Frauen in die erste Reihe

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Letzte Woche wurde eine Frau angegriffen, weil sie sich weigerte, in einem Bus hinten zu sitzen, um nicht – „Gott behüte“ – von Männern gesehen zu werden. Dies geschah nicht in Teheran sondern in der Nähe von Jerusalem…

Von Uri Savir

In Beit Shemesh, nicht weit davon entfernt, wurde die acht-jährige Na´ama Margolis beleidigt, weil sie unschicklicher Weise auf der falschen Straßenseite lief, die den Männern vorbehalten war.

Ich habe viel Respekt vor Religion im Allgemeinen und der jüdischen Religion im Besonderen, doch diese Phänomene haben so viel mit Religion zu tun wie Apartheid mit Menschenrechten. Sie sind nicht nur illegal, sondern eine unverhohlene Form der Diskriminierung und eine Vergewaltigung grundlegender Menschenrechte und Werte. Sie stellen Israel in eine Reihe mit Nationen, die Frauen diskriminieren.

Der gesamte Nahe Osten ist hierfür ein typisches Beispiel. In den meisten Ländern der Region sind Frauen Bürger zweiter Klasse. Je freier Frauen sind, je mehr sie Teil der sozio-politischen Prozesse ihres Landes werden, desto fortschrittlicher und demokratischer wird das Land und umgekehrt. Tunesien einerseits und Saudi-Arabien andererseits sind hierfür gute Beispiele.

Tunesien hat seit den Tagen seines verstorbenen Präsidenten und Gründers der Nation, Habib Bourguiba, Frauen mehr Gleichberechtigung zugestanden als die meisten anderen arabischen Gesellschaften.

Über die Jahre, und auch heute noch, lag der Schwerpunkt auf der Ausbildung der Mädchen, einschließlich der Hochschulbildung, auf der Teilhabe von Frauen an den Märkten und politischen Prozessen. Bereits in den 1990er Jahren waren ein Viertel der Mitglieder des tunesischen Parlaments Frauen. In den meisten anderen arabischen Ländern haben Frauen weniger als 10 Prozent der Sitze in den Parlamenten inne. Es ist daher kein Wunder, dass junge Frauen eine zentrale Rolle in der Yasmin-Revolution gespielt haben, indem sie Demonstrationen anführten und mutige Blogs schrieben, wie etwa die hochgelobte Lina Ben Mhenni.

Saudi-Arabien dagegen fühlt sich einer ultraorthodoxen Interpretation des Islam verpflichtet und hat Frauen per Gesetz zu Bürgern bestenfalls zweiter Klasse gemacht. Es ist eine hochgradig patriarchalische Gesellschaft, in der Frauen praktisch den Männern wie Sklavinnen zur Verfügung stehen müssen – ohne Wahlrecht oder auch nur die Erlaubnis, Auto zu fahren, mit geringer Beschäftigung und strengen Kleidungsvorschriften.

Die Situation von Frauen in den meisten arabischen Ländern ist wahrscheinlich unter den am wenigsten fortschrittlichen in der Welt – irgendwo zwischen Saudi-Arabien und Tunesien, möglicherweise mit Ausnahme von Palästina (im Westjordanland), wo der Anteil von Frauen unter den Studierenden, am Arbeitsmarkt und im politischen Kampf um die Unabhängigkeit sehr hoch ist, hier ist Hanan Ashrawi ein Beispiel.

Der „arabische Frühling“ hat eine größere Befreiung arabischer Frauen mit sich gebracht – viele der Anführer der Demonstrationen in der Region waren Frauen, wie etwa Vorsitzende von NGOs, die zum Sturz von Diktatoren aufriefen, wie Tawakul Karman, die für ihren mutigen Kampf gegen das jemenitische Regime mit dem Nobelpreis ausgezeichnet wurde.

Dies schlägt sich auch in der wachsenden Teilhabe arabischer Frauen an sozialen Netzwerken, besonders Facebook und Twitter, nieder, wo ein Drittel der aktiven Nutzer Frauen sind, der Anteil ist wachsend. Es ist auch sichtbar im „YaLA – Young Leaders Movement“, das ich auf Facebook initiiert habe, wo 38% der 22.000 Mitglieder aus Israel und der arabischen Welt Frauen sind. Frauenrechtsbewegungen haben sich in letzter Zeit sogar in Saudi-Arabien gebildet, so beispielsweise die Bewegung Women2Drive.

Während die Situation in der Region nach wie vor trübe wirkt und der wachsende Einfluss der Muslimbrüder für Frauen nichts Gutes bedeuten mag, ist der Trend doch eher positiv – bei einem sehr traurigen Ausgangspunkt. Die arabische Welt als Ganzes geht durch eine instabile Übergangsphase mit einer Verbindung zwischen Islamismus und Liberalismus; die Position von Frauen in der Gesellschaft kann als Kompass dafür dienen, wohin die Länder streben.

Was Israel betrifft, so können wir sehr stolz darauf sein, welch wichtige Rolle Frauen im Prozess unseres Nation-Building gespielt haben. In allen Bereichen, mit Ausnahme der Politik (hier wiederum mit Ausnahme Golda Meirs), haben Frauen von Anfang an eine führende Rolle gespielt – sei es im Aufbau der Institutionen, in der Kultur, in Forschung und Lehre, im Arbeitsleben und eben auch in den Streitkräften. Und doch – Frauen haben in unserer Gesellschaft keine volle Gleichberechtigung erreicht. Dies ist objektiv wahr, wenn man ungleiche Löhne betrachtet, die Unterrepräsentierung in ökonomischen Institutionen und auch in der Knesset und der Regierung (mit gegenwärtig einer einzigen Ministerin).

Die Situation ist sogar noch schlimmer, wenn wir die chauvinistische Attitude der israelischen Männer betrachten, die sich aus Armee und Religion speist und ihren traurigen Ausdruck in so vielen Fällen sexueller Belästigung findet. In großen Teilen sind wir nach wie vor eine patriarchalische Gesellschaft. Dies ist vielleicht der Hintergrund für die dürftige Reaktion auf die letzten Entwicklungen.

Die Situation in Beit Shemesh ist widerwärtig und wird von einer extremistischen Gruppe von Ultraorthodoxen, den Sikrikim, verursacht, doch wir können schon länger beobachten, wie Frauen in der öffentlichen Bereich ausgegrenzt werden, etwa wenn es darum geht, ob Frauen bei Veranstaltungen der Streitkräfte singen dürfen. Am meisten alarmierend ist die zögerliche Reaktion der öffentlichen Meinung mit Ausnahme der Medien – es gabe nur ein paar Tausend Teilnehmer bei der Demonstration in Beit Shemesh letzte Woche, und die Protestbewegung des letzten Sommers wurde durch diese offensichtliche himmelschreiende soziale Ungerechtigkeit auch nicht reaktiviert. Die Regierung hat dagegen höchstens Lippenbekenntnisse abgelegt, traut sich aber nicht, die orthodoxen Parteien und Shas anzugehen.

Die Situation bedroht ernsthaft unsere Demokratie, besonders angesichts der legislativen Bemühungen gegen den Obersten Gerichtshof, die arabische Minderheit, die Pressefreiheit und das Phänomen der „Preisschildaktionen“ der extremistischen Aktivisten.

Die Frauen in Israel wissen, dass sie hier nicht auf die Männer zählen können. Daher sollten wir ganz vorne im Kampf die Frauen selbst sehen – dies haben etwa Limor Livnat, Tzipi Livni, Shelly Yachimovich und Zehave Gal-On bereits beispielhaft in ihren Stellungnahmen gezeigt. Beispiele sind auch die Vorsitzende des Obersten Gerichts Dorit Beinisch und Organisationen, die von Frauen geführt werden wie etwa „Four Mothers“, die den Rückzug aus dem Südlibanon bewirkt haben, die Frauen von „Machsom Watch“, die den Rückzug aus den Gebieten bewirken möchten und die Bewegung der Sozialproteste des Sommers, die ebenfalls weitgehend von Frauen angeführt wurde. Demokratie von Frauen, für Frauen.

Dasselbe sollten wir auch für die arabische Welt hoffen. 2012 könnte sehr gut zum Jahr der Stärkung der Frauen werden. Wichtige Frauen wie Angela Merkel und Hillary Clinton bahnen den Weg in eine friedlichere Welt. Man sollte hoffen, dass auch die Frauen in Israel und der arabischen Welt einen wichtigen Anteil an den lang erwarteten Friedensverhandlungen in unserer Region haben sollten.

Ja, die Frauen sollten ganz vorne stehen!

Der Autor ist Präsident des Peres Center for Peace und war israelischer Verhandlungsführer bei den Osloer Verträgen.

Jerusalem Post, 06.01.12, Newsletter der Botschaft des Staates Israel