://de.wikipedia.org/wiki/Al%C4%AB_Akbar_H%C4%81schem%C4%AB_Rafsandsch%C4%81n%C4%AB.))

Seit 2002 gibt es sich stetig verdichtende Indizien, dass Irans nukleare Ambitionen auch eine militärische Dimension haben. Doch erst seit 2011 ist auch die Internationale Atomenergiebehörde (IAEA) über die atomaren Anstrengungen Irans alarmiert. Das Mullah-Regime verweigert seit Jahren belastbare international sanktionierte Inspektionen und schürt durch täuschende und tarnende Verhaltensweisen den Verdacht, dass es neben der zivilen Nutzung auch ein militärisches Begleitprogramm gibt. ((Vgl. den Bericht der IAEA vom 8.11.2011: Implementation of the NPT Safeguards Agreement and relevant provisions of Security Council resolutions in the Islamic Republic of Iran. In: http://www.iaea.org/Publications/Documents/Board/2011/gov2011-65.pdf.)) Im Februar 2012 meldeten verschiedene Nachrichtenagenturen unter Berufung auf die IAEA, der Iran habe seine Uran-Anreicherung „massiv ausgebaut“ und inzwischen 110 Kilogramm hochangereichertes Uran hergestellt – genug, um atomwaffenfähiges Material zu produzieren. IAEA-Chef Yukiya Amano ist „ernsthaft besorgt über eine mögliche militärische Dimension des iranischen Nuklearprogramms.“ ((Vgl. ZEIT Online, 24.2.2012: Der Iran hat laut IAEA Uran-Anreicherung verdreifacht (http://www.zeit.de/politik/ausland/2012-02/iran-atomprogramm-iaea).)) Auch das umfangreiche Raketenentwicklungsprogramm des Iran, das den Bau von Trägerraketen unterschiedlicher Reichweiten vorsieht, trägt nicht zur Entspannung der Situation bei. Vor wenigen Wochen hat die iranische Oppositionsbewegung „Volksmudschaheddin“ einen detaillierten Bericht über geheime Nukleareinrichtungen vorgelegt. Diese Gruppe verfügt für gewöhnlich über intime inneriranische Kenntnisse und hat schon in früheren Jahren bis dato unbekannte Fakten zutage gefördert, die sich im Nachhinein bestätigen sollten – etwa die Existenz der Anreicherungsanlage in Natanz oder die des Schwerwasserreaktors in Arak. ((Vgl. Clemens Wergin: Beschleunigt Iran Bombenbau? Oppositionsgruppe legt detaillierten Bericht über geheime Nukleareinrichtungen vor. In: Welt Online, 11.5.2012 (http://www.welt.de/print/die_welt/politik/article106288630/Beschleunigt-Iran-Bombenbau.html).))

Nicht so sehr die technischen Ambitionen sind es, die das iranische Atomprogramm gefährlich erscheinen lassen; die Identifizierung ihrer herrschenden Führung mit religiös aufgeladenen israelfeindlichen Obsessionen macht ihre Brisanz aus. Auch und gerade Präsident Ahmadinejad ist von einer messianisch-apokalyptischen Agenda besessen: „Die Hauptmission unserer Revolution besteht darin, den Weg für das Erscheinen des 12. Imams, des Mahdi, zu pflastern“, lässt Ahmadinejad öffentlich ausrichten. ((Zitiert nach Patrick Poole: Ahmadinejad’s Apocalyptic Faith. In: Frontpage Magazine, 17.8.2006 (http://archive.frontpagemag.com/readArticle.aspx?ARTID=3029).)) Dieser Glaube an den 12. Imam ist Teil der iranischen Staatsräson und in der Verfassung festgeschrieben. Des Madhis Ankunft geht mit einer harten weltpolitischen Auseinandersetzung einher. In diesem Krieg werden die Schiiten ihren Feinden eine schwere Niederlage beibringen. Der einflussreiche Ajatollah und Vertraute von Ahmadinejad, Hossein Noori Hamedani, erläutert: „Man muss die Juden bekämpfen und sie besiegen, um so die Voraussetzungen für die Ankunft des verborgenen Imam zu erfüllen.“ ((Aufruf von Hossein Noori Hamedani 14.4.2005: „One should fight the Jews and vanquish them so that the conditions for the advent of the Hidden Imam be met.“ Dokumentiert und übersetzt aus Fars News Agency. In: The Middle East Media Research Institute (MEMRI), 22.4.2012. Special Dispatch No. 897 (www.memri.org/report/en/0/0/0/0/0/0/1362.htm).)) Man stelle sich nun die Atombombe in den Händen eines Präsidenten vor, der in apokalyptischen Fantasien zu Hause ist, die Politisierung des Schiitentums befeuert und sich berufen fühlt, die Herrschaft des kommenden Madhis und des schiitischen Islam voranzutreiben. ((Vgl. Yossi Melman: Ahmadinejads Messianismus. In Haaretz, 7.12.2009 (Übersetzung: http://www.israelnet.de/merkwuerdiges/Ahmadinejads_Messianismus.htm); siehe auch Victor und Victoria Trimondi: Der Endzeitwahn Ahmadinedschads. Der iranische Präsident, die A-Bombe und die Apokalypse. In: Wissenschaft & Frieden 2010-2: Frieden und Krieg im Islam (http://www.wissenschaft-und-frieden.de/seite.php?artikelID=1615#fntxt19).))

Diplomatie, Sanktionen – und dann?

Im Kalten Krieg konnte man sich auf die Prämisse verlassen: „Amerikaner und Russen lieben – gleichermaßen – das Leben mehr als den Tod.“ Diese Logik der Abschreckung funktioniert im Falle der herrschenden klerikalen Clique nicht mehr. Ihr Selbstverständnis wird von der Parole geprägt: „Ihr liebt das Leben, wir lieben den Tod!“ Das ist der Grund, warum Israelis – und nicht nur diese – nervös werden bei dem Gedanken, das iranische Regime könnte über nukleares Feuer verfügen und seine apokalyptischen Fantasien zu verwirklichen suchen.

Vor diesem Hintergrund diskutiert die israelische Gesellschaft freimütig, welche Konsequenzen aus der iranischen Atompolitik zu ziehen sind – konkret, worin das kleinere Übel besteht: Zwischen der Entschlossenheit der Regierung Netanjahu, ein atomar bewaffnetes Iran auf keinen Fall hinnehmen zu wollen bis hin zur sympathisch-naiven „Israel loves Iran“-Kampagne gibt es ein weites Meinungsspektrum. Politiker, Militärs und Geheimdienstleute zweifeln nicht an der aus Teheran drohenden Gefahr; gleichwohl gibt es keinen operativen Konsens, wie dieser Herausforderung am besten begegnet werden kann.

Der Westen, das gilt zuerst für die USA, schließt aber auch Deutschland ein, teilt einerseits die Besorgnisse der Israelis, agiert aber andererseits halbherzig – aus Furcht vor möglichen Konsequenzen: Man wolle unter keinen Umständen eine atomare Bewaffnung des Iran hinnehmen. Allerdings vertraut der Westen trotz aller Täuschungsmanöver der Mullahs noch immer auf die Verbindung von Diplomatie und Sanktionen. Sanktionen gibt es seit 2007, doch Wirkungen zeitigen sie erst jetzt – auch aufgrund eines schrittweisen Ölboykotts. Aus israelischer Sicht können Sanktionen nur dann wirken, wenn die militärische Option nicht von vornherein ausgeschlossen wird. Die Bundeskanzlerin betonte bei ihrem letzten Israelbesuch 2008 die „historische Verantwortung Deutschlands […] die Sicherheit Israels ist für mich […] niemals verhandelbar – und wenn das so ist, dann dürfen das in der Stunde der Bewährung keine leeren Worte bleiben.“ ((Rede von Bundeskanzlerin Angela Merkel vor der Knesset, 18.3.2008 (http://archiv.bundesregierung.de/Content/DE/Archiv16/Rede/2008/03/2008-03-18-rede-merkel-vor-der-knesset.html?nn=273438).)) Ob Angela Merkel diese Worte heute noch einmal wiederholen würde? Was wird Bundespräsident Joachim Gauck bei seinem Antrittsbesuch in Jerusalem zu alledem sagen? – Bleibt zu hoffen, dass Israels Sicherheitsinteressen auch in Zukunft nicht von wohlfeilen Sonntagsreden deutscher oder europäischer Bewährungshelfer abhängig sein werden.

4 Kommentare

  1. Wer sich in Israel die REALPOLITIK der extremistischen Islamisten in und um Israel vor das geistige Auge führt, kann nicht ernsthaft glauben, daß in Israel auch nur einen einzigen Menschen hautnah kümmert, was außerhalb Israels über die iranische Bedrohung und eine angemessene israelische Reaktion darauf hirngespinstert-, fabuliert und phantasiert wird.
     
    Zwar wird in Israel von einigen Teilen der Bevölkerung die reale Bedrohung durch den Iran als reine Propaganda und Kriegstreiberei Netanjahus verkannt, jedoch gleichzeitig NIEMAND Bock hat den mit sich selbst sich beschäftigten Nichtjuden Europas zu erklären, daß die nackten Wirtschaftsinteressen einzelner europäischen Staaten bzw. des Europäischen Staatenbundes als Ganzes, Israels Überlebensparameter im Hinblick auf iranische Kriegsvorbereitungen keine große Wahlmöglichkeit- und leider nicht mehr viel Zeit läßt um adäquat zu reagieren.
     
    Im Kabinett Netanjahus kann Niemand über’s Wasser laufen noch werden strategische wie militärische Entscheidungen aus der Kristallkugel herausgeneriert. Die die im Iran was zu sagen und für den Tag X das letzte Wort haben, haben die Welt bis heute darüber nicht im Unklaren gelassen wohin genau die Reise ins Verderben geht. Diese Männer sind nicht nur bei der Erstschlags Variante seitens des Iran bereit wahllos Angehörige aller religiösen und ethischen Gruppierungen in Israel zu töten, sondern sind weiter dazu bereit bei einem Gegenschlag sehr hohe eigene Verluste unter allen Altersgruppen hinzunehmen.
     
    Alle im Kabinett Netanjahu wissen, daß jede einzelne militärische Entscheidung gleichzeitig alle Bevölkerungsteile Israels unmittelbar betreffen, also 76,7 % Juden, 20,1 % Araber, darunter ca. 75.000 Felachen, etwa 4% kleine Minderheiten darunter die Drusen, Armenier, die Bahai, die Alawiten und die Ahmadi und noch zwei Dörfer mit Tscherkessen – eine Tatsache, die die Entscheidungsträger im Iran für den Iran eiskalt läßt.
     
    In Iran leben viele ethnische Minderheiten. Mit etwa 55 Prozent der Bevölkerung von über 70 Millionen bilden die Perser die grösste Volksgruppe des Landes. Ihre Sprache Farsi (Persisch) ist auch die offizielle Landessprache.
     
    Die grössten ethnischen Minderheiten sind die im Nordwesten Irans lebenden Aseris (12 Millionen) und die Kurden (4 Millionen).Die südiranische Ölprovinz Chusistan ist Heimat der arabischen Minderheit (2 Millionen). Hinzu kommen die Turkmenen (1,5 Millionen) im Norden und die Belutschen (zwei Millionen) im Südwesten sowie die Stämme der Bakhtiari, Luren, Ghaschgai (in der Provinz Fars um Schiraz) und die Afshari.
     
    Die Aussage des Mossad Chefs Tamir Pardo, “Ein nuklearer Iran ist nicht unbedingt eine existentielle Bedrohung für Israel”, bedeutet nur, daß die Türe immer nach beiden Seiten schwenkt – wenn man klug und besonnen genug ist, sich für den friedlichen Weg zu entscheiden. Denn eine Szenario wie im Wilden Westen wo nur Derjenige überlebt der nicht zuerst mit der Wimper zuckt, sondern zuerst zieht und tödlich trifft nur noch weitere Duelle dieser Art zur Folge hat – fern von jeglicher Möglichkeit sich in Frieden zurück zu ziehen.
     
    Sicher, lt. einer Umfrage in Israel spricht sich eine Mehrheit (41%) für einen Militärschlag gegen den Iran aus, 39 % sind dagegen und 20 % noch unentschieden und doch gibt es ein לא תודה Verständnis und Solidarität von Nichtjuden einzufordern, wenn die Rede ist vom iranischen Regime als wohl größte Gefahr für den Weltfrieden in naher Zukunft!
     

  2. Hallo !
    Der Artikel mit dieser Ãœberschrift übersieht das wesentlichste – die möglichen Folgen eines solchen Angriffes:
    Ein Präventivschlag auf iranische Atomanlagen ist euphemismus; dies wäre ein Angriffskrieg aufgrund unbewiesener Spekulationen und eine Tat allerniedrigster Motivation – das Motto Auge um Auge Zahn um Zahn ist dagegen ethisch hochentwickelt.
    Ein prophylaktischer Angriffskrieg auf iranische Atomanlagen würde garantiert den tatsächlichen Bau einer iranischen Atombombe rechtfertigen und beschleunigen.
    Ein prophylaktischer Angriffskrieg auf iranische Atomanlagen ruft Russland und China auf den Plan – Russland hat bereits einen Angriff auf den Iran mit einem Angriff auf eigenes Teritorium gleichgesetzt, siehe
    http://articles.businessinsider.com/2012-04-09/news/31311454_1_russian-defense-ministry-military-action-dmitry-rogozin
    damit würde also direkt ein dritter Weltkrieg provoziert.
    Mehr noch, bei einer Bombardierung iranischer Atomanlagen dürfte auch das unter Volllast laufende Atomkraftwerk Busher nicht stehenbleiben weil die iraner damit schmutzige Bomben bauen könnten. Dies würde jedoch schnell ein weiteres Tschernobyl produzieren.
    Und das alles aufgrund der Furcht Iran könnte eine Atombombe bauen ?
    Letztlich wären die Israelis gezwungen, selbst Atombomben einzusetzen, um den Iranischen Gegenreaktionen Herr zu werden.
    Und was kommt danach, nach einer Bombardierung ? Weitere Bomben um wirklich sicher zu sein, dass die Iraner nicht wieder mit dem Bauen anfangen ?
    Ich wünsche einen Guten Tag
     

  3. „historische Verantwortung Deutschlands […] die Sicherheit Israels ist für mich […] niemals verhandelbar – und wenn das so ist, dann dürfen das in der Stunde der Bewährung keine leeren Worte bleiben.”
    Merkel kann nichts anderes bieten als leere Worte, solange der Iran von China und Rußland gedeckt wird. Ohne die zwei im Hintergrund wäre der Iran zahmer.

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