Über die Hartleibigkeit der Justiz und den Umgang der NS-Geschichte

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Interview mit Peter Finkelgruen über den Kinofilm „Die Hetzjagd“…

Von Hajo Leib (2008)

Nach der Kölner Premiere des Films „Die Hetzjagd“ („La Traque“) interviewte Hajo Leib für das EL-DE-Info Peter Finkelgruen.

Die Kölner filmsociety war Veranstalterin der Premiere am 20. November 2008 im Filmforum-Kino des Museum Ludwig. Die deutsch-französische Koproduktion, 2007 in französischer Sprache gedreht, wurde im Original (mit deutschen Untertiteln) gezeigt. Der spannend gedrehte Film erzählt die authentische Geschichte der 12 Jahre langen Jagd von Beate und Serge Klarsfeld (Franka Potente und Yvan Attal) nach Klaus Barbie, dem „Schlächter von Lyon“ (Hanns Zischler). Gedreht wurde an Originalschauplätzen in Argentinien, Bolivien, Frankreich und Deutschland. Allen Widerständen zum Trotz nahm es das Ehepaar Klarsfeld ohne finanziellen Rückhalt in mehreren Ländern mit Politikern auf und stritt gegen Rechtssysteme und öffentliche Meinung. Mit ihrer unnachgiebigen Beharrlichkeit, von wenigen Freunden unterstützt, gelang es ihnen schließlich doch, mehrere Nazi-Kriegsverbrecher vor Gericht zu bringen.

„Die Hetzjagd“ stellt den zentralen Fall Barbie in den Mittelpunkt, der exemplarisch für viele andere steht und die Frage stellt: „Müssen wir vergessen?“ Der Film des französischen Regisseurs Laurent Jaoui erinnert in Machart und Tempo streckenweise an den Klassiker „Z“ des politisch engagierten griechisch-französischen Regisseurs Constantin Costa-Gavras und eignet sich hervorragend für den Schulunterricht: spannende Aufklärung über Politik und Zeitgeschichte. Der Schauspieler Hanns Zischler dämonisiert Barbie nicht, sondern zeigt dessen zynische und skrupellose Maskerade, die von argentinischen und bolivianischen Junta-Militärs nachdrücklich gefördert und unterstützt wurde.

Vielleicht kommen im Film die Hintergründe und Fakten der Barbie-Verbrechen im NS-besetzten Frankreich etwas zu kurz, auch ist die kämpferische und unbeugsame Beate Klarsfeld von Franka Potente etwas zu blass dargestellt. Aber insgesamt ist der fast zwei Stunden lange Film sehr empfehlens- und sehenswert.


Zu Besuch in seiner Geburtsstadt Shanghai – Peter Finkelgruen, Foto: aus einem Film von Dietrich Schubert

Interview

Hajo Leib: Wie bewerten Sie den Film im Stil eines Politthrillers; trägt er zur Aufklärung bei und vermittelt er politisch wie historisch die rechtsstaatliche Verfolgung des Nazi-Verbrechers Barbie deutlich genug?

Peter Finkelgruen: Auch wenn ein Film immer nur partielle Ausschnitte zeigen kann, so trägt er doch dazu bei, aufzuzeigen, wie schwierig es in den Nachkriegsjahrzehnten war, in Deutschland deutsche Kriegsverbrecher vor Gericht zu bringen. Man denke nur daran, dass der seinerzeitige Generalstaatsanwalt Bauer, nachdem er erfahren hatte, wo sich Eichmann befand, die nächste Maschine nach Tel Aviv nahm und sein Wissen dem israelischen Ministerpräsidenten Ben Gurion übergab. Auf die Frage, warum er so verfahren hatte, antwortete er, „Wenn das in meinem Haus bekannt geworden wäre, wäre Eichmann binnen Stunden gewarnt worden.“

Zeigen Ihre persönlichen Recherchen und Erfahrungen bei der zehnjährigen Suche nach dem SS-Mörder Malloth Ihres Großvaters Martin Finkelgruen Parallelen zum Fall Barbie?

Peter Finkelgruen: Die einzige Parallele oder augenfälligste Parallele ist für mich das Wahrnehmen um die Hartleibigkeit der Justiz und vor allem der deutschen Politik, die es in beiden Fällen vorzog, den Verdrängern und Verharmlosern nach dem Mund zu reden beziehungsweise unausgesprochen und unaufgefordert deren Wünschen entgegenzukommen. Zu beiden Fragen fällt mir wirklich nur ein, dass wir in diesem Land einen wunderbaren, vom Grundgesetz geschützten und proklamierten Rechtsstaat haben: Beides aber, der Film „La Traque“, also das Bemühen des Ehepaars Klarsfeld im Falle Barbie und in anderen Fällen, als auch mein eigenes Bemühen im Falle Malloth, zeigen, dass der „normale Bürger“ nicht in der Lage ist und nicht die Mittel hat, den Rechtsstaat durchzusetzen, es sei denn, es gelingt ihm eine lang anhaltende, öffentlichkeitswirksame Aufmerksamkeit zu erzeugen und dabei auch – wenigstens partiell – politische Unterstützung zu erlangen. Dabei darf man nicht dem Irrtum erliegen, es sei allein die CDU gewesen, die in diesen Jahrzehnten Naziverbrechern und NS-Belasteten größtmöglichen Schutz (und hervorragende Karrieremöglichkeiten) angedeihen ließ. Alle bürgerlichen Parteien der Nachkriegszeit, die FDP und auch die Sozialdemokraten, haben da, wo sie an die Macht wollten oder an der Macht waren, eher die durch Nachwirkung des Nationalsozialismus korrumpierte Justiz unterstützt, als auf die Verfolgung und Bestrafung der Schuldigen zu drängen. Diese Erfahrung musste ich im Falle Malloth ausgiebig machen.

Im Anschluss an den Film vertraten Sie die interessante These, dass der Nationalsozialismus und seine Verbrechen (vor allem in Schulen) weitgehend behandelt worden seien, während der Umgang mit der NS-Geschichte im Nachkriegsdeutschland noch viele Fragen offen lasse. Können Sie das bitte erläutern?

Peter Finkelgruen: Diese Aussage von mir ist nicht neu. Mir kam diese Erkenntnis bei zahlreichen Lesungen, insbesondere an Oberschulen. Ich traf immer wieder auf junge Menschen, deren Informationsstand in Bezug auf das Dritte Reich vielleicht hätte größer sein können, aber grundsätzlich vorhanden und ausreichend war. Auch die historische und moralische Einordnung des Dritten Reichs, des Nationalsozialismus und seiner Erscheinungen sind vorhanden. Das heißt nicht, dass nachwachsende Jahrgänge nun nicht mehr informiert zu werden brauchen. Wichtig aber ist es festzustellen, dass die jungen Menschen sich mit dem Nationalsozialismus und dem Dritten Reich nicht identifizieren und die damit verbunden Vorgänge ihnen genauso weit entfernt und fremd scheinen, wie zum Beispiel Napoleon und die Napoleonischen Kriege. Diese jungen Menschen identifizieren sich aber durchaus mit der Bundesrepublik Deutschland. Ihr Wissen aber um die Entstehung der Bundesrepublik und die ersten Jahrzehnte der Entwicklung dieses Landes, also die sogenannte Periode der Restauration, in der Nazi-Kriegsverbrecher die Früchte ihrer Verbrechen gewissermaßen unter staatlichem Schutz und durch das Grundgesetz garantiert genießen konnten, ist ihnen, die sich mit dieser Bundesrepublik identifizieren, völlig unbekannt.

Steht Ihre politische Analyse nicht im direkten Zusammenhang mit der Kritik an der zu geringen historischen Aufklärung über die Ursachen des NS-Regimes bzw. an dem Totalversagen der gesellschaftlichen Elite in der Weimarer Republik?
 
Peter Finkelgruen: Aus dem, was ich eben gesagt habe, ergibt sich, dass meine Kritik einer politischen Analyse eher eine Kritik an der mangelnden Aufklärung über die Jahrzehnte nach dem Mai 1945 und nicht vor dem Januar 1933 ist.

Herr Finkelgruen, herzlichen Dank für das Gespräch.