WJC: Urteil gibt Anleitung für Holocaustleugnung

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Führende Vertreter des Jüdischen Weltkongresses (WJC), dem weltweiten Dachverband jüdischer Gemeinden und Organisationen, haben sich entsetzt über eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts gezeigt, dem zufolge die Leugnung des Holocaust in Deutschland dann straffrei bleiben müsse, wenn sie „untrennbar mit Meinungsäußerungen verbunden“ sei (1BvR 461/08). Ein Urteil gegen einen 88-jährigen Rechtsradikalen wurde vom Gericht aufgehoben…

WJC-Präsident Ronald S. Lauder ging in scharfen Worten auf den Richterspruch ein: „Das höchste deutsche Gericht liefert so die Anleitung für Neonazis, wie man in Deutschland den Holocaust ungestraft leugnen darf, obwohl ein Gesetz genau dieses doch verbietet. Nicht nur für die Angehörigen und Nachkommen von sechs Millionen ermordeten Juden ist dies ein Schlag ins Gesicht.“ Lauder forderte das Gericht auf, diese Entscheidung schnellstmöglich zu revidieren.

Die WJC-Vizepräsidentin und Präsidentin der Israelitischen Kultusgemeinde München und Oberbayern, Dr. h.c. Charlotte Knobloch, fügte hinzu: „Um das Gedenken an die Opfer der Nazis zu bewahren, hat sich der Gesetzgeber bewusst entschieden, die Leugnung des Holocausts dem Schutzbereich der Meinungsfreiheit zu entziehen. Wenn diese Auffassung heute noch Bestand haben soll, muss der Straftatbestand restriktiv ausgelegt und angewendet werden. Eine Entsorgung durch die Hintertür der aushöhlenden Auslegung widerspricht unseren rechtsstaatlichen Prinzipien.

Knobloch fügte hinzu: „Das Urteil ist eine Anleitung zur legalen Holocaustleugnung. Angesichts der Widerwärtigkeit und Perfidie der Holocaustleugnung wirft eine solche juristische Spitzfindigkeit ein schlechtes Licht auf die zuständige Kammer des höchsten deutschen Gerichtes.“

Der Jüdische Weltkongress (WJC) ist der weltweite Zusammenschluss jüdischer Gemeinschaften und Organisationen. Er vertritt die politischen und diplomatischen Belange des jüdischen Volkes auf internationaler Ebene und gegenüber anderen Religionsgemeinschaften.

7 Kommentare

  1. Wenn schon von Europa die Rede ist:
    Das einschlägige französische Gesetz (Loi Gayssot) betrifft tatsächlich – so wie auch der deutsche Strafrechts-Paragraph 130a – öffentliche Äußerungen, denn es wurde als Änderungsgesetz zum Gesetz über die Freiheit der Presse verabschiedet. In Frankreich ist neuerdings auch die Leugnung von „anerkannten Völkermorden“ strafbar, darunter bekanntlich der Völkermord an den Armeniern; als allgemein formuliertes Gesetz betrifft es aber auch andere Genozide wie etwa den an den Tutsi in Ruanda oder den Genozid von Srebrenica. Ob das Gesetz verfassungsgemäß ist, wird zur Zeit nach einem Widerspruch von mehr als 140 Abgeordneten noch überprüft. Der Zentralrat der Armenier in Deutschland hat kürzlich ein entsprechendes deutsches Gesetz gefordert. In der Türkei dagegen ist die Behauptung eines Völkermordes an den Armeniern strafbar.
    In Polen, Litauen und der Tschechischen Republik ist auch die Leugnung der „kommunistischen Verbrechen“ bzw. des „Nazi- oder kommunistischen Genozid“ strafbar; in Litauen zusätzlich noch die Leugnung, Verharmlosung oder Unterstützung der „sowjetischen Aggression der Jahre 1990/91“. In Ungarn ist das Leugnen „der vom nationalsozialistischen oder vom kommunistischen System“ begangenen Verbrechen bzw. des „vom kommunistischen System begangenen Völkermord“ strafbar. In Russland dagegen war schon mal im Gespräch, die Leugnung des sowjetischen Sieges im Zweiten Weltkrieg unter Strafe zu stellen (zugleich gab ein russischer Militärhistoriker Polen die Schuld am Ausbruch des Zweiten Weltkriegs, weil es die „berechtigte“ Forderung des Dritten Reichs, sich Danzig einzuverleiben, ablehnte).
    Der Werdegang des einschlägigen ungarischen Gesetzes ist interessant: Hatte zunächst noch im Februar 2010 die damalige sozialistische Regierung die Leugnung des Holocaust unter Strafe gestellt, so beeilte sich die folgende Fidesz-Regierung im Juni 2010, dieses Gesetz durch die oben genannten Bestimmungen zu „ergänzen“ (das Wort „Holocaust“ verschwand bei dieser Gelegenheit aus dem Gesetz). Der erste Angeklagte nach diesem Gesetz war ein früherer kommunistischer Innenminister, der die Niederschlagung des Aufstandes von 1956 als rechtmäßig bezeichnet hatte. In den baltischen Staaten könnte jeder sich strafbar machen, der die Bezeichnung der Zugehörigkeit der Länder bis 1991 zur Sowjetunion als Okkupation ablehnt. Gleichzeitig dürfen dort unbehelligt Paraden von SS-Veteranen abgehalten werden; in Litauen wird der in Israel lebende jüdische Holocaust-Historiker Yitzhak Arad, der vor 1945 mit sowjetischen Partisanen kämpfte, als Kriegsverbrecher gesucht.
    Soweit ein kurzer Ãœberblick über Europa und die Fässer, die mit staatlich geregelter Äußerungsunfreiheit über historische Vorgänge aufgemacht werden können. Wir bekommen ja bald einen Bundespräsidenten, der die „Prager Erklärung“ von 2008 unterschrieben hat, in der Nazismus und Kommunismus auf eine Stufe gestellt werden und die sicherlich als eine Art politisches Rückgrat der oben genannten gesetzlichen Regelungen in den betreffenden Ländern Ostmitteleuropas und Osteuropas betrachtet werden kann; zum Glück können Bundespräsidenten keine Gesetzgebung in die Wege leiten. Gegenläufig ist in Europa in den letzten Jahren nur Spanien, wo das Verfassungsgericht im November 2007 die Strafbarkeit der Leugnung von Genoziden als verfassungswidrig aufgehoben hatte.

  2. FASCHISMUS IST KEINE MEINUNG, SONDERN EIN VERBRECHEN!
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    Angesprochen in dieser Formulierung sind in erster Linie der italienische, der deutsche, der spanische, der griechische Faschismus.
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    Eingewandt werden könnte, dass zumindest im „Großdeutschen Reich“ vom Faschismus nicht die Rede war bzw. höchstens marginal.
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    Dagegen zu halten aber wäre, dass die Deutungshoheit über das, was im Machtbereich des Nationalsozialismus geschah, nicht seinen Vertretern obliegt: z.B. sprach einer der Siegerstaaten eindeutig vom Faschismus, wie es auf zahlreichen Gedenkstelen auf Friedhöfen u.ä, in West- und Ostdeutschland in meist kyrillischer Sprache nachzulesen ist. Die Wesensmerkmale des Faschismus in seiner konsequentesten und grausamsten Form erfüllt der Nationalsozialismus: zwar ist Faschismus nicht immer Nationalsozialismus, aber Nationalsozialismus stets Faschismus.
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    Was so beschämt an dem Urteil ist, dass Richter, frei und unabhängig in ihren Entscheidungen, meinen, sie müssten sich partout auf Gesetze stützen, die sie für etwas anwenden, was der Gesetzgeber nicht vorgesehen hat damit: nämlich einen Persilschein für eindeutige Verklärung und Verharmlosung der Politik des „III. Reichs“, und sei es auch nur gegenüber einer Einzelperson.
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    Im sog. Gesetz zur Leugnung des Holocaust findet sich das Wort nicht. Und außerdem belegen die Paragraphen „nur“ das öffentliche Verbreiten der Holocaustleugnung, vielleicht aus purer Angst vor einer „Gesinnungsschnüffelei“, wie sie bei den Nazis usus war: damit ist Holocaustleugnern aber ein Schlupfloch geöffnet, aus dem sie wie in diesem Fall unbekümmert hervorkriechen können. 
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    Im entsprechenden Gesetz im Land der Französischen Revolution gibt es dieses Loch nicht:
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    Wer die Existenz eines oder mehrerer Verbrechen gegen die Menschlichkeit in Frage stellt, definiert in Art. 6 des Statuts des Internationalen Militärtribunals, festgehalten im Londoner Abkommen vom 8. August 1945 und welche von Mitgliedern einer als kriminell unter Art. 9 des genannten Statuts genannten Organisation oder einer Person die unter französischer oder internationaler Gesetzgebung solcher Verbrechen schuldig befunden wurde ausgeführt wird, „soll von einem Monat bis zu einem Jahr Gefängnis oder Bußgeld bestraft werden.“ (Wikipedia)
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    Die EU ist dem leider nicht gefolgt, sie gibt ihren Mitgliedsstaaten zwar die Möglichkeit der Bestrafung, aber genau wie Deutschland allein dann, wenn diese Verbrechen „publicly“ erfolgen…
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    Was Opferverbände seit Jahr und Tag fordern, nämlich die Anwendung des im Artikel 139 des GG der BRD Festgelegten, ist für Frankreich selbstverständlich. Aber da gabs ja auch keinen Roman Herzog, der seine Habilitation unter der Obhut eines früheren NS-Juristen schrieb und der diesen GG-Artikel für „obsolet“ erklärte; s. dazu auch http://akj.rewi.hu-berlin.de/zeitung/05-1/139.htm
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    In Frankreich wäre der Fall des Altnazis nicht an die Erste Instanz zurückverwiesen worden: ein Monat Gefängnis oder entsprechendes Bußgeld wäre ihm sicher gewesen. 

  3. Eine weitere Analyse und Kommentierung der BVerfG-Entscheidung, die offensichtlich mit einiger juristischer Expertise verfasst wurde, findet sich hier. Ausschlaggebend ist die Frage der Verbreitung, die alleine schon ausreicht, um die vorinstanzlichen Urteile zu kassieren.
    Zusätzlich hat das BVerfG (ohne Not?) in der juristischen Grauzone zwischen Tatsachenbehauptung und Meinungsäußerung im Nebel gestochert und sich an Bewertungen der fraglichen inkriminierten Texte versucht, die ohne Frage diskussionswürdig sind (die Bewertungen). Sicherlich hat das BVerfG hier ziemlich rumgeeiert; insbesondere die „Untrennbarkeit“ der Meinungsäußerung über die Kriegsschuld von der Holocaust-Leugnung scheint mir fragwürdig. Allerdings müsste man hier wiederum die inkriminierten Texte vorliegen haben, um hier die „Untrennbarkeit“ diskutieren zu können.
    Das ändert aber auch nichts daran, dass es hier um eine Einzelfallentscheidung ging und nicht um eine Präzedenz. Die aktuelle Entscheidung bewegt sich im Rahmen des Beschlusses 1 BvR 23/94 vom 13. April 1994 (BVerfGE 90, 241 – Auschwitzlüge), wo es heißt:
    „Die Abgrenzung von Meinungsäußerungen und Tatsachenbehauptungen kann freilich schwierig sein, weil beide häufig miteinander verbunden werden und erst gemeinsam den Sinn einer Äußerung ausmachen. In diesem Fall ist eine Trennung der tatsächlichen und der wertenden Bestandteile nur zulässig, wenn dadurch der Sinn der Äußerung nicht verfälscht wird. Wo das nicht möglich ist, muß die Äußerung im Interesse eines wirksamen Grundrechtsschutzes insgesamt als Meinungsäußerung angesehen und in den Schutzbereich der Meinungsfreiheit einbezogen werden, weil andernfalls eine wesentliche Verkürzung des Grundrechtsschutzes drohte.“
    Eine tatsächliche Auswirkung bzw. einen Einfluss könnte diese aktuelle Entscheidung aber auf ein mögliches neues Verfahren gegen den Piusbruder Richard Williamson haben, dessen Verurteilung jetzt vom Nürnberger OLG aufgehoben wurde. Dabei geht es allerdings wieder um die Veröffentlichung bzw. Verbreitung. Nach den bisher bekannt gewordenen Begründungen des OLG und den jetzigen Ausführungen des BVerfG zur Verbreitung dürfte Wiliamson in einem neuen Verfahren gute Karten haben.

  4. „So sollet ihr doch überlassen technische Widersprüchlichkeiten den Technikern,chemische den Chemikern und historische den Historiker“,sprach der Herr euer Gott.Was macht einen Stephen F. Pinter oder Joseph Hallow unglaubwürdiger als einen Rosenberg-Vrba oder Lanik-Wetzler?Laut Yad Vashem sind Letztere übrigens „perished in der shoa“,und zwar in Sobibor.Erstaunlich,nicht wahr?

  5. Eigendlich sollte die Holocaustleugnug Verboten sein,aber das Hauptpoblehm ist
    das einige Leute und auch Junge Leute die  Holocaustleugnung Richtig Finden.
    Nicht nur bei Rechten sondern auch bei einigen Linken besonders auch in und
    um Braunschweig und sonst auch.

  6. @Albrecht Kolthoff: Bitte nochmals das Urteil lesen! Es gibt zwei Punkte wo das Verfassungsgericht für dne Nazi entscheidne hat.
     
    1. Punkt war die Verbreitung. Die ersten Instanzen gingen davon aus, dass der Nazi die Schriften verbreitet hat. Denn es ist nicht wichtig wie groß der Personenkreis ist, an denen eine Holocaustleugnende Schrift weitergegeben wurde, sondern wie unkontrollierbar eine weitere Weitergabe erfolgen kann. Der Nazi hat die Schrift an einen Gastwirt ausgehändigt, der Zugang zu einem entsprechend großen Publikum hat, wodurch die Weitergabe unkontrolliert erfolgen kann – so die ersten Instanzen.
    Das Verfassungsgericht hat geurteilt, dass das noch keine Verbreitung sei, weil es sich nur um einen Austausch von Schriften zwischen zwei Personen handelt. Und beide Personen hätten angegeben, dass es sich nur um eine Belehrung für die eine Person handeln sollte. Damit kann man den Nazi nicht nachweisen, dass er es im Sinne hatte, dass seine Schriften einem größeren Personenkreis zugänglich gemacht werden bzw dass seine schriften unkontrolliert weitergegeben werden.
    Dieser Begründung kann ich ja noch folgen, aber nun zum zweiten Punkt, warum das Urteil aufgehoben wurde:
     
    Das Verfassungsgericht urteilt, dass die Holocaustleugnung direkt mit der Meinungsfreiheit zusammenhängt. Der Nazi hat die Kriesschuld Deutschlands geleugnet und seine angeführten Holocaustleugnung waren nur dazu gedacht, seine Meinung zur Kriegsschuld zu untermauern. Sie waren – so das Verfassungsgericht – nur Beiwerk, um seine Meinung zur deutschen Kriegsschuld wiederzugeben. Damit war die Holocaustleugnung direkt verbunden mit seiner eigenen Meinung.
    Ich zitiere: http://www.bundesverfassungsgericht.de/entscheidungen/rk20111109_1bvr046108.html

    „Die Äußerungen, die der Verurteilung zugrunde gelegt wurden, unterfallen noch dem Schutzbereich der Meinungsfreiheit. Zwar leugnen sie – wie von den angegriffenen gerichtlichen Entscheidungen zutreffend erkannt – das historische Gesamtgeschehen des Holocaust. … Im Gesamtkontext der jeweiligen Aufsätze betrachtet sind die den Holocaust leugnenden Äußerungen vorliegend jedoch untrennbar mit Meinungsäußerungen verbunden. … Die erste, den Holocaust leugnende Äußerung benutzt der Beschwerdeführer aber lediglich als Teil eines einleitenden Begründungsversuchs, warum die Nachkriegsgeneration Deutschland die alleinige Kriegsschuld zusprach. Auch die zweite, den Holocaust leugnende Äußerung der Aufsätze, steht zu den Grundthesen der fehlenden Kriegsschuld Deutschlands und der diesbezüglichen „Lügen der Nachkriegsgeneration“ in unmittelbarem Kontext. Diese Thesen sind ihrerseits aber als wertende Äußerungen vom Schutzbereich der Meinungsfreiheit umfasst (vgl. BVerfGE 90, 1 <15 f.>; 241 <249>).“
     
    Und diese Begründung ist gelinde gesagt unfassbar, denn wenn die Meinung untrennbar mit der Leugnung zusammenhängt, dann ist die Meinung eben keine Meinung mehr und fällt damit auch nicht mehr unter Meinungsfreiheit, sondern dient der Verbreitung von Holocaustleugnung.

  7. Anscheinend ist diese allerdings zunächst irritierende Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes vom WJC genau so missverstanden worden wie schon von Heribert Prantl in der „Süddeutschen“. Die entscheidende Frage im konkreten Fall war nicht die „Meinungsäußerung“, sondern die „Verbreitung“ der Holocaust-Leugnung – und die war im konkreten Fall gemäß der juristischen Definition nicht gegeben. Ganz ordentlich wird das <a href=“http://www.taz.de/Karlsruhe-hebt-Urteil-gegen-Altnazi-auf/!88326/“>von Christian Rath in der taz</a> analysiert. Die Entscheidung selbst kann <a href=“http://www.bundesverfassungsgericht.de/entscheidungen/rk20111109_1bvr046108.html“>im Wortlaut auf der Webseite des BVerfG</a> eingesehen werden.

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