Bayrische Ermittler endlich aktiv

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Wie in einem Bienenkorb ging`s  letzten Freitag in Niederbayern, der Oberpfalz und in der ehemals bayerischen Pfalz zu: Am frühen Morgen schwärmten 1500 Polizisten  zu einer Großrazzia aus. Und was sie in 61 durchsuchten Gebäuden fanden, ließ  Bayerns CSU-Innenminister Joachim Herrmann, Staatsanwälten und Polizisten die Haare zu Berge stehen. 200 sichergestellte Waffen und andere verbotene Schlag- und Stichgegenstände offenbarten: Die Neonazis rüsteten in der jüngeren Vergangenheit kräftig auf…

Von S. Michael Westerholz

In der jüngsten  Ausgabe  ihres Mitteilungsblatts  „Die Glocke vom Ettersberg“  hat die Lagergemeinschaft der KZ Buchenwald-Dora einen „Offenen Brief des Auschwitz-Komitees an die Regierenden“ veröffentlicht. Darin schreibt die Vorsitzende Esther Bejarano: „In großer Sorge wenden wir uns heute an Sie. Antisemitische, rassistische und neofaschistische Ideologie und Praxis finden Akzeptanz  bis in die Mitte der Gesellschaft. Sie, die Regierenden, tragen Mitverantwortung an den `deutschen Zuständen´ heute, an der Ökonomisierung des Denkens, an der Entsolidarisierung der Gesellschaft und, daraus folgend, an der sozialen Spaltung , die Ängste schürt. Rassismus, Antisemitismus und Fremdenfeindlichkeit haben heute wieder Konjunktur in Deutschland…“

Nicht minder deutlich auch Werner Krisch, jüdischer Deutscher, kürzlich mit 92 Jahren  und „in großer Angst vor den Neofaschisten in der Bundesrepublik Deutschland“ gestorben. Krisch hatte die KZ Litzmannstadt, Auschwitz, Sachsenhausen und Buchenwald überlebt, aber die meisten seiner Angehörigen verloren. Nach der Wiedervereinigung Deutschlands wurde er angegriffen, weil er in der DDR geblieben und dort als engagierter Gegner der Neonazis  aufgetreten war.  In seinem letzten Interview klagte er: „Meine Erinnerungen sind wach, zu allem, was die Nazis mir und meiner Familie angetan haben. Da stellt sich die Frage, was die Vorgänger derer, die heute über mich bestimmen, taten, als wir in den Konzentrationslagern waren? Wer waren die Lehrer jener Richter, die heute Recht sprechen und nicht verhindern, dass Neofaschisten marschieren und die SS hochleben lassen, Ausländer jagen  und Andersdenkende verfolgen dürfen?“ ((„Die Glocke vom Ettersberg“ Nr. 1/2012, S. 4 ff))

Werner Krischs Ängste und Warnungen waren begründet: In der Zeit, da eine neonazistische Untergrund-Gruppe aus Thüringen quer durch Deutschland zehn Türken und Griechen ermordete und dreizehn Jahre unter den Augen von Polizei, Justiz und Verfassungsschutz lebten, reisten, Waffen beschafften, Wohnwagen anmieteten, Kontakte mit ihrem Freundes- und Beschützerkreis pflegten und feierten, und in einer Zeit, da in Deutschland insgesamt 182 Menschen Opfer des neuen Naziterrors wurden, konzentrierte sich der Inlandsgeheimdienst zum Beispiel auf Ernst Grube. Der Mann hatte die Shoa überlebt. Er hatte sich in der bayerischen Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes (VVN) und im Bund der Antifaschisten (BdA) engagiert  –  das machte ihn den Schlapphüten verdächtig. Dabei waren sie so eifrig, dass sie die zehn Morde der thüringischen Gruppe als Mafia- und „Morde im Drogenmilieu“ abtaten. Und übersahen die Aktivitäten jener Neonazis, die sich zum Beispiel in den scheinbar so friedlich-ländlichen Regionen um Regensburg, Kelheim, Straubing und Passau immer frecher und ungenierter ausbreiteten und nach Belieben öffentlich Flagge zeigten.

Mit der Festnahme einer Überlebenden der thüringischen Gruppe nach dem Selbstmort der beiden Hauptverbrecher brach die regierungsamtlich gepflegte Fassade des weltoffenen, toleranten, multikulturellen „sauberen“ Deutschland krachend zusammen. Zehn Personen zwischen 25 und 71 Jahren wurden bei der Großrazzia vorläufig festgenommen, fünf von ihnen schließlich inhaftiert. Und ausgerechnet in diesen Tagen des großen Aufräumens  jammerte  jener   Martin Wiese, der  2003 wegen eines versuchten Anschlags auf die Münchner Synagoge  zu sieben Jahren Gefängnis verurteilt worden war: „Ich werde vom Verfassungsschutz verfolgt !“ Tage zuvor hatten aufmerksame Polizisten im Raum Landshut einen Packen üblen Propagandamaterials bei Wiese sichergestellt,  als er gerade begonnen hatte, es zu verteilen.

Die Großrazzia war vorbereitet worden, nachdem die Polizei im Dezember einen Mann verhaftet hatte, der zur braunen Szene gehört. Er hatte zugegeben, zahlreiche Waffen weitergegeben zu haben. Einer entsetzten Öffentlichkeit, die sich in Schüler-, Studenten-, interreligiösen und politischen Gruppierungen neuerdings aktiver als je zuvor und mit wachsenden Teilnehmerzahlen den Neonazis entgegenstellt, präsentierten Staatsanwälte die Ausbeute der Großrazzia: Unter den Festgenommenen waren vier bekannte Neonazis. Weitere Verdächtige kommen aus dem diesen nahestehenden Motorrad-Rocker-Milieu. 200 Schusswaffen, Schwarzpulver in Dosen, mehrere Tausend Schuss Munition, Butterflymesser, Schlagringe, Telescop-Schlagstöcke, Schießkugelschreiber, sogar die Abschussvorrichtung für eine Panzerfaust und Drogen wurden sichergestellt. Darunter waren 80 Pistolen und Gewehre, Pumpguns dabei und Maschinenpistolen. Sogar ein Maschinengewehr gehörte zum Waffenarsenal.

Die PASSAUER NEUE PRESSE (PNP) zitierte Ermittler: Das Ergebnis der Ermittlungen habe die Sicherheitsbehörden schockiert. „Das ist eine Dimension, wie wir sie so in jüngerer Vergangenheit noch nicht erlebt haben, was die Zahl der Waffen angeht.“ ((PNP vom 2. Und 3. März 2012))  Und  Innenminister Joachim Herrmann entsetzte sich in der SÜDDEUTSCHEN ZEITUNG  (SZ) über das „unglaubliche Waffenarsenal“ und schien erleichtert,  dass auf den ersten Blick terroristische Planungen nicht erkennbar seien.  „Es muss aber ermittelt werden, ob es solche gegeben hat!“  Die Täter dürften nicht unterschätzt werden. ((SZ vom 1. März 2012))

Dass, was in Bayern sichtbar wurde, nicht auf dieses Bundesland beschränkt ist, macht die Sache nicht besser: Ebenfalls am 2. März 2012 rückten in Hamburg und Niedersachen zahlreiche Polizisten aus. Sie stellten in den Wohnungen von 17 Neonazis der neuen Gruppierung  „Die Unsterblichen“ Schreckschusswaffen, Baseballschläger, Fahnen mit dem verbotenen SS-Logo und Masken sicher. Die Masken sind das Erkennungszeichen der „Unsterblichen“, die so vermummt seit einem Jahr Demos veranstalten. ((BILD vom 3. März 2012))