Mit starker Hand gegen die Radikalen

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Der Autor dieser Zeilen wurde in einem religiösen Internat in der Nähe von Kfar Hasidim im Norden des Landes unterrichtet. Jungen und Mädchen lernten gemeinsam. Die Mädchen häkelten Kippot für die Jungen. Und die Institution stand unter der Schirmherrschaft von Hapoel Hamizrahi, einer moderaten zionistischen Partei, aus der schließlich die ersten Advokaten für ein Groß-Israel hervorgingen…

Kommentar von Yoel Marcus, Ha’aretz, 16.12.2011
Übersetzung von Daniela Marcus

Die meisten der Ausbilder und Lehrer am Internat waren Yekkes – deutsche Juden. Disziplin wurde groß geschrieben. Wir mussten uns jeden Tag mit kaltem Wasser waschen, nur an den Freitagen konnten wir eine warme Dusche genießen. Das Konzept „Ausgrenzung“ existierte zu der Zeit nicht. Freitagabends, nach dem Kiddush, tanzten Mädchen und Jungen gemeinsam. Infolgedessen ist niemand gestorben und es wurde auch niemand geboren.

In der Nähe des Internats gab es eine Yeshiva, die wir gern besuchten, nicht, um die dortigen Schüler zu ärgern, die laut studierten und dabei ihre Schläfenlocken drehten. Wir, die Träger von gehäkelten Kippot, gingen dorthin wegen der Fliegenfang-Wettbewerbe. Aus irgendeinem Grund war die Yeshiva voll von Fliegen.

Erst später merkten wir, dass die Schüler der Yeshiva weiterhin Wissen erwarben während wir zur Armee gingen. Sie studierten und wir standen in der Gefahr, verwundet oder sogar getötet zu werden. Während dieser Tage des Erwachsenwerdens kam es uns nicht in den Sinn, dass hier in absehbarer Zeit zwei jüdische Nationen heranwachsen würden, die sich gegenseitig feind sind: eine zionistische Mehrheit in einem säkularen Staat gegen eine gewalttätige und aggressive ultra-orthodoxe Minderheit.

Es ist eine Minderheit, die danach trachtet, der Mehrheit ihren Glauben aufzuzwingen, und es ist eine kleine Minderheit, die danach trachtet, der Mehrheit Groß-Israel aufzuzwingen, ganz gleich wie hoch die Kosten dafür sind. All das geschieht im Gegensatz zur legitimen politischen Bewegung, die die Politik nutzte, um gegen die Rückgabe der Territorien zu kämpfen. Und es geschieht im Gegensatz zur Arbeiterpartei, die mit dem Siedlungsbau in der naiven Hoffnung begann, dass das, was wir besetzten, in unserer Hand bleiben würde.

Der Ernüchterungsprozess, der nach diesem Traum kam, begann sehr langsam, nicht nur in der Arbeiterpartei. Selbst der größte Siedlungsbauer wurde nüchtern. Premierminister Ariel Sharon mahnte, dass die Zeit gekommen sei, um aus dem Traum von einem Groß-Israel zu erwachen. Es sagte das, evakuierte Siedlungen und verschwand aus unserem Leben. Und dann kam Premierminister Benjamin Netanyahu.

Heute ist es klar, dass wir ohne die Rückgabe der Territorien nicht nur keinen Frieden haben werden, sondern dass wir von einem Krieg zum nächsten absinken. Die politische Groß-Israel-Bewegung ließ die Hügeljugend entstehen, und der Kampf wurde gewalttätig. Koste er, was er wolle. Trotz ihrer großen Kippot provozieren sie Araber, entwurzeln deren Olivenbäume, zerstören deren Häuser und entweihen deren Moscheen. Sie zögern auch nicht, ihre Hand gegen die Polizei und die Armee zu erheben. Es ist schwer zu glauben, dass Israel, eine Nation, die über Generationen hinweg Pogrome und das Verbrennen von Synagogen erlitten hat, solch ein Verhalten tolerieren kann.

Wir haben es hier mit schleichendem Wahnsinn zu tun, der sich in verschiedenen Arten von Gewalt zeigt. Der Ausdruck „Preisschild“ bedeutet nicht ein Auge für ein Auge, sondern sieben Augen und Fäuste für ein Auge. Diese gewalttätigen Leute erinnern an die Bösewichte in Western, die in eine abgelegene Stadt galoppieren und in alle Richtungen schießen. Heutzutage nennt man so etwas Hooliganismus.

Die Zerstörer des Friedens werden aus unseren Reihen kommen, sagen die Bürger dieses Landes und beziehen sich damit auf die faulen Früchte, die von den legitimen Siedlungsbewegungen hervorgebracht wurden. Diese Radikalen ignorieren die Polizei, die Armee und den Staat, und sie könnten eine Katastrophe verursachen, wenn sie zum Beispiel die Al-Aksa-Moschee in Flammen setzen oder etwas ähnliches, nicht rückgängig zu machendes, tun würden.

Wer hätte gedacht, dass ein bekannter Leiter einer Yeshiva erklären würde, es sei „besser, einem Erschießungskommando gegenüber zu stehen als die Stimme einer Frau zu hören“? Wer hätte gedacht, dass jemand versuchen würde, eine Geschlechtertrennung in öffentlichen Bussen herbeizuführen – Frauen hinten, Männer vorne, wie es auf ähnliche Art einst in Südafrika üblich war? Die Extremisten entstellen den jüdischen Geist, der immer moderat und schlichtend war.

Der Kotzker Rebbe, Rabbiner Menachem Mendel von Kotzk, soll einst gesagt haben: „Werde ein Mensch, erst dann strebe danach heiliger zu werden.“ Man könnte Hunderte von Zitaten über die Humanität des Judentums anführen. Die Frage ist, wo sind die Admorim, die chassidischen Leiter, heute? Wo sind die Oberrabbiner, die ein Gehalt von der Regierung bekommen? Wo sind die Gemeinderabbiner und die Leiter der Yeshivot? Warum hört man sie nicht?

Und über allem steht die Frage: Wo sind die Sicherheitsbehörden? Ist es möglich, dass sie zwar die Terroristenanführer Mahmoud Mabhouh in Dubai und Imad Mughniyeh in Damaskus erreichen können –zumindest gemäß ausländischer Quellen-, doch die jüdischen Terroranführer im Westjordanland nicht? Nach den Ereignissen dieser Tage ist die Zeit gekommen, mit starker Hand gegen die „Preisschild“-Leute vorzugehen.

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