Sexualität im Judentum

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Hoher Stellenwert innerhalb der Ehe, ausserhalb der Ehe verboten…

Von Tanja Kröni

Sexualität gehört im Judentum zum menschlichen Leben und ist kein Tabuthema über das man nicht redet. Mischna, Talmud und die nachtalmudischen Schriften werten sexuelle Erfüllung als wichtigen Bestandteil einer Ehe. Durch die Einbindung in ein ethisches System wird sexuelles Verlangen spiritualisiert, in der Kabbala sogar mystifiziert. Ausserhalb der Ehe ist Sex für Mann und Frau verboten. Da die Bibel von der Heirat durch Beischlaf erzählt, wird in einigen Strömungen eine feste Beziehung stillschweigend als Ehe betrachtet.

Lust ist ein völlig legitimer Bestandteil der Sexualität. Mischna und Talmud betonen das Recht der Frau auf Orgasmus. Diese Gesetzescodici wurden von Männern gemacht die durchaus versuchten den Bedürfnissen der Frauen gerecht zu werden. Es gibt dort also sehr viele Vorschriften, Verhaltungsregeln, Anleitungen, wie der Mann beim Sex mit der Frau umgehen soll. Einiges davon empfinde ich nervend, weil so bemüht, wieder anderes ist amüsant, da selbstverständlich, aber insgesamt haben die religiösen Autoritäten hier eine Gesetzgebung geschaffen mit der Sex Freude macht.

In die Kategorie „bemüht“ fällt für mich, dass Männern nach Berufsgruppen vorgeschrieben wird wie oft sie mindestens mit ihrer Frau Sex haben sollen: Bauern, die ausserhalb der Stadt arbeiten, müssen ihrer Ehepflicht nur einmal in der Woche nachkommen. Männer, die in der Stadt arbeiten, müssen hingegen zweimal pro Woche. Torastudenten müssen einmal die Woche mit ihren Frauen Sex haben, wobei die Schabbatnacht (Freitagnacht) als passender Zeitpunkt angegeben ist. ((Schulchan  Aruch, Orech Chajim 240,1, Gesetzeskodex von Josef Karo 1565, Venedig, Ewen haEser, Stein der Hilfe (Eherecht), ergänzt miit aschkenasischen Bräuchen durch Mose Isserles 1578, Krakau, wurde im 17. Jahrhundert mit zusätzlichen osteuropäischen Kommentaren im Anhang zum autoritativen Kodex des orthodoxen Judentums.)) Dies wird allerdings auch allen anderen Paaren empfohlen. Damit verbanden die religiösen Autoritäten die Heiligkeit des Schabbats mit der des sexuellen Akts und der Heiligkeit der Welt, spiritualisierten so auch den Sexualakt.

Bevor der Mann eine Reise antritt, kurz vor ihrer Menstruation und natürlich nach Ablauf der Nidda, der Trennungszeit während und nach der Menstruation, soll er mit seiner Frau Sex haben. Das gehört für mich zu „amüsant“, da doch wohl selbstverständlich. Diese Verhaltensregeln zeigen, wie auch der Anspruch einer Schwangeren oder nicht (mehr) fruchtbaren Frau auf sexuelle Erfüllung, dass Sex durchaus als Lust und nicht nur für die Fortpflanzung gedacht ist. Alle Stellungen sind dabei erlaubt. ((Talmud Nedarim 20a-b)) Mann und Frau sollen nackt sein. Wenn ein Mann einen Eid schwört, dass er mit seiner Frau nur Sex haben will, wenn beide bekleidet sind, so muss er sich scheiden lasse. ((Talmud Ketubot 47b-48a)) Im körperfeindlichen Osteuropa des beginnenden 17. Jahrhunderts sagte ein Kommentator des Schulchan  Aruch, dass nicht einmal die Zimmerwände einen Menschen nackt sehen sollten und schon gar nicht beim Sex. Das soll dann von einigen ultraorthodoxen Gruppen eine Zeit lang befolgt worden sein, obwohl die meisten religiösen Autoritäten sich dagegen aussprachen.

Der Iggeret Hakodesch, der Brief der Heiligkeit, ((Moses Ben Maimon, bekannt als Maimonides, bedeutendster jüdischer Philosoph und Gesetzeslehrer des Mittelalters,  geb. 30.3.1135 Cordoba, gest. 13.12.1204 Fostat.))gibt den Männern Verhaltensregeln für den sexuellen Akt: „So sollst du zuerst mit Worten zu ihr reden, die ihr Herz berühren und ihre Seele beruhigen…Du musst Worte zu ihr sprechen, von denen einige ihr Verlangen, ihre Umarmung, ihre Liebe, ihre Bereitschaft und ihre Begierde fördern…Niemals dringe er gegen ihren Willen in sie ein und Gewalt tue er ihr nicht an…Beeile dich nicht dein Verlangen zu befriedigen und es zu steigern, um deine Frau bereit zu machen. Gehe über den Weg der Liebe und Zustimmung, so dass sie zuerst Erfüllung findet…“

Anweisungen an die Frau finden sich nur einmal von Raschi ((zu Talmud Schabbat 140b)): „Rabbi Hisda sagte seinen Töchtern: Wenn euer Ehemann euch liebkost, um sexuelles Verlangen zu erwecken, und er hält die Brust in der einen Hand und ‚jenen Ort’ in der anderen, gebt ihm zuerst die Brust, um seine Leidenschaft zu steigern, und gebt ihm den Ort nicht zu schnell, bis seine Leidenschaft steigt und er vor Verlangen vergeht. Dann gebt ihn ihm.“ Hier wird das Vorspiel sehr viel „handgreiflicher“ beschrieben, als in dem rabbinischen Handbuch für (angehende) Ehemänner aus dem 12. Jahrhundert.

In der Mystik hat Sex eine spirituelle und kosmische Dimension: „Der Mensch ist umfasst vom Geheimnis der Weisheit, der Vernunft und der Erkenntnis. Der Mann ist die Weisheit, die Frau ist das Geheimnis der Vernunft und reine Beziehungen sind das Geheimnis der Erkenntnis. Aus diesem Grund sind die Beziehungen eine erhabene und grosse Sache, wenn sie im rechten Geist geschehen. ((Iggeret haKodesch, Moses Ben Maimon)) In der Kabbala besteht Gott aus männlichen und weiblichen Attributen, Eigenschaften. Die Verbindung von Mann und Frau ist eine Verbindung zwischen Weisheit (Chochma) und Verstand (Bina), die Erkenntnis (Da’at) schafft. ((Sohar 1,164a)) Durch die Verbindung göttlicher Kräfte, Eigenschaften, hat die Frau Anteil am göttlichen Schöpfungsakt und dem Erhalt der Welt. Ethisch begründete sexuelle Beziehungen helfen die Kräfte des Bösen fernzuhalten und die Macht des Göttlichen zu stützen. Nach dieser Theologie ist Sexualität ein unverzichtbares Attribut Gottes. ((Isha Frau und Judentum, Pauline Bebe, 2004 Roman Kovar Verlag, S. 349))

In der kabbalistischen Zahlenmystik ist nur Gott „Eins“. Doch im Sohar gibt es noch ein weiteres, menschliches „Eins“: Mann und Frau in völliger körperlicher und geistiger Übereinstimmung während des sexuellen Aktes. Dadurch sind beide zusammen „Eins“ und reichen an das göttliche „Eins“ heran.

Sex ausserhalb der Ehe ist für Mann und Frau verboten. Als „Gräuel“ werden Inzest, männliche Homosexualität und Sodomie, Sex mit Tieren bezeichnet. ((Leviticus 16,6-16, Leviticus 18,22, Leviticus 20,15))Verboten sind ebenfalls die Selbstbefriedigung des Mannes sowie der Koitus Interruptus, weil dabei der Samen des Mannes „sinnlos vergeudet“ wird. ((Kizzur Schulchan Aruch, Rabbi Schlomo Ganzfried, ins Deutsch übertragen von Rabbiner Dr. Selig Bamberger, Band II, S. 880-881))

Ausserehelichem Sex begegnet man in der Orthodoxie vielfach mit einer frühen Heirat. Befindet das junge Paar sich noch im Studium, übernehmen die Elternpaare weiterhin die Unterhaltskosten. Oft haben diese Paare bei der Promovierung bereits drei bis vier Kinder. Aber es gibt auch im Judentum sehr unschöne Doppelmoral: So vergnügt sich eine durchaus stattlichen Anzahl Männer während des Studiums und oft noch darüber hinaus ganz einfach mit einer „Schickse“, einer nichtjüdischen Freundin, die mehrheitlich ein Schattendasein führen muss. Findet diese Sorte Mann sich irgendwann einmal bereit für die Vaterrolle, dann wird natürlich eine Jüdin geheiratet. Der geheime Gang zu einer Prostituierten ist ebenfalls üblich. Wie überall wird das bei Männern mehr oder weniger akzeptiert, als Kavaliersdelikt gewertet. Wenn Frauen das Gleiche tun, dann stehen sie ausserhalb der orthodoxen Gemeinschaft.

Feste Beziehungen werden weitgehend in der modernen Orthodoxie, vor allem in den USA als eheähnliche Verbindung (Ehe durch Beischlaf) akzeptiert. In verschiedenen Strömungen wird bei einer späteren Heirat die Ketubah, der Heiratskontrakt, auf den Beginn des Zusammenlebens zurückdatiert. Das Liberale Judentum steht Singles und Konkubinatpartnern offen gegenüber, ebenfalls religiös gemischten Paaren, auch wenn letzteren nicht gerade ein roter Teppich ausgerollt wird.

Da lange Zeit alle Strömungen männliche und weibliche homosexuelle Paare ausgrenzten gründeten Homosexuelle in den USA 1972 eigene Reform-Synagogen und führen private Hochzeiten gleichgeschlechtlicher Paare durch. Nachdem sich Homosexuelle aufgrund einer Gesetzesänderung dort nicht mehr aus Angst vor Strafverfolgung verstecken mussten, wurde 1990  von der Reform-Rabbiner-Konferenz die Ordinierung von Homosexuellen als Rabbiner/Rabinerinnen beschlossen, bei gleichzeitiger Betonung der Bedeutung von heterosexueller Familie und Erziehung. Die Reformbewegung in England ordiniert bereits seit geraumer Zeit auch Homosexuelle. ((Isha, Frau und Judentum, Pauline Bebe, 2004 Roman Kovar Verlag, S. 183-185, diverse Webseiten homosexueller RabinerInnen))

Erschienen in: Judith Stofer/Rifa’at Lenzin (Hg.), Körperlichkeit – Ein interreligiös-feministischer Dialog, Religion & Kultur Verlag 2007, Bestellen?

2 Kommentare

  1. Ein paar Anmerkungen:
     
    Auch wenn diese Gesetze die Lust der Frau so betonen, was nett ist, in Anbetracht des Vergleichs mit dem christlichen Kulturraum, welcher Frauen vor wenigen Generationen noch, Lust kaum zugestand, so scheint mir doch, dass dieses Gesetz in der Praxis an der Realität eher vorbei geht.
     
    Die Situation, dass Frau stets will und Mann stets muss mag es zwar geben, hört sich aber vor allem deshalb so amüsant an, weil sie in der Praxis wohl eher die Ausnahme ist; sehr viel verbreiteter dürfte das Problem sein, dass Mann stets will und Frau stets….. ., vor allem dann, wenn der Mann ihr nicht wirklich genehm ist, was bei Frauen, wohl schon aus physiologischen Gründen, eher zu Unlust führt und problematischer ist als umgekehrt.
     
    Muss man dann aus diesem ‚Gesetz‘ analog schließen, dass auch Frau im Judentum stets ‚muss‘, also kein Recht auf Verweigerung in der Ehe hat? Mir scheint, dass dies der vermeintliche Subtext dieses Gesetzes ist.
     
    Weiterhin geht die Betonung der weiblichen Lust dann eben auch nicht soweit, die vor- und außerehelichen Eskapaden ähnlich zu ‚dulden‘, wie die der Männer.
     
    Diese werden nicht nur in der Praxis still schweigend eher geduldet, sie werden auch durch das jüdische Gesetz, im Gegensatz zur potentiellen Untreue der Frau, durchaus begünstigt.
     
    So findet sich im Talmud der Ratschlag, dass ein Mann der einen dunklen, nicht zu unterdrückenden Trieb verspürt ‚in die Fremde‘ gehen solle, um diesen dann dort auszuleben (vermutlich mit ‚Schicksen‘ oder Prostituierten).
     
    Ein solcher Ratschlag an die Frau, dürfte wohl bei aller Betonung der weiblichen Lust, dann eben doch ganz undenkbar sein.
     
    Noch vor nicht allzulanger Zeit, war verlässliche Verhütung kaum möglich. So barg jeder außereheliche Kontakt die Möglichkeit einer ungeplanten Zeugung.
     
    Wie geht nun das orthodoxe, jüdische Gesetz mit den Folgen solcher ‚Fehltritte‘ um?
     
    Empfängt eine verheiratete Frau aus einer außerehelichen Beziehung ein Kind, so wird das Kind für den Fehltritt der Mutter hart bestraft. Es darf nach jüdischem Gesetz nicht heiraten. Sollte es dennoch Kinder zeugen, so dürfen auch diese nicht heiraten und so weiter bis in die 1o. Generation.
     
    Eine Frau auf außerehelichem Pfad, muss also damit rechnen möglicherweise unschuldiges Leben mit einem Jahrhunderte währenden ‚Fluch‘ zu belegen (die böse Mutter), eine Perspektive, die ihre Abschreckung sicher nicht verfehlt und die auch heute in Israel noch geltendes Recht darstellt.
     
    Zeugt nun der Mann außerhalb der Ehe Kinder, so trifft die nichts dergleichen, ja sie sind den ehelichen Kindern sogar ausdrücklich gleichgestellt. Auch die jüdische, ledige Mutter darf sich, anders als traditionell im christlichen Kulturraum der Wertschätzung erfreuen (ganz anders als die untreue jüdische Ehefrau); ihr Status ist jedenfalls nicht annähernd so negativ behaftet, wie dies traditionell im christlichen Kulturraum der Fall war, was unterschwellig in seiner Ungleichbehandlung fast schon einer Aufforderung zum Konkubinat gleichkommt. Was dies verdeutlicht, dass auch die ‚untreue Geliebte‘ und deren Kinder genauso ‚bestraft‘ werden, wie die untreue Ehefrau, auch ihre Kinder dürfen nicht heiraten und die Kinder der Kinder usw.
     
    Wie nun geht das jüdisch-orthodoxe Familiengesetz nun mit den ungeplanten Kindern außerehelicher Beziehungen mit nicht-jüdischen Partnern um?
     
    Es erklärt sie schlichtweg für ’nicht-existent‘. Sprich, ein jüdischer Vater hat keinerlei Verpflichtungen gegenüber eigenen nicht-jüdischen Kindern, er wird per Gesetzt – zum ‚Nicht-Vater‘ erklärt, was indirekt die folgenlose Möglichkeit der sexuellen Freiheit in der nicht-jüdischen Welt weiter begünstigt und nicht-jüdische Frauen (‚Schicksen‘) zur sexuellen Spielwiese des jüdischen Mannes erklärt, was ich, nebenbei bemerkt als Audruck großer Missachtung gegenüber nicht-jüdischen Frauen und auch gegen eigene nicht-jüdische Kinder empfinde.
     
    Dieses Gesetz geht auch nicht in erster Linie auf die Weitergabe des Judentums durch die Mutter zurück, sondern entstand in Anlehnung an das antike, römische Gesetz, nach welchem Herren zu ‚Nicht-Vätern‘ der von ihnen mit ihren Sklavinnen gezeugten Kindern erklärt wurden, also die folgenlose tabufreie Zone für den Mann, mit allen schlechten Folgen für Frau und Kind.
     
    Indirekt begünstigt so das jüdisch, orthodoxe Familienrecht so doch recht deutlich das Konkubinat. Die vollkommen unterschiedlichen Folgen männlicher und weiblicher Untreue, ob nun mit Juden oder Nicht-Juden, lassen sich jedenfalls kaum leugnen.
     
    Die Folgen einer Mutterschaft mit einem nicht-jüdischen Mann haben dann bezeichnenderweise auch für die jüdisch-orthodoxe Frau auch eher die unerfreulichen Auswirkungen; sie soll vom nicht-jüdischen ‚Nicht-Vater‘ keinen Unterhalt annehmen, der jüdische Vater braucht keinen zu zahlen. (jedenfalls nach orthodoxem Gesetz).
     
    Nicht-jüdische Blutsverwandte werden also für irrelevant erklärt, was in der Praxis dem Mann viele ‚erotische Möglichkeiten‘ eröffnet, die Frau widerum hart trifft und Nicht-Jüden degradiert.
     
    Mir scheinen diese Gesetze von einer großen Doppelbödigkeit zu sein.
     
     
     

  2. Bis zum Absatz 7 habe ich gelesen. Den Absatz selbst nur ein kleines Stück, bis zur Passage, die ich als falsch empfinde, aber schon am Anfang stimmt so einiges nicht, oder ich habe es falsch verstanden.

    Die Kabbala scheint die spirituelle Bedeutung der ehelichen Beziehung nicht erkannt zu haben, oder es wurde nicht richtig übersetzt. Es liegt so an der Grenze des Spottes? Oder auch nur an der Sprache, allerdings wird es dadurch total uninteressant, denn es fehlt die Weisheit.  

    LG

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