Ein Besuch bei Ragip Zarakolu

1
25

Ragip Zarakolu, Inhaber des Belge-Verlags und Menschenrechtsaktivist, ist am 29. Oktober zusammen mit 40 anderen Personen festgenommen worden…

Von Dogan Akhanli

Ich war am 6. Februar 2012 auf einem Besuch im Hochsicherheitsgefängnis in Kocaeli, in der Nähe von Istanbul. Durch meine Anwältin, die auch Zarakolu vertritt, stellte ich einen Antrag für eine Besuchserlaubnis beim Justizministerium in Ankara. In Istanbul erfuhr ich, dass mein Antrag genehmigt wurde.

Ragip Zarakolu ist nicht nur der Verleger, der vor 14 Jahren gewagt hat, meine Trilogie „Die verschwundenen Meere“, dessen letzter Band den Genozid an den Armeniern thematisierte, zu veröffentlichen, sondern auch ein kompromissloser Menschenrechtler. Er war der Erste, der seine Stimme gegen meine Festnahme am 10. August 2010 in Istanbul erhob.

Der Titel, mit dem seine Kolumne in der Tageszeitung veröffentlicht wurde, war „Freiheit für Dogan Akhanli und Suzan Zengin“. Suzan Zengin, eine seiner Übersetzerinnen, die im Gefängnis das Buch von Tessa Hofmann (Hrsg.), „Verfolgung, Vertreibung und Vernichtung der Christen im Osmanischen Reich 1912-1922, übersetzte, verstarb nach ihrer Freilassung im Oktober 2011, als Ragip Zarakolu hier in Frankfurt auf der Buchmesse war.

Er kehrte sofort zurück und wurde am 28. Oktober aufgrund des Anti-Terrorismus-Gesetzes festgenommen. Der Vorwurf lautete: “Mitgliedschaft in einer bewaffneten Terrorgruppe, KCK (Union der Gemeinschaften Kurdistans)“ Sein Sohn, Deniz wurde schon am 4. Oktober 2011 aus demselben Grund verhaftet und ins Metris-Gefängnis gesperrt, in dem auch seine verstorbene Mutter, Ayse Zarakolu, die Mitgründerin des Belge-Verlags, vor 30 Jahren saß. Ich erfuhr von der Anwältin, Deniz sei in das Gefängnis verlegt worden, wo sein Vater sitzt, und zwar in den selben Raum.

Das Hochsicherheitsgefängnis, das ich besuchen will, ist von Istanbul ca. zwei Autostunden entfernt. Ich fahre vormittags mit der Anwältin Sennur Baybuga von Istanbul ab. Um alle Hindernisse zu vermeiden, will sie bei der Staatsanwaltschaft vorbeigehen, um nochmal eine Bewilligung für den Besuch zu bekommen, obwohl wir bereits eine schriftliche Bewilligung in der Hand haben.

Das Justizgebäude von Kocaeli ist riesengroß. Ein Beamter verlangt von uns die Bewilligung, die wir vom Justizministerium bekommen haben. Wir sollen ihm folgen. Eine halbe Stunde später findet er immer noch keine zuständige Person, die uns weiterhelfen könnte. Plötzlich tauchen wie aus dem Nichts zwei Männer in Zivil auf, die mir komisch vorkommen. Sie wirken aufdringlich, einer der beiden kommt uns bedrohlich nahe. Ich frage ihn, was er will. Er sagt nichts. Ich gehe weiter und höre wir sie miteinander reden. Der eine fragt den anderen, „Ist das der Mann?“. Sennur Baybuga reagiert daraufhin lauthals und teilt ihnen mit, sie wisse, wer sie seien!

Die Männer sagen nichts, währenddessen informiert uns der ermüdete Beamte, der immer noch unsere Bewilligung in der Hand hat, wir sollten zum Gefängnis fahren und wenn es ein Problem gäbe, sollten wir ihn anrufen.

Ohne weitere Probleme besuche ich dann Ragip Zarakolu. Zwischen uns befinden sich zwei dicke Fensterscheiben und Gitter. Der Besucherraum ist ziemlich dunkel. Das Gespräch verläuft durch den Telefonapparat. Mir fällt auf, dass ich mich zum ersten Mal im Leben auf der anderen Seite des Besucherraums befinde.

Er ist fröhlich. Er sagte, er habe nie so viel Zeit mit seinem Sohn zusammen verbracht wie jetzt. Es gäbe noch einen weiteren Mithäftling, ein kurdischer Akademiker. Beide lernten von ihm kurdisch.

Warum er verhaftet wurde, will ich von ihm wissen. Er glaubt, seine Verhaftung habe nicht direkt mit dem Vorwurf zu tun. Er meint, seine Festnahme sei nicht auf Initiative des Staatsanwalts bzw. durch den Richter zustande gekommen, sondern, daß der Befehl von Ankara gekommen sei. Was er mit Ankara meine, will ich wissen. Er sagt, es sei irgendeine Machtclique, die gegen die Verhandlungen mit Kurden sei. Durch seine Verhaftung wolle man signalisieren, daß jegliche Solidarisierung mit dem Kurden und auch Erinnerungsarbeit als gefährlich einzustufen und zu stoppen sei.

Zwei Tage vor meiner Abreise berichtet die türkische Presse, einige Sonderstaatsanwälte in Istanbul hätten im Streit um die Rolle des türkischen Geheimdienstes MIT bei den Verhandlungen mit der kurdischen Rebellengruppe PKK die Festnahme von vier Geheimdienstlern angeordnet. Dies habe eine politische Krise ausgelöst. Wie die Presse meldet, lehnt die Regierung die Vernehmungen ab. Es sollen innerhalb der kurdischen Bewegung hunderte Geheimagenten tätig und durch die Festnahmewelle im Knast gelandet sein, obwohl sie ihre wahre Identität bei der Vernehmung offengelegt hätten. Sie sollen nun als Komplizen der kurdischen Bewegung angeklagt werden, so die Presse.

Ich habe wirklich Glück gehabt, denke ich, als ich wieder in Köln lande.

Quelle: Exil-P.E.N. – P.E.N. Zentrum deutschsprachiger Autoren im Ausland

1 Kommentar

Kommentarfunktion ist geschlossen.