Grünes Licht für die Zentralbank Irans?

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Mit faulen EU-Kompromissen lässt sich die iranische Bombe nicht verhindern…

Von Matthias Küntzel

„Wir werden eine nukleare Bewaffnung des Iran nicht akzeptieren“, versprachen Bundeskanzlerin Merkel, Präsident Sarkozy und Ministerpräsident Cameron am 23. Januar 2012. „Bis der Iran an den Verhandlungstisch zurückkehrt, werden wir gemeinsam starke Maßnahmen unterstützen, die die Möglichkeiten des iranischen Regimes zur Finanzierung seines Atomprogramms einschränken.“ ((http://www.bundeskanzlerin.de/Content/DE/Pressemitteilungen/BPA/2012/01/2012-01-23-gemeinsame-erklaerung-iran-sanktionen.html))

Dann aber, einen Tag später, veröffentlichte das Official Journal of the European Union das Kleingedruckte der am 23. Januar verabschiedeten Iranbeschlüsse der EU. Dieses Kleingedruckte zu verstehen, ist nicht leicht. Gleichwohl fällt auch dem juristischen Laien das riesige Schlupfloch in Artikel 1 der EU-Verordnung 56/2012 ins Auge – ein Schlupfloch, dass sich auf die Iranischen Zentralbank (IZB) bezieht; ein Schlupfloch, groß genug, um „die Möglichkeiten des iranischen Regimes zur Finanzierung seines Atomprogramms“ auch in Zukunft offenzuhalten.

Während über den Embargobeschluss – das phasenweise Auslaufen iranischer Rohstofflieferungen in die EU – berichtet wurde, fiel jenes Schlupfloch in der Berichterstattung unter den Tisch.

Ein janusköpfiger Entschluss

Auf der einen Seite haben die EU-Außenminister die Iranische Zentralbank am 23. Januar 2012 erstmals auf die Sanktionsliste gesetzt. „Involvement in activities to circumvent sanctions“ – lautet die Begründung in EU-Verordnung 54/2012. Diese Darstellung verharmlost den Sachverhalt: In Wirklichkeit fungiert die IZB als Finanzzentrum für das Atomwaffenprogramm. Die Sanktionierung beinhaltet, dass alle Geldmittel dieser Bank auf europäischem Boden mit sofortiger Wirkung einzufrieren sind und somit keine weitere Verwendung finden dürfen.

Auf der anderen Seite wird in Artikel 1 der am selben Tag verabschiedeten EU-Verordnung 56/2012 festhalten, dass die eingefrorenen Gelder – mit Zustimmung der jeweiligen Landesbehörden – jederzeit wieder „auftaut“ werden können, „… in order to provide financial institutions … with liquidity for the financing of trade“ – um also zum Beispiel andere Banken mit flüssigem Geld für den Iranhandel zu versorgen.

Ich habe weiter unten eine deutsche Übersetzung dieses Schlupfloch-Paragraphen angefügt. Eine bestimmte Voraussetzung muss jedoch erfüllt sein, damit die „eingefrorenen“ Zentralbankgelder wieder „aufgetaut“ werden können: An den infrage kommenden Finanztransfer dürfen keine Personen oder Einrichtungen beteiligt sein, die auf der europäischen Sanktionsliste steht.

Sind Sie über die Absurdität dieser Regelung gestolpert? Es ist immerhin die Zentralbank selbst, die auf der EU-Sanktionsliste steht. Sie darf in der EU weiter tätig sein, solange die Zusammenarbeit mit Einrichtungen, die auf der EU-Sanktionsliste stehen, ausgeschlossen ist. Das ist, als würde einem anerkannten Hehler der Verkauf illegal erworbener Waffen unter der Bedingung gestattet, dass weder der Käufer noch der Verkäufer dieser Waffen ein Hehler ist.

Die Frankfurter Allgemeine hat diesen Widersinn beiläufig, ohne daran Anstoß zu nehmen, erwähnt: „Die Einfrierung der Konten der iranischen Zentralbank in Europa wurde mit der Ausnahme versehen, dass … die Finanzierung von erlaubtem Handel weiterhin gestattet (bleibt).“ ((EU verbietet Ölimport aus Iran, in: FAZ, 24. Januar 2012. Die EU-Pressemitteilung vom 23. Januar 2012 (“Iran: New EU sanctions target sources of finance for nuclear programme”) formulierte es so: „The Council also froze the assets of the Iranian central bank within in EU, while ensuring that legitimate trade can continue under strict conditions.“))

Warum hier aber von einer „Ausnahme“ gesprochen wird, ist nicht klar. Da der „erlaubte Handel“ die Regel ist, dürfte auch die Inanspruchnahme der Iranischen Zentralbank die Regel sein. Wie problemlos sich sogenannte „Ausnahmen“ ins Tagesgeschäft fügen, ist seit der 40.000-Euro-Verordnung der EU von Oktober 2010 bekannt.

Von der Ausnahme zur Routine

In jener Bestimmung ist geregelt, dass jeder Finanztransfer von oder nach Iran, der den Wert von 10.000 EUR übersteigt, den zuständigen Behörden gemeldet werden muss, während jeder Geldtransfer, der 40.000 EUR übersteigt, einer ausdrücklichen Genehmigung bedarf. ((Siehe Artikel 21, Absatz 1 a-c der Ratsverordnung Nr. 961/2010 vom 25. Oktober 2010 „on restrictive measures against Iran“, in: Official Journal of the European Union, 27. 10. 2010, S. L 281/11)) Als Genehmigungsbehörde fungiert hierzulande die – den Weisungen des Bundeswirtschaftsministers unterstehende – Deutsche Bundesbank. Diese aber sah bald schon von den einzeln zu erteilenden Genehmigungen ab.

Stattdessen etablierte sie eine „Allgemeine Genehmigung“ für sämtliche Zahlungen aus dem Iran, die den Betrag von 40.000 EUR überschreiten und stellt seither dementsprechende Vordrucke her. Einzige Bedingung: Der auf diese Weise zu bezahlende Warenexport nach Iran musste legal gewesen sein.

Doch ließ die Bundesbank auch den umgekehrten Weg – Geldtransfers an das iranische Regime in Höhe von mehr als 40.000 EUR – standardisieren. Sie bietet für diesen Fall Formblätter an, die zu Umgehungsgeschäften im Falle sanktionierter Banken geradezu einladen. „Bei Geldtransfers … an eine iranische Person, Organisation oder Einrichtung über im eigenen Namen handelnde Mittelsmänner außerhalb der EU sind die Zeilen 41 bis 43 auszufüllen“ heißt es beispielweise in „Vordr. 4040 (INT) 09.11“. ((Die Vordrucke lassen sich von der Homepage der Deutsch-Iranischen Industrie- und Handelskammer in Teheran herunterladen. Siehe unter: http://iran.ahk.de/.))

So aber, wie die EU-Verordnung von 2010 die Genehmigung großer Finanztransfers den jeweils zuständigen Behörden eines Mitgliedsstaates anvertraut hatte, so hat die EU-Verordnung von 2012 die Entscheidung über die Nutzung der „aufgetauten“ Gelder der Iranischen Finanzbank in das Belieben der zuständigen Behörden eines jeweiligen Mitgliedslandes gestellt.

Dies bedeutet: Obwohl das IZB- Vermögen formell als „eingefroren“ gilt, dürfte es auch weiterhin wie eh und je im Umlauf sein. Warum aber solch ein janusköpfiger Beschluss, bei der Verordnung a das Gegenteil von Verordnung b intendiert? Weil sich nur auf diese Weise der iranpolitische Gegensatz zwischen Großbritannien und Frankreich auf der einen und Deutschland und der anderen Seite überbrücken ließ.

Focus IZB

Seit Monaten gilt dem Westen eine harte und konsequente Sanktionierung der Iranischen Zentralbank als das wichtigste Instrument, um Krieg zu vermeiden und dem Atomkurs des iranischen Regimes gleichwohl Einhalt zu gebieten.

So unterzeichnete der amerikanische Präsident am 31. Dezember 2011 ein „Iran-Gefahrenabwehrgesetz“, das allen internationalen Banken, die mit der IZB zusammenarbeiten, den Markt der USA versperrt. So brach Großbritannien bereits im November 2011 alle Verbindungen zur IBZ abrupt ab.

Während auch Frankreich und die Niederlande dazu aufriefen, alle IZB-Konten in Europa einzufrieren, stellte Berlin sich quer: „Die Bundesregierung unterstützt diese Forderung nicht.“ ((Daniel Brössler, Sanktionen gegen Iran wegen Atomprogramm, in: Süddeutsche Zeitung, 28. November 2011.))

Deutschland bleibe „vor Frankreich und Italien das EU-Land mit dem bei weitem größten Iran-Geschäft“, begründete die Frankfurter Allgemeine diesen Kurs. „Im Falle viel härterer Finanzsanktionen könnte das gefährdet sein.“ Außerdem gäbe es „starke Stimmen in der Bundesregierung, die das deutsche Iran-Geschäft so lange nicht aufs Spiel setzen wollen, wie Unternehmen etwa aus Russland oder Asien dieses dann übernehmen.“ ((Berlin für ,deutliche Verschärfung‘ der Iran-Sanktionen, in: Frankfurter Allgemeine, 23. November 2011.))

Natürlich beteuert die Bundesregierung, dass sie iranische Atomwaffen verhindern will. Dieser gute Vorsatz steht allerdings unter dem Vorbehalt des business first. „Wirtschaftsminister Rösler ist grundsätzlich damit einverstanden, der iranischen Bombengefahr mit einem verschärften Boykott zu begegnen“, berichtete beispielsweise der Spiegel, „solange ,die Abwicklung bisher zulässiger Altverträge nicht über Gebühr beeinträchtigt wird‘, wie es in seinem Ministerium heißt.“ ((Boykott gegen die Bombe, in: Der Spiegel 46/2011, 14. November 2011, S. 86.))

Inzwischen stößt die die Absurdität dieser Prioritätensetzung auch innerhalb der deutschen politischen Elite auf Protest – das deutsche iranpolitische Paradigma der letzten 30 Jahre beginnt zu schwanken.

Ausgerechnet das Handelsblatt beschwert sich heute massiver als jede andere Tageszeitung über das Bundeswirtschaftsministerium, da es „seit Monaten schützend die Hände über die iranischen Exportgeschäfte der Unternehmer [legt].“ ((Johannes C. Bockenheimer, Die Iran-Connection. Berlin schützt kritische Exporte, in: Das Handelsblatt, 17. Januar 2012.))

Härter als jeder Oppositionspolitiker in Berlin geht gleichzeitig die Zeitschrift der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik, Internationale Politik, mit der Iranpolitik der Bundesregierung zu Gericht: „Die deutsche Politik, einschließlich die der Bundesregierung, hat die Natur der Bedrohung des iranischen Nuklearprogramms weitgehend nicht begriffen.“ ((Spiel mit dem Feuer. Deutschland braucht eine konsequente Politik gegenüber dem Iran, in: Internationale Politik Nr. 1, Januar/Februar 2012, S. 97ff.)) Offenkundig aber setzte sich bei der Vorbereitung der jüngsten iranpolitischen EU-Beschlüsse die Linie des Wirtschaftsministeriums weiter durch.

Natürlich war nicht alles, was in Brüssel beschlossen wurde, schlecht. Es hat durchaus einen Eigenwert, wenn Politik und Öffentlichkeit den Schein erwecken, dass die Ressourcen der Iranischen Zentralbank eingefroren seien. Es erhöht die Unsicherheit bei potentiellen Iran-Exporteuren und setzt das Regime in Teheran symbolisch unter Druck.

Doch mit Symbolik kommt man im Streit um die iranische Bombe nicht länger voran. Wer die nukleare Bewaffnung des Iran verhindern und kriegerische Entwicklungen vermeiden will, muss den materiellen Druck auf Teheran ebenso rasch wie riesig erhöhen. Das Ölembargo ist in dieser Hinsicht ein zu zaghaft und zu langsam angelegter aber immerhin doch richtiger Schritt.

Weitaus wichtiger und wirkungsvoller aber wäre der Abbruch aller europäischen Beziehungen zur IZB. Die widersprüchliche Formel, die die EU-Außenminister zu dieser Frage ersannen, kann die dahinter stehende Zwietracht innerhalb des Westens nicht verdecken; eine Zwietracht, die aus iranischer Sicht wie ein Hoffnungsspender wirkt – der von Merkel, Sarkozy und Cameron zur Schau gestellten Einheit zum Trotz.

Wortlaut der Ausnahmeregel für die Zentralbank des Iran, die der EU-Außenministerrat am 23. Januar 2012 beschloss:

„Artikel 19a:

1. Die Verbotsmaßnahmen nach Artikel 16 finden keine Anwendung

a) (i) auf den Transfer von Geldmitteln oder ökonomischen Ressourcen von oder durch die Zentralbank des Iran, die nach dem Tage ihrer Sanktionierung erhalten und eingefroren wurden; oder

(ii) auf den Transfer von Geldmitteln oder ökonomischen Ressourcen an oder durch die Zentralbank des Iran, sofern sich der Transfer – in Verbindung mit einem spezifischen Handelsvertrag – auf die Bezahlung durch eine Person oder Körperschaft bezieht, die im Anhang VII oder VIII [also den Sanktionslisten, Anm. MK] nicht gelistet ist,

sofern die zuständige Behörde des betreffenden Mitgliedsstaats auf Grundlage einer Einzelfallprüfung entschieden hat, dass die Bezahlung weder direkt noch indirekt von einer anderen Person oder Körperschaft empfangen wird, die im Anhang VII oder VIII gelistet ist.

b) auf einem Transfer von eingefrorenen Geldern oder ökonomischen Ressourcen, der von oder mithilfe der Zentralbank des Iran vorgenommen wird, um Finanzinstitute innerhalb des rechtlichen Geltungsbereichs der EU mit flüssigem Geld für die Finanzierung von Handel zu versorgen, sofern dieser Transfer von der zuständigen Behörde des betreffenden Mitgliedsstaats genehmigt wurde.“

Quelle: Council Regulation (EU) No 56/2012 of 23 January 2012 amending Regulation (EU) No 961/2010 on restrictive measures against Iran, in: Official Journal of the European Union, 24. 1. 2012, p. L 19/10. Übersetzung: Matthias Küntzel