Kadima, Friedensbewegung

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In Israel warnen nicht nur Linke vor einem drohenden Krieg mit dem Iran…

Von Andrea Livnat
Jungle World v. 05.04.2012

Es ist das Gesprächsthema Nummer eins auf der Straße, im Bus, an der Schlange im Supermarkt und auf den Bänken am Spielplatz: »Was meinst du, wird Bibi den Iran angreifen?« So, wie in den vergangenen Jahren über die Auswirkungen der sozialen Proteste, den Gaza-Krieg und Gilad Shalit spekuliert wurde, beschäftigt dieses Frühjahr das Kriegsgebaren der Regierung die israelische Gesellschaft zwischen Haifa und Eilat. Mit einem Krieg rechnen die meisten Menschen aber eher nicht, auch wenn der Iran als Aggressor und größte Bedrohung seit Ende der Shoa wahrgenommen wird. Zu unwirklich und auch zu beängstigend erscheinen die Folgen eines präventiven Militärschlags.

Das kriegerische Gebaren der Regierung in Jerusalem ist zwar unübersehbar, seit kurzem werden jedoch auch ganz andere Töne laut. Denn zwischen Israel und dem Iran hat sich in den vergangenen Wochen eine Liebesgeschichte entsponnen, wenn auch nur virtuell. Love and Peace sind die vorherrschenden Worte, wenn man sich die israelisch-iranischen Beziehungen bei Facebook zu Gemüte führt. Ausgangspunkt war eine private Initiative des Graphikdesigners Ronny Edry und seiner Frau Michal Tamir, die zu einem Facebook-Hype geworden ist. Neben einem Bild, das ihn gemeinsam mit seiner Tochter zeigt, verkündet Edry in grüner und rosa Schrift die denkbar simple Botschaft: »Iranians we love you. We will never bomb your country.« Hunderte User teilten das Bild, kreierten ihre eigene Version und verbreiteten so die Nachricht an die ira­nische Bevölkerung. Mittlerweile haben knapp 55 000 Facebook-Nutzer der Seite ihr »Like« ge­geben.

Auch auf Youtube haben sich viele User der Kampagne angeschlossen und Videos hochgeladen, die den Iranern nur die besten Absichten versprechen. Es sind meist junge Israelis, die sich beteiligen, aber auch ältere Menschen, selbst Shoa-Überlebende haben sich angeschlossen. Auf Youtube ist auch ein Film zu sehen, der einen Soldaten mit einem Schild zeigt, das auf Englisch konstatiert: »Der Weg, einen Krieg zu gewinnen, ist, ihn zu verhindern, bevor er stattfindet.« Man sieht sein Gesicht nicht, ein Schwenk auf die Ausrüstung lässt darauf schließen, dass es sich um einen Soldaten in einer Kampfeinheit handelt.

Ob das Video authentisch ist, lässt sich nicht wirklich sagen, genau wie bei einer angeblichen Antwort aus dem Iran, die die Internet-Community frohlocken lässt. Ein Vermummter versichert in einem Video den Israelis, dass das iranische Volk den Frieden suche. Sein Gesicht ist mit einem grünen Tuch bedeckt, eine Anspielung auf die Oppositionsbewegung im Iran. Dass die Israelis so wenig direkte Antworten auf ihre Kampagne bekämen, liege allein an der Politik, erklärt der Unbekannte im Video. Ob es sich dabei tatsächlich um einen Iraner handelt, ob er aus dem Iran sendet oder im Exil lebt, bleibt offen. Klar ist nur, dass die Website der Kampagne bisher gut 33 000 Mal aus dem Iran aufgerufen wurde. Über die Facebook-Aktion wurde auch auf einigen Internetseiten arabischer Medien berichtet.

In Tel Aviv wird nicht nur mittels virtueller Liebesbeteuerungen gegen einen Militärschlag protestiert. Am Samstag vor zwei Wochen demons­trierten etwa 1 000 überwiegend junge Menschen gegen einen Krieg mit dem Iran. Sie plädierten für »Gespräche statt Bomben« und mahnten: »Bibi und Barak, Krieg ist kein Spiel«. Auch in Haifa fanden sich zur gleichen Zeit einige Dutzend Demonstrantinnen und Demonstranten zusammen. Den Medien gegenüber äußerten Teilnehmer, es sei naiv und idiotisch, anzunehmen, dass ein Militärschlag gegen das iranische Atomprogramm keine Auswirkungen habe. Eine Demonstrantin erklärte, dass der Gedanke an einen Militärschlag sie sehr erschrecke und es bedauerlich sei, dass sich nicht alle so erschrecken würden. »Wir sprechen von den Iranern als Verrückte, dabei sind wir nicht weniger verrückt«, sagte sie dem Fernsehteam.

Die Demonstration war keine Folge der Facebook-Kampagne, sondern wurde im Anschluss an die sozialen Proteste des vergangenen Jahres organisiert. Unter die Plakate mischten sich zahlreiche rote Schilder und Fahnen, die sich gegen die gegenwärtigen Regierung insgesamt richteten: »Die Regierung ist gegen das Volk – das Volk ist gegen die Regierung.« Politische Unterstützung fand die Demonstration denn auch von Maki und Chadasch, der kommunistischen und der jüdisch-arabischen sozialistischen Partei Israels. Einer der Demonstranten prophezeite, dass dies erst der Anfang sei. Die Öffentlichkeit habe noch nicht verstanden, dass man auf die Straße gehen und die drohende Gefahr abwenden könne. Dass sich aus dieser ersten Demonstration tatsächlich eine Massenbewegung entwickeln könnte, ist im Moment allerdings noch schwer vorstellbar.

Die Regierung zeigt sich bisher unbeeindruckt von den anhaltenden Protesten. Doch auch in den Reihen der offiziellen Politik gibt es Kritik. Mit Shaul Mofaz warnt beispielsweise ein pro­minenter Politiker vor der öffentlichen Kriegspropaganda. Der gerade gewählte Vorsitzende von Israels größter Partei Kadima sagte vergangene Woche, ein Militärschlag wäre desaströs und auch nicht wirkungsvoll. Ministerpräsident Benjamin Netanyahu würde die nukleare Bedrohung durch den Iran vor allem deshalb auf der Tagesordnung halten, um von den sozioökonomischen Problemen des Landes abzulenken. Alle Beobachter seien der Meinung, es gäbe noch genug Zeit und man solle weiterhin den USA die Führung überlassen, sagte Mofaz. Israel müsse sich alle Möglichkeiten offenhalten, aber die militärische sei die letzte. Erst wenn alle Stricke rissen, wenn man das »Schwert im Nacken« spüre und die USA ihre Pflicht nicht erfüllten, dann würde er hinter jedem Ministerpräsidenten stehen, der sich für ein militärisches Angreifen entscheide. Aber die Zeit sei noch nicht gekommen.

Diese Kritik an Netanyahu ist insofern bedeutend, da Mofaz, der selbst in Teheran geboren wurde und mit seinen Eltern 1957 nach Israel kam, in der Vergangenheit keine Gelegenheit ausgelassen hat, um den Iran als Wurzel allen Übels und das Atomprogramm des Mullah-Staats als existentielle Gefahr für Israel darzustellen. Mofaz ist zudem durch und durch ein Mann des Militärs, er hat eine steile Karriere bei der israelischen Armee hinter sich, die er als Fallschirmspringer begann und als Generalstabschef beendete, bevor er in die Politik ging. Sein Erfolg bei den Wahlen zum Kadima-Vorsitz ist sicher nicht allein seinem gesellschaftlichen Engagement zuzuschreiben, sondern eher der Tatsache, dass sich die bisherige Vorsitzende Tzipi Livni völlig zurückgezogen hat. Mofaz’ Zurückhaltung findet derzeit viel Beachtung.

Auch Shelly Yachimovich, die Vorsitzende der Arbeitspartei Avoda, der ihre Wahl ein neues Umfragehoch bescherte, ist in ihrer Kritik deutlich. In ihrer üblichen Scharfzüngigkeit wetterte sie gegen das »zügelloses Gequatsche« der vergangenen Monate. »Wir kennen unsere Fähigkeiten und verfolgen diejenigen der anderen Staaten, aber plötzlich hat jeder das zwanghafte Bedürfnis, ein Stratege des nächsten Krieges zu sein, und das ist gefährlich und nicht gut.«

Auch der frühere Leiter des Mossad, Meir Dagan, sagte vergangene Woche im US-amerikanischen Fernsehen, dass ein Militärschlag gegen den Iran einen Angriff auf Israel zur Folge haben würde, der »verheerende Auswirkungen« auf das Land hätte und in einen regionalen Krieg münden würde. Dagan äußerte sich zudem skeptisch über die Effektivität einer Attacke auf Irans Atomprogramm. Ein Militärschlag könne es nicht zerstören, sondern lediglich zeitlich zurückwerfen. Jetzt, resümierte Dagan, sei nicht der richtige Zeitpunkt für einen Angriff von Seiten Israels.

1 Kommentar

  1. Mir gefällt dieser Artikel sehr gut. Er beschreibt gut die Stimmung in Israel.

    Nun, den Bewohnern geht es so wie es halt zugeht, wenn man so einen zusammengeschweißten Haufen hat, wie er in Israel als Regierung existiert.

    Netanjahu möchte gerne noch die Politik machen, die so um die 70er war. 

    Aber die Zeit dazu ist abgelaufen. 

    Das kann zu einer Identitätskrise führen. Ein Krieg wäre für das Volk ein Schockzustand. 

    Hier geht es nicht um Gaza oder Hisbollah. Hier geht es um einen Staat, der sich schon vor Jahren auf diesen Krieg schon eingerichtet hat. 

    Es gibt in diesem ganzen Schlamassel noch einen einzigen Punkt, wo es keinen Grund zu einem Krieg gäbe. Und dieser Punkt liegt im Iran.

    Somit hat der Iran alle Karten in seiner Hand. An diesem kleinen Punkt entscheidet es sich, ob der Iran Israel hasst – die Führung im Iran keine andere Möglichkeit des Zusammenlebens toleriert, oder ob Sie offen sind für eine Lösung.

    Die Stabilität des ganzen Nahen Ostens liegt an einem dünnen Faden.

     

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