Jeder dient Gott auf seine Weise: Die Männer laut, die Frauen leise!

0
28

Das Problem der säkularen Vereinnahmung religiöser Werte kennen Jüdinnen und Juden in der Diaspora nicht. Ich bin aber sicher, dass es eine solche in Israel gibt, auch wenn ich darüber nicht Bescheid weiss. Deshalb beschränke ich mich in dieser Replik mit dem religiösen Dienen im orthodoxen und traditionellen Judentum…

Von  Tanja Kröni

„Gott lieben“ wird im Judentum mit „Gott dienen“ gleich gesetzt. Wir dienen ihm, wenn wir seine Gebote befolgen. Ein grosser Teil davon gehört zum sozialen, zwischenmenschlichen Bereich, in Familie, Gemeinde und ausserhalb der Gemeinde. Da in der Orthodoxie klare Geschlechtertrennung herrscht, gibt es natürlich für die Frauen viele Aufgaben. Die Frau dient den anderen Frauen, versorgt die Kranke und deren Kinder, bereitet die Verstorbene auf die Beerdigung vor, tröstet die Trauernde. Beruflich oder ehrenamtlich ist sie in der Kinderbetreuung tätig, sie unterrichtet als Lehrerin Mädchen in religiösen oder allgemeinen Fächern, ist Kinder- oder Frauenärztin, Familienhelferin, etc. Die Frau des Rabbiners ist 24 Stunden am Tag Anlaufstelle für die Probleme der Frauen, praktisch das „Frauenhaus“ einer orthodoxen Gemeinde. Sie alle tun das was sie tun um die Gebote Gottes zu erfüllen und für die „Ehre der Gemeinde“. Pro forma gibt es aber immer einen Mann, der der  Verantwortungsträger für ihre Arbeit ist und eine Kontrollfunktion hat.

In der Familie ist die Frau „Priesterin des Hauses“ ((Judentum in frühchristlicher Zeit, Jacob Neusner, 1988, Calver Verlag Stuttgart, „Die Frau und das Pharisäertum“, S. 65 – 66, Eva und ihre Schwestern, Pnina Navè Levinson, GTB 1992, „Priesterin des Hauses“ S. 72 – 75.)), verantwortlich für die Speisegesetze, für das pünktliche Anzünden der Schabbat- und Feiertagskerzen und für die Erziehung der Kinder. Vorbild ist  „Das Lied der tüchtigen Frau“, Sprüche Salomons 31,10-31. ((Sie ist ein Idealbild einer Allrounderin, organisiert einen grossen Haushalt mit der linken Hand, legt selbst mit Hand an, entwickelt Initiative in Bodenkauf und Verkauf von Hausindustrie. Sie ist freundlich, gepflegt und klug, verwaltet gütig ihr Personal und tut das alles für die Ehre ihres Mannes. aus Einblicke in das Judentum, Pnina Navè Levinson, 1991 Bonifatiusverlag Paderborn, S. 120.)) Wie diese unerreichbar perfekte Superfrau soll sie alles zur „Ehre des Mannes“ tun, Gott dienen, indem sie sich aufopfert für den Erfolg und die äussere Anerkennung  ihres Mannes. Ausdrücklich betont wird von verschiedenen Autoritäten, dass der Mann auch im häuslichen Bereich die Hauptverantwortung und eine Kontrollfunktion hat. Sichtbar wird diese Kontrollfunktion einmal im Jahr, während des Rituals zum Abschluss der Pessach-Vorbereitungen: Der Mann geht mit einer brennenden Kerze, gefolgt von den Kindern, durch alle Räume und in alle Ecken und schaut, ob wirklich alles nach Vorschrift  gemacht wurde. ((Die Pessach-Haggadah, übersetzt und erklärt von Philipp Schlesinger und Josef Güns, 1971 Sinai Publishing, Tel Aviv, S. 1 + 7))Ich empfinde das als sexistische Diskriminierung!

Jüdische Frauenvereine gibt es durch die Geschlechtsbedingte Aufgabenteilung seit langem. Der erste offizielle jüdische Frauenverein in der Schweiz entstand 1834 ((Zwischen Fürsorge und Politik, Geschichte des Bundes Schweizerischer jüdischer Frauenorganisationen, Elisabeth Weingarten-Guggenheim, 1999 Limmat Verlag Zürich, S. 15.))in Basel. Im Gegensatz zu Deutschland kümmerten die Frauen sich hier nicht um Politik und die Gleichstellung der Frauen. Auch der 1900 gegründete Dachverband, der Bund Schweizerischer Jüdischer Frauenorganisationen, wurde erst nach der Einführung des Frauenstimmrechts 1971 in diesem Punkt aktiv. Bis 1975 hatten sie dann allerdings das Stimm- und Wahlrecht für Frauen in den jüdischen Gemeinden, ausser den orthodoxen, erreicht. Sogar in den Vorständen der traditionellen Einheitsgemeinden gibt es Frauen, meist im Sozial- oder Kulturbereich. Einige wenige davon werden von Präsidentinnen geleitet. Bis heute kein Thema in den Frauenverbänden ist die Gleichberechtigung der Frauen in religiösen Angelegenheiten und im Gottesdienst. ((Zwischen Fürsorge und Politik Geschichte des Bundes Schweizerischer jüdischer Frauenorganisationen, Elisabeth Weingarten-Guggenheim, 1999 Limmat Verlag Zürich, S. 115  – 125.))

So dürfen die orthodoxen und traditionellen Frauen in der Synagoge nur stumm vom Balkon aus Gott dienen, dem Gottesdienst zusehen. Denn sie sind von der Verpflichtung der Teilnahme an zeitlich gebundene Gebote „befreit“ ((Numeri 19,14; Leviticus 12,27; Talmud Kidduschin 29a)), wegen ihrer familiären Aufgaben. Da „befreit“ nicht „verboten“ heisst und es religionsgesetzlich eigentlich keinen Grund für den Ausschluss der Frauen gibt, haben Frauen in den Reformströmungen (konservativ und liberal) die gleichen Rechte wie die Männer.

In den Achtziger Jahren begann auch in der Schweiz eine kleine, aber doch eher zaghafte, vor allem in privaten Kreisen agierende religiöse Frauenbewegung, die ihr Erbe einfordert. Gott dienen im öffentlichen Gottesdienst ist nur in den beiden liberalen Synagogen in Zürich und Genf möglich. Frauenminjans (ein Quorum von zehn Frauen, analog zu den zehn Männern, die es in der Synagoge für einen Gottesdienst braucht), treffen sich in Büros, mieten Räume für Frauen-Gottesdienste, die orthodox erlaubt sind und für die man ihnen meist auch eine Torarolle zur Verfügung stellt. In Basel trifft sich einmal im Monat ein egalitärer Minjan ausserhalb der Gemeinderäumlichkeiten. In Zürich versammelt sich im Gemeindezentrum der ICZ ein ebenfalls egalitärer Minjan einmal im Monat, zu dem hauptsächlich ICZ-Mitglieder kommen. Dieser Minjan bietet auch den Rahmen für eine egalitäre Feier der Bat Mitzwa, (ähnlich der Konfirmation) die religiöse Mündigkeit der Mädchen, die es in der ICZ bislang (noch?) nicht gibt.

Frauen stellen gerne den in der jüdischen Mystik stark personifizierten weiblichen Begriff der Schechina ((Sohar 1 228b, Schechina ist die Immanenz, das in der Welt sein Gottes))neben einen männlichen Gottesnamen. Die Schechina steht für das Gottesbild des Harachaman (die Wurzel des Wortes ist rechem, Gebärmutter), des barmherzigen Gottes, der mitfühlt, mit leidet, mit den Juden im Exil lebt, Mutteraufgaben hat. Dieser Aspekt Gottes wird von allen jüdischen Strömungen angefleht und ins Zentrum gestellt. In der Orthodoxie entspricht er in etwa dem Bild eines frauenlosen Vaters, der sich alleine beispielhaft um seine Kinder kümmert.

Nach jüdischem Verständnis und Religionsgesetz befindet sich die Frau auf gleicher Ebene mit dem Mann und ist gleichberechtigt. ((u.a. im Kommentar von Rabbiner Samson Raffael Hirsch, Begründer der Neoorthodoxie, zum Pentateuch, den fünf Büchern Moses))Sie soll Hilfe und Unterstützung dem Mann sein. Das  interpretierten Autoritäten bereits in der Antike dahin, dass die Frau nicht die gleichen Aufgaben wie der Mann habe. Von da an war es nicht weit bis zum weiblichen Rollenmuster der Dienenden. In Mischna, Talmud und der rabbinischen Literatur finden sich beides, Autoritäten die der Frau erlauben laut zu beten, aus der Tora zu lesen, Schofar (das Widderhorn) zu blasen und andere, die das verbieten. Es ist überliefert, dass Frauen das früher auch getan haben.

Trotzdem darf sie es seit dem Spätmittelalter in der Orthodoxie nicht mehr ((Die Gründe hierfür sind nicht überliefert. Es ist anzunehmen, dass dies auf eine Verschlechterung der Frauensituation in der nicht jüdischen Gesellschaft zurückgeht, da die jüdischen Gemeinden immer und überall bestrebt waren sich anzupassen und nicht aufzufallen. [)). Mann weiss, die Frau kann alles machen, aber sie darf es nicht, der „Ehre der Gemeinde“ und der „Ehre der Männer“ ((Talmud Nedarim 20b)) wegen, weil ihre Stimme, ihr Haar, sogar der Nagel ihres kleinen Fingers Verführung sind. Deshalb darf die Frau Gott im Gebet nur leise dienen, auch wenn sie sich noch so sehr danach sehnt dies mit den Männern laut zu tun. Den Frauen ihre Ehre zurückgeben und sie ihre Spiritualität leben lassen, könnte – meiner Meinung nach – für die Männer doch auch eine würdevolle Aufgabe sein…

Erschienen in: Judith Stofer/Rifa’at Lenzin (Hg.), Körperlichkeit – Ein interreligiös-feministischer Dialog, Religion & Kultur Verlag 2007, Bestellen?