Bayern und seine Neo-Nazis

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Innenminister Herrmann: „Wir nehmen die Entwicklung sehr ernst“…

Von S. Michael Westerholz/Deggenau

Es ist erst wenige Jahre her, da hingen in der niederbayerischen Stadt Deggendorf Wahlplakate für den Stadtrat aus. Darunter eines, das den Kandidaten der Republikaner (REP) zeigte, Georg Treiber.

Die REP waren 1983 unter anderem vom Deggendorfer CSU-Abgeordneten des Deutschen Bundestages und einem Parteifreund gegründet worden. Sie hatten sich über ihren Parteichef Franz-Josef Strauß geärgert. Als dann der angesehene, für integer gehaltene   Münchner TV-Journalist Franz Schönhuber plötzlich seine „nationalen“ und „deutsch-patriotischen“  Überzeugungen entdeckte, sich in einem Buch seiner SS-Vergangenheit rühmte  und den Parteivorsitz an sich riss, driftete die Partei in die rechtsextreme Ecke ab. Der Deggendorfer Parteigründer wurde weggemobbt, Schönhuber  gewann ein Mandat im Europaparlament. Und dann starb er und seine Partei glitt ab in die Bedeutungslosigkeit.

Jetzt, kurz vor der Stadtratswahl 2008, war die Dauerbeobachtung der REP durch den Verfassungsschutz eingestellt worden. Aber Georg Treiber posierte ungeniert  mit Bärtchen und Haartolle á la Adolf Hitler. Aber niemand aus dem demokratischen Parteien trat ihm mit einer öffentlichen Abmahnung entgegen. Und im Deggendorfer Stadtrat sitzt er immer noch: Ein leider typisches Beispiel für das Vordringen von Rechtsextremen auf der einen Seite und die Blindheit von Verantwortlichen gegenüber dem nur  scheinbar Harmlosen auf der anderen. War  oder ist es Zufall,

  • dass Neonazis  eine Passauerin als Nestbeschmutzerin niedermachten, weil sie gegen das Verdrängen von Naziexzessen  in Niederbayern zwischen 1933 und 1945 anschrieb?
  • Dass vor der Synagoge im niederbayerischen Straubing  Polizeibeamte zum Schutz des Bauwerks und der heute wieder 1.400 Juden in Niederbayern stehen?
  • Dass  kürzlich engagierte Schüler im niederbayerischen Landshut mit 4000 Unterschriften und einer Großdemo gegen  den Stadtrat antreten mussten, der eine NPD-Veranstaltung in einer Schule erlauben wollte. Die Schüler und schließlich Bayerns Verwaltungsrichter verbannten die Rechtsextremisten aus der Schule.
  • Und, dass der Deggendorfer Historiker und haGalil-Autor Robert Schlickewitz  zur Zielscheibe der Rechtsextremisten wurde, seit er die Historie der Sinti und Roma in Bayern aufschrieb, sich über WIKIPEDIA empörte, weil in dem Internet-Netzwerk selbst  übelste Naziverbrecher und Neonazis als „bedeutende Persönlichkeiten“  genannt werden, sich mit Kriegsverbrechen des bayerischen Kronprinzen Rupprecht  auseinandersetzt  und Neonazis engagiert angreift?

Erst die Entlarvung einer rechtsextremen Terrorzelle in Thüringen, die für mindestens zehn politisch motivierte, Ausländer-feindliche  Morde verantwortlich ist, scheint Bundes- und Landespolitiker aufgeschreckt zu haben  –  auch die in Bayern: „Wir nehmen die Entwicklung sehr ernst“, versicherte Innenminister Joachim Herrmann (CSU) in einem Interview mit der PASSAUER NEUEN PRESSE (PNP). Er gab sich betroffen über die steigende Zahl rechtsextremer Straftaten und der Hemmungslosigkeit der Szene.

Dabei waren mindestens zwei jener  insgesamt  zehn „Dönermorde“ an türkischen und griechischen Imbissbesitzern, die der  thüringischen Terrorzelle nachgewiesen werden können, in Bayern verübt worden. Und auch hier hatten auf dem rechten Auge blinde Mordaufklärer und Politiker rasch gemunkelt, dass es vielleicht um Morde im Mafia- oder Drogenmilieu gegangen sei: Die Opfer waren so auch noch als mutmaßliche Verbrecher gebrandmarkt worden. Und ihre unglücklichen Familien mit ihnen.

Jetzt räumt Bayerns Innenminister Herrmann ein, dass trotz Aufdeckung der Terrorszene die Aktivitäten der Neonazis in Ostbayern eher zugenommen haben. Und er beklagt die wachsende Hemmungslosigkeit dieser Szene  –   als hätten nicht Jahr für Jahr Neonazi-Aufmärsche in Wunsiedel, dem Begräbnisort des Hitler-Stellvertreters Rudolf Hess , in Passau, im Landkreis Deggendorf und anderenorts stattgefunden. Und hätten nicht Neonazis versucht, Gasthöfe und andere geeignete Häuser zu erwerben, die zu Versammlungs- und Schulungsstätten umgebaut werden sollten.

Allein von 2010 auf 2011 haben die politisch motivierten Straftaten  in Ostbayern 24 Prozent zugelegt, rechtsextremistische Gewalttaten gar um 600 Prozent!  In ganz Bayern wurden Ende Januar noch 32 Rechtsextremisten mit Haftbefehlen gesucht. In Deggendorf sind die Neonazis aktiv, vor allem aber in  Geisenhausen bei Landshut: Dort lebt nun Martin Wiese, der 2003 wegen eines versuchten Bombenanschlags auf die Münchner Synagoge verurteilt worden war. Jetzt gründet  dieser von der Szene als „Märtyrer der Bewegung“ Gefeierte  braune  Kameradschaften, schließt sie dem „Nationalen Bündnis Niederbayern“ an. Dieses Bündnis ist in das „Freie Netz Süd“ eingebunden.

Kein Wunder, dass der Minister jetzt versichert: „Für uns steht das NPD-Verbotsverfahren im Vordergrund!“ Bis es aber zu diesem noch keineswegs sicheren Verbot kommt, können die laut Minister Herrmann „außergewöhnlich gewaltbereiten Neonazis“ weiterhin zu Versammlungen einladen. So am „Aschermittwoch“, dem Tag nach dem Fasching, wenn vor allem im Raum Landshut und Passau Spitzenleute der Parteien zu Großversammlungen antreten.

In Deggendorf will die NPD in einem seit Jahren von ihren Mitgliedern bevorzugten Lokal auftreten. Ihre Bundes-, Landes- und Bezirksvorsitzenden und um die 120 Mitglieder haben sich angekündigt. Ihre Partei ist durch Forderungen des Bundestages an die NPD, Staatszuschüsse aus der gesetzlichen Parteienfinanzierung   zurückzuzahlen, in Finanznöten. So zahlen die geladenen Gäste sogar Eintritt. Ein öffentliches Auftreten in Deggendorf planen die Neonazis dieses Mal nicht.  Denn wie an vielen Orten in Bayern hat sich auch hier seit einiger Zeit eine Aktion  „Bunter Landkreis Deggendorf für gelebte Demokratie, Toleranz und Vielfalt“ formiert. Ihr gehören Abgeordnete aus dem Bundes- und dem Landtag, der Landrat, die Oberbürgermeisterin, Stadträte, Geistliche, Lehrer, Politiker, Studenten, Schülerinnen und Schüler, Arbeitgeber, Arbeitnehmer und Gewerkschafter, sogar Gesellschafts-, Sport- und Kulturvereine an. Sie sind schon einige Male auf die Straßen gegangen, lehnen Gewalt ab, protestieren und argumentieren gegen die Neonazis,  flanieren  durch die Zufahrtsstraßen zum NPD-Treffunkt, schneiden diesen Wege zu Demonstrationsorten ab, sorgen mit immer neuen Einfällen für fröhliche, nachdenkliche,  in jedem Fall friedliche Unterhaltung, aber auch für Aufklärung über die Neonazis, ihre Taktik und ihre Verbrechen.  Im sächsischen Dresden hat sich diese Art des demokratischen Widerstands bereits bewährt   –  die Neonazis zogen ab.

2 Kommentare

  1. Mir graut vor der Zeit, wenn die Zeitzeugen verstorben und die Nachkommen schweigsam sind. Selbst bin ich Jahrgang 1960 und werde die Folgen nicht mehr erleben. Deutschland ist „brauner“, als oberflächlich bekannt. Denk ich an Deutschland in der Nacht ….

  2. Wer die Medien in Bayern verfolgt, dem ist bekannt, daß der braune Sumpf sehr tiefe Wurzeln in allen Teilen der Gesellschaft hat. Auf Schulhöfen werden Nazi CD s verteilt, es werden braune Drohungen abgesondert  und Sachbeschädigungen begangen.  Richter bedauern vor laufender Kamera, daß bestehende Kontaktverbote von braunen, verurteilten Kandidaten nur unter gewissen Umständen, unter bestimmten Möglichkeiten vollzogen werden können. Es werden Dateien erstellt, runde Tische zusammengerückt und Gedenkminuten und -veranstaltungen begangen.  Und dann ist da noch das NPD Verbot. Es wäre gut diesen braunen Sumpf auszutrocknen, ob sich substantiell allerdings etwas ändern würde ist fraglich. In der Einstellung und in den Köpfen der Menschen muß es sich ändern. Lippenbekenntnisse sind in der Konsequenz wirkungslos. Ich wünsche mir, daß in Bayern und in der gesamten Republik der braune Sumpf nebst NPD mit der gleichen Energie ausgetrocknet wird, wie Parksünder und Bagatelldelikte  in dieser Republik vom Staat verfolgt werden.

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